Pressekonferenz von Bundeskanzler Merz und Ministerpräsident Kretschmann zum Antrittsbesuch in Baden-Württemberg
Bei seinem Antrittsbesuch in Baden-Württemberg hat der Kanzler die Bedeutung des Landes für Deutschlands Innovationskraft betont. Er kündigte mit Blick auf die Hightech-Agenda der Bundesregierung an, Zukunftsfelder wie Chips, KI und Gesundheit gezielt weiter zu fördern.
- Mitschrift Pressekonferenz
- Dienstag, 21. Oktober 2025
Baden-Württemberg sei das Land, das wie kaum ein anderes für Technologie, Unternehmertum und den Erfolg des Mittelstands stehe, so der Kanzler.
Foto: Bundesregierung/Marvin Ibo Güngör
Bundeskanzler Friedrich Merz war im Rahmen seiner Antrittsbesuche in allen Bundesländern in Baden-Württemberg zu Gast. In Stuttgart nahm er im Staatsministerium mit Ministerpräsident Winfried Kretschmann an einer Sitzung des baden-württembergischen Kabinetts teil.
Bei seinem Besuch würdigte der Kanzler die herausragende Rolle des Landes als führende Wirtschafts- und Wissenschaftsregion Europas. „Wir sind hier in einem Bundesland, das wie kaum ein zweites für die ganze Breite der Technologie und der Innovation steht”, sagte Merz nach der Kabinettssitzung. Das Land stehe wie kaum ein anderes für Technologie, Unternehmertum und den Erfolg des Mittelstands. Besonders hob er die Vielzahl sogenannter Hidden Champions hervor – mittelständische Unternehmen, die weltweit führend sind.
Mit seinem Besuch in Baden-Württemberg setzt der Bundeskanzler seine Antrittsreihe bei den Bundesländern fort und knüpft an den letzten Besuch in Brandenburg an. Bis zum Ende des Jahres möchte der Kanzler alle 16 Bundesländer besucht haben. Der erste Besuch hatte den Kanzler nach Bayern auf die Zugspitze geführt, gefolgt von Niedersachsen, Saarland und Nordrhein-Westfalen sowie Bremen und Bremerhaven . Ziel der Besuche ist es, die erfolgreiche und enge Zusammenarbeit mit den Bundesländern auszubauen.
Partnerschaft zwischen Bund und Ländern stärken
Mit Blick auf die wirtschaftliche Lage betonte der Bundeskanzler, Deutschland müsse seine Innovationsfähigkeit stärken. Ein zentraler Bestandteil dieser Strategie ist die Hightech-Agenda der Bundesregierung. Sie bündelt Investitionen und Förderprogramme in unterschiedlichen Schlüsselbereichen wie Chips, Künstliche Intelligenz, Luft- und Raumfahrt, Batterieforschung und Gesundheit. Dazu betonte Merz: „Da ist Baden-Württemberg eines der Bundesländer, das hier am weitesten vorn steht, aber auch vorn bleiben muss. Wir müssen die Rahmenbedingungen dafür schaffen.”
Zum Abschluss seines Besuchs betonte Merz die enge Zusammenarbeit von Bund und Ländern als Fundament des Erfolgs: „Deutschland ist stark, weil es ein föderaler Staat ist. Deutschland ist stark und schön, weil es starke und schöne Länder hat.”
Lesen Sie hier die Mitschrift der Pressekonferenz:
Ministerpräsident Winfried Kretschmann:
Meine Damen und Herren, der Bundeskanzler war bei uns heute im Ministerrat, und wir hatten einen kompakten, aber sehr klaren, guten und einfach zielorientierten Austausch. Der Bundeskanzler hat sehr kompakt und klar vorgetragen, sozusagen den Blick aus der Welt zu uns ins Land gebracht, und wir haben noch einmal darlegen können, dass wir eine der führenden Innovationsregionen sind, dass wir als Badener und Schwaben eher sparsam mit Superlativen sind, anders als mancher Nachbar.
Aber wir wollen mit den Fakten natürlich andererseits nicht hinterm Berg halten. Baden-Württemberg führt mit einem weltweit einmalig hohen Forschungs- und Entwicklungsanteil: 5,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts sind ein absoluter europäischer Spitzenwert. Das heißt, wir wissen schon, was wir können. Das ist, ohne falsche Bescheidenheit, eine ganze Menge. Da haben wir, denke ich, nicht nur in Baden-Württemberg, sondern im ganzen Land viel zu tun. Es stehen viele Arbeitsplätze auf dem Spiel, vor allem in der Automobilwirtschaft. Deshalb war es wichtig, dass wir uns beim Autogipfel bei Ihnen gemeinsam auf eine Grundlinie verständigen konnten. Ich schätze diesen Konsens als außerordentlich wertvoll ein.
