Pressekonferenz von Bundeskanzler Merz und der EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen
Bundeskanzler Merz betonte bei seinem Antrittsbesuch bei EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen, dass die Bundesregierung entschlossen sei, eine aktive und starke Rolle in der EU zu spielen. Inhaltlich ging es auch um die Themen Wettbewerbsfähigkeit und Migration.
- Mitschrift Pressekonferenz
- Freitag, 9. Mai 2025

Bundeskanzler Merz und Kommissionspräsidenten von der Leyen in Brüssel.
Foto: Bundesregierung/Jesco Denzel
Bundeskanzler Friedrich Merz hat die Präsidentin der EU-Kommission Ursula von der Leyen am dritten Tag seiner Amtszeit zu einem Gespräch in Brüssel getroffen. Beide waren sich einig, dass die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie das zentrale Projekt der nächsten Jahre sei. Hier brauche es verbesserte Rahmenbedingungen.
Einigkeit herrsche laut Merz auch beim Thema Migration. Dabei sei ein koordiniertes Vorgehen zwischen den Mitgliedstaaten grundlegend. Der Kanzler bekräftigte, dass die Kontrollen an deutschen Grenzen intensiviert werden sollten und Zurückweisungen weiterhin stattfinden. „Das ist alles im Einklang mit europäischem Recht“, so der Bundeskanzler.
Merz betonte zudem, dass die Bundesregierung entschlossen sei, eine starke und aktive Rolle in der Europäischen Union zu spielen.
Lesen Sie hier die gesamten Pressestatements:
(Die Protokollierung des fremdsprachlichen Teils erfolgte anhand der Simultandolmetschung.)
Präsidentin Ursula von der Leyen:
(auf Deutsch) Herzlich willkommen, Herr Bundeskanzler, lieber Friedrich! Es ist eine Freude, dass du so früh die Reise direkt nach Brüssel zu den Institutionen angetreten bist, und das am Europatag - das spricht für sich selbst.
(auf Englisch) Wir haben hervorragend miteinander diskutiert, und im Rahmen dieser Diskussion waren wir uns einig: Egal um was es geht, müssen wir uns der Tatsache bewusst sein, dass alles dringlich ist.
Die Wettbewerbsfähigkeit ist eine Schlüsselpriorität dieser Kommission, und die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der Europäischen Union ist eines der Themen, die wir diskutiert haben. Vier Punkte dazu:
Erstens. Es ist ausschlaggebend, die Innovationslücke zu schließen, die es gibt. Wir brauchen dafür angemessene Finanzmittel. Wir brauchen aber auch ein angemessenes Umfeld, in dem freie Forschung und freie Wissenschaft gewährleistet werden – und das können wir anbieten.
Zweitens. Wir haben uns mit dem schwierigen Thema der Energiekrise beschäftigt. Wir haben zu hohe strukturelle Energiekosten. Wir müssen sie reduzieren, und deswegen müssen wir in Netze, Verbindungsleitungen und Speicherung investieren. Uns fehlt es nicht an Energie, wir haben sehr viel Energieproduktion, vor allem CO2-arme Energie; wir haben aber keine ausreichenden Kapazitäten, um diese Energie zu speichern, und auch die Netze fehlen.
Ein weiteres Thema ist der Kapitalmarkt. Wir brauchen einen reibungslosen Kapitalmarkt für die Europäische Union. Das heißt, egal wo unsere Unternehmen in den Kapitalmarkt hineinkommen, brauchen sie die gleichen Eintritts- oder Eingangsbedingungen. Wir haben uns darauf geeinigt, dass es jetzt an der Zeit ist, da voranzukommen. Wir gehen davon aus, dass wir vor der Sommerpause auch hier vorankommen.
Abschließend noch ein Thema, bei dem wir uns auch einig sind: Wir müssen vereinfachen, wir müssen beschleunigen, und zwar sowohl auf europäischer als auch auf nationaler Ebene. Vereinfachung ist ausschlaggebend für unsere Wettbewerbsfähigkeit. Das ist auch das Ziel der gut bekannten Omnibus-Initiativen, die wir starten. Wir müssen dafür sorgen, dass wir im Rat mit den Omnibus-Initiativen schnell vorankommen, und gleichzeitig ist es so, dass Gold-Plating auf nationalen Ebenen verschwinden sollte.
