„Sie sind ein ganz wesentlicher Teil des Aufbruchs“

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Rede des Bundeskanzlers anlässlich der 80. Bankwirtschaftlichen Tagung „Sie sind ein ganz wesentlicher Teil des Aufbruchs“

Eine schnelle Einigung im Zollstreit, die Wirtschaft stärken und den Kapitalmarkt öffnen: Über diese und weitere Themen sprach Bundeskanzler Friedrich Merz in seiner Rede auf der 80. Bankwirtschaftlichen Tagung in Berlin. 

Donnerstag, 3. Juli 2025 in Berlin
Bundeskanzler Friedrich Merz spricht auf der Bühne bei der 80. Bankenwirtschaftlichen Tagung.

Der Kanzler sicherte den deutschen Banken zu, dass er in der EU eine Vergemeinschaftung der Einlagensicherung verhindern werde.

Foto: Bundesregierung/Steffen Kugler

„Wir haben alle Mittel und Kräfte, um uns selbst zu helfen, um unser Land in eigener Verantwortung wieder auf Kurs zu bringen. Wir müssen diese Kräfte nur zur Anwendung bringen. Dazu ist die Bundesregierung entschlossen”, sagte Bundeskanzler Friedrich Merz bei seiner Rede anlässlich der 80. Bankwirtschaftlichen Tagung. Außerdem sprach sich der Kanzler für ein schnelles Ende des Zollstreits zwischen der EU und den USA aus.

Der Kanzler hob zudem die Bedeutung des Investitions-Sofortprogramms der Bundesregierung hervor, um die Wirtschaft zu stärken. Einer EU-Vergemeinschaftung nationaler Einlagensicherungen erteilte Merz eine Absage. Das Einlagenssicherungssystem der Volksbanken und Raiffeisenbanken sei vorbildlich. Die Banken seien ein wesentlicher Teil des Aufbruchs in Deutschland. Zudem sprach sich der Kanzler für eine funktionsfähigen und breiten Kapitalmarkt in Europa aus.

Das Wichtigste in Kürze:

  • Zoll-Verhandlungen: Mit Blick auf die Zoll-Verhandlungen zwischen der EU und den USA hat Bundeskanzler Merz Tempo gefordert. „Da muss jetzt ein schnelles Ergebnis mit den Vereinigten Staaten von Amerika erzielt werden“, so der Kanzler.
  • Volkswirtschaft stärken: „Die Konzentration auf unsere eigenen Stärken bedeutet auch eine Stärkung der deutschen Volkswirtschaft“, sagte der Bundeskanzler. Mit gezielten Investitionsanreizen will die Bundesregierung neues Wachstum schaffen. Sie hat deshalb ein steuerliches Investitionssofortprogramm zur Stärkung des Wirtschaftsstandorts Deutschland auf den Weg gebracht. Als weitere Maßnahmen will der Bund die Energiekosten senken und die Digitalisierung sowie Staatsmodernisierung voranbringen.
  • Stabile Eigenlagensicherung: Die Einlagensicherungssysteme – darunter versteht man den Schutz der Gelder von Bankkunden – der deutschen Banken bezeichnete der Kanzler als vorbildlich. Sie sei privatwirtschaftlich organisiert, stabil und habe ihre Funktionsfähigkeit über Jahre und Jahrzehnte erwiesen.
  • Europäischen Kapitalmarkt öffnen: Es müsse dafür gesorgt werden, dass Unternehmen aus Deutschland und der Europäischen Union in Europa einen funktionsfähigen, breiten und tiefen Kapitalmarkt vorfinden. Der Bundeskanzler verwies darauf, dass etwa junge Start-up-Firmen bisher vorrangig nicht aus Deutschland oder Europa finanziert würden, sondern von internationalen Kapitalgebern.

Lesen Sie hier die Rede des Kanzlers:

Bundeskanzler Friedrich Merz:

Liebe Frau Kolak,

Frau Müller-Ziegler,

Herr Quinten,

Herr Altmüller,

ich freue mich sehr, dass ich heute Morgen bei Ihnen sein darf. Der Vizekanzler wird nach mir sprechen. Wir hätten das auch zusammen machen können; denn anders als der eine oder andere denkt und schreibt und redet, arbeiten wir in dieser Koalition wirklich gut zusammen. Bei Ihnen würde ich „liebe Genossinnen und Genossen“ sagen; so weit gehe ich in der Regierung nicht.