Dazu gehört das, was Sie, Herr Bundeskanzler, schon mehrfach als herausragendes Ziel definiert haben, nämlich Technologieführerschaft, und zwar schnell – das war, glaube ich, noch mal ein wichtiges Thema, das Sie eingebracht haben: schnell – und in den relevanten Feldern.
Daher habe ich für eine Innovationspartnerschaft mit dem Bund geworben, die die vorhandene Exzellenz vernetzt und einen starken Fokus auf den Transfer legt. Es genügt ja nicht, forschungspolitisch spitze zu sein. Wir haben Nachholbedarf, das schnell in neue Geschäftsmodelle und Anwendungen zu bringen. Das heißt, dass diese Forschungsergebnisse schnell auf die Straße kommen. Nur so können wir die internationale Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands stärken. Darum geht es natürlich in der ganzen globalen Neuaufstellung der Welt.
Ich glaube, wir haben, wenn es um Exzellenz geht, einfach viel zu bieten. Wir haben das Potenzial frühzeitig erkannt und in den letzten Jahren mit viel Nachdruck ein einzigartiges Ökosystem in der Informationstechnologie, in der künstlichen Intelligenz in Baden-Württemberg geschaffen. Mit dem Cyber Valley in der Region Stuttgart/Tübingen und dem IPAIInnovation Park Artificial Intelligence jetzt in Heilbronn – dort sind wir beide ja heute Nachmittag zu Gast – verfügt unser Land über Standorte von Weltrang. Da wird nicht nur geforscht, sondern da werden auch die Ergebnisse in die Unternehmen gewendet, in die Konzerne wie in die Mittelständler. Das dürfen wir nicht vergessen. Wir sind das Land des Mittelstandes; das ist unser Rückgrat. 80 Prozent der Wertschöpfung finden dort statt. Die muss man auch immer im Fokus haben.
Wir wollen dem Bund in fünf Bereichen eine Innovationspartnerschaft zum beiderseitigen Vorteil anbieten: erstens Chips, zweitens KI-Gigafactory, drittens Luft- und Raumfahrt, viertens Batterieforschung und ‑produktion und fünftens Gesundheitswirtschaft, einer der wichtigen wachsenden Faktoren in allen Industrienationen, die ja alternde Bevölkerungen haben.
Ich möchte aufgrund der Zeit nur zu zweien etwas ausführen. Thema Chips: Wir müssen dabei in Europa souveräner werden. Dabei kann Baden-Württemberg eine zentrale Rolle spielen, mithilfe bedeutender heimischer Unternehmen, die diese Technologie auch anwenden und die Industriedaten dafür zur Verfügung stellen. Wir dürfen ja nicht vergessen: Die Hauptmenge der Daten entsteht in der Industrie. Bei B2C haben schon die großen Konzerne aus dem Silicon Valley abgesahnt. Aber bei B2B können wir noch in der Champions League mitspielen, wenn wir das gut machen: durch die Ansiedlung weltweit führender Forschungseinrichtungen wie Imec in Heilbronn mit Fokus auf Chipdesign und Transfer durch starke Hochschul- und Forschungsinstitute wie Fraunhofer IAF, das Karlsruher Institut für Technologie oder IMS CHIPS in Stuttgart mit Blick auf die Bedarfe des Mittelstandes. Deshalb haben wir den Anspruch, uns aktiv an der Gestaltung des Kompetenzzentrums Chipdesign zu beteiligen.
Zweitens die KI-Gigafactory. Die von der EU geplanten Gigafactorys, also Rechenzentren, mit denen eine KI trainiert werden kann, sind eine entscheidende Voraussetzung für unsere Unabhängigkeit.
Ein Konsortium aus Baden-Württemberg bewirbt sich um eine dieser Gigafactorys, selbstverständlich mit der vollen Unterstützung der Landesregierung. Das Konsortium könnte den Bau und den Betrieb der Gigafactory sofort realisieren. Der Kanzler hat ja noch einmal darauf hingewiesen: In Europa, überall, brauchen wir mehr Tempo. Es sind, glaube ich, einige der besten Partner, die in Deutschland zu finden sind. Wir bieten mit unserem KI-Ökosystem dabei das ideale Umfeld.