Das war der Binnenmarkt, aber die externen Bedingungen sind natürlich ebenfalls ausschlaggebend. Deutschland beweist: Es ist ein globales Leistungszentrum mit engen Verbindungen hin zu europäischen und ausländischen Märkten. Europa ist heute attraktiver als je zuvor. Länder überall aus der Welt möchten mit uns arbeiten, handeln und Partner sein: Mexiko, MERCOSUR, Schweiz, Südafrika, von Indien bis nach Indonesien, um nur ein paar Länder zu nennen. Wir haben zum heutigen Tag 76 Handelsabkommen, und es gibt immer mehr.
Wir würden es begrüßen, wenn wir auch die USA darunter zählen könnten. Deswegen haben wir ein gegenseitiges Nullangebot vorgelegt, also null Zoll auf beiden Seiten. Wir sind dazu bereit, die Zölle bei den Industriewaren abzubauen. Wir möchten eine Verhandlungslösung finden, eine Lösung, die ausgewogen, fair und gegenseitig positiv ist und durch die beide Seiten des Atlantiks stärker werden. Aber wenn Verhandlungen scheitern, werden wir aktiv werden. Deswegen diskutieren wir augenblicklich über eine mögliche Liste von Gegenmaßnahmen. Das heißt, alle Instrumente oder alle Optionen liegen noch auf dem Tisch.
Wir haben auch über die Ukraine diskutiert. Ich glaube, es ist wichtig, dass die 30-tägige Waffenruhe, die jetzt von Präsident Trump und Präsident Selenskyj vorgeschlagen worden ist, akzeptiert wird und dann auch umgesetzt wird. Gleichzeitig sind wir uns auch dahingehend einig, dass wir die Ukraine in eine Position der Stärke bringen müssen. Das bedeutet, dass wir wirtschaftlich und militärisch weiter unterstützen müssen. Wir haben beide hervorgehoben, dass wir einen gerechten und langfristigen Frieden erreichen möchten.
Wir brauchen dann natürlich auch zusätzliche Verteidigungsausgaben innerhalb der Europäischen Union. Ich begrüße daher die Initiative des Bundeskanzlers, die deutschen Verteidigungsausgaben aufzustocken. Im Rahmen der Strategiebereitschaft 2030 haben wir uns darauf geeinigt, SAFE abzuschließen. Damit haben wir 150 Milliarden Euro in EU-gestützten Darlehen. Das ist sehr wichtig, denn dadurch haben wir gemeinsame Ankäufe. Das ist also ein Projekt für gemeinsame Ankäufe, aber es dient auch dazu, in die Verteidigungsindustrie investieren zu können.
Dann haben wir über die Migration diskutiert. Ich kann es nicht oft genug sagen: Migration ist eine gemeinsame europäische Herausforderung und braucht deswegen eine gemeinsame europäische Lösung. In diesem Sinne haben wir uns auf das Paket zu Migration und Asyl geeinigt. Jetzt müssen wir es umsetzen, damit es zur Realität wird. Damit gehen Investitionen und auch harte Arbeit einher. Ich freue mich, dass wir heute zusätzliche drei Milliarden Euro in diesem Rahmen anbieten können; das ist das Ergebnis der Halbzeitüberprüfung. Im Rahmen des Paketes werden wir stärkere Außengrenzen, bessere Möglichkeiten, Sekundärbewegungen vorzubeugen, und schnellere Asylverfahren haben. Das ist die interne Arbeit, die wir leisten.
Jetzt zur externen Dimension: Die zweite Säule ist die Partnerschaft mit unseren Nachbarstaaten, also den Nachbarstaaten der Europäischen Union. Diese Partnerschaften bringen etwas: Die illegalen Ankünfte sind in diesem Jahr bereits um 30 Prozent zurückgegangen. Das ist positiv. Die Mitgliedstaaten müssen dann natürlich auch mehr Rückführungen durchführen. Bisher werden nur 20 Prozent derjenigen Migranten, die eine negative Asylentscheidung erhalten haben, in ihre Heimatländer zurückgeführt. Deswegen hat die Kommission im März einen Vorschlag zu den Rückführungen vorgelegt. Für uns ist es sehr wichtig, dass nun die Mitgliedstaaten und das Europäische Parlament ihre Rolle spielen.