Wir haben auch gestern Abend im Koalitionsausschuss eine sehr gute Atmosphäre gehabt und ein paar Dinge beschlossen, die wir auf den Weg bringen. Wir sind jetzt seit gut acht Wochen im Amt, wir haben vor, das auch noch länger und weiter und vor allem gut zu machen, und ich sehe bei Ihnen eine gute Stimmung. Das freut mich. Herzlichen Dank für die sehr freundliche Begrüßung heute Morgen bei Ihnen!

„Wir müssen uns selbst helfen. Alle Bedingungen dazu sind vorhanden, alle Mittel und Kräfte stehen uns reichlich zu Gebote. Wir brauchen dieselben nur zur Anwendung bringen“.

Meine Damen und Herren, diese Sätze klingen fast wie ein Kommentar zur aktuellen geopolitischen und geoökonomischen Lage. In Wahrheit stammen sie aber bereits – der eine oder andere von Ihnen wird es ahnen – aus der Mitte des 19. Jahrhunderts. Es sind Sätze von Friedrich Wilhelm Raiffeisen. Es sind Sätze, die die Worte Selbsthilfe, Selbstverwaltung und Selbstverantwortung in den Mittelpunkt gestellt haben. Es sind Sätze, die von Perspektiven gekennzeichnet waren, die Raiffeisen, Schulze-Delitzsch und ihre Wegbegleiter damals so formuliert haben und die Genossenschaftsidee damit entwickelt haben.

Wie zeitgemäß diese Gedanken heute sind, rund 175 Jahre später, das zeigen nicht nur Trends wie jetzt, auf Neudeutsch, Crowdfunding, Crowdsourcing, Co-Working-Spaces, Data Commons, Platform Corps, meine Damen und Herren, alles nicht mehr und nicht weniger als Ausprägungen der Genossenschaftsidee! Eines ist all diesen Trends gemeinsam: Es geht im Kern darum, Kräfte zu bündeln und Verantwortung zu übernehmen, Verantwortung vor allem für uns selbst. Anders ausgedrückt: Es geht jetzt darum, unser Schicksal nicht anderen zu überlassen, sondern es kraftvoll und mutig in die eigenen Hände zu nehmen.

Mit diesem Prinzip der Eigenverantwortung ist die Bundesrepublik Deutschland entstanden. Wir haben uns Wohlstand in Deutschland erarbeitet. Das war kein Wunder, das war kein Wirtschaftswunder, es war das Ergebnis kluger Politik, richtiger Weichenstellungen und vor allem, wie wir es damals zu sagen gelernt haben, ordnungspolitischer Weichenstellungen. Es war der entscheidende Schritt, um Deutschlands Platz in Europa und in der westlichen Welt wieder einzunehmen.

Aber so wie damals gilt auch heute: Nichts davon ist selbstverständlich. Eigenverantwortung wird uns auch heute nur dann die Zukunft gewinnen lassen, wenn wir sie wahrnehmen, wenn wir sie einnehmen. Das gilt nicht nur für die Wirtschaftspolitik. Das gilt nicht nur für die Sozialpolitik. Das gilt mehr denn je auch für die Außen- und Sicherheitspolitik. Um es ganz einfach zu sagen: Wir Europäer, meine Damen und Herren, wir müssen und wir werden sehr viel mehr für unsere eigene Sicherheit tun. Die Zeiten jedenfalls, in denen wir im Amerikanischen die Easy Rider, die Freerider der Amerikaner waren – um es auf Deutsch zu sagen, die Trittbrettfahrer der amerikanischen Sicherheitsarchitektur –, sind nun einmal vorbei.

In der Wirtschafts- und Sozialpolitik bedeutet das: Es reicht nicht, nur immer nach mehr Staat zu rufen, nach mehr Subventionen hier oder mehr Sozialleistungen dort. Es muss in den kommenden Jahren wieder stärker darum gehen, wie wir aus eigener Kraft und mit eigener Anstrengung mehr Wohlstand in unserem Land erwirtschaften.

Dazu passt ganz gut, dass die Vereinten Nationen das Jahr 2025 – ich vermute, das wissen noch nicht einmal Sie alle – zum Internationalen Jahr der Genossenschaften erklärt haben.

(Beifall)

– Ja, meine Damen und Herren, das ist offensichtlich überraschend auch für Sie selbst!

