Rede von Bundeskanzlerin Angela Merkel anlässlich der 51. Münchner Sicherheitskonferenz

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Sehr geehrter Herr Ischinger,
werte Staats- und Regierungschefs,
Repräsentanten,
Exzellenzen,
meine Damen und Herren,

die Ukraine-Krise, der IS-Terror im Irak und in Syrien, die Ebola-Epidemie – allein diese drei Stichpunkte zeigen, dass das vergangene Jahre viel Leid und Zerstörung für Menschen in ganz unterschiedlichen Regionen dieser Welt mit sich gebracht hat. Und es brachte damit auch besorgniserregende Herausforderungen für die internationale Sicherheitspolitik. Deshalb ist es richtig, dass Sie, Herr Ischinger, die Frage nach dem Zustand der internationalen Ordnung in den Mittelpunkt der Diskussion heute Morgen und gestern gestellt haben.

In diesem Jahr 2015 erinnern wir an historische Zäsuren.

Erstens: Vor genau 70 Jahren endeten der von Deutschland entfesselte Zweite Weltkrieg und der Zivilisationsbruch der Schoah. Nach diesem Grauen, nach Jahrzehnten und Jahrhunderten des Blutvergießens konnte eine neue Ordnung der internationalen Beziehungen geschaffen werden, die das friedliche Zusammenleben der Völker dauerhaft sichern sollte. Wesentliche Elemente dieser Ordnung sind die Vereinten Nationen, die Nordatlantische Allianz und auch die Europäische Union.

Zweitens: Vor 40 Jahren wurde die KSZE-Schlussakte in Helsinki unterzeichnet. Mit ihr wurden die Unverletzlichkeit der Grenzen, die friedliche Regelung von Streitfällen und die Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten anerkannt. Das war ein wichtiger Meilenstein auf dem langen Weg zur Überwindung des Kalten Krieges.

Drittens: Vor genau 25 Jahren wurde der Zwei-plus-Vier-Vertrag unterzeichnet und die Deutsche Einheit vollendet. Beides markierte nicht nur einen Wendepunkt der deutschen Geschichte, es markierte auch einen Neuanfang in den Beziehungen zwischen Ost und West. Deutschland – das möchte ich an dieser Stelle noch einmal ganz ausdrücklich sagen – ist den Völkern Ost- und Mitteleuropas für immer dafür dankbar, dass sie mit ihrem mutigen und aufrechten Eintreten für ihre Freiheit und Unabhängigkeit auch Deutschland den Weg zur Einheit in Frieden und Freiheit geebnet haben.

Meine Damen und Herren, seit mehr als einem Jahr erleben wir nun in der Ukraine-Krise, dass die Grundlagen der europäischen Friedensordnung keineswegs selbstverständlich sind. Denn Russlands Vorgehen – erst auf der Krim, dann in der Ostukraine – hat diese Grundlagen unseres Zusammenlebens in Europa verletzt. Die territoriale Integrität der Ukraine wird ebenso missachtet wie ihre staatliche Souveränität. Das Völkerrecht wird gebrochen.

Nach dem schrecklichen Balkankrieg in den 90er Jahren müssen wir wieder erleben, was es bedeutet, wenn Frieden und Stabilität in Europa keine Selbstverständlichkeit sind und der Einsatz von Gewalt bittere Realität.

Russlands Vorgehen steht im Widersprich zu den Verpflichtungen etwa aus der KSZE-Schlussakte oder – und das vor allen Dingen – dem Budapester Memorandum, in dem damals versichert wurde – durch die Vereinigten Staaten von Amerika, Großbritannien und Russland –, dass die territoriale Integrität der Ukraine geschützt wird und die Ukraine in der Folge ihre nukleare Bewaffnung aufzugeben hat.

Gerade wenn ich mich an bestimmte Gespräche auch hier am Rande dieser Sicherheitskonferenz erinnere: Wer wird seine nukleare Kapazität aufgeben, wenn wir nicht sicherstellen können, dass territoriale Integrität akzeptiert wird? Deshalb macht die Europäische Union gemeinsam mit ihren transatlantischen Partnern deutlich, dass eine Politik, die auf eine gewaltsame Veränderung der Grenzen in Europa abzielt, im 21. Jahrhundert keinen Platz haben darf. Wir machen deutlich, dass internationales Recht eingehalten werden muss. Niemand von uns hat ein Interesse an einer neuen Spaltung in Europa und schon gar nicht an einer Konfrontation mit dem Risiko unkontrollierbarer Eskalation.

