„Da hilft jetzt kein Jammern, sondern Anpacken“

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Bundeskanzler Scholz im Gespräch mit den „Nürnberger Nachrichten“ „Da hilft jetzt kein Jammern, sondern Anpacken“

Im Interview mit den Nürnberger Nachrichten äußert sich Bundeskanzler Olaf Scholz unter anderem zum EU-Asylkompromiss, zur Umsetzung des Gebäudeenergiegesetzes und zur Klimapolitik der Bundesregierung. 

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Bundeskanzler Olaf Scholz während eines Interview mit den Nürnberger Nachrichten.

Bundeskanzler Scholz im Gespräch mit den Nürnberger Nachrichten am Rande des Evangelischen Kirchentages.

Foto: Bundesregierung/Bergmann

Herr Bundeskanzler, macht Ihnen Ihre Aufgabe eigentlich noch Freude angesichts all der Baustellen?

Bundeskanzler Olaf Scholz: Ich bin sehr gerne Bundeskanzler und empfinde es als große Ehre, diese Aufgabe für mein Land wahrzunehmen. Natürlich sind die Herausforderungen groß, insbesondere durch den furchtbaren Krieg, den Russland gegen die Ukraine losgetreten hat.

So viele Probleme hatte – auf den ersten Blick – noch keiner Ihrer Vorgänger oder Ihre Vorgängerin zu bewältigen… Spornt das an?

Scholz: Ich habe mich um das Amt beworben, um meinem Land zu dienen – und nicht, um den Ausblick aus dem Kanzleramt zu genießen.

Nun kommt ein neues Problem dazu: Der EU-Kompromiss in Sachen Asyl wird von vielen gefeiert – auch Sie begrüßen ihn. Doch die Grünen, Ihren Koalitionspartner, könnte es zerreißen. Wie sehen Sie die Einigung, wie geht es weiter?

Scholz: Die Koalition schafft gerade das modernste Zuwanderungsrecht in Europa, um den wachsenden Bedarf an Fachkräften in Deutschland zu decken. Wir modernisieren das Staatsangehörigkeitsrecht, damit diejenigen, die gut integriert sind bei uns und die Voraussetzungen erfüllen, schneller eingebürgert werden und sich hier zuhause fühlen können. Und wir haben für Asylbewerber, die hier Arbeit haben und gut zurechtkommen, die Möglichkeit geschaffen, dass sie trotz eines abgelehnten Asylverfahrens eine Chance bekommen für ein Aufenthaltsrecht. Klar ist, wer aus humanitären Gründen so viele Flüchtlinge aufnimmt wie wir, muss sicherstellen, dass jene, die sich nicht auf Schutzgründe berufen können, wieder in ihre Heimat zurückkehren. Darum geht es jetzt. Und nach jahrelangen Diskussionen ist es gelungen, sich auf eine einheitliche solidarische Lösung in der Europäischen Union zu verständigen. Dieser Konsens ist wirklich historisch.

Aber der Konsens spaltet die Grünen…

Scholz: Niemand macht sich diese Fragen leicht. Wichtig ist aber, dass wir es bei der Fluchtmigration effizienter und besser schaffen, unter den europäischen Ländern solidarisch zu handeln und zügig zu entscheiden, wer bleiben kann und wer nicht.

Robert Habeck glaubt, das Heizungsgesetz komme noch vor der Sommerpause auf den Weg. Sie auch?

Scholz: Diese Zuversicht spüre ich in der gesamten Regierung.

Was lief denn schief bei diesem Projekt?

Scholz: Da die Vorgänger-Regierungen nicht gehandelt haben, sind wir jetzt ein bisschen unter Zeitdruck. Hätten wir vor 15 Jahren ein Gesetz beschlossen, dass von einem gewissen Zeitpunkt an keine fossilen Heizungen mehr in Neubauten erlaubt hätte, wäre die Lage heute entspannter. Bis 2045 wird Deutschland komplett klimaneutral sein – dafür müssen wir unsere Industrie-Produktion umbauen, massiv in E-Mobilität investieren und es wird sich auch auswirken auf die Art und Weise, wie wir heizen werden. Jetzt sind es noch 22 Jahre, bis wir dieses Ziel erreichen müssen, deshalb müssen wir jetzt handeln. Der Gesetzentwurf, der gerade im Bundestag liegt, trägt dem Rechnung und ist viel pragmatischer und lösungsorientierter, als manche öffentliche Einlassung vermuten lässt. Nun wird er noch einmal genau abgeklopft, um sicherzustellen, dass wirklich niemand überfordert wird.

Wie wichtig ist Ihnen Klimapolitik? Viele rätseln über Ihre Position. Deshalb die Frage: Sind Sie wirklich noch der Klima- Kanzler, als der Sie auch angetreten sind

Scholz: Meine Bundesregierung hat in 16 Monaten mehr für den Klimaschutz getan als jede Regierung vor ihr. SPD, Grüne und FDP sind fest entschlossen, dass wir 2045 wirklich klimaneutral sein werden. Wir haben klare Zwischenziele formuliert, beispielsweise dass 80 Prozent unseres Stroms bis 2030 aus erneuerbaren Quellen kommen wird, beschleunigen den Bau von Windkraft- und Solaranlagen. Wir ertüchtigen die Stromnetze und dringen darauf, dass der Bau der Stromtrassen in den Süden endlich schneller geht und auch hier in Bayern der dringende Ausbau der Windkraft endlich vorankommt.  

