Kanzler im Interview mit dem VentureCapital Magazin
Bundeskanzler Olaf Scholz blickt im Interview auf die deutsche Gründerszene und berichtet, wo es aus seiner Sicht noch Potenzial gibt – aber auch, worauf deutsche Start-ups stolz sein können.
- Interview mit Olaf Scholz
- VentureCapital Magazin

Bundeskanzler Olaf Scholz hat mit dem VentureCapital Magazin über die deutsche Gründerszene gesprochen.
Foto: Bundesregierung/Steffen Kugler
Welche drei Adjektive kommen Ihnen zuerst in den Sinn, wenn Sie an den Start-up-Standort Deutschland denken?
Bundeskanzler Olaf Scholz: Ideenreich, innovativ, ausbaufähig. Denn oft sind es gerade junge Unternehmen, die neue Ideen haben und kluge Lösungen finden. Also mit Innovation und Technologie genau das liefern, was wir brauchen, um als Industrieland auch in Zukunft erfolgreich sein und gutes Geld verdienen zu können. Start-ups leisten dazu einen wichtigen Beitrag und schaffen viele Arbeitsplätze, die an anderen Stellen im Strukturwandel verschwinden. Allein im ersten Halbjahr dieses Jahres wurden fast 1.400 Start-ups neu gegründet, das ist ein Plus von 15 Prozent gegenüber den sechs Monaten davor. Die Patentanmeldungen sind weiterhin sehr hoch. Klar ist aber auch: Wir müssen da noch besser werden, gerade bei den Rahmenbedingungen für Start-ups.
Wo besteht in Ihren Augen für das Gründerökosystem noch Nachholbedarf?
Scholz: Unsere Start-up-Strategie umfasst 130 Maßnahmen, von denen wir 80 Prozent bereits verwirklicht haben. Die Bedeutung des Themas haben wir also längst erkannt. Der größte Nachholbedarf besteht sicherlich noch in der Frage der Finanzierung. Start-ups haben bekanntlich einen besonderen Finanzbedarf. Gerade in der Phase, in der sie nicht mehr ganz klein sind, wenn weiteres Wachstum von neuem Geld abhängt, fehlt es hier zu lande noch zu oft. Das liegt auch daran, dass wir in Deutschland keine so ausgeprägte Wagniskapital-Kultur haben wie etwa in den USA. In unserem Rentensystem fehlen die Anreize für langfristige Investitionen in Aktien und Eigenkapital-Instrumente – das ist in Ländern wie USA oder Schweden die wichtigste Finanzierungsquelle für Venture Capital-Fonds, die für große Finanzierungsrunden der Start-ups entscheidend sind.
Wie wollen Sie gegensteuern?
Scholz: Mit dem Generationenkapital, dem Betriebsrentenstärkungsgesetz und dem Ausbau der privaten Altersvorsorge schaffen wir die Anreize für Milliarden-Investitionen in Aktien und Eigenkapital. Davon profitieren nicht nur die zukünftigen Generationen, wir schaffen damit auch die Voraussetzungen für höhere institutionelle Investitionen in Venture Capital und Start-ups. Zusätzlich unterstützt die Bundesregierung junge Firmen dabei, leichter an Risikokapital zu kommen. Zum Beispiel mit dem Zukunftsfonds: Bis 2030 stellt die Bundesregierung dafür zehn Milliarden Euro zur Verfügung und hebelt damit private Investitionen. Der Wachstumsfonds Deutschland enthält eine Milliarde Euro und investiert bereits in rund 25 Venture Capital Fonds. Auch mit der Wachstumsinitiative und zuletzt mit der Wachstums- und Innovationskapital für Deutschland-Initiative haben wir Schritte in diese Richtung untergenommen. Allein die WIN-Initiative wird eine Gesamtwirkung von rund 12 Milliarden Euro für das deutsche Wagniskapital-Ökosystem entfalten. Auch hier habe ich eine neue Idee, um Finanzierungsrunden in Zukunft größer zu machen: wir bieten jedem Start-up an, mit Mitteln der KfW Capital jede Finanzierungsrunde um 30 Prozent zu erhöhen.
Und Ausgründungen…?