Also kann man zusammenfassend festhalten: Die Bundesregierung hat ja ihre Hightech Agenda veröffentlicht. In Baden-Württemberg verfolgen wir schon seit Mitte 2024 eine milliardenschwere Innovationsagenda. Wir haben zentrale Schlüsseltechnologien definiert und Projekte aufgegleist, die an die Hightech Agenda des Bundes anschlussfähig sind.
Unsere Bitte an den Bund ist also: Lassen Sie uns gemeinsam die Stärken stärken. Denn nur so haben wir Chancen, im internationalen Wettbewerb zu bestehen. Dieses „die Stärken stärken“ war in all den Jahren immer eine Agenda, auch in Brüssel, weil der Blick da oft zu sehr ausschließlich in den Binnenmarkt gerichtet war, ich aber immer wieder sagen musste: Wir konkurrieren hier mit dem Silicon Valley, mit Shenzhen, mit Singapur und anderen wichtigen Standorten. Darum geht es.
Die Beachtung der gleichwertigen Lebensverhältnisse ist natürlich wichtig, wenn ich auch den Osten anschaue, keine Frage, ebenso die Kohäsionspolitik in Europa. Aber auch die Lokomotiven brauchen Strom. Deswegen: Die Stärken stärken.
Ich will einfach so schließen: Das ist jetzt nicht eine Reihe von Forderungen, sondern sie sollen sich rund um dieses zentrale Thema gruppieren. Denn wir sind überzeugt: In dieser neuen Welt haben wir nur eine Chance, wenn wir Technologieführerschaft in den Schlüsseltechnologien wieder haben und unser Arbeiten und dieser Ruck auch durch die Bevölkerung geht.
Denn woraus soll bitte Zuversicht entstehen, wenn nicht aus den neuen Dingen? Wir sind kreativ. Wir sind das Land der Tüftler und Denker und deswegen ein guter Partner. Das war so, das ist so, und es wird auch so bleiben, Herr Bundeskanzler.
Bundeskanzler Friedrich Merz:
Herzlichen Dank, Herr Ministerpräsident. Lieber Winfried Kretschmann, meine Damen und Herren, Deutschland ist ein schönes Land, und Baden-Württemberg ist ein besonders schönes Land. Deutschland ist ein Land der Tüftler, der Innovation, und Baden-Württemberg ist ein besonders erfolgreiches Land der Tüftler und der Innovation. Wir sind hier in einem Bundesland, das wie kaum ein zweites für die ganze Breite der Technologie und der Innovation steht. Es ist ein Land, das nicht nur klangvolle Namen großer Industrieunternehmen hat, sondern ein Land, das wahrscheinlich die höchste Zahl an sogenannten Hidden Champions aufweist, also großer, sehr erfolgreicher, starker mittelständischer Unternehmen, teilweise mit Namen, die in der ganzen Welt bekannt sind.
Ich freue mich sehr, dass ich die Gelegenheit habe, dieses Land heute zu besuchen. Herzlichen Dank für die Gastfreundschaft, Herr Ministerpräsident, auch in Ihrem Kabinett. Ich lege bei meinen Länderbesuchen Wert darauf, dass ich auch die Landeskabinette treffe und dass wir in der ganzen Breite der Themen auch einmal miteinander sprechen. Ich kann eine sehr hohe Übereinstimmung feststellen in den Themen, die im Land Baden-Württemberg zurzeit auf der Agenda stehen, wie zu den Themen, die in der Bundespolitik auf der Agenda stehen.
Wir haben uns fast ausschließlich über die Themen Innovation und Wachstum unterhalten, und das ist ja auch das Hauptthema für unser Land. Wir befinden uns in einer strukturellen Wachstumsschwäche, in einer Phase, die mittlerweile zehn Jahre andauert, mangelnder Innovationsfähigkeit und vor allem stagnierender Produktivität. Da wollen wir gemeinsam heraus. Das geht nur, wenn wir wirklich an der Spitze des technologischen Fortschritts stehen.
Deswegen habe ich die Anregung sofort und gern aufgenommen, dass wir heute Nachmittag einen wichtigen Standort in Heilbronn besuchen, an dem mit künstlicher Intelligenz gearbeitet wird und an eine Vielzahl von Unternehmen Angebote gemacht werden, jetzt Rechenkapazitäten zu nutzen. Wir werden gleich mit einem Spatenstich diesen Innovation Park Artificial Intelligence in Heilbronn eröffnen. Ich freue mich wirklich sehr darauf, denn das zeigt, wo unser Weg hingehen muss.