Aber das erinnert uns gerade in solchen turbulenten Zeiten daran, was die Antworten auf globale Unsicherheiten und auf die Frage sein könnten, wie wir unser Land und unseren Kontinent sicherer und stärker machen – nicht, indem wir weiter nur auf die Hilfe von außen setzen, sondern auch, indem wir auf Selbsthilfe, Selbstverwaltung und vor allem auf Selbstverantwortung setzen.

Lassen Sie mich das kurz noch einmal mit Rückblick auf die letzte Woche sagen. Wir haben einen NATO-Gipfel in Den Haag erlebt, der von großen Fragen gekennzeichnet war und mit einer kraftvollen Antwort zu Ende gegangen ist. Wir werden gemeinsam in dieser NATO der 32 Mitgliedstaaten des westlichen Bündnisses – das ist nicht allein ein Militärbündnis, es ist ein zutiefst politisches Bündnis – unsere Anstrengungen für die eigene Verteidigung mehr als verdoppeln. Wir werden unsere Verteidigungsausgaben auf bis zu fünf Prozent des BIP steigern, 3,5 Prozent für die rein militärischen Aufgaben und noch einmal 1,5 Prozent für die dazu notwendige Infrastruktur. Ich hätte vor einigen Jahren nicht geglaubt, dass ich von dieser Stelle aus einmal so etwas sagen würde. Aber die internationale Lage erfordert es nun einmal, dies zu tun.

Mit nur einem ganz kurzen Blick auf die Ukraine wird deutlich, vor welchen Herausforderungen wir dabei stehen; denn das ist nicht ein Krieg allein gegen die territoriale Integrität eines der größten Länder Europas, es ist ein Angriff auf unsere Freiheit, auf unsere politische Ordnung, auf das, was wir Europäer auch für Deutsche spätestens seit 1990 auf unserem Kontinent gemeinsam auf den Weg gebracht haben. Meine Damen und Herren, wir lassen keinen Zweifel daran zu, auch nicht in dieser Bundesregierung, dass wir fest entschlossen sind, unsere Freiheit, den Frieden, unsere offene Gesellschaft, unsere liberale Gesellschaft gegen alle Feinde von außen und von innen zu verteidigen. Da soll niemand an unserer Entschlossenheit den geringsten Zweifel haben!

Das gilt, auch wenn Zweifel daran wachsen, ob wir zum Beispiel auf Dauer mit den Vereinigten Staaten von Amerika gemeinsame Interessen wahrnehmen. Ja, die Zweifel sind da, und sie mögen sogar gerechtfertigt sein. Wir werden, ich werde alles tun, um die Vereinigten Staaten von Amerika an unserer Seite zu halten. Aber wir müssen uns auch darauf vorbereiten, dass das Engagement Amerikas für Europa und in Europa zumindest kleiner wird.

Jetzt ist es Zeit für Europa, erwachsen zu werden, die eigenen Stärken zu zeigen. Mit 450 Millionen Konsumenten, Einwohnerinnen und Einwohnern, und mit noch einmal 50 Millionen Briten dazu, die den Weg zurück nach Europa suchen – zumindest in der Außen- und Sicherheitspolitik –, sind wir stark. Wir zeigen, dass wir etwas können – in der Handelspolitik, in der Wirtschaftspolitik, in der gemeinsamen europäischen Politik des Europäischen Binnenmarktes; ich werde darauf noch einmal zu sprechen kommen. Wir werden jedenfalls unsere Interessen auf der Welt gemeinsam wahrnehmen, und ich bin als der Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland entschlossen, hierbei auch eine Führungsverantwortung in Europa und mit anderen Europäern zu übernehmen. Sie warten darauf, dass wir das tun, und wir werden Sie nicht enttäuschen, meine Damen und Herren!

In wenigen Tagen läuft die Frist der amerikanischen Regierung für eine Einigung im Zollstreit mit Europa ab. Großbritannien hat bereits ein Abkommen geschlossen. Deutschland allein kann das nicht tun, weil wir in der Europäischen Union die Handelspolitik auf die europäische Ebene übertragen haben. Also müssen wir mit 27 Mitgliedstaaten der Europäischen Union zu einer Einigung mit den Vereinigten Staaten von Amerika kommen. Aber ich will auch von dieser Stelle aus noch einmal sagen: Hier geht es nicht um ein fein ziseliertes, in allen Details ausverhandeltes, umfassendes Handelsabkommen mit den Vereinigten Staaten von Amerika. Hier geht es jetzt um die schnelle Beilegung eines Zollstreits und insbesondere um die Schlüsselindustrien unseres Landes, die chemische Industrie, die pharmazeutische Industrie, den Maschinenbau, die Aluminium-, Stahl- und Automobilindustrie. Da muss jetzt ein schnelles Ergebnis mit den Vereinigten Staaten von Amerika erzielt werden, lieber schnell und einfach als langwierig und kompliziert und noch über Monate hinweg im Verhandlungsstatus befindlich, meine Damen und Herren! Es muss jetzt ein schnelles Ergebnis mit den Vereinigten Staaten von Amerika geben, damit unsere Unternehmen von den viel zu hohen Zöllen entlastet werden, die sie gegenwärtig zahlen müssen, wenn sie in die Vereinigten Staaten von Amerika exportieren.

