Bundeskanzler Merz in Litauen
Gemeinsam das NATO-Bündnisgebiet gegen jede Aggression zu verteidigen, dazu sei man entschlossen. Das sagte Bundeskanzler Friedrich Merz bei seinem Besuch in Vilnius. Dort wurde die neue Bundeswehr-Brigade feierlich in Dienst gestellt.
- Mitschrift Pressekonferenz
- Donnerstag, 22. Mai 2025

Bundeskanzler Merz ist mit militärischen Ehren in Litauen empfangen worden.
Foto: Bundesregierung/Guido Bergmann
Bundeskanzler Friedrich Merz ist nach Litauen gereist. Gemeinsam mit Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius nahm er am feierlichen Aufstellungsappell der Panzerbrigade 45 „Litauen“ in Vilnius teil.
Mit der Stationierung einer Bundeswehr-Brigade wolle Deutschland auch ein Zeichen an die Bündnispartner setzen: „Lasst uns jetzt entschlossen in die eigene Sicherheit investieren“, so Bundeskanzler Merz in einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Litauens Präsident Gitanas Nausėda.
Nach dem russischen Überfall auf die Ukraine im Februar 2022 hatte die Bundesregierung entschieden, die NATO-Nordostflanke zu verstärken und in Litauen eine Kampfbrigade aufzubauen. Bis 2027 soll die Brigade auf rund 4.800 Soldatinnen und Soldaten sowie 200 zivile Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter anwachsen.
Lesen Sie hier das Wichtigste in Kürze:
- Sicherheit: „Die Sicherheit unserer baltischen Verbündeten ist auch unsere Sicherheit. Wir stehen fest an der Seite unserer Partner im Baltikum“, betonte Merz mit Blick auf die weiterhin angespannte Sicherheitslage im Baltikum, an der Ostflanke der NATO. Deutschland habe deshalb gemeinsam mit Litauen „im Rekordtempo“ die Voraussetzungen zur Stationierung einer ganzen Brigade in Litauen geschaffen.
- Verteidigungsfähigkeit: Um die Sicherheit in ganz Europa zu erhöhen, sei es nötig, die europäische Verteidigungsfähigkeit nachhaltig zu stärken. „Unsere Verteidigungsindustrie muss ihre Kapazitäten ausweiten. Sie muss mehr für Europa und in Europa produzieren”, forderte der Kanzler.
- Frieden: Ein Waffenstillstand und dauerhafter Frieden für die Ukraine bleibe das Ziel der gemeinsamen Bemühungen der Europäer. Dabei bekräftigte der Bundeskanzler: „Wir spielen, wenn immer möglich, im Team mit den USA." Druck auf Moskau werde man weiterhin ausüben, betonte Merz, denn: „Es liegt nicht an der Ukraine, wenn Verhandlungen nicht vorankommen.“
Sehen Sie hier das Video des Pressestatements:
Video
Lesen Sie hier die Mitschrift der Pressekonferenz:
(Die Protokollierung des fremdsprachlichen Teils erfolgte anhand der Simultandolmetschung.)
Präsident Gitanas Nausėda: Schönen guten Tag! Sehr geehrter Herr Bundeskanzler, lieber Friedrich, ich freue mich außerordentlich, Sie heute in Litauen willkommen zu heißen. Es ist Ihr erster offizieller Besuch in Litauen in Ihrer Funktion als Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland, unserem strategischen Partner. Wir werten Ihren Besuch als ein klares und starkes Zeichen für das deutsche Bekenntnis zur Stärkung der Abschreckung und Verteidigung in unserem Land sowie entlang der gesamten östlichen Flanke der NATO. Im Mittelpunkt unseres heutigen Gesprächs stand die Vertiefung unserer strategischen Zusammenarbeit, insbesondere im Bereich der Verteidigung. Der Austausch war offen, konstruktiv und von bemerkenswerter Konkretheit geprägt.