Ich habe dem Kabinett in Kürze und kompakt erläutert, wie ich im Augenblick die globale Lage sehe. Wir sind Zeitzeugen geradezu tektonischer Verschiebungen der politischen und ökonomischen Machtzentren auf der Welt, und das Ganze begleitet mit einer abnehmenden Bereitschaft, die Regeln unseres Völkerrechts noch zu akzeptieren.
Wir sind nicht nur von außen unter Druck, wir sind auch von innen unter Druck. Unsere Demokratien stehen unter Druck. Deswegen sind wir aufgefordert, gemeinsam zu zeigen, dass wir aus der Mitte unserer Demokratien heraus in der Lage sind, die Aufgaben anzunehmen und die Probleme zu lösen, vor denen wir heute gemeinsam stehen.
Der Ministerpräsident hat es gesagt; ich will es aus meiner Sicht unterstreichen: Innovations- und Wachstumspotenziale, Innovations- und Wertschöpfungspotenziale jetzt gemeinsam zu nutzen, mit unternehmerischem Engagement und mit politischen Rahmenbedingungen, die das ermöglichen, das ist unsere zentrale Aufgabe.
Wir haben über die bürokratischen Lasten gesprochen. Wir sind sowohl auf der nationalen Ebene als auch auf der europäischen Ebene intensiv dabei, einen wirklich deutlichen Rückbau unserer Bürokratie zu ermöglichen. Die Bürokratie ist zu stark geworden. Das heißt nicht, dass ich damit Bedienstete, Beamte, Angestellte des öffentlichen Dienstes kritisiere. Wir haben einen hervorragend aufgestellten öffentlichen Dienst. Aber wir haben zu viel Regulierung, und das ist die Aufgabe, die die Politik lösen und leisten muss. Deswegen werden wir auch darüber am Donnerstag im Europäischen Rat in Brüssel erneut sprechen.
Ich schätze die Zusammenarbeit zwischen dem Bund und den Ländern. Ich will ausdrücklich sagen: Ich nehme das Angebot einer Innovationspartnerschaft mit dem Land Baden-Württemberg gerne an, weil das, was Sie gerade genannt haben, Herr Ministerpräsident, und was auch gerade eben in unserer Diskussion in Ihrem Kabinett eine Rolle gespielt hat, nämlich diese fünf Schlüsselbereiche Chips, KI, Luft- und Raumfahrt, Batterieforschung und Gesundheit, auch wesentliche Bestandteile der Modernisierungsoffensive sind, die wir mit unserer Hightech Agenda auf den Weg gebracht haben. Das hat das Kabinett bereits beschlossen.
Erlauben Sie mir, dass ich einen Aspekt herausnehme, der nach meinem Empfinden in Deutschland schon seit langer Zeit unterschätzt wird, nämlich den Gesundheitssektor unserer Volkswirtschaft. Wir betrachten das ja immer als Kostenfaktor, und es ist ein hoher Kostenfaktor. Aber es ist zugleich ein mindestens genauso hoher Faktor für Innovation im Bereich der pharmazeutischen Forschung und Entwicklung, im Bereich der Medizin. Im Bereich der Medizintechnik können wir spitze sein in Deutschland, auch in Baden-Württemberg, mit zahlreichen Unternehmen, die hier ihren Sitz haben.
Sie erinnern sich daran: Deutschland war die Apotheke der Welt; so sind wir mal bezeichnet worden. Das ist leider vorbei, weil wir die pharmazeutische Industrie haben ziehen lassen. Aber wir haben jetzt mit Biotechnologie, mit Medizintechnik, mit Forschung in den Hochschulen und auch an den medizinischen Fakultäten eine Riesenchance, diesen am schnellsten wachsenden Sektor unserer Volkswirtschaft – das ist dieser Sektor – jetzt so stark zu nutzen, dass wir damit in Deutschland, in Europa und auch wieder auf der Welt führend werden in der Entwicklung von Technologien, von Innovationen.