Wir wollen Sicherheit in Europa gemeinsam mit Russland gestalten, nicht gegen Russland. Das gilt für die europäische und die transatlantische Sicherheitsordnung. Das gilt auch für die Bewältigung gemeinsamer internationaler Herausforderungen – von der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen bis hin zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus. Die E3+3-Verhandlungen zur Lösung des Nuklearkonflikts mit dem Iran und die Beseitigung syrischer Chemiewaffen belegen, dass trotz aller Krisen eine Zusammenarbeit mit Russland bei wichtigen Themen gelingen kann.

Diese Beispiele zeigen übrigens auch, dass die internationale Ordnung positive Wirkung entfalten kann. Das setzt allerdings den Willen aller Beteiligten voraus, in Grundprinzipien dieser Ordnung immer eindeutig zu sein, an diesen Grundprinzipien festzuhalten und sich an der Umsetzung messen zu lassen. Dazu muss Russland auch in der Ukraine-Krise seinen Beitrag leisten. Militärisch ist diese Krise nicht zu lösen.

Deshalb gilt es jetzt mehr denn je, substantielle Schritte festzulegen, die dazu dienen, das Minsker Abkommen mit Leben zu füllen. Diesem Ziel dienen auch unsere Gespräche; auch die gegenwärtigen in Kiew und Moskau. Ich freue mich, dass Präsident Poroschenko an dieser Sicherheitskonferenz teilnimmt. Ich sage aber – auch nach den Gesprächen gestern in Moskau, die der französische Präsident und ich geführt haben: Es ist ungewiss, ob sie Erfolg haben. Aber es ist aus meiner Sicht und auch der Sicht des französischen Präsidenten auf jeden Fall wert, diesen Versuch zu wagen. Ich glaube, wir schulden es schon allein den betroffenen Menschen in der Ukraine.

Wer langfristig Sicherheit, Stabilität und das Wohlergehen seiner Bevölkerung sichern will, muss als Teil der internationalen Gemeinschaft die Regeln dieser internationalen Gemeinschaft akzeptieren. Wir in Europa werden uns gemeinsam mit unseren Partnern immer für unsere Werte und die europäische Friedensordnung einsetzen.

Vor diesem Hintergrund sind auch die Beschlüsse des NATO-Gipfels in Wales im letzten Jahr zu sehen, mit denen die NATO den Grundstein für eine erhöhte Einsatzbereitschaft der Reaktionskräfte des Bündnisses gelegt hat. Wir rücken damit die kollektive Verteidigung wieder in den Fokus der Allianz, auch mit Blick auf die potentiellen Bedrohungen der sogenannten hybriden Kriegsführung.

Gerade unsere östlichen Partner zählen darauf. Ihre Sorgen um die Sicherheit sind unser aller Sorgen. Deshalb wird Deutschland gemeinsam mit den Niederlanden und Norwegen in den kommenden zwölf Monaten als Rahmennation für die im Aufbau befindliche schnell verlegbare NATO-Eingreiftruppe fungieren und substantiell zu ihrem Testlauf beitragen. Und im Verbund mit Dänemark und Polen werden wir das multinationale Hauptquartier in Stettin zu einer Drehscheibe für künftige regionale Kooperation und Bündnisverteidigung ausbauen. Damit übernehmen wir direkte Verantwortung für die Sicherheit unserer Bündnispartner und für die Sicherheit unserer Nachbarn in Ost- und Mitteleuropa.

Gerade weil die NATO eine Wertegemeinschaft ist, geht die Bedeutung von Artikel 5 über Absichtsbekundungen hinaus. Die Solidarität der Bündnispartner ist keine Nützlichkeitserwägung, sondern sie gründet auf gemeinsamen Werten und auf gemeinsamen Überzeugungen. Und deshalb ist es für uns von zentraler Bedeutung, sie glaubwürdig auszugestalten.