Heute findet der Aufstellungsappell der deutschen Brigade in Litauen statt – ein historischer Tag. Es ist ein Tag des Vertrauens, der Verantwortung und des gemeinsamen Handelns. Dieser Tag zeigt deutlich: Die Sicherheit Litauens ist zur Sicherheit Deutschlands geworden. Seit der Entscheidung Deutschlands vor zwei Jahren, eine Panzerbrigade dauerhaft in Litauen zu stationieren, wurden bedeutende Fortschritte erzielt. Ein detaillierter Aktionsplan wurde entwickelt, ein bilaterales Abkommen unterzeichnet und ratifiziert. Die Bauarbeiten für den Militärstützpunkt in Rūdninkai haben begonnen. In Litauen wurde der Brigadestab vollständig aufgestellt, und erste Einheiten sind bereits eingetroffen. Die vollständige Einsatzbereitschaft der Brigade bis zum Jahr 2027 bleibt unser vorrangiges Ziel, für dessen Erreichung wir sämtliche erforderliche Ressourcen mobilisieren.
Auch im Bereich der Verteidigungsindustrie ist Deutschland unser wichtigster Partner. Das Gesamtvolumen der Rüstungsbeschaffungen übersteigt bereits zwei Milliarden Euro. Im Jahr 2024 haben wir mit Deutschland den größten Rüstungsvertrag in der Geschichte Litauens über die Anschaffung von Leopard-Kampfpanzern geschlossen. Darüber hinaus wurden Schützenpanzer von Typ Boxer sowie Haubitzen beschafft. Wir sind entschlossen, diese Kooperation bei militärtechnischen Entwicklungen und industriellen Produktionsprojekten weiter auszubauen.
Im Hinblick auf den bevorstehenden NATO-Gipfel in Den Haag ist unsere Botschaft eindeutig: Wir sind geeint, handlungsbereit und entschlossen. Wir sprechen uns für ein ambitioniertes Ziel bei den Verteidigungsausgaben aus: fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Litauen wird diese Zahl bereits im kommenden Jahr erreichen. Das ist unsere klare Antwort auf die gegenwärtigen sicherheitspolitischen Herausforderungen.
Ein zentrales Thema unseres Austauschs war die Lage in der Ukraine, die heute die Freiheit ganz Europas verteidigt. Ein umfassender und bedingungsloser Waffenstillstand muss der erste Schritt zu einem dauerhaften Frieden sein. Doch solange Russland dies ablehnt, müssen wir entschieden handeln. Dazu gehört insbesondere die Verschärfung der Sanktionen, um die russische Kriegsmaschinerie zu schwächen. Die militärische Unterstützung Deutschlands für die Ukraine ist beachtlich. Ich rufe Sie dazu auf, diese Führungsrolle fortzusetzen und weiter zu stärken, auch durch die Unterstützung der sogenannten Koalition der Willigen.
Wir haben mit dem Bundeskanzler auch die Prioritäten im Hinblick auf den kommenden Mehrjährigen Finanzrahmen der Europäischen Union besprochen. Wir müssen entschlossen über die Finanzierung unserer Verteidigung, militärische Mobilität, den Ausbau strategischer Infrastruktur sowie die Stärkung der östlichen Grenze der NATO sprechen. Auch hierbei setzen wir auf die beispielhafte Führungsrolle und Entschlossenheit Deutschlands.
Ein weiteres zentrales Element unserer bilateralen Beziehungen ist die wirtschaftliche Zusammenarbeit. Deutschland ist der größte ausländische Investor in Litauen und einer unserer bedeutendsten Handelspartner. Wir vertiefen kontinuierlich die industrielle Kooperation mit deutschen Unternehmen in unserem Land. Die Unterstützung Ihrer Bundesregierung für gemeinsame Projekte ist dabei von großer Bedeutung. Noch in diesem Jahr beginnt der Bau der Munitionsfabrik von Rheinmetall, das größte Vorhaben im Verteidigungssektor in der Geschichte Litauens. Wir wünschen uns weitere solche Partnerschaften, insbesondere in den Bereichen Verteidigung, Technologie und Energie.
