Rede des Kanzlers beim Tag der Industrie
In seiner Rede sprach sich Bundeskanzler Merz für mehr Vertrauen zwischen Politik und Wirtschaft aus. Er sei der festen Überzeugung, dass in Deutschland die Kraft steckt, die wirtschaftlichen Herausforderungen anzunehmen und zu meistern.

Austausch mit den Vertreterinnen und Vertretern der Industrie – Bundeskanzler Friedrich Merz zu Gast beim BDI.
Foto: Bundesregierung/Guido Bergmann
Bundeskanzler Friedrich Merz unterstrich in seiner Rede beim Tag der Industrie, die Bundesregierung werde „mit harten politischen Entscheidungen” die preisliche Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands durchgreifend verbessern. Dazu seien bereits die ersten Beschlüsse wie etwa der Investitionsbooster getroffen worden. Ein umfangreiches Reformprogramm, um die Wirtschaft zu beleben, werde schnell – noch im ersten Regierungsjahr – folgen.
Der Tag der Industrie steht in diesem Jahr unter dem Motto „neuezeiten.neueantworten”. Gemeinsam mit Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und Gesellschaft möchte der BDI Antworten auf wichtige Zukunftsfragen finden.
Das Wichtigste in Kürze:
Mehr Vertrauen: Bundeskanzler Merz sprach sich für weniger Misstrauen und mehr Vertrauen zwischen Politik und Wirtschaft aus. In dieser neuen Einstellung läge eine große Chance für Bürokratierückbau und mehr Digitalisierung.
Deutschland muss zeigen, was es kann: Bundeskanzler Merz betonte, dass Deutschland zwar in manchen Bereichen im Rückstand sei, in anderen aber Weltspitze, etwa im Maschinenbau. Hier gelte es zu zeigen, was Deutschland kann – gemeinsam mit der Europäischen Union. Die Bundesregierung wiederum werde zeigen, dass sie es ernst meint mit der Modernisierung des Landes.
Verteidigungsfähigkeit sichern: Für die Verteidigung von Demokratie und Freiheit, stehe die Bundeswehr vor der Herausforderung qualifiziertes Personal zu finden. Dafür sei die Unterstützung der Industrie notwendig, so der Kanzler. Die Unternehmen müssten ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die Möglichkeit geben, an Reserveübungen teilzunehmen. Außerdem würden zusätzliche Elemente einer Wehrpflicht notwendig werden.
Lesen Sie hier die Mitschrift der Rede.
Sehr geehrter Herr Präsident, lieber Herr Leibinger,
liebe Frau Gönner,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
meine sehr geehrten Damen und Herren,
vielen Dank für die sehr freundliche Begrüßung, und Ihnen, Herr Leibinger, herzlichen Dank für diese starke erste Rede! Lassen Sie mich das Ergebnis gleich vorwegnehmen: Wir nehmen das Angebot zur engen Zusammenarbeit an. Sie haben die Herausforderungen, wie ich finde, sehr zutreffend beschrieben. Nicht nur unser Land, ganz Europa, die offenen Gesellschaften, die Demokratien stehen vor Herausforderungen, die wir alle vor einiger Zeit noch gar nicht geahnt haben.
Ich freue mich, dass ich heute hier sein kann, in diesem Haus, in diesem Gasometer. Der ein oder andere von Ihnen wird es wissen: Genau auf den Tag vor sieben Wochen haben wir hier, an diesem Platz, den Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD unterzeichnet. Morgen vor sieben Wochen sind wir ins Amt gekommen. Und, meine Damen und Herren, in diesen sieben Wochen ist schon ziemlich viel geschehen.