Da wurde viel versäumt?

Scholz: Stimmt, aber da hilft jetzt kein Jammern, sondern Anpacken. Beim Bau der Flüssiggas-Terminals an den norddeutschen Küsten haben wir Deutschland-Geschwindigkeit bewiesen, die brauchen wir jetzt in allen Bereichen, damit der klimaneutrale Umbau gelingt.

War es klug, die Letzte Generation „bekloppt" zu nennen?

Scholz: Ich finde die Aktionen bekloppt, dabei bleibe ich. Keine der Klebe-Aktionen hat irgendjemanden überzeugt, sondern nur die gesellschaftlichen Widerstände erhöht.

Der Bundespräsident hat hier in Nürnberg gewarnt, die ländliche Bevölkerung nicht von oben herab zu behandeln, sondern mitzunehmen. Teilen Sie seine Einschätzung?

Scholz: Deutschland hat 84 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner, die in sehr unterschiedlichen Verhältnissen leben und sehr unterschiedliche persönliche Vorlieben haben. Einige leben gern in Städten, andere auf dem Land. Diese Vielfalt ist unsere Stärke – wir sollten einander respektieren und mit dieser Verschiedenheit gelassen umgehen.

Es gab nun eine Demo in Erding, bei der vor allem Hubert Aiwanger mit Markus Söder und der Kabarettistin Monika Gruber die „Heizungs- Wut“ eher noch befeuerte. Wie sehen Sie solche Proteste?

Scholz: Kritik und Protest gehören zu einer lebendigen Demokratie, das sehe ich gelassen – auch wenn man immer überlegen sollte, mit wem man demonstriert. Die Bundesregierung hat die Aufgabe, alle Weichen dafür zu stellen, dass die viertgrößte Volkswirtschaft der Welt in 22 Jahren keine fossilen Energien mehr einsetzen muss und dennoch erfolgreich bleibt – darauf konzentrieren wir uns.

Friedrich Merz sagt: Die Ampel verdoppelt die Umfragewerte der AfD.

Scholz: Na, wer sich ein wenig in Europa umschaut, stellt fest, dass es in unseren Nachbarländern teils schon sehr lange populistische Parteien gibt, obwohl es dort auf den ersten Blick keine schwerwiegenden Probleme gibt – sei es Norwegen, Dänemark, Schweden oder Finnland, die Niederlande, Österreich und jetzt auch bei uns. Offenbar blicken einige mit Sorge in die Zukunft. Wie reagiert man darauf? Aus meiner Sicht lautet die einzig richtige Antwort: Dafür zu sorgen, dass sich alle Bürgerinnen und Bürger unseres Landes sicher sein können, dass sie, ihre Kinder und Enkel eine gute Zukunft haben – dass unterschiedliche Lebensentwürfe respektiert werden und dass wir als Gesellschaft zusammenhalten.

Da ist aber noch einiges zu tun.

Scholz: Genau das bestimmt aber meine Politik: Wir setzen auf mehr soziale Gerechtigkeit. Wir haben den Mindestlohn erhöht und die Erwerbsminderungsrente, haben Geringverdiener entlastet und das Kindergeld massiv angehoben. Das alles hilft denen, die wenig verdienen, besser zurechtzukommen. Wir kümmern uns um die Mittelschicht. Und darum muss es uns gehen als Gesellschaft.

Sie punkten selbst gerade dann, wenn Sie mal Emotionen zeigen – wie bei Ihrem Ausbruch vor zwei Wochen gegen Russland-Freunde bei einer Kundgebung. Sollten Sie öfter mal so loslegen?

Scholz: Ich bin sicher, dass viele Bürgerinnen und Bürger sehr beruhigt darüber sind, dass ich auch in schwierigen Zeiten sachlich handele. Und wenn Klartext nötig ist, liefere ich ihn.

Stichwort Ukraine-Krieg: Sie haben sehr klar Putin für die Sprengung des Staudamms verantwortlich gemacht. Angesichts solcher Methoden und keinerlei Anzeichen für ein Einlenken: Wann sagen auch Sie, dass die Ukraine diesen Krieg gewinnen muss?

Scholz: Wichtig ist, dass Russland nicht damit durchkommt, die Ukraine ganz oder teilweise zu erobern. Deshalb unterstützen wir die Ukraine massiv. Wir sind nach den USA der zweitgrößte Unterstützer – sowohl finanziell wie humanitär wie mit Waffen. Der russische Präsident muss einsehen, dass er seine Ziele nicht erreichen wird und Truppen zurückziehen. Das wäre eine Grundlage für einen fairen Frieden.

Wann haben Sie zuletzt mit Putin gesprochen, werden Sie das bald wieder tun?

Scholz: Das letzte Telefonat war im Dezember vergangenen Jahres. Die aktuelle Entwicklung des Krieges bot zuletzt wenig Anlass für ein Gespräch, ich werde das zu einem gegebenen Zeitpunkt aber wieder tun, um unsere Ziele voranzubringen.

Sie regieren zwischen Grünen und FDP in der Ampel, zwei schwierige Partner. Haben Sie manchmal Sehnsucht nach der GroKo?

Scholz: Nein, gar nicht. Mein Ziel ist es, dass die Koalition in 2025 wiedergewählt wird.