„Starke Vertreterin eines starken Europas”

  • Bundeskanzler | Startseite
  • Friedrich Merz 

  • Aktuelles

  • Kanzleramt

  • Mediathek   

  • Service

Rede des Kanzlers beim Internationalen Karlspreis zu Aachen „Starke Vertreterin eines starken Europas”

Die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, ist mit dem Internationalen Karlspreis zu Aachen ausgezeichnet worden. In seiner Rede gratulierte Bundeskanzler Merz der Preisträgerin und würdigte ihren Einsatz für ein starkes Europa.

Donnerstag, 29. Mai 2025
Auf dem Foto zu sehen ist die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, bei ihrer Verleihung mit dem Internationalen Karlspreis in Aachen.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ist mit dem Internationalen Karlspreis ausgezeichnet worden. 

Foto: Bundesregierung/Jesco Denzel

Traditionell am Himmelfahrtstag wird in Aachen der Internationale Karlspreises verliehen. In diesem Jahr wurde die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, mit der Auszeichnung geehrt. Im Krönungssaal des Aachener Rathauses richteten Weggefährten aus Europa persönliche Worte der Anerkennung an von der Leyen. 

Neben dem spanischen König Felipe VI. sprach auch Bundeskanzler Friedrich Merz seine Anerkennung für das Wirken von der Leyens aus. Sie gebe Europa in der Welt eine Stimme – und vertrete selbstbewusst die Positionen der Europäischen Union mit ihren rund 450 Millionen Einwohnern und dem größten Binnenmarkt der Welt, sagte der Kanzler.

Auszeichnung für Entschlossenheit und Umsicht 

Ursula von der Leyen wurde für ihr entschlossenes und umsichtiges Handeln in einer Reihe historischer Krisen ausgezeichnet. Als Kommissionspräsidentin hat sie Europa in schwierigen Zeiten Orientierung gegeben und gezeigt, dass die Europäische Union handlungsfähig ist – nach innen wie nach außen. Dem Votum der Jury pflichtete der Bundeskanzler in seiner Rede bei. Er gratulierte der Preisträgerin und betonte, dass Ursula von der Leyen eine starke Vertreterin eines starken Europas sei.  

Seine Glückwünsche verband Kanzler Merz mit dem Versprechen: „Ich werde in den nächsten Jahren mit all meiner Kraft an einem Europa mitarbeiten, das aus seinem Zusammenhalt neue Kraft schöpft, einem Europa, das auch in Zukunft den Menschen dient, einem Europa, das vor allem unsere Freiheit verteidigt." Deutschland werde nicht am Rande stehen, wenn es darum ginge, Freiheit und Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenwürde dem Kontinent zu bewahren und zu stärken, so Merz.

Seit 1950 wird in Aachen der Internationale Karlspreis an Persönlichkeiten verliehen, die sich in besonderer Weise um die europäische Einigung und Zusammenarbeit verdient gemacht haben. Heute gilt er als die bedeutendste Auszeichnung Europas. Der Internationale Karlspreis ist zugleich Spiegel europäischer Entwicklungen, Forum für den Dialog und Zeichen der Ermutigung. Zu den Preisträgerinnen und Preisträgern zählen unter anderem Konrad Adenauer, Winston Churchill, Angela Merkel und Wolodymyr Selenskyj. 

Lesen Sie hier die Mitschrift der Rede:

Ihre Majestät,

sehr geehrte Herren Premierminister, liebe Kollegen aus den europäischen Nachbarländern,

sehr geehrte Trägerinnen und Träger des Karlspreises,

sehr geehrter Herr Ministerpräsident,

liebe Kolleginnen und Kollegen aus den Regierungen, aus der Bundesregierung und der Landesregierung,

sehr geehrte Frau Oberbürgermeisterin,

sehr geehrter, lieber Jürgen Linden,

liebe Kolleginnen und Kollegen aus dem Deutschen Bundestag, aus dem Europäischen Parlament und dem nordrhein-westfälischen Landtag,

Exzellenzen,

vor allem aber sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Ursula von der Leyen,

zunächst auch von meiner Seite und im Namen der gesamten Bundesregierung herzlichen Glückwunsch, liebe Ursula von der Leyen, zur Verleihung der hohen Auszeichnung mit dem Internationalen Karlspreis zu Aachen!

