Bundeskanzler Scholz im Gespräch mit der „Yonhap News Agency“
Im Interview mit der „Yonhap News Agency“ spricht Bundeskanzler Olaf Scholz unter anderem über die Spannungen im Indo-Pazifik, die große Bedeutung von Erinnerungskultur und Deutschlands Partnerschaft zu Südkorea.
- Interview mit Bundeskanzler Olaf Scholz
- Yonhap News Agency
Die Lage auf der koreanischen Halbinsel verschlimmert sich kontinuierlich. Nordkorea sorgt mit vermehrten Waffentests für Aufsehen. Korea und die USA haben als Reaktion darauf weitere militärische Schritte beschlossen. Die Denuklearisierung Nordkoreas ist ein gewichtiges Bestreben Südkoreas. Wie steht Deutschland als enger Verbündeter mit Erfahrung der nationalen Teilung und Wiedervereinigung dazu? Können Sie sich Deutschland im Denuklearisierungsprozess in der Vermittlerrolle vorstellen und wie würde diese aussehen? Berlin war zwischen 2000 und 2010 eine wichtige Stätte für informellen Kontakt und Austausch zwischen Nordkorea und den USA.
Bundeskanzler Olaf Scholz: Deutschland verfolgt die Raketentests Nordkoreas mit Sorge und verurteilt diese Drohgebärden auf das Schärfste. Mit diesen Tests verstößt Nordkorea gegen Völkerrecht und geltende Resolutionen des VN-Sicherheitsrates. Sie sind durch nichts gerechtfertigt. Um den Druck auf das Regime in Pjöngjang zu erhöhen, setzen wir in der EU auf Sanktionen gegen Nordkorea. Sie sind so ausgerichtet, dass sie nicht die notleidende Bevölkerung treffen, sondern die Führungsriege. Gleichzeitig scheint es uns wichtig, Gesprächskanäle zur nordkoreanischen Regierung offen zu halten. Deshalb begrüßen wir alle Bemühungen Südkoreas, Möglichkeiten für einen Dialog mit Nordkorea zu schaffen. Wir sind bereit, Initiativen für einen Dialog zu unterstützen.
Neben dem Ukraine-Krieg, der sich auf dem europäischen Kontinent abspielt, übt China Druck auf Taiwan aus, so dass die Spannungen im Indopazifischen Raum stetig ansteigen. Durch die Bemühungen von südkoreanischer Seite konnten Annäherungen zwischen Südkorea und Japan verbucht werden. Wie schätzen Sie die Situation im Indopazifischen Raum ein und was für Maßnahmen könnten Deutschland und/oder seine engen Verbündeten Korea und Japan zur Deeskalation beitragen?
Scholz: Die Bundesregierung begrüßt die Annäherungen zwischen Südkorea und Japan ausdrücklich. Für solche Initiativen braucht es politischen Mut und kluge Weitsicht – ich werde Präsident Yoon meine ausdrückliche Hochachtung für die Politik aussprechen. Japan und Südkorea sind enge Partner für uns, wir teilen Werte und Ziele. Gerade mit Blick auf die Lage im Indo-Pazifik ist es wichtig, dass beide Länder eng zusammenarbeiten. Deutschland, Südkorea und Japan sind fest überzeugt, dass Konflikte weltweit nach den Regeln des internationalen Rechts – hier speziell entlang des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen – gelöst werden sollten. Es gilt die Stärke des Rechts, nicht das Recht des Stärkeren.
Auch der russische Angriffskrieg auf die Ukraine wird sicherlich als ein Gesprächspunkt mit dem koreanischen Präsidenten aufgegriffen werden. Hoffen Sie auf eine Änderung der Haltung der koreanischen Seite was die Waffenlieferung betrifft?