Die Konzentration auf unsere eigenen Stärken bedeutet auch eine Stärkung der deutschen Volkswirtschaft. Meine Damen und Herren, viele und fast alle Probleme, die wir heute in Deutschland haben, sind hausgemacht: nicht von außen, sondern von innen entstanden. Vor allem die preisliche Wettbewerbsfähigkeit unserer Unternehmen ist in der Regel nicht mehr gut genug. Der Standort Deutschland ist über die letzten Jahre hinweg zu teuer geworden.

Deswegen haben wir die ersten Entscheidungen im Kabinett getroffen, sie im Deutschen Bundestag in zweiter und dritter Lesung verabschiedet, und am nächsten Freitag, morgen in einer Woche, werden sie im Bundesrat verabschiedet werden: degressive Abschreibung ab dem 1. Juli 2025, 30 Prozent pro Jahr, dreimal hintereinander. Das sind die größten Abschreibungsmöglichkeiten seit vielen Jahren und Jahrzehnten, die Sie für Investitionen in die Anlagen Ihrer Unternehmen in Deutschland antreffen können. Ab dem 1. Januar 2028 folgt dann die sukzessive Absenkung der Körperschaftsteuer, jedes Jahr um einen Prozentpunkt. Dann werden wir bei zehn Prozent Körperschaftsteuer plus Gewerbesteuer liegen. Das ist auch steuerlich ein attraktiver Standort. Wir werden nicht nur die Körperschaftsteuer senken, sondern auch den Zugang in die Einkommensteuer für Personengesellschaften erleichtern, sodass auch Personengesellschaften von dieser Absenkung der Körperschaftsteuer einen Nutzen haben. Wir werden eine Investitionsoffensive weiter voranbringen. Wir werden Investitionen massiv hochfahren, auch mit den Möglichkeiten, die wir aus dem Bundeshaushalt haben.

Aber, meine Damen und Herren, es geht hier nicht allein um öffentliche Mittel. Es geht hier nicht allein um schuldenfinanzierte Investitionsmittel des Bundes. Das alles kann nur ein Teil der Anstrengungen sein, vor denen wir stehen. Es geht jetzt vor allem darum, privates Kapital zu mobilisieren, damit in den Standort Deutschland wieder ausreichend investiert wird. Wir wollen deswegen die Energiekosten senken; das haben wir gestern Abend noch einmal bestätigt. Wir wollen deswegen die Digitalisierung, die Staatsmodernisierung unseres Landes voranbringen. Wir haben dafür ein mit vollen Kompetenzen ausgestattetes neues Ministerium für Digitalisierung und Staatsmodernisierung geschaffen.

Ich will hier noch einmal sagen, dass ich aus den Kreisen der deutschen Wirtschaft eine hochrangige Persönlichkeit dafür gewinnen konnte, dieses Amt zu übernehmen, von der Wirtschaft in die Politik zu wechseln und eine politische Verantwortung in einem solchen Ministerium zu übernehmen. Das hat mich sehr gefreut. Es zeichnet uns aus, dass uns so etwas gelingt, die Durchlässigkeit zwischen Wirtschaft und Politik zu erhöhen, und dass wir gerade ein solches Ministerium in die Hand eines Mannes legen konnten, der Erfahrung hat, der Transformationserfahrung hat, der so etwas kann. Meine Damen und Herren, wir machen jetzt Ernst! Wir reden nicht nur darüber, wir machen Ernst mit Digitalisierung und Bürokratierückbau in Deutschland, nicht zuletzt über dieses Ministerium!