Das ist mein Wunsch auch an die Landesregierung gewesen; darüber haben wir uns verständigt. Ich habe es mit einer Bitte verbunden, dass wir nämlich auch die sehr starren Regelungen unseres Datenschutzes so lockern, dass wir Forschung und Entwicklung zum Beispiel auch mit Daten von Patienten machen können. Da gehen keine persönlichen Daten verloren, da geht kein Persönlichkeitsschutz verloren. Da werden anonymisierte Daten in sehr großer Zahl gebraucht, damit wir mit Innovationen datengestützt, KI-gestützt auch in Deutschland Medikamente neu entwickeln können, Behandlungsmethoden neu entwickeln können und Medizintechnik neu entwickeln können in dem engen Miteinander, zum Beispiel mit Medizin, Physik, Elektrotechnik, Maschinenbau. Das geht alles ineinander über.
Da ist Baden-Württemberg eines der Bundesländer, das hier am weitesten vorn steht, aber auch vorn bleiben muss. Wir müssen die Rahmenbedingungen dafür schaffen, und das wollen wir im Rahmen dieser Partnerschaft zwischen Bund und Ländern und in diesem besonderen Fall zwischen dem Bund und dem Land Baden-Württemberg gerne tun. Also noch einmal sehr herzlichen Dank.
Ich habe zu meiner großen Freude erneut ein hohes Maß an Übereinstimmung nicht nur in der Bewertung der Ausgangslage, sondern auch in den Konsequenzen, die wir gemeinsam daraus ziehen wollen, festgestellt. Es ist wirklich eine große Freude, heute hier zu sein, wie mir ohnehin der Besuch in den Ländern große Freude macht, weil ich hier sehe, mit welcher Vielfalt, mit welcher Bandbreite wir unterwegs sind. Deutschland ist stark, weil es ein föderaler Staat ist. Deutschland ist stark und schön, weil es starke und schöne Länder hat.
Herzlichen Dank noch einmal für die freundliche Einladung.
Frage: Herr Bundeskanzler, ist es denn Herrn Kretschmann und der Landesregierung gelungen, Sie davon zu überzeugen, dass es sich lohnen würde, wenn die Bundesregierung die Ansiedlung einer der europäischen KI-Gigafabriken in Baden-Württemberg unterstützt? Wie groß schätzen Sie die Chancen dafür ein?
Bundeskanzler Merz:Vielen Dank für die Frage. Wir haben in der Tat auch darüber gesprochen.
Die Europäische Kommission hat ja jetzt ausgeschrieben, und wir haben uns, wenn ich es richtig im Kopf habe, mit insgesamt fünf Konsortien aus Deutschland in Brüssel beworben. Wir warten jetzt das Verfahren in Brüssel ab. Wir müssen dann in Brüssel und in den Ländern dafür werben, dass wir auch mit einer entsprechenden Möglichkeit in Deutschland ausgestattet werden.
Wir werden parallel dazu natürlich weiter unsere eigenen Entwicklungen voranbringen. Aber ich hoffe sehr, dass es uns gelingt, wenigstens eine dieser Gigafactorys in Deutschland zu haben. Ich gehe auch davon aus, dass die EU-Kommission die Bundesrepublik Deutschland so einschätzt, dass von diesen Projekten, die in Europa gefördert werden sollen, mindestens eines in Deutschland steht. Wo es stehen wird, das müssen wir dann gegebenenfalls miteinander besprechen, wenn die ersten Hinweise aus Brüssel kommen, welche Schwerpunkte sie denn dort setzen wollen.
Frage: Herr Kanzler, ich würde gerne im Nachgang zu Ihren Äußerungen zum Stadtbild gestern noch mal nachfragen: Glauben Sie denn, dass junge Frauen in deutschen Städten sich grundsätzlich bedroht fühlen? Sind Ihrer Meinung nach daran nur Migranten schuld?
Was sagen denn eigentlich Ihre Töchter zu den Aussagen? Fühlen die sich persönlich bedroht?
Bundeskanzler Merz: Wenn Sie mir das nachsehen: Dieses Thema hat heute keine Rolle gespielt, und es wird auch im weiteren Verlaufe des Tages keine Rolle spielen.
Was ich mit diesem Wort gemeint habe – in der letzten Woche in Potsdam so gesagt, gestern noch einmal wiederholt in meiner Pressekonferenz –, ist, glaube ich, nicht erklärungsbedürftig. Vielen Dank.
Frage: Herr Bundeskanzler, die KI ist ja nicht nur Segen, sondern auch – ich will jetzt das Wort nicht sagen, aber doch – eine gefährliche Entwicklung, die einige Risiken, auch Gefahren in sich birgt. Meine Frage wäre: Welche Gefahr sehen Sie für die Gesellschaft als größte Gefahr?