Ich habe es für richtig gehalten, gleich am ersten Tag nach meiner Vereidigung – am selben Tag –, Paris und Warschau zu besuchen, ein klares Zeichen zu geben, dass diese Bundesregierung, vielleicht stärker als manche zuvor, ihre Verantwortung um die Europäische Union wahrnehmen wird: Paris und Warschau, der Westen und der Osten, ganz Europa, die Großen und die Kleinen. Denn, meine Damen und Herren, das ist Deutschlands Stärke – wenn ich es richtig gemacht habe – immer gewesen, nicht nur bündnisfähig zu sein, Verabredungen einzuhalten, sondern auch Rücksicht zu nehmen auf die Kleinen und die Mittleren, die Starken Europas. Und wenn wir dies in den nächsten Jahren wieder richtig machen, dann bin ich genau wie Sie auch, Herr Leibinger, der festen Überzeugung, dass wir alle Chancen haben, nicht nur unsere Demokratie zu schützen, unsere offene Gesellschaft zu schützen, sondern auch wirtschaftlich gemeinsam wieder nach vorn zu kommen.
Und die Herausforderungen, die Sie beschrieben haben, sind genau die, die wir sehen: seit dem letzten Wochenende, seit gut einer Woche, ein offen ausgebrochener Krieg im Mittleren Osten. Ich will das an dieser Stelle hier noch einmal sehr klar und sehr deutlich sagen: Es gibt für uns und auch für mich persönlich keinen Grund, das zu kritisieren, was Israel vor einer Woche begonnen hat, und auch keinen Grund, das zu kritisieren, was Amerika am letzten Wochenende getan hat.
Es ist nicht ohne Risiko, aber es so zu belassen, wie es war, war auch keine Option. Und, meine Damen und Herren, das Gleiche gilt für den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine, der mittlerweile im vierten Jahr stattfindet. Ich bleibe bei meiner persönlichen und unserer gemeinsamen Einschätzung: Die Ukraine verteidigt nicht nur das eigene Territorium – das allein wäre Grund genug, ihr zu helfen –, sondern sie verteidigt auch unsere Freiheit, auch unsere Souveränität, auch unsere Unabhängigkeit, auch unsere Demokratie und unsere offene Gesellschaft. Und stellen wir uns darauf ein: Das kann angesichts der sehr starren Haltung des russischen Regimes noch einige Zeit dauern. Da ist unsere Durchhaltefähigkeit– nicht nur militärisch, sondern vor allem politisch – gefragt: durchzuhalten in der festen Absicht, unsere Freiheit gegen Sabotage, gegen Cyberangriffe, gegen Fake News, gegen die Versuche der – Destabilisierung unseres Landes und gegen alle Versuche der Spaltung Europas zu verteidigen. Denn genau darum geht es, meine Damen und Herren, genau darum geht es: Dies ist ein Angriffskrieg gegen die gesamte politische Ordnung, wie sie nach 1990 zusammen mit der damaligen Sowjetunion – und später mit Russland – verabredet worden ist. Wenn wir es ernst meinen mit unserer Freiheit, wenn wir es ernst meinen mit unserer offenen Gesellschaft, wenn wir es ernst meinen mit Demokratie und Marktwirtschaft, dann müssen wir es ernst meinen mit der Verteidigung.
Und zu allem Überfluss: Zweifel an der Partnerschaft im transatlantischen Verhältnis. Wir hatten in der letzten Woche das Treffen der G7-Staaten in Kanada. Wir haben stundenlang miteinander beraten über die großen Themen unserer Zeit, und wir haben zu allen Themen, die wir vorbereitet hatten, gemeinsame Schlussdokumente verabschiedet. Ukraine und Russland ist offengeblieben, wie von Anfang an geplant. Aber auch hier zeigt sich, dass es in den Vereinigten Staaten von Amerika durchaus Bewegung, Bereitschaft zu Veränderung, Bereitschaft zum Handeln auch in dieser Administration gibt gegenüber Russland.
Das ist ein mühsamer Weg. Erfolg werden wir nur haben, wenn wir auf der europäischen Seite zusammenstehen, zusammenarbeiten und eine klare Meinung haben. Und ich bin deshalb sehr froh, dass es gelungen ist – und das ist nicht allein mein Verdienst –, in den letzten Wochen im sogenannten E3-Format – Großbritannien, Frankreich, Deutschland –, unter den europäischen G7-Staaten – Frankreich, Deutschland, Italien – und auch in einer größeren Gruppe von europäischen Staaten hier zu gemeinsamen politischen Überzeugungen zu gelangen, wie wir mit den Krisen und den Herausforderungen der Gegenwart gemeinsam umgehen.