Das Stichwort „Europäischer Binnenmarkt“ habe ich schon kurz angesprochen. Die meisten von Ihnen werden wissen, dass ich meine politische Arbeit vor vielen, vielen Jahren im Europäischen Parlament begonnen habe, zu einem Zeitpunkt, zu dem der Europäische Binnenmarkt auf den Weg gebracht wurde, mit der Freizügigkeit für den Personenverkehr, den Kapitalverkehr, den Dienstleistungsverkehr und mit der Öffnung der Arbeitsmärkte. Meine Damen und Herren, uns lag damals im Jahr 1985 – das ist jetzt 40 Jahre her – ein Bericht von Jacques Delors mit 300 verschiedenen Vorschlägen über die Vollendung des Europäischen Binnenmarktes vor. Heute liegen uns zwei vergleichbare Dokumente vor, der Bericht von Enrico Letta über die weitere Entwicklung des Europäischen Binnenmarktes und der Bericht von Mario Draghi über die weitere Perspektive der Wettbewerbsfähigkeit der Europäischen Union. Das sind die besten Voraussetzungen, die besten Berichte für die Weiterentwicklung dieser Europäischen Union, die wir seit vielen Jahren, wenn nicht Jahrzehnten auf dem Tisch haben. Wir werden diese Europäische Union jetzt weiterentwickeln, auch und insbesondere im Hinblick auf einen international wettbewerbsfähigen Kapitalmarkt.

Lassen Sie mich das sehr deutlich sagen: Über Haftungssysteme haben wir in Europa jetzt lange genug diskutiert. Es gibt überhaupt keinen Grund, funktionierende Haftungssysteme auf der Ebene der Mitgliedstaaten der Europäischen Union zu vergemeinschaften. Dafür gibt es keinen Grund. Die Haftungssysteme funktionieren. Das können wir. Ich sage das nicht, weil ich heute hier vor Ihnen stehe, sondern ich sage das auch bei jeder anderen Gelegenheit. Die Sicherungseinrichtung, das Einlagensicherungssystem unter den Volksbanken und Raiffeisenbanken, das Sie entwickelt haben, ist eine Sicherungseinrichtung, die vorbildlich sein kann. Sie ist privatwirtschaftlich organisiert. Sie ist ein Vorbild für viele. Sie hat ihre Stabilität und ihre Funktionsfähigkeit über Jahre und Jahrzehnte erwiesen. Es gibt keinen Grund, daran etwas zu ändern, meine Damen und Herren.

Aber es gibt allen Grund, den europäischen Kapitalmarkt jetzt wirklich zu öffnen und wirklich dafür zu sorgen, dass Unternehmen aus Deutschland und Unternehmen aus anderen Ländern der Europäischen Union hier in Europa einen funktionsfähigen, breiten und tiefen Kapitalmarkt vorfinden.

Das hat zwei Seiten. Die eine Seite ist natürlich die Seite der Unternehmen. Ich nenne ein Beispiel, das Unternehmen Helsing aus München, das Sie alle vermutlich kennen, mittlerweile das wertvollste Start-up-Unternehmen der Bundesrepublik Deutschland, jedenfalls nach der letzten Finanzierungsrunde. Vermutlich wissen viele, dass dieses Unternehmen sehr erfolgreich in der Entwicklung von künstlicher Intelligenz ist, nicht zuletzt auch für den militärischen Anwendungsbereich bei Kampfflugzeugen und bei Drohnen. Aber wenn Sie sich die Finanzierung dieses Unternehmens anschauen, dann stellen Sie fest: fast ausschließlich von internationalen Kapitalgebern und nur ganz wenig aus Deutschland heraus. Ich könnte weitere Beispiele nennen, CureVac, BioNTech. Sie sind nicht etwa in Deutschland, in Europa, in Frankfurt oder London an die Börse gegangen, sondern in New York an die Nasdaq.