Dann noch als persönliche Frage: Arbeiten Sie selbst auch mit KI?
Bundeskanzler Merz: Vielen Dank für diese Fragen. Die zweite Frage kann ich mit Ja beantworten. Ich begebe mich gerade auf meinem eigenen Rechner in ein erstes System hinein und probiere es aus. Ich habe es sogar sehr konkret im Zuge eines Gesetzgebungsvorhabens ausprobiert, das wir in der Bundesregierung beschlossen haben, nämlich mit der Aktivrente. Da ging es um Formulierungen im Einkommensteuergesetz.
Es war erstaunlich, was die KI da bis hin zu Formulierungen angeboten hat. Ich habe allerdings festgestellt, dass eine Novelle des Einkommensteuergesetzes dort noch nicht verarbeitet war. Sie sehen also auch die Grenzen.
Aber ja, es ist so, und es wird Grenzen sprengen. Sie haben recht mit dem, was Sie sagen. Das ist disruptiv, und zwar in einem Umfang, den wir uns heute noch nicht vorstellen können.
Schauen Sie mal auf die Diskussionen, die zurzeit in Frankfurt auf der Buchmesse um dieses Thema geführt werden. Wie gehen wir in Zukunft auch mit Bildern um, die durch KI erzeugt worden sind? Ich sage das jetzt auch mal an die Fotojournalisten hier im Raum. Es wird erhebliche Anstrengungen brauchen, um zu unterscheiden: Was sind eigentlich tatsächlich gemachte Aufnahmen, und was sind möglicherweise KI-generierte künstliche Produkte?
Das wird uns vor eine Vielzahl von Herausforderungen stellen, bis hin zu den ganzen Produktionsprozessen in der Industrie.
Die Frage des geistigen Eigentums werden wir beantworten müssen. Ich gehöre zu denen, die immer wieder sagen, schon im Zusammenhang mit der Richtlinie über geistiges Eigentum, die wir mal in der Europäischen Union hatten: Was in der analogen Welt richtig war, auch im Hinblick auf den Schutz geistigen Eigentums, kann in der digitalen Welt nicht plötzlich alles falsch sein.
Aber noch einmal: Wir stehen da vor gewaltigen politischen, gesellschaftlichen Herausforderungen. Das wird eine Technologie sein – sie ist es bereits heute –, die so tief in alle Lebensbereiche reicht, dass wir sehr gut beraten sind, uns a) frühzeitig damit zu befassen – das tue ich –, b) aber auch die Möglichkeiten zu nutzen, ohne die Risiken zu unterschätzen, die damit einhergehen – und die sind vielfältig –, bis hin zur KI-Industrie selbst, die ja mittlerweile warnende Stimmen hört, die da lauten: Es könnte sich möglicherweise hier um eine neue Blase handeln, auch in den hohen Summen an Investitionen, die da getätigt worden sind.
Ich habe zu diesem Thema – das wird Sie nicht überraschen – noch keine abgeschlossene Antwort. Aber ich sehe Chancen und Risiken gleichermaßen.
Ministerpräsident Kretschmann: Obwohl Sie mich nicht gefragt haben, darf ich trotzdem drei Sätze noch dazu sagen. Jede Technik und jede Technologie ist ambivalent, schon ein Messer. Mit einem Messer können Sie jemanden erstechen oder Brot damit schneiden. Das gilt hier erst recht. Ein wichtiger Vertreter dieses Faches aus dem Cyber Valley hat mal gesagt: Diese Technologie wird so nahe an das Menschliche heranrücken wie niemals eine Technologie zuvor.
Was ist die Konsequenz? In erster Linie ist die Konsequenz: Wer nicht mitkocht, steht am Schluss auf der Speisekarte. Dann sind wir nur noch die Anwender von Technologien anderer. Deswegen gehen wir heute zu IPAI--Innovation Park Artificial Intelligence. Wir brauchen eine europäische Souveränität in dieser Frage, damit diese Technologie nach unseren Wertvorstellungen, die wir in Europa haben, angewendet wird. Das ist, glaube ich, das Allerwichtigste: europäische Souveränität. Daran arbeiten wir gemeinsam.
Frage: Guten Tag, Herr Bundeskanzler! Ich habe zwei Fragen, zum einen an Sie beide: Was bedeutet denn diese Innovationspartnerschaft jetzt konkret? Wie hat man sie sich vorzustellen?