Wir haben insgesamt gezeigt, dass wir zusammen die Herausforderung der irregulären Migration überwinden können. Ich glaube, dass wir das auch weiterhin so machen können, wenn wir Hand in Hand arbeiten - unter Respektierung der gemeinsam angenommenen Vorschriften.
Ich komme zum Abschluss. – Robert Schumann wäre glücklich gewesen, wenn er das Eurobarometer gesehen hätte; denn das Eurobarometer zeigt heutzutage, dass die Befürwortung der Europäischen Union seitens der EU-Bürger so hoch ist wie noch nie zuvor. Das ist ein Privileg, aber es ist auch eine riesige Verantwortung. Die Bürger vertrauen uns, wenn wir die großen Probleme anpacken und lösen. Ihnen ist egal, welche Ebene – ob die regionale, die nationale oder die europäische Ebene – zuständig ist. Wir sollen es schaffen, auch angesichts der großen Herausforderungen.
(auf Deutsch) Lieber Friedrich, die Tatsache, dass du den Europatag gewählt hast, spricht Bände. Das ist ein enorm wichtiges Signal, denn damit machst du auch sehr klar: Europapolitik ist für dich Chefsache. Ich wünsche dir von Herzen einen guten Start und freue mich auf die exzellente Zusammenarbeit!
Bundeskanzler Friedrich Merz:
Vielen Dank, Frau Präsidentin, liebe Ursula! – Meine Damen und Herren, herzlichen Dank für Ihr Kommen! Ich freue mich, dass ich heute, am 9. Mai 2025, als Bundeskanzler am dritten Tag meiner Amtszeit einen Antrittsbesuch bei den europäischen Institutionen machen darf. Ich habe das Privileg, als Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland jetzt zum zweiten Mal in meinem Leben einer europäischen Institution anzugehören, nämlich dieses Mal dem Europäischen Rat. Ich habe meine politische Karriere, wie viele von Ihnen wissen, vor über 35 Jahren im Europäischen Parlament begonnen. Deswegen ist das für mich so ein bisschen „coming home to Brussels, coming home to Europe“. Ich freue mich darauf.
Ich weiß, dass es wichtig ist, dass wir in Europa zusammenarbeiten und dass insbesondere Deutschland eine aktive, starke Rolle in der Europäischen Union spielt. Die deutsche Bundesregierung ist dazu entschlossen, dies auch zu tun. Denn die Herausforderungen, vor denen wir stehen, sind so groß, dass wir alle wissen: Wir können sie nur gemeinsam bestehen. Wenn Sie in die Gründungsdokumente der europäischen Politik schauen, dann lesen Sie eben genau diese Rede des früheren französischen Außenministers Robert Schuman, der auf den Tag genau vor 75 Jahren darauf hingewiesen hat, dass die Integration der Kohle- und Stahlindustrie nicht ein wirtschaftspolitisches Projekt war, sondern ein zutiefst politisches, um die, wie es damals hieß, Erbfeindschaft zwischen Deutschland und Frankreich zu überwinden, und zwar mithilfe der gemeinsamen Aufsicht über die damaligen Schlüsselindustrien. Das waren damals Kohle und Stahl.
So befinden wir uns heute in dieser langen Kontinuität der gemeinsamen Integration von Industrien über den europäischen Binnenmarkt, dessen Entstehungsgeschichte ich hier in Brüssel und in Straßburg aus nächster Nähe miterlebt habe und mitgestalten durfte. Ich fühle mich in der Kontinuität dieser politischen Entwicklung und fühle mich auch in der Verpflichtung, diese Entwicklung weiter voranzubringen. Die Frau Präsidentin hat es angesprochen: Der europäische Binnenmarkt ist noch nicht da, wo er eigentlich sein sollte. Ich habe deshalb mit großer Zustimmung den Bericht von Enrico Letta gelesen und ihn auch als Arbeitsauftrag verstanden, genauso wie den Bericht von Mario Draghi zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der Europäischen Union. Das sind, denke ich, die wichtigsten Dokumente, die wir nach dem Delors-Bericht aus der Mitte der 80er-Jahre jetzt als Grundlage unserer Arbeit in der Europäischen Union haben.