Gleichzeitig müssen wir daran arbeiten, die Instrumente kooperativer Sicherheit in Europa wieder herzustellen und sie zu stärken. Hierbei kommt der OSZE eine besondere Rolle zu. Als ein Forum für Dialog und Vertrauensbildung in Europa hat die OSZE im letzten Jahr ihre Werte nachdrücklich unter Beweis gestellt. Um zur Vertrauensbildung und Kooperation zurückzukehren, wird es entscheidend darauf ankommen, dass sich alle Teilnehmerstaaten zu den OSZE-Prinzipien bekennen – und zwar in Wort und Tat.

Wir wollen das gemeinsame Verständnis für diese Prinzipien erneuern, die dafür stehen, dass Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa am Ende nur durch Dialog, Kooperation und Vertrauensbildung möglich sind. Voraussetzung dafür – und das unterstreiche ich noch einmal in aller Deutlichkeit – ist, dass wir die Grundlagen unserer europäischen Nachkriegs- und Friedensordnung ohne jeden Abstrich erhalten beziehungsweise wieder herstellen. Sie lauten erstens: Die Grenzen Europas sind und bleiben unverrückbar. Und zweitens: Die Völker Europas sind und bleiben frei, ihre Zukunft selbst zu bestimmen. Um diese Sätze ist lange verhandelt worden im KSZE-Prozess.

Diese Überzeugung leitet uns, wenn wir uns dafür einsetzen, dass auch in den Staaten des Balkans Demokratie, Freiheit und Selbstbestimmung zu langfristiger Stabilität, Sicherheit und Wohlstand führen können. Protektionismus und Abschottung sind gescheiterte Rezepte der Vergangenheit. Sie passen nicht in unsere heutige, von Freihandelsabkommen geprägte Zeit.

Deshalb werden wir uns von deutscher Seite auch mit aller Entschiedenheit für den Abschluss eines Freihandelsabkommens mit den Vereinigten Staaten von Amerika einsetzen. Denn wir wollen nicht zusehen, wie der gesamte asiatische Raum ein Freihandelsabkommen nach dem anderen abschließt und Europa hierbei zurückfällt. Aber es wird ein hartes Stück Arbeit.

Die Haltung, dass Protektionismus und Abschottung Themen sind, die der Vergangenheit angehören, stellt die Europäische Union auch mit ihren transatlantischen Partnern z.B. durch die langfristig angelegten Kooperationsprojekte dar, die wir bei der Westbalkan-Konferenz auf den Weg gebracht haben, oder auch durch die substanzielle Unterstützung der ukrainischen Bevölkerung.

Auch wir sind sehr daran interessiert, dem langfristigen Ziel eines gemeinsamen Wirtschaftsraums von Wladiwostok über Lissabon bis Vancouver näher zu kommen. Ich unterstütze dazu notwendige Gespräche auch zwischen der EU-Kommission und der Eurasischen Union. Aber ich ergänze: Voraussetzung für solche Gespräche und erst recht für den Erfolg ist natürlich die Überwindung der Ukraine-Krise auf der Grundlage des internationalen Rechts.

Meine Damen und Herren, auch die südliche Nachbarschaft Europas macht uns große Sorge. Sie ist von Umbrüchen, Fragilität und Staatszerfall gekennzeichnet. Allein der Bürgerkrieg in Syrien hat in den letzten vier Jahren mehr als 220.000 Todesopfer gefordert. Unzählige Zivilisten, Frauen und Kinder sind Opfer der Gewalt geworden. Millionen Menschen sind auf der Flucht. Den Nachbarländern – dem Libanon, der Türkei und Jordanien – schuldet die internationale Staatengemeinschaft großen Dank. Denn sie gehen mit der Aufnahme der Flüchtlinge bis über die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit hinaus. Alle unsere Hilfestellungen sind angesichts des Leids der Bevölkerung natürlich wirklich bestenfalls Hilfestellungen. Es ist eine riesige Herausforderung.

Die Implosion der staatlichen Ordnung in Syrien hat gravierende Auswirkungen auf die Region. Die Terrorgruppe IS bedroht die Stabilität Syriens, des Irak und der ganzen Region. IS verfolgt und ermordet alle Menschen, die sich seinem Herrschaftswillen nicht unterwerfen, und agiert dabei grenzüberschreitend.