Aber stellen wir uns darauf ein: Die Vereinigten Staaten von Amerika sind nicht mehr die Vereinigten Staaten von Amerika, die wir vielleicht vor 20, 30, 40 Jahren kennengelernt haben. Das Land verändert sich. Die Politik verändert sich, auch unabhängig von der gegenwärtigen Administration. Und es ist wahr und richtig, dass die Vorbehalte gegen uns jetzt endgültig ausgeräumt werden müssen, insbesondere gegen unsere sicherheitspolitische Trittbrettfahrerei. Das haben die Amerikaner über viele Jahre und Jahrzehnte akzeptiert – jetzt nicht mehr. Und sie werden auch nach einem erneuten Regierungswechsel nicht zum alten Denken zurückkehren. Das wird so bleiben. Und wir Europäer müssen uns auf uns selbst gestellt stärker machen. Wir müssen stärker werden. Wir müssen in der Lage sein, bereit sein, diese Herausforderungen anzunehmen und auf dieser Seite des Atlantiks unsere Stärken zu stärken und unsere Schwächen nüchtern in den Blick zu nehmen und Schritt für Schritt zu beseitigen. In diesem Geist haben wir die neue Bundesregierung gebildet.
Und, meine Damen und Herren, bis auf den Bundesverteidigungsminister sind alle neu am Kabinettstisch – so wie Sie, Herr Leibinger, im Amt neu sind. Und deswegen kann ich Ihnen noch einmal sagen: Ja, wir machen jetzt einen neuen Start. Wir gehen mit einem neuen Geist in diese Arbeit hinein. Und wir wissen, was wir zu tun haben. Wir müssen vor allem die Wettbewerbsfähigkeit unseres deutschen Standortes durchgreifend verbessern – ich gehe noch einen Schritt weiter –, die preisliche Wettbewerbsfähigkeit unseres Standorts durchgreifend verbessern. Und dazu unternehmen wir die ersten Schritte, dazu haben wir die ersten Entscheidungen in der Bundesregierung getroffen. Am 11. Juli wird der Bundesrat das erste große Investitionsprogramm beschließen: 3 mal 30 Prozent Abschreibungen in drei Jahren hintereinander, bereits beginnend in diesem Jahr, 2025, 2026, 2027, und ab dem 01.01.2028 fünf Mal in Folge jeweils einen Prozentpunkt niedrigere Körperschaftssteuer. Erleichterungen, ja, meine Damen und Herren, für die Personengesellschaften dazu, den Wechsel, den die Körperschaftssteuer einfacher gemacht hat als bisher. Wir haben seit 20 Jahren in Deutschland keine Steuersenkungen mehr gehabt. Wir machen sie in einer Koalition zusammen mit den Sozialdemokraten. Wir machen sie!
Wir sind uns darüber im Klaren, dass dies nur ein erster Schritt sein kann. Wir haben ein umfangreiches Reformprogramm für die zweite Jahreshälfte geplant. Zum Teil werden wir in der Zeit vor der parlamentarischen Sommerpause noch Schritte auf den Weg bringen. Wir haben Entscheidungen getroffen, was das Thema Einwanderung und Migration betrifft, haben im Bereich der inneren Sicherheit genauso wie im Bereich der äußeren Sicherheit erste Kabinettsentscheidungen auf den Weg gebracht.
Wir haben Geld zur Verfügung, Investitionsmittel zur Verfügung durch ein sogenanntes Sondervermögen. Aber, meine Damen und Herren, dieses Sondervermögen sind Schulden, zusätzliche Schulden für unser Land, Schulden, die wir der nächsten Generation nur dann mit einigermaßen gutem Gewissen auferlegen können, wenn wir dieses Geld wirklich in die Zukunftsfähigkeit unseres Standortes investieren und nicht in den Gegenwartskonsum.