Du hast die Stichworte schon genannt. Ich will sie kurz aus meiner und aus der deutschen Sicht erläutern.
Die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie ist das zentrale Projekt der nächsten Jahre, das wir uns gemeinsam vorgenommen haben. Das heißt, die Rahmenbedingungen zu verbessern, unter denen europäische Industrie erfolgreich sein kann, ist eine zentrale Aufgabe. Dazu gehört, dass wir auch die viel zu groß gewordene europäische Regulierung ein Stück weit zurücknehmen. Ich bin sehr dankbar dafür, dass wir uns einig sind, dass wir zum Beispiel über die Omnibusgesetzgebung jetzt auch ganz systematisch an die Arbeit gehen, europäische Bürokratie zurückzunehmen, zurückzubauen. Das wird die Unterstützung der deutschen Bundesregierung finden. Wir werden auch Vorschläge machen, wie wir darüber hinausgehen können. Denn die Vertagung ist allenfalls ein erster Schritt. Die vollständige Aufhebung einiger Direktiven ist der nächste logische Schritt, der folgen muss. Ich nenne in diesem Zusammenhang immer gern die CSDD-Richtlinie, also die Europäische Lieferkettenrichtlinie. Wir werden in Deutschland das nationale Gesetz aufheben. Ich erwarte von der Europäischen Union, dass sie diesen Schritt nachvollzieht und diese Richtlinie wirklich aufhebt. Das ist aber nur ein Beispiel von vielen. Denn wir brauchen eine wirklich grundlegende Modernisierung und eine verbesserte Rahmensetzung in der Europäischen Union.
Ich möchte in diesem Zusammenhang auch das Stichwort der Kapitalmarktunion noch einmal ansprechen. Wir haben nach meinem Dafürhalten in Europa viel zu lange über Haftungsfragen und viel zu wenig über eine Integration der Kapitalmärkte gesprochen. Das muss jetzt schnell folgen. Darüber bin ich mir auch mit dem französischen Staatspräsidenten einig. Sie wissen, dass ich in dieser Woche nicht nur in Paris, sondern auch in Warschau gewesen bin, übrigens der erste Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland, der zu seinem Antrittsbesuch am ersten vollen Tag seiner Amtszeit nicht nur in Paris war, sondern am selben Tag auch in Warschau. Mir war das Signal und auch das Angebot wichtig, dass wir nicht nur mit unserem größten Nachbarn im Westen, sondern auch mit unserem größten Nachbarn im Osten diesen Weg jetzt gemeinsam vorangehen.
Das Ganze findet vor dem Hintergrund einer ganzen Reihe von Konflikten statt. Der größte ist der Krieg in der Ukraine. Ich bin sehr dankbar dafür, dass wir uns jedenfalls in der ganz, ganz großen Mehrheit der Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union darin einig sind, dass wir fest an der Seite der Ukraine stehen und dass wir die Ukraine auch weiterhin in ihrem Kampf gegen die russische Aggression unterstützen.
Dazu zählt, dass wir in der Handelspolitik gemeinsam vorangehen. Vor dieser Herausforderung stehen wir spätestens seit dem Regierungswechsel in Amerika. Sie wissen es; es ist öffentlich. Ich habe gestern Abend ein längeres Telefonat mit Präsident Trump geführt. Wir haben uns auch über diese beiden Themen unterhalten, über den Krieg in der Ukraine. Wir unterstützen die Initiative des amerikanischen Präsidenten zu einem dreißigtägigen Waffenstillstand aufzurufen, der mit dem heutigen Tag beginnen sollte. Das wird auch ein Test sein, wie ernsthaft Putin an solchen Gesprächen und Vereinbarungen wirklich interessiert ist, daran, nicht nur über den Tag heute, der in Moskau zu dieser Stunde als Tag des Sieges gefeiert wird, sondern über dieses Wochenende hinaus die Gelegenheit zu geben, in einem dreißigtägigen Waffenstillstand zu echten Friedensverhandlungen zu kommen. Der Ball liegt jetzt in Moskau, nirgendwo anders. Er liegt in Moskau. Wir sind uns in Europa einig. Wir sind uns mit der Ukraine einig. Es ist ein Vorschlag der Vereinigten Staaten von Amerika, den wir teilen und mit unterstützen. Jetzt liegt der Ball in Moskau, ausschließlich, ab Montag zu beweisen, dass es der Regierung in Moskau mit einem Frieden in der Ukraine ernst ist.