Ähnliches müssen wir derzeit in Westafrika beobachten. Die Terrorgruppe Boko Haram nutzt die Schwäche staatlicher Strukturen aus, profitiert von der tatsächlichen oder vermeintlichen Benachteiligung breiter Bevölkerungsschichten und tyrannisiert unschuldige Menschen über die Landesgrenzen Nigerias hinweg mit barbarischem Terror. Die internationale Staatengemeinschaft, zahlreiche arabische und muslimische Staaten eingeschlossen – das ist eine gute, positive Botschaft im Sinne der internationalen Ordnung –, stellt sich diesem Morden entschlossen entgegen.

Es ist sowohl ein Gebot der Menschlichkeit als auch in unserem ureigenen deutschen Interesse, hierzu einen substanziellen Beitrag zu leisten. Deshalb hat der Deutsche Bundestag vor einer Woche einer Ausbildungsmission der Bundeswehr für den Nordirak zugestimmt. Gemeinsam mit einer Reihe internationaler Partner – den USA, Italien, den Niederlanden und vielen anderen – wollen wir die irakischen und kurdischen Sicherheitskräfte dabei unterstützen, den Terror des IS abzuwehren.

Wir haben uns auch dazu bereiterklärt, afrikanischen Staaten in ihrem Kampf gegen Boko Haram beizustehen. Wir tun dies – wie übrigens auch in Mali – in der Überzeugung, dass sicherheitspolitische Bedrohungen unseres Landes nicht erst an unseren Grenzen beginnen. Staatenzerfall, Armut, Terrorismus und Epidemien mögen weit vor unseren Toren ihren Ursprung haben. Es wäre aber ein Irrglaube, dass sie ohne Auswirkungen auf Europa und unser Land bleiben könnten.

Wie unmittelbar uns der internationale Terrorismus bedroht, das haben nicht zuletzt die Terroranschläge auf Journalisten der Satirezeitschrift Charlie Hebdo, auf Polizisten und auf Kunden eines koscheren Supermarkts in Paris vor wenigen Wochen gezeigt.

Die Antwort der internationalen Staatengemeinschaft ist, den islamistischen Terror weiter entschlossen zu bekämpfen. Deshalb nutzt Deutschland beispielsweise auch die gegenwärtige deutsche G7-Präsidentschaft dazu, weiterhin intensiv daran zu arbeiten, den Strom an Finanzen und Kämpfern für den internationalen Terrorismus nachhaltig einzudämmen.

Auch innerstaatlich ergreifen wir wichtige Maßnahmen, um z.B. die Ausreise von Kampfwilligen aus Deutschland zu unterbinden und terroristische Gruppierungen strafrechtlich zu verfolgen. So wird sich künftig strafbar machen, wer Deutschland verlassen will, um sich an schweren staatsgefährdenden Gewalttaten im Ausland zu beteiligen oder hierfür ausbilden zu lassen. Im Januar hat die Bundesregierung einen Gesetzentwurf beschlossen, mit dem Dschihadisten künftig der Personalausweis entzogen werden kann, um ihre Ausreise zu verhindern. Außerdem werden wir einen neuen eigenen Tatbestand der Terrorismusfinanzierung einführen.

Wir stehen in diesem Kampf Seite an Seite mit der ganz überragenden Mehrheit der Muslime Europas, die nichts gemeinsam haben mit Terrorismus. Gerade in Deutschland haben die islamischen Gemeinden und Verbände klar und deutlich ihre Stimme erhoben gegen den Missbrauch ihrer Religion für Hass und Gewalt.

Meine Damen und Herren, die Anschläge in Paris, die grenzüberschreitende Ebola-Epidemie, die Flüchtlingskrisen im Mittelmeer – sie lassen uns spüren, wie sehr außen- und sicherheitspolitische Fragen auf die innere Verfasstheit unserer Gesellschaften zurückwirken. Die Krisen in Westafrika, im Maghreb, am Horn von Afrika, im Jemen und andernorts zeigen, wie sehr die Entwicklung ganzer Regionen davon abhängt, ob wir und wie wir grundlegende Sicherheit gewährleisten können. Menschen brauchen Sicherheit, um sich entfalten zu können. Staaten brauchen Sicherheit, um Entwicklung und Wohlstand zu fördern. Regionen brauchen Sicherheit, um gemeinsame Ordnungsstrukturen aufzubauen.