Es wird ein hartes Ringen werden um die Haushalte der Jahre 26, 27, 28. Aber es wird genau so sein, wie Sie es gesagt haben, Herr Leibinger: Allein werden wir das nicht schaffen. Das können wir nur in einer gemeinsamen wirtschaftspolitischen, ich will aber auch sagen, in einer gemeinsamen gesellschaftspolitischen Anstrengung schaffen, denn wir stehen nicht nur vor der Herausforderung, die preisliche Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern. Wir stehen vor der Herausforderung, den Mindset unserer ganzen Gesellschaft zu verändern. Und dieser Mindset, meine Damen und Herren, der muss wieder lauten: Wir leisten etwas, wir trauen uns etwas zu, wir gehen auch mal ins Risiko, und es gibt nicht für jede ökonomische Entscheidung und auch nicht für jede politische Entscheidung eine Kaskoversicherung. Es kann sein, dass Fehler passieren. Uns werden in dieser Regierung auch Fehler passieren. Aber Fehler dürfen passieren, wenn die Fehlerkorrektur im Unternehmen wie in der Politik die richtige ist: einmal ja, zweimal bitte nicht.
Wir müssen eine gemeinsame Kraftanstrengung unternehmen, was unser Zutrauen zu uns selbst betrifft. Und vielleicht lassen Sie mich eine Parallele nehmen, die Sie angesprochen haben, ich vertiefe sie etwas: Wir haben uns vor vielen, vielen Jahren in diesem Lande entschlossen – anders als zum Beispiel die angelsächsischen Länder –, angefangen mit der Umweltpolitik, fortgesetzt über praktisch alle Bereiche der Wirtschaftspolitik, das sogenannte Vorsorgeprinzip einzuführen. Die Vereinigten Staaten von Amerika, Großbritannien zum Teil auch, sind sehr viel stärker beim Haftungsprinzip gewesen: Man darf vieles tun, vieles versuchen, wenn es schiefgeht, haftet der Betroffene. – Bei uns wird vieles von vornherein so geregelt, dass möglichst gar nichts passieren kann – Vorsorgeprinzip nennen wir das. Aber, meine Damen und Herren, genauso wie Peter Leibinger das hier gerade gesagt hat: Dieses Vorsorgeprinzip hat dazu geführt, dass wir mittlerweile einen solchen Dschungel, ein solches Dickicht an Regulierungen haben, Vorsorge – um Gottes Willen, nichts darf passieren, jedes Risiko antizipiert und von vornherein ausgeschlossen –, dass wir damit handlungsunfähig zu drohen werden, Ausdruck auch – nicht nur, aber auch – eines gewissen Misstrauens staatlicher Institutionen gegen private Haushalte und privatwirtschaftliche Unternehmen. Das müssen wir ändern.
Und, meine Damen und Herren, dieser Gedanke kommt nicht allein von mir. Wir haben darüber in den Koalitionsverhandlungen ausführlich gesprochen. Und er ist insbesondere zu meiner Freude auch von Vertretern der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands vorgetragen worden: etwas weniger Vorsorgeprinzip, etwas mehr Haftungsprinzip und dann etwas mehr Freiheit wieder. Man kann es auch anders übersetzen: Weg vom Misstrauen hin zum Vertrauen, dass Menschen, dass Unternehmen, dass Unternehmer und Unternehmerinnen sich grundsätzlich rechtstreu verhalten; das sollte doch die gegenseitige Annahme sein, die wir zwischen Politik und Wirtschaft in unserer Gesellschaft gemeinsam zugrunde legen. Wenn wir das tun, haben wir eine große Chance, mit dem Wort, das wir Bürokratierückbau nennen, jetzt endlich ernst zu machen und dies Ganze mit einer umfassenden Digitalisierungsstrategie zu verbinden.
Ich will ein Wort des Dankes sagen an jemanden, der heute Morgen gar nicht da ist, den wir aber heute Morgen im Bundesvorstand der CDU zu Gast gehabt haben und jetzt immer zu Gast haben, nämlich ein Kabinettsmitglied wie alle anderen auch, die jetzt ständige Gäste sind, nämlich Karsten Wildberger. Dass jemand bereit ist, aus einer gut dotierten Position in der Privatwirtschaft in die Politik zu gehen und seine Erfahrungen zur Verfügung zu stellen für Digitalisierung und Modernisierung, meine Damen und Herren, das ist ein Experiment, das geht auf. Wir haben ihm die notwendigen Kompetenzen, die notwendigen Zuständigkeiten gegeben, und er wird mit diesem Haus beweisen, dass Modernisierung und Digitalisierung in unserem Land in kurzer Zeit möglich sind. Wir gehen mit ihm gemeinsam auf den Weg.