Das Thema der Handelspolitik wird uns beschäftigen. Ich will es hier noch einmal ausdrücklich sagen. Wir unterstützen eine schnelle Ratifikation des MERCOSUR-Abkommens sehr. Ich bin mit der Kommissionspräsidentin darin einig, dass Europa auch nach weiteren Handelspartnern auf der Welt suchen sollte. Es gibt viele auf der Welt, die gerade in diesen schwierigen Zeiten Interesse daran haben zusammen mit Europa Handelsabkommen zu schließen. Das schließt auch die Vereinigten Staaten von Amerika ein. Ich habe Präsident Trump gestern zu seinem Abkommen mit dem Vereinigten Königreich gratuliert. Aber dies kann er mit anderen europäischen Staaten nicht tun. Wir alle sind Mitglied der Europäischen Union, und diejenigen, die Mitglied der Europäischen Union sind, haben ihre handelspolitischen Zuständigkeiten komplett an die EU-Kommission beziehungsweise die Europäische Union abgegeben. Das heißt, der nächste Handelspartner für die Vereinigten Staaten von Amerika ist nicht Deutschland, nicht Frankreich, nicht Polen, sondern Europa, die Europäische Union. Ich hoffe sehr, dass wir auch hier Fortschritte machen können, zumindest kurzfristig im Absenken der bestehenden Zölle, langfristig auch in einem Handelsabkommen. Ich gehöre zu denen, die bis heute bedauern, dass TTIP nicht zustande gekommen ist. Das hätten wir machen sollen. Heute wissen wir, wie wertvoll das hätte sein können. Das ist leider vergossene Milch. Aber jetzt müssen wir den Blick nach vorn richten.
Zu den Handelsabkommen, die wir schließen, gehören nicht nur Zölle, sondern auch technologische Standards, ein, wie ich finde, häufig unterschätztes Thema. Ich würde gern sehen, dass wir den Amerikanern auch eine gegenseitige weitgehende Anerkennung technologischer Standards anbieten. Denn darin liegt ein großes Potenzial auch für die Öffnung von Märkten, das wir zurzeit nach meinem Eindruck nicht genug nutzen.
Meine Damen und Herren, last, but not least geht es auch um die Verteidigungsfähigkeit der Europäischen Union insgesamt. Ich versuche immer wieder, darauf hinzuweisen: Ja, es geht natürlich auch um finanzielle Mittel. – Die EU schlägt vor, die Möglichkeiten auch im Rahmen des Fiskalpaktes zu erweitern. Wir haben in Deutschland in etwa nach dieser Mechanik schon Gebrauch von unseren nationalen Schuldenregeln gemacht. Wir haben das Grundgesetz geändert. Wir haben die Möglichkeit der Verteidigungsfinanzierung oberhalb von einem Prozent des BIP erweitert, unabhängig von der Schuldenbremse. Das ist eine Option, aber Geld allein ist nicht die Antwort.
Für Europa muss gelten: Wir brauchen vereinfachte Standards; wir brauchen vereinfachte Systeme, angepasste Standards, und wir brauchen gemeinsam vor allen Dingen Stückzahlen. Wir könnten für unser Geld, das wir zurzeit getrennt ausgeben, in einem europäischen Binnenmarkt der Verteidigungsindustrie sehr viel höhere Effizienzen erzielen, wenn wir gemeinsame Stückzahlen produzierten. Vereinfachung, Simplifikation, Standardisierung und Stückzahlen sind aus meiner Sicht wirklich Erfolgsvoraussetzungen dafür. Ohne das ergibt es keinen Sinn, einfach nur über Geld zu reden. Darüber bin ich mir mit den Institutionen einig. Ich freue mich auf die Diskussionen – auch mit der Kommission – im Europäischen Rat.
Ich will es ausdrücklich sagen: So ein Tag wie heute ist natürlich auch ein Tag zur Freude, 75 Jahre Schuman-Plan, 75 Jahre Entwicklung der Europäischen Union. Aber es ist noch viel mehr ein Arbeitsauftrag an uns alle, dafür zu sorgen, dass diese Europäische Union auch in Zukunft als das große Projekt des europäischen Kontinents für Frieden, Freiheit und Wohlstand Erfolg hat. Daran werde ich auch als Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland in Deutschland arbeiten, aber auch und ganz besonders mit den europäischen Partnern und den europäischen Institutionen.