(auf Deutsch) Ihr heutiger Besuch ist ein kraftvolles Zeichen für Engagement und Partnerschaft. Gemeinsam gestalten wir eine sichere und stabile Zukunft für Europa.
Bundeskanzler Friedrich Merz: Sehr geehrter Herr Staatspräsident, meine Damen und Herren, ich bin dankbar für die Einladung, heute nach Vilnius zu kommen. Es ist mein erster Besuch als Bundeskanzler in diesem Land – nicht mein erster Besuch in diesem Land, aber mein erster Besuch als Bundeskanzler. Ich freue mich sehr darüber, dass ich heute hier sein kann; denn einen besseren Tag als den heutigen Tag, den Tag des Aufstellungsappells der deutschen Brigade Litauen, hätte ich mir nicht vorstellen können.
Unsere beiden Länder, Deutschland und Litauen, sind durch eine enge Partnerschaft verbunden. Aber das Vertrauen, das heute zwischen unseren Ländern herrscht, ist vor dem Hintergrund der Geschichte alles andere als selbstverständlich. Wir sind aus diesem tiefen Tal unserer Geschichte gemeinsam dahin gelangt, wo wir heute sind, und wir haben daraus in den letzten Jahren und Jahrzehnten gemeinsam die richtigen Schlüsse gezogen - nicht nur in Worten, sondern auch in Taten. Wir sind heute Partner in der Europäischen Union, wir sind Verbündete in der nordatlantischen Allianz der NATO und wir sind Mitglieder derselben europäischen Familie. Wir wollen – so haben wir es miteinander besprochen – unsere Partnerschaft gemeinsam vertiefen, zum Wohle der Bürgerinnen und Bürger unserer Länder, zum Wohle unseres Bündnisses und zum Wohle von ganz Europa.
Wir tun das alle unter außergewöhnlich schwierigen Umständen. Die Sicherheitslage hier im Baltikum, an der sogenannten Ostflanke der NATO, bleibt sehr angespannt. Russlands aggressiver Revisionismus bedroht nicht nur die Sicherheit und territoriale Integrität der Ukraine. Dieser Revisionismus bedroht unsere gemeinsame Sicherheit in Europa und im gesamten euroatlantischen Raum. Deshalb haben Deutschland und andere Alliierte beschlossen, die NATO-Ostflanke zu stärken. Wir stationieren dafür eine ganze Brigade in Litauen. Im Rekordtempo haben wir gemeinsam mit Litauen alle notwendigen Voraussetzungen dafür geschaffen. Ich möchte allen Beteiligten – der heimischen Bevölkerung, der Regierung, aber auch unseren Soldatinnen und Soldaten –, die dies in einer beeindruckenden Qualität und in einer sehr kurzen Zeit geschafft haben, ein herzliches Wort des Dankes sagen.
Zur Sicherheit und zum Schutz der NATO im Ganzen investiert Deutschland darüber hinaus massiv in die eigenen Streitkräfte. Wir wollen damit auch ein Zeichen an unsere Bündnispartner geben: Lasst uns jetzt entschlossen in die eigene Sicherheit investieren. Diesen Weg werden wir gemeinsam und engagiert weitergehen. Gemeinsam mit unseren Partnern sind wir entschlossen, das Bündnisgebiet gegen jede Aggression zu verteidigen. Die Sicherheit unserer baltischen Verbündeten ist auch unsere Sicherheit. Wir stehen fest an der Seite unserer Partner im Baltikum. Ich möchte dies auch an die Adresse der Bevölkerung richten: Liebe Litauerinnen und Litauer, Sie können sich auf uns, Sie können sich auf Deutschland verlassen. Unsere Soldatinnen und Soldaten leisten dazu den entscheidenden militärischen Beitrag. Ich freue mich sehr, dass der Staatspräsident und ich nach unserem Gespräch gleich gemeinsam an dem Aufstellungsappell der deutschen Brigade Litauen teilnehmen werden. Dies ist nicht nur ein Zeichen an die Litauerinnen und Litauer, sondern dies ist auch ein Zeichen an das ganze Bündnisgebiet, vor allem an den europäischen Teil.