Lassen Sie mich hinzufügen: Es ist genau so, wie Ihr Präsident das gesagt hat: Es geht nicht mit der Politik allein. Wir werden auch Sie in Anspruch nehmen. Wir brauchen Ihre Hilfe und Unterstützung. Wir brauchen Ihre Expertise in den Gremien und den Institutionen unseres Staates, damit wir hier auf einen guten Weg kommen. Und meine feste Überzeugung ist, dass wir zwar in vielen Bereichen im Rückstand sind, aber in vielen Bereichen nicht nur aufholen können, sondern sogar jetzt schon an der Spitze stehen. Ich will Ihnen ein Beispiel sagen: Ich hatte vor genau zehn Tagen den Vorstandsvorsitzenden von Nvidia zu Besuch, im Internet, in den Social-Media-Kanälen mittlerweile eine Kultfigur, Jen-Hsun Huang. Er hat mir etwas gesagt in dem Gespräch im Kanzleramt, was mir so nicht klar war. Er hat mir gesagt: Ihr Deutschen, ihr könnt Software nicht wirklich gut. Software ist ein chaotisches System, ständig voller Fehler, nie perfekt, das könnt ihr Deutschen nicht! – Ich vermute, er hat recht. Aber Gigafactory ist nicht Software. Gigafactory, sagt er, ist Maschinenbau, und da gibt es niemanden auf der Welt, der das besser kann als die Deutschen. So perfekt, wie ihr seid, das könnt ihr. – Meine Damen und Herren, damit sind wir doch bei einem entscheidenden Punkt: eine unserer großen Fähigkeiten aus der alten Zeit des Maschinenbaus herüberholen in die neue Zeit von Digitalisierung, Software und neuer Hardware. Also machen wir uns auf den Weg, in Deutschland ein Standort zu sein für mindestens eine, vielleicht zwei, vielleicht sogar drei größere Gigafactorys, die in unserem Land ihren Sitz, ihren Standort haben und die wir ausbauen mit den Fähigkeiten, die wir haben. Und da machen wir einen Sprung in die Moderne einer Industrienation, die wieder einmal zeigt, was sie kann und wozu sie in der Lage ist. Das kann sie nicht allein, sondern zusammen mit vielen in der Europäischen Union, die im gleichen Geiste unterwegs sind.
Wenn wir das so anpacken und mit diesem Geist, mit dieser Grundhaltung an die Themen herangehen, dann bin ich mir ziemlich sicher, dass das anhält, was wir gegenwärtig sehen: nämlich ein deutlicher Stimmungsumschwung. Der Vorstandsvorsitzende der Kreditanstalt für Wiederaufbau hat vor zwei Wochen in einem Interview im „Handelsblatt“ gesagt, er habe in seiner gesamten beruflichen Karriere noch nie in so kurzer Zeit einen solchen Stimmungsumschwung zum Guten gesehen wie in den letzten vier Wochen. Meine Damen und Herren, das freut uns, das freut mich persönlich auch. Aber: Das ist nicht mehr und nicht weniger als ein Hoffnungswert – wie Aktienkurse, die nach oben gehen, weil eine Erwartung besteht, eine Erwartung, dass es jetzt wirklich durchgreifend besser wird. Dieser Erwartung müssen wir entsprechen. Diese Erwartung dürfen wir nicht enttäuschen. Wir müssen jetzt mit harten politischen Entscheidungen diese Erwartungen, diese Hoffnungen unterlegen und zeigen, dass wir es ernst meinen mit den Themen, die wir im Koalitionsvertrag miteinander verabredet haben. Und dann hoffe ich, dass wir uns im nächsten Jahr spätestens wieder zum Tag der Deutschen Industrie sehen und eine erste Zwischenbilanz ziehen können. Die muss allerdings mehr sein als nur die erste Bilanz eines ersten Jahres.