Herzlichen Dank.
Lesen Sie hier die Fragerunde im Anschluss:
Frage: Ich werde meine Fragen auf Deutsch stellen. – Herr Bundeskanzler, Sie haben in der vorigen Pressekonferenz gesagt, dass die Zurückweisungen an den deutschen Grenzen, die Sie angeordnet haben, im Einklang mit europäischem Recht stünden. Das europäische Recht sieht vor, dass im Regelfall der Staat, in dem ein Asylgesuch gestellt wird, prüfen muss, wer zuständig ist. Von dieser Regelung weichen Sie jetzt ab.
Könnten Sie bitte erläutern, warum Sie glauben, dass diese Abweichung zulässig ist und wie Sie sie gegenüber der EU-Kommission begründen werden, und zwar in einer Zeit - das hat die Präsidentin erläutert –, in der die Zahlen sowohl der irregulären Einreisen als auch der Asylgesuche, die in Deutschland gestellt werden, deutlich zurückgegangen sind?
Eine Frage an die Präsidentin der Kommission: Teilen Sie diese Einschätzung des Bundeskanzlers, dass die Zurückweisungen im Einklang mit europäischem Recht erfolgen? Wenn nicht, werden Sie die Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens gegen Deutschland prüfen?
Bundeskanzler Merz: Ich will es gern sehr klar beantworten. Es sind zwei verschiedene Ebenen. Die eine Ebene ist, dass wir in Europa grundsätzlich natürlich die Möglichkeit haben, Grenzkontrollen auszuüben, und dass wir von diesem Recht auch immer wieder Gebrauch machen, wobei ich hinzufügen will: Ich bin ein nachhaltiger und dauerhafter Befürworter des europäischen Binnenmarktes und auch des Schengen-Raumes. – Ich möchte das auch allen Staats- und Regierungschefs in der Europäischen Union sagen, die in diesen Tagen vielleicht die Sorge haben, dass es hier zu Einschränkungen kommt. Wir wollen unter allen Umständen vermeiden, dass es zu Einschränkungen im Grenzverkehr, im Personenverkehr über die Binnengrenzen kommt. Das ist eine große Errungenschaft des Binnenmarktes und auch des Schengen-Raumes, und das wollen wir beibehalten.
Wir haben allerdings in Europa in den Dublin-Verordnungen auch die Regel, dass diejenigen, die Asyl beantragen, dies in dem Land des Erstzutritts tun müssen, und das ist per definitionem im Regelfall nicht Deutschland. Wir haben bis auf die Schweiz keine europäischen Außengrenzen, und die Schweiz gehört zum Schengen-Raum dazu. Insofern ist die Beantragung eines Asylverfahrens, und zwar unabhängig davon, ob es nach europäischem oder nach deutschem Asylrecht geht, an einer deutschen europäischen Binnengrenze in der Regel nicht möglich. Insofern hat es bereits auch unter der früheren Bundesregierung diese Zurückweisungen gegeben. Wir setzen das fort.
Wir wissen, dass das immer nur zeitlich begrenzt möglich ist. Ich habe deswegen vor allem dem polnischen Ministerpräsidenten bei meinem Besuch vorgestern in Warschau zugesagt, dass wir die Sicherung der europäischen Außengrenzen natürlich nicht allein denen überlassen, die europäische Außengrenzen haben. Diese europäischen Außengrenzen sind nicht polnische Außengrenzen oder andere, sondern es sind gemeinsame europäische Außengrenzen, zu deren Schutz wir als Deutsche, die wir keine europäischen Außengrenzen außer zur Schweiz haben, genauso verpflichtet sind wie alle anderen. Wir stellen uns dieser Verantwortung. Wir wissen allerdings auch, dass wir das Problem der irregulären Migration im Verwaltungsvollzug ganz überwiegend nur in den Mitgliedstaaten selbst lösen können, und deswegen hat der Bundesinnenminister mit den Anordnungen, die er gestern in Berlin getroffen hat, meine volle Unterstützung. Das entspricht genau dem, was wir in der Sache für richtig und rechtlich für zulässig halten.