„Unser Europa wurde geschaffen, um den Menschen zu dienen.“

So einfach und doch so treffend hat dies unsere heutige Preisträgerin immer wieder zum Ausdruck gebracht. Wir beide sind, wenn man so will, Kinder dieses Europas. Wir sind jedenfalls mit die erste Generation, die in dieses Europa einfach so hineingeboren wurde, in ein Europa der Freiheit, in ein Europa des Friedens, in ein Europa des beständig steigenden Wohlstands. Dieses Europa ist uns allen heute als wertvollstes Erbe der Gründerinnen und Gründer, sozusagen zu treuen Händen anvertraut.

Wir beide – auch das darf ich heute vielleicht so sagen – verstehen dieses Erbe als eine historische Pflicht, die Pflicht, dieses Europa zu erhalten, ein Europa, das den Menschen dient, ein Europa, in dem wir selbstbestimmt in Freiheit und in Demokratien leben können. Noch vor wenigen Jahren hätte dieser Satz in den Ohren vieler nach einer Sonntagsrede geklungen. Es hieß, die alte Erzählung vom Friedensprojekt Europa sei auserzählt in dieser Zeit eines vermeintlich ewig sicheren Friedens. Es hieß, dass jüngere Generationen den Wert Europas längst nur noch an ganz praktischen Errungenschaften mäßen, dem freien Reisen, dem gemeinsamen Markt, der Möglichkeit, in einem anderen Land zu studieren oder zu arbeiten.

Ja, das alles sind wichtige Errungenschaften Europas. Deshalb haben wir uns darauf verständigt, etwa den Wirtschaftsraum der Europäischen Union in den kommenden Jahren noch weiter zu vertiefen und zu modernisieren, die Regeln zu vereinfachen und die Bürokratie zurückzubauen. Wir haben uns darauf verständigt, unsere Grenzen gemeinsam besser zu sichern, und wir haben uns darauf verständigt, Europa wehrhafter zu machen. Diese Arbeit an einem noch sichereren, an einem noch wettbewerbsfähigeren und einem noch wohlhabenderen Europa dient den Menschen, daran besteht kein Zweifel. Aber das europäische Projekt, das ist mehr als das. Der große Europäer Helmut Kohl hat es bei der Verleihung des Karlpreises an ihn und an François Mitterand im Jahr 1988 von dieser Stelle aus so formuliert: „Die Europäische Gemeinschaft, wie wir sie verstehen, ist viel mehr als ein Interessensverband, viel mehr als eine Freihandelszone; sie ist auch und vor allem eine Werte- und Kulturgemeinschaft.“

Wir müssen uns heute die Frage stellen, ob wir diesem Anspruch einer Werte- und Kulturgemeinschaft in den letzten Jahren wirklich noch ausreichend gerecht geworden sind. Der US-amerikanische Vizepräsident J. D. Vance hat uns Anfang des Jahres in München mit dieser Frage in seiner Art konfrontiert. Was ist es, das wir Europäer gemeinsam verteidigen? Was ist es, wofür wir gemeinsam stehen?