Spätestens zum Ende des nächsten Jahres, meine Damen und Herren, müssen die wesentlichen Entscheidungen in dieser Größe hier getroffen worden sein. Denn was Sie in der ersten Hälfte einer Wahlperiode nicht entscheiden, jedenfalls im Grundsätzlichen, können Sie selten in der zweiten Hälfte einer Wahlperiode nachholen. Und in diesem Sinne, Herr Leibinger, möchte ich das Angebot von Ihnen gern annehmen einer engen, vertrauensvollen, partnerschaftlichen Zusammenarbeit. Und das, was ich hier sage, sage ich wortgleich auf einem Gewerkschaftskongress auch an die Adresse der deutschen Gewerkschaften: Wir stehen genau vor dieser Bewährungsprobe eines großen gesellschaftlichen Zusammenhalts, einer Zusammenarbeit – jeder in seiner Verantwortung, jeder in seiner Rolle, um Gottes Willen, da geht nichts durcheinander, aber schon gemeinsam und auf ein gemeinsames Ziel ausgerichtet.
Und darf ich zum Abschluss sagen, meine Damen und Herren: Das gilt nicht nur für Wettbewerbsfähigkeit, Arbeitsplätze, erfolgreiche Unternehmen, das gilt auch im engeren und im weiteren Sinne für Verteidigungsfähigkeit. Ich meine das so, wie ich es sage, im weiteren Sinne natürlich: Wir sind uns alle darüber einig, so hoffe ich es jedenfalls, dass es sich lohnt, diese Demokratie, diese Freiheit gemeinsam zu verteidigen. Aber das hat im engeren Sinne der Verteidigungsfähigkeit auch Konsequenzen für Ihre Unternehmen: Geld ist nicht das entscheidende Problem, das wir bei der Bundeswehr in den nächsten Jahren haben. Das entscheidende Problem ist qualifiziertes Personal. Wir werden eine Reserve aufbauen müssen. Wir werden wahrscheinlich mit der gegenwärtigen Wehrpflicht allein – mit der gegenwärtigen Freiwilligkeit allein – nicht hinkommen, sondern zusätzliche Elemente einer Wehrpflicht brauchen. Aber, meine Damen und Herren, das sind Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die auch in Ihren Unternehmen tätig sind. Und Sie müssen und sollten bereit sein, diesen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern auch hin und wieder mal die Gelegenheit zu geben, mit den Streitkräften zu üben und uns gemeinsam verteidigungsfähig zu machen.
Die Bundeswehr muss zurück in die Mitte unserer Gesellschaft. Es war ein Fehler, wie wir spätestens heute wissen, die Wehrpflicht auszusetzen. Sie einfach wieder so einzuführen, wie sie mal war, wird aus verschiedenen Gründen nicht gehen. Aber das, was wir an Aufwuchsfähigkeit der Streitkräfte brauchen, das geht nicht ohne Ihre Unterstützung und ohne Ihre Hilfe, und das geht nicht ohne Ihre Bereitschaft, auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die notwendige Freiheit zu geben, auch mal für eine Woche oder zwei Wochen in den Streitkräften zu dienen. Wenn wir dieses Grundverständnis miteinander teilen, dann bin ich mir sicher, dass wir eigentlich das tun, was – Sie haben es gesagt – man in einer Krise tun sollte: nämlich Chancen nutzen. Und ich stünde nicht hier und ich wäre nicht bereit gewesen, diese Aufgabe zu übernehmen, wenn ich nicht der festen Überzeugung wäre, dass in unserer Gesellschaft, in unserem Land genau die Kraft steckt, anzupacken, es besser zu machen, mehr zu leisten, besser zu werden, wettbewerbsfähig zu sein und die Herausforderungen unserer Zeit in jeder Hinsicht anzunehmen. Und wenn wir es für uns tun, ist es gut. Und wenn wir es mit Blick auf unsere Kinder und Enkelkinder tun, dann ist es notwendig und unabweisbar, und dieser Herausforderung, der stellen wir uns gemeinsam in Deutschland. – Herzlichen Dank.