Die zweite Frage: Von der Industrie kommt ja immer wieder die Frage – der Ministerpräsident hat es eben angesprochen –, dass man auch die Grundlagen schaffen muss für die Anwendung von KI. Da gibt es ja noch erhebliche Defizite, gerade auch bei den von Ihnen angesprochenen Mittelständlern, was das Cloud Computing angeht. Was sind da Ihre Pläne?
Ministerpräsident Kretschmann: Natürlich arbeiten wir im Kern auf allen Ebenen immer mit dem Bund zusammen; das ist ja klar. Aber man muss auch Schwerpunkte bilden. Darum geht es: dass man mal einen Schwerpunkt ausguckt – ich glaube, dazu ist jedes Land aufgerufen –, wo man selber die Führerschaft übernimmt. Es können nicht alle alles mit der gleichen Qualität machen. Da sind wir – das konnten wir, glaube ich, darlegen – dafür schon prädestiniert, weil hier schon viel Exzellenz einfach da ist. Die muss man aber auch nützen. Das heißt, dass wir in diesem ganzen Gebiet und bei den Punkten, die der Kanzler genannt hat, einfach einen sehr konkreten Arbeitszusammenhang herstellen müssen. Das ist eine Aufgabe, die sich daraus ergibt.
Ich will daran erinnern: Bundesminister Wildberger war letzte Woche bei einem Kabinettsabend dabei. Herr Bundeskanzler, in meinem Kabinett wird nicht strittig diskutiert. Da kommen Dinge rein, die geklärt sind. Offene Debatten machen wir am Kabinettsabend. Da war Herr Minister Wildberger dabei. Daran sehen Sie, dass wir ganz konkret diese Sachen angehen. Das ist damit gemeint, das einfach zu machen.
Ich greife das mit der Gesundheitswirtschaft noch mal auf. Wir haben eine Daten-Roadmap erarbeitet, zwischen Versorgung, Wissenschaft und Wirtschaft, also ein geeintes Papier. Denn der Kanzler hat ja richtig gesagt: Durch die Entschlüsselung des menschlichen Genoms haben wir eine ganz neue Möglichkeit, nämlich der personalisierten Medizin, dass Medikamente und Heilmethoden speziell für die Person gemacht werden. Das ist eine ganz große Vision, aber auch eine große Herausforderung, das einfach zu machen. Dazu braucht man Daten.
Daten sind heute das Panel, um auch in der Medizin enorme Fortschritte zu erreichen. Sie kennen etwa die Beispiele von Hautärzten, wo die künstliche Intelligenz ähnlich gut entscheidet wie ein Dermatologe. Künstliche Intelligenz – ob sie wirklich intelligent ist, ist mal eine andere Frage – ist halt schnell. Sie basiert ja auf Diagnosen, die Ärzte schon gemacht haben. Aber dass wir diese Daten brauchen, ist völlig unumstritten. Das ist heute ein völlig neues Material für Heilmethoden, aber auch für Geschäftsmodelle und für Wertschöpfung.
Bundeskanzler Merz: So eine Innovationspartnerschaft wird natürlich nicht exklusiv sein, der Bund allein mit Baden-Württemberg. Aber es ist genau so, wie Herr Kretschmann es gerade gesagt hat: Es können nicht alle alles. Wir müssen das, was einige besonders gut können, gemeinsam noch besser machen.
Ich nehme noch einmal das Beispiel aus der Gesundheitswirtschaft. Sie haben ja im Norden des Landes wirklich herausragende medizinische Forschung, wenn ich zum Beispiel die Krebsforschung in Heidelberg nehme. Dort ist man weltweit führend in der Forschung. Da zusammenzuarbeiten, Schwerpunkte zu bilden, Cluster zu bilden, bis hin zu den gesamten Gebieten, die im nachgelagerten, vorgelagerten Bereich dazugehören, das ist eine Aufgabe, die nicht eine Länderaufgabe bleibt. Das ist eine nationale Aufgabe.
Ich bin ein großer Freund von solchen Clustern, zu identifizieren: Wo gibt es besondere Stärken, und wo können wir zusammen etwas noch besser machen? Deswegen ist dieser Bereich, den der Ministerpräsident angesprochen hat, für mich ein solches Beispiel.
Zur praktischen Anwendung – wir werden ja gleich in Heilbronn sein und uns genau mit dieser Frage beschäftigen: Es geht darum, nicht nur in der Forschung, in der Entwicklung voranzukommen, sondern es ganz konkret zur Anwendung zu bringen, also zum Beispiel umfassende Rechenkapazitäten für die Unternehmen in einer solchen Cloudlösung zur Verfügung zu stellen, die ein Unternehmen für sich allein gar nicht vorhalten kann. Das sind hochkomplexe Rechenzentren, die da aufgebaut werden.