Meine Damen und Herren, wir haben darauf nicht nur irgendeine Antwort. Wir haben darauf die stärkste und die beste Antwort, die überhaupt denkbar ist. Sie lautet: Wir stehen in Europa für das, was wir über Jahrhunderte hinweg durch unzählige Rückschläge und Katastrophen hindurch gemeinsam erdacht, entwickelt, errungen und auch erkämpft haben, nämlich die Überzeugung, dass Freiheit und Demokratie es wert sind, dass wir entschlossen für sie einstehen und, wenn notwendig, für ihren Erhalt kämpfen. Uns eint in Europa das Wissen: Macht muss an Recht und Gesetz gebunden sein und bleiben, sonst droht Tyrannei. Uns verbindet in Europa die Erkenntnis der Aufklärung: Jeder Mensch ist mit Würde ausgestattet, einer Würde, die unantastbar ist und deren Schutz uns allen anvertraut ist. Das ist die Idee Europas.

Doch wer sich auf der Welt umschaut, der sieht: Diese Idee ist bedroht. Es wäre geradezu zynisch, zu behaupten, dass es erst eines weiteren Krieges auf unserem Kontinent bedurft hätte, um uns genau das vor Augen zu führen. Aber wahr ist leider auch: Seit der Rückkehr des Krieges nach Europa, seit Russlands brutalem Versuch einer vollständigen Unterwerfung der Ukraine erleben wir Europäer auf wirklich existenzielle Art und Weise, wie kostbar, aber auch wie gefährdet das ist, was wir gemeinsam aufgebaut haben.

Meine Damen und Herren, wir kommen heute hier in Aachen als wahrhaft europäische Familie zusammen, hier in dieser Stadt, die wie kaum eine andere für die jahrtausendealten Wurzeln steht, die uns Europäer verbinden. Hier liefen seit der Antike schon und dann im Mittelalter europäische Handelswege zusammen, von West nach Ost, von Nord nach Süd, über die Alpen und über die Pyrenäen, Handelswege, auf denen nie nur Waren ausgetauscht wurden, sondern auch immer Ideen, Informationen und kulturelle Errungenschaften. Hier in der Aachener Kaiserpfalz begegneten sich Ost- und Westfranken, die damals noch ohne Dolmetscher miteinander sprechen konnten. Wer nach gemeinsamen Wurzeln im deutsch-französischen Verhältnis sucht, der findet sie auch hier. Wir europäische Völker, wir wissen sehr gut, wofür wir stehen, wofür wir uns heute verteidigen und mit welchen Ideen wir in die Zukunft gehen. Wir wissen auch: Wir werden das Friedensprojekt Europa, das nach innen so erfolgreich war, weiterentwickeln müssen, und zwar zu einem Friedensprojekt auch nach außen. Dazu gehört unsere historische Aufgabe, Europa so stark zu machen, dass es den Frieden auf unserem Kontinent wiederherstellen und die Freiheit auf Dauer sichern kann.

Ich möchte Ihnen heute sagen: Deutschland wird an dieser Aufgabe nicht nur irgendwie mitwirken. Deutschland steht bereit, bei dieser Aufgabe in enger Abstimmung mit unseren europäischen Partnern und Nachbarn mit aller Entschlossenheit voranzugehen. Wir werden weiterhin mit aller Kraft die Ukraine unterstützen, militärisch, aber auch wirtschaftlich und politisch. Erst gestern haben Präsident Selenskyj und ich das gemeinsam in Berlin bekräftigt.

Wir haben in Deutschland vor wenigen Wochen unsere Verfassung geändert, um die nötigen Mittel für die Verteidigung unseres Landes aufzubringen und dadurch zugleich auch einen Beitrag zur Verteidigung unserer Partner und Verbündeten zu leisten. Wir streben eine noch viel engere europäische Zusammenarbeit unserer Verteidigungsindustrien an, in der Europäischen Union, aber auch mit Partnern wie etwa Großbritannien, Norwegen und anderen außerhalb dieser Europäischen Union. Wir Deutsche sind bereit, beim NATO-Gipfel im Juni weitreichende Beschlüsse zu fassen, Beschlüsse, die Europas Verantwortung für die eigene Sicherheit gerecht werden und die transatlantische Allianz als Ganzes stärken. Ja, auch das ist Aufgabe und Ziel Europas, die transatlantische Partnerschaft als starkes Bündnis auf Augenhöhe zu erhalten, weiterzuentwickeln und zukunftsfähig zu machen. Das gilt, wenn es um die Schaffung und Wahrung eines gerechten Friedens für die Ukraine geht, und das gilt auch bei der Sicherung des Friedens in Europa insgesamt. 