Scholz: Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine ist ein eklatanter Bruch des Völkerrechts. Wer sich über zentrale Prinzipien der Charta der Vereinten Nationen hinwegsetzt, sägt am Fundament der internationalen Ordnung. Die Welt darf nicht zulassen, dass Putins neoimperialer Feldzug Erfolg hat. Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Völkerrecht sind Prinzipien, die uns mit Südkorea eng verbinden. Wir sind dankbar, dass wir gemeinsam für staatliche Souveränität und friedliche Konfliktbeilegung weltweit einstehen, dass Südkorea sich an den Sanktionen gegen Russland beteiligt und die Ukraine humanitär unterstützt. Jeder Staat entscheidet eigenständig, in welcher Form er die Ukraine unterstützt.
Das Bild von Willy Brandt und dem Kniefall von Warschau haben viele Koreaner vor dem geistigen Auge und nach wie vor gilt Willy Brandt als Ikone für historische Aufarbeitung in Korea. Warum ist, Ihrer Meinung nach, geschichtliche Aufarbeitung wichtig? Was sind die Leitsätze der Aufarbeitung der deutschen Geschichte? Kann es Ihrer Meinung nach eine endgültige, unwiderrufliche Vereinbarung geben, was die Thematik Aufarbeitung von Geschichte betrifft?
Scholz: Die Aufarbeitung von Geschichte ist in Deutschland eine zentrale und gesamtgesellschaftliche Aufgabe. An erster Stelle stehen dabei für uns in Deutschland die Erinnerung und Aufarbeitung der furchtbaren Verbrechen des Holocausts. Auch über andere Aspekte deutscher Geschichte wie die kommunistische Diktatur in der DDR, die deutsch-deutschen Beziehungen und die Wiedervereinigung kommen wir immer wieder ins Gespräch. Aufarbeitung im Dialog miteinander leistet dabei einen wichtigen Beitrag zu unserem deutschen Selbstverständnis als Gesellschaft. Einen „Schlusspunkt“ soll und kann es dabei aus unserer Sicht nicht geben, da die Erinnerung bewahrt und um die Perspektiven folgender Generationen erweitert werden muss. Fortwährendes Ziel jeder Aufarbeitung ist für uns, dass wir Lehren aus der Vergangenheit ziehen und Verantwortung für die Gestaltung unserer Zukunft in Freiheit und Demokratie übernehmen.
Auch Deutschland und die EU befinden sich in der Aufholjagd in der Halbleiter-Industrie. Intel und TSMC haben bereits angekündigt, nach Deutschland zu expandieren. Was sind konkrete Ziele Deutschlands die Halbleiter-Industrie betreffend? Könnten Sie sich eine Zusammenarbeit in dieser Sparte mit Korea vorstellen? In welchen weiteren Industriezweigen (Digitalisierung, Wasserstoff, Automobilbranche) können Sie sich eine vermehrte wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Korea vorstellen? Auch mit Blick auf De-Risking von China?
Scholz: Bei grundlegenden Schlüsseltechnologien wie der Mikroelektronik verfolgt die Bundesregierung das Ziel, technologische Souveränität, Versorgungssicherheit und die Resilienz von Lieferketten zu stärken. Wir wollen die Kapazitäten für Forschung, Entwicklung, Design und Produktion fortschrittlicher und nachhaltiger Mikrochips am Standort Deutschland und in Europa steigern. Die Zusammenarbeit mit Südkorea leistet dafür einen wichtigen Beitrag. Mit dem Freihandelsabkommen zwischen der EU und Südkorea haben wir einen wichtigen Grundstein gelegt und hoffen auf ein baldiges modernisiertes Abkommen, um unsere Wirtschaftsbeziehungen weiter auszubauen. Schließlich verfügt Südkorea über eine hochentwickelte Halbleiter-Industrie mit hochinnovativen Akteuren. Die Bundesregierung begrüßt jedes Interesse von Unternehmen, in den Halbleiterstandort Deutschland zu investieren. Im Rahmen eines bilateralen Digitaldialogs wollen wir auch in diesem Bereich die Kooperation stärken. In anderen Zukunftstechnologiebereichen wie den erneuerbaren Energien und Wasserstoff besteht eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit Südkorea, die wir weiter vertiefen. Insbesondere der beschleunigte Aufbau einer globalen Wasserstoffwirtschaft ist wichtig, um unsere industriellen Prozesse von klimaschädlichen Gasen zu befreien.