Präsidentin von der Leyen: Wenn ich da etwas hinzufügen darf: Beim gegenwärtigen Sachstand können die Mitgliedstaaten an den Binnengrenzen Grenzkontrollen einführen. Das muss innerhalb der Regeln geschehen, die zu diesem Bereich gehören, es muss zeitlich begrenzt sein, und es muss eng mit der Kommission koordiniert werden. Kommissar Magnus Brunner hatte gestern ein Telefongespräch mit dem deutschen Innenminister. Aber es muss auch mit den Nachbarstaaten eng koordiniert werden, und Deutschland diskutiert das in engem Kontakt mit den Nachbarländern.
Was ist das Dilemma? Im Moment arbeiten wir immer noch mit dem sogenannten alten Rechtsrahmen. wenn ich den so nennen darf, und dieser hat seine Schwächen; das wissen wir. Deswegen haben wir uns auf das neue Asyl- und Migrationspaket geeinigt. Das sieht anders aus. Das stärkt die gemeinsamen europäischen Außengrenzen viel mehr, und damit hat man einen einheitlichen Ansatz für die Einreisebedingungen in die EU. Sie kennen den Screening-Mechanismus, all dies.
Zweitens wird da das feine Gleichgewicht der Verantwortung in der EU und der Solidarität austariert, und das ist eben so schwierig. Wir haben die Schwäche des alten Rechts, aber das neue ist noch nicht umgesetzt. Das alte Recht würde hier keine Probleme schaffen, sondern Lösungen bieten. Man muss natürlich an diesen Lösungen arbeiten, sie umsetzen. Das ist harte Arbeit, das unterschätze ich keineswegs. Aber dies ist das Dilemma, in dem wir uns im Moment befinden; daher auch mein Aufruf, dieses neue Asyl- und Migrationspaket so schnell wie möglich umzusetzen. Viele der offenen Fragen werden damit gelöst.
Frage: Ich habe eine Frage zum Handel an Sie beide, insbesondere an Präsidentin von der Leyen. Können Sie uns vielleicht auf den neuesten Stand bringen, falls bei diesen technischen Gesprächen in dieser Woche Fortschritte erzielt wurden? Sondiert man ein bisschen die „landing zone“, also etwas, das dann in einem konkreten Vorschlag der Kommission gegenüber der Trump-Regierung münden könnte, oder was glauben Sie? Könnte uns eine neue Liste – diese 95 Milliarden an Waren der USA – dieser gütlichen, ausgehandelten Einigung näherbringen?
Dann habe ich eine zweite Frage an den Kanzler. Nachdem Präsident Trump gestern gesagt hat, Sie seien ein fantastischer Politiker, glauben Sie, dass Sie einem Besuch im Weißen Haus schon näher sind? Wann könnte das sein?
Präsidentin von der Leyen: Danke, ich höre gerne Komplimente, insgesamt!
Zu den Verhandlungen: Es ist wie immer. Nichts ist also ausgehandelt, bis nicht alles ausgehandelt ist. Das sind die einfachen Verhandlungsregeln. Dann Details herauszugeben, bevor das ganze Paket fertig verhandelt ist, das geht nicht. Daher kann ich nicht ins Detail gehen. Wir besprechen dieses „scoping paper“, aber alle Verhandlungen müssen ja irgendwann zu Ende gehen.
Zu dieser Liste der Ausgleichsmaßnahmen der 95 Milliarden, die Sie erwähnt haben: Wir waren von Anfang an immer transparent. Wir haben immer gesagt, dass wir ausgehandelte Lösungen vorziehen. Aber wir entwickeln auch Gegenmaßnahmen, Schutzmaßnahmen. Das ist jetzt der Prozess, in dem wir diese Gegenmaßnahmen entwickeln müssen, um dieses Instrument auf den Tisch zu legen. Wir haben andere Instrumente auf dem Tisch liegen. Wir werden nichts vom Tisch nehmen, bevor wir hier nicht ein zufriedenstellendes Ergebnis haben.
Ich hatte gute Gespräche mit Präsident Trump am Telefon und beim Begräbnis des Papstes, aber es ist für mich wichtig, dass wir, wenn ich ins Weiße Haus fahre, ein vereinbartes Paket brauchen, und wir benötigen eine Lösung, auf die wir uns beide einigen können. Das ist die Arbeit, an der wir arbeiten.