Wir werden weiter darüber zu sprechen haben, was wir zu tun haben, um die Sicherheit in ganz Europa weiter zu erhöhen. Sie alle wissen, dass wir im Juni einen NATO-Gipfel in Den Haag haben werden. Wir werden dabei wichtige Entscheidungen zu treffen haben. Dafür muss die europäische Verteidigungsfähigkeit nachhaltig gestärkt werden, und unsere Verteidigungsindustrie muss ihre Kapazitäten ausweiten. Sie muss mehr für Europa und sie muss mehr in Europa produzieren. Das Weißbuch der Europäischen Kommission weist dazu den richtigen Weg. Wir wollen auf diesem Weg jetzt gemeinsam rasch vorankommen. Dazu gehört auch die vom Herrn Staatspräsidenten bereits angesprochene Rüstungskooperation zwischen Deutschland und Litauen. Litauen hat kürzlich die Beschaffung von 44 Leopard-2-Kampfpanzern beschlossen, und die Firma Rheinmetall wird in Litauen eine moderne Fertigungsanlage für Artilleriemunition aufbauen. Das sind Vorbilder für die europäische Rüstungskooperation, die wir jetzt gemeinsam brauchen.
Wir werden natürlich auch weiter darüber beraten, wie wir einen Waffenstillstand und einen dauerhaften Frieden für die Ukraine erreichen können. Vier Dinge sind uns dabei wichtig.
Erstens. Wir lassen nicht zu, dass Russland einen Keil zwischen uns treibt. Wir stehen fest an der Seite der Ukraine. Wir stehen aber auch als Europäer insgesamt zusammen, und wir spielen, wann immer möglich, im Team mit den USA.
Zweitens haben wir ein klares Ziel. Es braucht einen Waffenstillstand in der Ukraine, so wie das auch der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika mehrfach gefordert hat. Den Weg zu diesem Waffenstillstand sollen nun Verhandlungen eröffnen, für die wir uns gemeinsam einsetzen.
Drittens. Wir werden weiter Druck auf Moskau ausüben. Der ukrainische Präsident hat in den letzten Wochen wieder und wieder aller Welt bewiesen: Es liegt nicht an der Ukraine, wenn Verhandlungen zurzeit nicht vorankommen. Um auch Russland an den Tisch zu bringen, haben wir gerade neue europäische Sanktionen beschlossen – Sie kennen sie. Wir sind bereit, noch mehr zu tun, wenn das erforderlich wird - mehr Druck auf Russland und mehr Hilfe für die Ukraine.
Viertens. Wir müssen das große Bild im Blick behalten. Von Russland, so wie es sich heute darstellt, geht eine Bedrohung für uns alle aus. Gegen diese Bedrohung schützen wir uns, und deshalb sind wir heute hier.
Zuletzt möchte ich dem Land Litauen große Anerkennung für die Sicherung der EU-Außengrenze gegen irreguläre Migration aussprechen. Sie leisten hier wichtige Arbeit für die EU im Ganzen – nicht nur für das Baltikum, sondern für uns alle. Wir wollen Sie dabei unterstützen. Wir wollen gemeinsam weiter strengere EU-Asylregeln zügig umsetzen.
In diesem Sinne, sehr geehrter Herr Staatspräsident, lieber Gitanas, herzlichen Dank für den herzlichen Empfang hier in dieser schönen Hauptstadt Vilnius. Ich freue mich sehr, hier zu sein, und ich freue mich auch auf den Aufstellungsappell, den wir gleich gemeinsam erleben werden. Herzlichen Dank!
Frage: Herr Bundeskanzler, eine Frage zu der Brigade, die Sie ja erwähnt haben: Ist mit der Aufstellung dieser doch sehr großen Bundeswehreinheit die Kapazität für Deutschland erschöpft? Was heißt das für die Diskussion darüber, ob man nach einem Friedensschluss in der Ukraine auch dort als Bundeswehr aktiv werden kann?