Umgekehrt gilt, dass viele dieser Krisen ihre Ursache in der desolaten inneren Verfasstheit einzelner Länder und Regionen haben. Regionale Konflikte, innerstaatliche Verteilungskämpfe, mangelnde Inklusivität politischer Prozesse, mangelhafte Bildungssysteme, unzureichende Gesundheitsvorsorge – all diese Aspekte beeinträchtigen die langfristige Stabilisierung, die reale oder gefühlte Legitimität von Regierungen und damit letztlich auch die Durchsetzung staatlicher Ordnung.

Die Bundesregierung ist daher überzeugt, dass wir auch in unserem Sicherheitsinteresse einen umfassenden Ansatz verfolgen müssen, um fragile Staaten und Regionen zu stabilisieren. Wir müssen helfen, funktionierende staatliche Strukturen zu festigen. Ein Aspekt ist die Funktionsfähigkeit der jeweiligen Sicherheitsinstitutionen. Auch sie müssen wir in unsere Bemühungen einschließen. Entwicklung und Sicherheit müssen Hand in Hand gehen.

Uns ist dabei die Ausbildung der Sicherheitskräfte sehr wichtig. Gleichzeitig müssen wir uns darum kümmern, dass diese Kräfte in materieller Hinsicht ausreichend ausgestattet sind, um ihrem Auftrag – und dazu zähle ich auch immer die Wahrung der Menschenrechte – wirklich gerecht werden zu können. Ich halte es für unverändert wichtig, dass wir die Ziele der Ausstattung und Ertüchtigung und einer entsprechenden Finanzierung konsequent weiterverfolgen. Der kommende Europäische Rat zur Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik im Juni wird uns dazu erneut Gelegenheit geben.

Für diese Ziele hat sich die internationale Gemeinschaft im vergangenen Jahrzehnt auch in Afghanistan intensiv und umfassend engagiert. Gemeinsam mit den Afghanen haben wir dort durchaus einiges erreicht. Wir haben ein Schul- und Gesundheitssystem geschaffen und die afghanische Armee und Polizei aufgebaut. Die Lebensqualität der Afghaninnen und Afghanen hat sich im Vergleich zu 2001 verbessert. Die Wirtschaftslage hat sich über die Jahre ordentlich entwickelt. Eine rege Zivilgesellschaft ist ebenso entstanden wie eine breite Medienlandschaft. Wir haben vor allem unser wichtigstes Ziel erreicht: Von Afghanistan geht heute keine internationale terroristische Bedrohung mehr aus.

Dennoch übersehen wir nicht, dass die alltägliche Sicherheitslage für die Menschen in Afghanistan alles andere als befriedigend ist. Auch sind Korruption und Drogenwirtschaft nicht ausreichend eingedämmt. Und ein echter Versöhnungsprozess steht weiter aus. Deshalb müssen wir jetzt alles daransetzen, das Erreichte zu erhalten und weiterzuentwickeln.

Dafür brauchen wir ein vernünftiges Maß an Realismus, fortdauerndes Engagement und strategische Geduld. Das alles ist eher eine Generationenaufgabe als eine Aufgabe weniger Jahre. Der afghanische Sicherheitssektor wird auch über 2016 hinaus substanzielle internationale Unterstützung benötigen und nicht nur finanzielle. Die Rahmenbedingungen hierfür werden wir in den kommenden Monaten gemeinsam mit unseren internationalen Partnern und mit der afghanischen Regierung schaffen.

Meine Damen und Herren, unsere heutige internationale Ordnung beruht auf der bitteren Erfahrung zweier Weltkriege. Sie bezieht ihre Kraft aus den Grundprinzipien des Rechts und der Freiheit und unserer Entschlossenheit, für diese Werte einzutreten und sie zu verteidigen. Sie ist das Fundament dafür, dass wir zumindest in Europa weitestgehend in Frieden und Stabilität leben.

In anderen Regionen sind die Aufgaben, vor denen wir stehen, immens. Gemessen daran, dass sich 1948 die allermeisten Länder der Menschenrechts-Charta der Vereinten Nationen angeschlossen haben und sich ihr verpflichtet haben, ist es mit der Einhaltung und Umsetzung dieser Prinzipien noch weit her. Das heißt, wir haben viel zu tun. Unsere internationale Ordnung ist seitdem nie starr gewesen. Sie ist es auch heute nicht. Sie wurde und sie wird stets weiterentwickelt – nicht durch ihre Missachtung, sondern durch intensives Engagement, durch gemeinsamen Dialog. Deutschland steht hierzu bereit. Herzlichen Dank.