Deutschland stellt sich in den Dienst dieses starken, geeinten Europas. Wir werden nicht am Rande stehen, wenn es darum geht, Freiheit und Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenwürde auf unserem Kontinent zu bewahren und zu stärken. In diesen Tagen und Wochen entscheiden wir gemeinsam über die Zukunft unseres Kontinents, wir sehr konkret. Denn Geschichte passiert nicht einfach so. Politik wird von Menschen gemacht, und aus politischen Entscheidungen erwächst Geschichte. Ich persönlich bin fest davon überzeugt, dass wir alle Möglichkeiten in unseren Händen halten, die Zukunft Europas so zu gestalten, dass sie eine gute Zukunft für uns alle wird. Denn die Idee der europäischen Friedensgemeinschaft, die Idee der Freiheit unter Gleichen, die Idee der unantastbaren Würde des Menschen ist von solcher Kraft. Mehr Rückenwind brauchen wir nicht.

Wir sehen in diesen Tagen schon, was alles vorangehen kann. Es gibt einen neuen Geist der Geschlossenheit zwischen den europäischen Staaten. Dieser Geist war da, als ich mit Emmanuel Macron, Keir Starmer und Donald Tusk im Nachtzug nach Kiew saß. Dieser Geist war bei unseren Treffen in Paris, in London, in Rom, in Tirana da. Dieser Geist war da, als unsere Preisträgerin vor gut einer Woche mit dem britischen Premierminister Keir Stamer ein Abkommen geschlossen hat, das den Weg für eine Wiederannäherung zwischen dem Vereinigten Königreich und der Europäischen Union ebnet, im Interesse der Menschen auf beiden Seiten des Ärmelkanals. Dieser Geist war in der vergangenen Woche auf dem Kathedralenplatz in Vilnius da beim Aufstellungsappell der deutschen Brigade Litauen, die künftig an der Nordostflanke der NATO stationiert sein wird.

Und schließlich: Henry Kissinger würde heute ganz sicher nicht mehr fragen müssen, wen er anrufen soll, wenn er mit Europa sprechen will. Er würde Ursula von der Leyen anrufen als die starke Vertreterin eines starken Europas. Liebe Ursula von der Leyen, wir erleben das ganz aktuell in den Verhandlungen über die Zölle, die du – das darf ich von dieser Stelle aus sagen – in unser aller Namen zurzeit führst, mit den USA, aber auch mit der Volksrepublik China. Es ist richtig, dass du die Positionen der Europäischen Union mit ihren rund 450 Millionen Einwohnern und dem größten Binnenmarkt der Welt selbstbewusst vertrittst. Genauso richtig ist es, dass du von Anfang an klargestellt hast, dass wir Europäer keine Eskalation wollen, die beiden Seiten nur schadet. Nein, wir wollen mehr freien Handel, weniger Zölle und weniger Beschränkungen, weil das den Menschen auf beiden Seiten des Atlantiks nützt.

Liebe Ursula, du gibst Europa in der Welt eine Stimme, eine europäische Stimme. Dafür wirst du heute hochverdient mit dem Karlspreis ausgezeichnet. Ich gratuliere dir dazu auch persönlich noch einmal von ganzem Herzen. Ich verbinde diesen Glückwünschen mit einem Versprechen. Ich werde in den nächsten Jahren mit all meiner Kraft an einem Europa mitarbeiten, das aus seinem Zusammenhalt neue Kraft schöpft, einem Europa, das auch in Zukunft den Menschen dient, einem Europa, das vor allem unsere Freiheit verteidigt.

Herzlichen Dank.