Da der litauische Präsident gerade eben von dem Fünf-Prozent-Ziel gesprochen hat, das schon 2026 erreicht sein soll: Ich nehme an, Sie werden nicht sagen, dass Deutschland das auch schon 2026 erreicht, aber ist das Ihre Zielmarke?
Herr Präsident, eine Frage an Sie: Noch in diesem Jahr könnte ein russisch-belarussisches Militärmanöver stattfinden. Fürchten Sie, dass davon eine Eskalation auch für Ihr Land ausgeht?
Bundeskanzler Merz: Wir stellen diese Brigade auf, um die gesamte Ostflanke der NATO zu schützen. Sie wissen, dass wir in Deutschland die Verteidigungsausgaben jetzt schnell steigern wollen. Wir brauchen aber auch das Personal, wir brauchen die Produktionskapazitäten, wir brauchen die Ausbildungsmöglichkeiten für die Soldatinnen und Soldaten der Zukunft. Insofern ist dies zunächst einmal unser Schwerpunkt, auf den wir für die vor uns liegende Zeit ausgerichtet sind. Wir müssen uns im Augenblick mit der Frage von stationierten Truppenteilen in der Ukraine nicht beschäftigen. Wir leisten hier zunächst einmal einen Beitrag, um die gesamte Ostflanke der NATO zu stärken, und wir sind natürlich auch bereit, der ukrainischen Armee weitere militärische Hilfe zukommen zu lassen. An finanziellen Mitteln wird es nicht scheitern.
Wir sind aber zunächst einmal auf diese drei Dinge ausgerichtet: Stärkung der Ostflanke, Stärkung der militärischen Fähigkeiten der Ukraine, und immer jede Möglichkeit im Blick zu haben, dort auch zu einem Waffenstillstand zu kommen, um dann aus einem solchen Waffenstillstand heraus auch Friedensverhandlungen mit Russland zu führen. Das sind unsere Prioritäten, die wir im Augenblick verfolgen.
Wir bereiten uns auf den NATO-Gipfel vor. Der NATO-Generalsekretär hat in seinen vielen bilateralen Gesprächen, die auch ich mit ihm geführt habe, bereits in Aussicht gestellt, dass wir uns dort über 3,5 Prozent des BIP bis zum Jahr 2032 verständigen könnten. Wir haben zusätzlich auch die Diskussion über zusätzliche 1,5 Prozent für die militärisch notwendige Infrastruktur. Das sind zwei Zahlen, denen wir uns aus der Sicht der Bundesregierung nähern könnten. Sie erscheinen uns vernünftig und sie erscheinen uns auch erreichbar, jedenfalls in der vorgegebenen Zeitspanne bis zum Jahr 2032.
Präsident Nausėda: Auf Ihre Frage über die russischen Sapad-Übungen könnte ich antworten, dass wir diesbezüglich schon in der Vergangenheit einiges gesehen haben. Natürlich, jedes Mal ist es eine Bedrohung, ist es eine Eskalation der Spannung. In den letzten zwei Jahren bestanden diese Übungen aus der Simulation des Angriffs der baltischen Staaten. Deswegen bleiben wir zweifelsohne auch etwas angespannt, und deswegen bereiten wir uns vor und organisieren auch unsere Übungen. Ich bin gerade aus Oslo zurückgekehrt, wo wir auch Übungen im Format der Joint Expeditionary Forces besprochen haben. Auf jeden Fall sind wir gut gewappnet und erwarten keine Überraschungen. Doch während der Übungen passieren immer wieder ungeplante Vorfälle, und aufgrund solcher Vorfälle entstehen auch Konflikte. Wir verstehen also die Bedrohung, und wir glauben, dass wir diese Bedrohungen gemeinsam mit unseren Alliierten bewältigen können. Wir setzen damit natürlich auch ein Zeichen an Russland, dass diese Übung nicht zu seinem Vorteil gereicht.