Ich möchte, dass wir – ich will es hier sehr deutlich sagen – in Europa und auch in Deutschland unabhängiger werden von zum Beispiel amerikanischen oder chinesischen Cloudlösungen.
Wir haben hier auch beide das Wort „Souveränität“ bemüht. Ich gebe zu: Ich habe mich mit diesem Begriff in den früheren Jahren schwerer getan, weil ich es so nicht gesehen habe. Ich sehe es heute anders, gerade vor dem Hintergrund der globalen Entwicklungen. Wir müssen als Europäer souveräner werden, in der Rohstoffversorgung, in der Energieerzeugung bis hin zum Vorhalten von solchen modernen Technologien wie zum Beispiel Cloudlösungen. Ich möchte nicht, dass Unternehmen in Deutschland darauf angewiesen sind, ihre Daten auf Rechnern zu unterhalten, von denen sie nicht wissen, wie sie kontrolliert werden. Das heißt Souveränität.
Insofern gehen wir jetzt sehr konkret mit diesem Thema um. Es sind nicht mehr nur Forschungs- und Entwicklungsarbeiten; es sind konkrete anwendungsbezogene Innovationen, die, zum Beispiel auf diesem Campus heute Nachmittag, jetzt auch eröffnet werden. Das ist der Weg, den ich auch mit dem Land Baden-Württemberg gerne zusammen weiter gehen möchte.
Frage: Herr Bundeskanzler, Sie haben jetzt schon mehrfach gesagt: Baden-Württemberg ist Innovationsland. Ich will da noch mal nachhaken: Wo ist Baden-Württemberg vielleicht auch ein Stück weiter als Bayern? Sie haben das ja auch vorhin mehrfach angesprochen. Gilt das vielleicht auch für den Gigafactory-Standort?
Bundeskanzler Merz: Es gibt Bewerbungen aus Bayern, aus Baden-Württemberg und aus Nordrhein-Westfalen, und es gibt Konsortien aus anderen Teilen der Bundesrepublik Deutschland. Ich werde mich jetzt hier heute ganz sicher nicht festlegen. Ich kann es nicht, selbst wenn ich es wollte, weil es einfach ein Wettbewerb um diese Standorte ist.
Bayern hat Stärken, Baden-Württemberg hat Stärken. Der Südwesten insgesamt ist in Deutschland überproportional stark. Ich komme aus Nordrhein-Westfalen; das ist ein Land im tiefen Umbruch, auch im Hinblick auf Innovation. Zum Beispiel ist in Jülich vor einigen Wochen – da bin ich dabei gewesen – ein großes Rechenzentrum auf dem früheren Campus der Kernforschungsanlage eröffnet worden. Es finden auch in anderen Teilen der Bundesrepublik Deutschland solche Veränderungen und solche Transformationen statt.
Wir alle müssen dafür sorgen, dass wir in der Energieversorgung die notwendigen Voraussetzungen schaffen, dass dies vorangehen kann. Die Energieversorgung ist nach meiner Auffassung zurzeit eine der besonderen Schwächen unseres Standortes. Das gilt für die großen Standorte, wie zum Beispiel den von heute Nachmittag. Das gilt aber auch für die Industrie.
Wenn Sie noch einmal auf Baden-Württemberg schauen: Das Land ist geprägt von Automobilindustrie, wahrscheinlich so stark wie kein zweites in Deutschland. Es ist geprägt von Zulieferindustrie, wahrscheinlich auch so stark wie kaum ein zweites in Deutschland. Es ist eben ein Land, das in seiner ganzen Breite und Tiefe mit sehr großen Unternehmen, aber auch mit vielen kleinen und mittleren Unternehmen, bis hin zu den sogenannten Hidden Champions, eine Vielfalt zum Ausdruck bringt, auch wie wahrscheinlich kein zweites Bundesland.
Nehmen Sie nur die FuE-Quote von Baden-Württemberg: 5,7 Prozent für Forschung und Entwicklung, sowohl privat wie in staatlicher Verantwortung. Das ist die höchste Forschungs- und Entwicklungsquote in ganz Deutschland. Das zeigt auch, wie innovationsfähig und wie innovationsstark dieses Bundesland ist.