Scholz: Ja, ein weiterer wichtiger Punkt. Die Ergebnisse von Spitzenforschung müssen einfacher und schneller in die Anwendung kommen und damit zum Produkt werden. Die Agentur für Sprunginnovationen kümmert sich mit den Hochschulen und Forschungseinrichtungen um ganz praktische Fragen wie die Formulierung von Verträgen oder dem Schutz geistigen Eigentums. Und mit „go-inno“ helfen wir gerade kleinen Firmen dabei, neue Produkte oder technische Verfahren erfolgreich zu managen. Und wir arbeiten mit den Bundesländern, um die Bedingungen für Ausgründungen deutlich zu vereinfachen. Hier können wir noch viel von Universitäten wie MIT, Stanford oder dem California Institute of Technology lernen. Ein weiterer ganz entscheidender Punkt: die Beteiligung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Start-ups am Eigenkapital ihres Unternehmens. Hier haben wir schon Verbesserungen eingeführt und führen dies konsequent fort, indem wir mit dem Zukunftsfinanzierungsgesetz 2 weitere steuerlichen Erleichterungen für die Mitarbeiter-Kapitalbeteiligung umsetzen.
Welche Branchen sehen Sie derzeit als besonders aussichtsreich an, welches Feld finden Sie selbst besonders spannend?
Scholz: Ich habe das große Glück, sehr oft Firmen zu besuchen und neue Technologien anzuschauen. Und ganz ehrlich: Ich bin jedes Mal fasziniert. Zum Beispiel welche riesigen Datenmengen in kürzester Zeit ein Quantencomputer bewältigen kann, so wie ich es vor kurzem bei IBM in Ehningen erlebt habe. Eines meiner Lieblingsprojekte ist das Jülich Supercomputing Center, dessen Ressourcen wir in Zukunft neben der Forschung auch Start-ups zur Verfügung stellen wollen, damit sie leichteren Zugang zu Höchstleistungs-Rechenzentren bekommen. Spannend finde ich auch, dass viele Gründerinnen und Gründer daran arbeiten, wie uns die Transformation zu einer klimaneutralen Wirtschaft gelingen kann. Ein Drittel aller deutschen Start-ups befasst sich mit Klima, Green und Clean Tech. Das ist ja auch ein zentrales Anliegen der Bundesregierung. Jede Idee, die uns dabei voranbringt, ist wertvoll.
Was können wir in punkto Wachstumsperspektiven für Start-ups Ihrer Meinung nach von anderen Ländern abschauen?
Scholz: Die Bundesregierung hat die Rahmenbedingungen für Start-ups in den vergangenen Jahren kontinuierlich verbessert. Nicht nur in der Finanzierung mit Wagniskapital, wie schon erwähnt, auch wenn die USA sicherlich führend sind. Auch bei den Ausgründungen, wo Südkorea sehr gut ist, haben wir wichtige Ideen entwickelt. Und wir lassen nicht nach: Wir bringen mehr Tempo in Planungs- und Genehmigungsverfahren und dürren die Bürokratie aus. Für Start-ups so wichtige Aspekte wie: schnellere Netze, Versorgung mit Chips aus Produktion im eigenen Land und starke Förderung von Forschung und Entwicklung. Was Deutschland besonders auszeichnet, sind kluge Köpfe. Ein Drittel der Absolventinnen und Absolventen deutscher Unis kommen aus den MINT-Fächern. Wir setzen uns für Diversität in der Branche ein und stärken vor allem Frauen. Und mit dem neuen Fachkräfteeinwanderungsgesetz sorgen wir dafür, dass wir auch in Zukunft die Arbeitskräfte haben, die wir brauchen.
Wo sehen Sie den Start-up-Standort Deutschland in fünf oder zehn Jahren? Werden KI und Quantencomputing bis dahin starke Akzente gesetzt haben?
Scholz: Viele überbieten sich derzeit mit düsteren Szenarien, was unsere Wirtschaft angeht. Dabei gibt es in Deutschland gerade große und zukunftsweisende Investitionen in die Schlüsseltechnologien. Dazu gehören neben Halbleitern, Batterien, Pharma, Biotech, Wasserstoff und Weltraumtechnik natürlich auch Künstliche Intelligenz und Quantencomputing. Ich bin stolz, dass TSMC Bosch, Infineon, Amazon, Microsoft, Google und Apple Milliardensummen in Deutschland investieren, um neue KI-Rechenzentren zu bauen und neue Fabriken zur Herstellung von Hochleistungs-Halbleitern zu errichten. Dies stärkt unsere KI-Industrie, wo wir innovative Hersteller haben und bei der KI-Forschung zur Weltspitze gehören. Da sind wir bei Patentanmeldungen für den deutschen Markt inzwischen auf dem zweiten Platz, noch vor Japan und China, wenn auch hinter den USA. Aber das zeigt, wohin es gehen soll: wir wollen in allen entscheidenden Zukunftstechnologien ganz vorn dabei sein. Nicht nur gut, sondern die Besten. Das ist es doch, was die Welt von „Made in Germany“ erwartet. Das möchten wir auch in Zukunft einhalten und ich finde, wir sind auf einem guten Weg.
Vielen Dank für das Gespräch.