Frage: Eine Frage an den Bundeskanzler und an den Präsidenten: Jetzt wird überall davon gesprochen, dass die amerikanischen Truppen in andere Länder verlegt werden. Wenn sie wegziehen, wird dann die Präsenz der deutschen Soldaten hier in der östlichen NATO-Flanke verstärkt?
Bundeskanzler Merz: Wir haben im Augenblick keinerlei Hinweise darauf, dass die Vereinigten Staaten von Amerika Truppen aus Europa abziehen. Wir haben mit den Amerikanern auf der politischen wie auf der militärischen Ebene unverändert eine enge Kooperation, auch was die Stationierung von amerikanischen Truppen in Europa betrifft. Insofern gehen wir davon aus, dass sich daran auch nichts ändern wird. Wir werden im Gegenteil gemeinsam auf dem NATO -Gipfel in Den Haag auch unsere zukünftigen Ziele formulieren, und zu diesen Zielen gehört, dass wir im NATO-Gebiet die Anstrengungen verstärken, uns gemeinsam mit den Vereinigten Staaten von Amerika verteidigen zu können. So bereiten wir uns jedenfalls auf den NATO-Gipfel in Den Haag vor, und diese Vorbereitungsarbeiten laufen mit allen NATO-Partnern einschließlich der Vereinigten Staaten von Amerika.
Präsident Nausėda: Wir sind mit dem Herrn Bundeskanzler darüber einig, dass wir Mitglieder einer starken Allianz sind. Natürlich gibt es unterschiedliche Herausforderungen, wenn es darum geht, die Sicherheit zu gewährleisten. Doch es gibt keine offizielle Indikation, dass die US-amerikanischen Soldaten in andere Länder verlegt werden oder abziehen werden. Wir haben nur die offizielle Information, dass an dem heutigen Aufstellungsappell auch amerikanische Soldaten teilnehmen. Für mich ist das ein Symbol beziehungsweise ein Zeichen dafür, dass wir gemeinsam eine Abschreckung unserer Feinde gewährleisten können. Nicht umsonst hat der Herr Bundeskanzler auf das Gipfelreffen in Den Haag hingewiesen. Natürlich ist dieses Treffen sehr spannend, da wir dort auch eine gemeinsame Finanzierung und auch die Perspektive der Ukraine besprechen werden. Ich glaube, dort bekommen wir auch die Antworten auf diese Fragen oder Indikationen, was die Pläne der US-Amerikaner in Europa betrifft.
Frage: Herr Präsident, Herr Bundeskanzler, zuerst eine Frage an Sie beide zum Thema Ukraine: Wie enttäuscht sind Sie von den Ergebnissen des Telefonats zwischen Trump und Putin am Montag? Befürchten Sie, dass die Amerikaner sich jetzt ganz aus den Bemühungen um ein Ende des Krieges in der Ukraine zurückziehen, oder machen Ihnen die Aktivitäten im US-Senat vielleicht noch Hoffnung?
Wie wirksam können ohne die USA eigentlich die europäischen Sanktionen gegen Russland sein? Glauben Sie, dass Sie ohne die USA Putin damit beeindrucken können?
Herr Bundeskanzler, eine Frage an Sie zu einem anderen Thema: Heute sind in Washington zwei israelische Diplomaten erschossen worden. Es gibt Berichte, dass eines der Opfer deutscher Herkunft ist. Stimmt das? Gestern gab es auch Warnschüsse gegen europäische Diplomaten in Dschenin. Werden diese beiden Vorfälle – heute in Washington und gestern in Dschenin - an der deutschen Haltung zum Gazakonflikt irgendetwas ändern?
Wie können Sie dazu beitragen, dass die Europäer zu einer gemeinsamen Haltung kommen, was den Konflikt angeht? Da gab es ja zuletzt keine Sprache mit einer Stimme.