Meine Damen und Herren, wenn wir wollen, dass unser Standort wieder stärker wird, dann müssen wir gemeinsam einen stärkeren Kapitalmarkt entwickeln. Das hat zwei Seiten. Das betrifft auf der einen Seite die Unternehmen. Aber das betrifft auf der anderen Seite auch diejenigen, die in den Kapitalmarkt, in den Aktienmarkt gehen. Deswegen werden wir die sogenannte Frühstartrente an den Start bringen. Wir haben es gestern Abend noch einmal bestätigt. Wir wollen das, wenn es eben geht, sogar schon zum 1. Januar 2026 in Kraft setzen. Wir werden sie in Kraft setzen, und zwar nicht deshalb, weil wir jungen Menschen Geld zukommen lassen wollen, sondern deshalb, weil wir sie von jungen Beinen an mit den Erfolgen eines Kapitalmarkts vertraut machen wollen. Zehn Euro im Monat vom sechsten bis zum 18. Lebensjahr sollen nicht der Sockel für eine spätere umfassende Altersversorgung sein, sondern der Beginn dessen, sich mit dem vertraut zu machen, was der Kapitalmarkt leisten kann. Unter den gegenwärtigen Bedingungen würden diese jungen Menschen dann, wenn sie 18 Jahre alt sind, bereits über 2.000 Euro auf einem angesparten Kapitalkonto haben, und sie würden sehen, was Zinseszinseffekte und was Verdopplungszeiträume im Kapitalmarkt bedeuten. Das soll ihnen für die Zukunft den Mut geben, die Perspektive eröffnen und vor allen Dingen die Möglichkeiten zeigen, die sich mit einem Sparen im Kapitalmarkt eröffnen. Das ist sozusagen die Gegenseite zur Finanzierung der Unternehmen. Wir müssen auf der anderen Seite dafür sorgen, dass die Menschen in Deutschland an diesem Vermögensaufbau teilnehmen und dass dieser Kapitalmarkt nicht nur für einige wenige da ist, sondern dass er in der ganzen Breite und Tiefe für die Menschen in Deutschland zur Verfügung steht.

Ich will mich ausdrücklich bei Ihnen bedanken. Hier sind viele dabei, dies gemeinsam zu entwickeln. Ich sehe auch viele in der ersten Reihe, die sich daran aktiv beteiligt haben. Herzlichen Dank dafür, dass Sie aus den Volksbanken und Raiffeisenbanken diesen Gedanken unterstützen und dass Sie mit uns auf diesem Weg hin zu einem besseren und breiteren Kapitalmarkt mitmachen wollen, der den Menschen dient, der die Ersparnismöglichkeiten eröffnet und der vor allem in der Perspektive eine bessere Altersversorgung ermöglicht! Herzlichen Dank dafür, dass Sie das tun!

Lassen Sie mich mit zwei Gedanken schließen, meine Damen und Herren. Der eine ist: Diese Koalition ist in einem Geist des Aufbruchs, des Optimismus, aber auch der Veränderungsbereitschaft angetreten. Lars Klingbeil wird Ihnen das heute Nachmittag vermutlich in ähnlichen Worten sagen, wie ich es Ihnen heute Morgen sage. Wir wollen aus einer Atmosphäre des Misstrauens heraus und hinein in einen Geist des Vertrauens miteinander. Das hat etwas mit unserer Regulierung und mit unserer Bürokratie zu tun. Wir bauen die Bürokratie ab, nicht nur, um damit Geld zu sparen, nicht nur, um damit Belastungen zurückzunehmen, sondern auch, um damit ein Zeichen zu setzen, das da lautet: Grundsätzlich gehen wir im Verhältnis zwischen Staat und Bürgern von einem Vertrauensverhältnis aus und begegnen den Bürgerinnen und Bürgern in unserem Lande nicht mit Misstrauen. Diesen „mindshift“, diese Veränderung werden wir vornehmen.

Meine Damen und Herren, das heißt aber auch etwas für Sie. Das heißt, dass wir in der Politik die Aufgabe, unser Land zu neuer Stärke zu führen, nicht allein bewältigen können. Wir können nur die Bedingungen dafür schaffen, dass etwas daraus wird. Sie sind diejenigen, die es leisten und umsetzen müssen. Deswegen noch einmal: In einer Zeit, in der Selbsthilfe, Selbstverwaltung und Selbstverantwortung so sehr gefragt sind wie in der Gründungsgeschichte Ihrer Unternehmen und Ihrer Verbände, kommt es jetzt darauf an, dass Sie diese Schlüsselrolle einnehmen und übernehmen. Mit anderen Worten: Sie sind ein ganz wesentlicher Teil des Aufbruchs und der Veränderung, die wir in unserem Lande wollen.

Zugleich möchte ich Ihnen und uns allen Mut machen, dass das, was Raiffeisen und andere zu ihrer Zeit gesagt haben, heute genauso gilt wie vor fast 200 Jahren. Wir haben alle Mittel und Kräfte, um uns selbst zu helfen, um unser Land in eigener Verantwortung wieder auf Kurs zu bringen. Wir müssen diese Kräfte nur zur Anwendung bringen. Dazu ist die Bundesregierung entschlossen, und dazu möchte ich auch Ihre Entschlossenheit und Ihre Bereitschaft heute Morgen in Anspruch nehmen.

Herzlichen Dank!