Bundeskanzler Merz: Bezüglich der Handelspolitik haben wir überhaupt keine unterschiedlichen Auffassungen. Es ist auch meine Meinung, dass wir Verhandlungslösungen mit der amerikanischen Regierung erreichen sollten. „Wir“ heißt hier immer Europa, die Europäische Union, und nicht einzelne Mitgliedstaaten. Deswegen werde ich auch meinen Besuch in Washington, der noch nicht terminiert ist, aber der bevorsteht, sehr eng mit der EU-Kommission abstimmen und auch die Positionen vertreten, die die EU-Kommission im Auftrag aller Mitgliedstaaten der Europäischen Union zur Handelspolitik vertritt. Ich werde der amerikanischen Regierung deutlich machen, dass es hier keine Unterschiede in der Bewertung und auch im politischen Zugang zu diesen Themen zwischen der Bundesregierung beziehungsweise der Bundesrepublik Deutschland und der EU-Kommission gibt. Wir müssen hier eine gemeinsame Position vertreten, und das, was die Kommissionspräsidentin dazu heute gesagt hat, und das, was sie in den letzten Wochen dazu auch mit der Kommission entschieden hat, stößt auf unsere volle Unterstützung.
Frage: Herr Bundeskanzler, ich würde Sie gerne noch einmal zu dem Thema der Finanzierung der Verteidigungsfähigkeit der EU befragen. Ihr Vorgänger hat ja die Aufnahme gemeinsamer Schulden immer sehr strikt abgelehnt. Erster Teil der Frage: Ist das auch Ihre Haltung?
Zweiter Teil: Falls ja, würden Sie dann im Zweifelsfall dafür plädieren, dass man zum Beispiel im Rahmen des regulären EU-Haushalts Mittel frei macht, etwa indem man bei Kohäsionsmitteln oder Agrarsubventionen kürzt?
Bundeskanzler Merz: Ich teile die Auffassung der früheren Bundesregierung grundsätzlich, dass wir es nicht zum Normalfall werden lassen dürfen, dass in der Europäischen Union Schulden gemacht werden. Wir hatten die Ausnahmesituation, insbesondere mit Corona. Wir haben jetzt eine neue große Herausforderung. Das ist die Herstellung oder Wiederherstellung der Verteidigungsfähigkeit der Europäischen Union. Wir suchen hier nach Wegen der Finanzierung. Ich will den Ergebnissen der Beratungen innerhalb der Bundesregierung und auch mit der EU-Kommission hier nicht vorgreifen. Aber es muss beim Regelfall bleiben, dass die Europäische Union nur im Ausnahmefall Schulden aufnimmt. Das ist Gegenstand des EU-Vertrages.
Das ist aber aus meiner Sicht auch einfach geboten, um die Refinanzierungsfähigkeit der nationalen Haushalte – die Schuldentragfähigkeit, wie wir so schön sagen – zu gewährleisten. Ich mache mir schon einige Sorgen über die ständig steigende Staatsverschuldung auf der ganzen Welt, nicht nur in Europa, sondern zum Beispiel auch in Amerika, und ich stelle mir schon die Frage, wie lange die Refinanzierung nicht nur der Schulden selbst, sondern auch die Finanzierung der Zinsen möglich ist. Wir können uns hier nicht unbegrenzt verschulden. Insofern ist das sozusagen der Rahmen, innerhalb dessen wir uns bewegen. Aber wir werden hier nach gemeinsamen Lösungen suchen, suchen müssen.
Ich will allerdings noch einmal betonen, dass es ist nicht allein eine Frage des Geldes ist, sondern auch eine Frage der Effizienz ist, und Effizienz hat für mich drei große Buchstaben: dreimal das große S – Standardisierung, Simplifizierung und Stückzahl. Da müssen wir einfach besser werden, und das wird für mich eine der ganz wesentlichen Punkte auch in der Diskussion der nächsten Tage, Wochen und Monate sein.
Präsidentin von der Leyen: Vielen Dank!
Bundeskanzler Merz: Vielen Dank!
Präsidentin von der Leyen: Dann einen schönen Europatag!