Präsident Nausėda: Ich glaube nicht, dass ein Telefonat oder einige Maßnahmen jetzt alles auf Anhieb verändern werden. Es gibt dramatische Momente, es gibt pessimistische Momente, doch bisher sind noch nicht alle Hebel eingesetzt worden. Diese Hebel können auch konsequenter und mutiger eingesetzt werden. Die Europäische Union ist sich – abgesehen von einigen Staaten – in dieser Hinsicht einig genug. Wir verstehen alle, dass das 17. Sanktionspaket schon ein guter Fortschritt ist, aber nicht ausreicht. Ich würde sagen, die Antwort der Europäischen Union auf diese Aggression müsste stärker sein – viel stärker als dieses Sanktionspaket. Dieses Paket sollte auch Nord Stream 2 umfassen, und auch alle russischen Banken sowie auch Rosatom müssten davon betroffen sein. Ich würde sagen, individuelle Sanktionen sollten auch gegen die Mitglieder oder Chefs von Rosatom verhängt werden. Wir sind hier immer wieder konfrontiert mit den Interessen einiger Staaten, doch unser Ziel ist strategisch und wir haben hier ein gemeinsames Interesse. Deshalb können wir auch mit den Interessen einzelner Staaten umgehen.
Bundeskanzler Merz: Sie sehen, wir lassen wirklich keine denkbare Möglichkeit aus, um hier zu einer diplomatischen Lösung zu kommen – wohl wissend, dass wir sie nicht über einen kurzen Zeitraum erreichen können. Deswegen werden wir die Ukraine weiter unterstützen – auch militärisch. Wir hoffen gleichzeitig, dass es eine Chance gibt, einen Waffenstillstand zu erreichen und anschließend Friedensverhandlungen aufzunehmen. Aber noch einmal: Das ist ein Prozess, der gerade erst begonnen hat und möglicherweise noch viele Wochen, vielleicht sogar viele Monate dauern wird.
Es ist kein Geheimnis, dass ich zusammen mit den Kolleginnen und Kollegen der Europäischen Union der festen Überzeugung bin, dass es auch im amerikanischen Interesse liegt, dass wir hier gemeinsam weiter vorangehen. Das versuche ich auch in den Gesprächen mit der amerikanischen Regierung und dem amerikanischen Kongress zu vermitteln, und ich habe das Gefühl, dass dies jedenfalls von großen Teilen der amerikanischen Regierung und des Kongresses auch so gesehen wird. Daher werden unsere Gespräche in diese Richtung fortgesetzt.
Sie haben das Thema Gazastreifen und den gestrigen Anschlag auf zwei Angehörige der israelischen Botschaft in Washington angesprochen. Ich will zunächst einmal sagen: Wir sind sehr besorgt über die Lage im Gazastreifen, und über die Intensivierung der dortigen militärischen Operationen der israelischen Armee, mehr als besorgt. Wir stehen dazu in sehr engem Austausch mit der israelischen Regierung. Es hat in den letzten Tagen mehrere Telefonate auch zwischen den beiden Außenministern gegeben. Wir drängen vor allem darauf, dass die humanitären Hilfsgüter nun endlich ohne Verzögerung in den Gazastreifen gelangen und dort auch die Menschen erreichen. Denn so, wie wir es aus den Vereinten Nationen hören, droht nun wirklich eine echte Hungersnot im Gazastreifen. Deshalb muss jetzt umfassend und wirklich nachhaltig geholfen werden, damit die Bevölkerung dort nicht weiter leidet.
Was den Anschlag gestern in Washington betrifft, so haben auch wir heute Morgen gehört, dass unter den beiden Opfern möglicherweise ein deutscher Staatsangehöriger ist. Ganz unabhängig davon: Das, was da passiert ist, verurteilen wir auf das Allerschärfste. Unsere Gedanken sind bei den Familien der Opfer, aber auch bei den Botschaftsangehörigen insgesamt. Wir sind uns sicher, dass die amerikanischen Polizeibehörden für umfassende Aufklärung sorgen, was genau dort geschehen ist. Mehr kann ich dazu im Augenblick nicht sagen. Dieser Anschlag ist jedenfalls ein abscheulicher Anschlag auf zwei Mitarbeiter der israelischen Botschaft in Washington, den wir, wie gesagt, auf das Schärfste verurteilen.