Rede von Bundeskanzler Scholz beim 23. Deutschen Bankentag am 23. April 2024 in Berlin

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Sehr geehrter Herr Sewing,
sehr geehrter Herr Herkenhoff,
meine Damen und Herren,

ich freue mich, wieder beim Bankentag dabei zu sein, und das hier im Berliner Westhafen in unmittelbarer Nähe zu Wasser und Schiffen. Das gefällt mir als Hamburger besonders gut. Auch das dazugehörige Motto „Navigieren durch unruhige Zeiten“ ist treffend gewählt. Denn die Zeiten sind unruhig, und in rauer See kommt es besonders auf die Navigation an. Navigieren bedeutet im Seewesen zwei Dinge, erstens, den Standort eines Schiffes zu bestimmen und, zweitens, es auf dem richtigen Kurs zu halten.

Fangen wir mit dem Standort an. Wo stehen wir als Industrieland und als Volkswirtschaft, und wo stehen die Banken?

In der weltweiten Finanzkrise des Jahres 2008 standen die Banken im Fokus der Kritik. Heute können wir sagen: Gesetzgeber und Bankenaufsicht, aber besonders auch die Banken selbst haben aus der Finanzkrise gelernt. Sie haben weitreichende und wirksame Reformen durchgeführt. So hat etwa der Aufbau höherer Eigenkapitalpuffer die Widerstandsfähigkeit Ihrer Institute gestärkt. Anders als in der Finanzkrise 2008 sind die Banken heute nicht Teil des Problems, sondern Teil der Lösung. Als wir in der Coronapandemie und während der Energiekrise große Rettungs- und Stabilisierungsprogramme aufgelegt haben, waren Sie an unserer Seite und an der Seite Ihrer Kundinnen und Kunden. Sie haben Finanzierungen und Liquidität bereitgestellt und so ganz maßgeblich zur Krisenlösung beigetragen. Dafür will ich Ihnen heute ausdrücklich danken. Danke!

Aber wir brauchen starke Banken nicht nur als Krisenfeuerwehr. Ohne einen leistungsfähigen Finanzsektor keine Transformation. Das muss jedem klar sein. Denn der globale Umbau unserer Volkswirtschaften für das postfossile Zeitalter und die Digitalisierung unserer Gesellschaften erfordern und ermöglichen Investitionen, die überhaupt nur mit privatem Kapital zu leisten sind, in Form von Krediten, aber auch mit Kapitalbeteiligungen. Mario Draghi hat kürzlich die Zahl von 500 Milliarden Euro pro Jahr in den Raum gestellt. Das ist eine ganze Menge. Auch wenn man sich diese Zahl vielleicht nicht eins zu eins zu eigen machen muss, zeigt sich doch die Dimension der Aufgabe.

Zur Standortbestimmung gehört auch ein nüchterner Blick auf unsere Volkswirtschaft und ihre Wettbewerbsfähigkeit. Klar ist: Die Stagnation im vergangenen Jahr, 0,2 Prozent Wachstum in diesem Jahr ‑ das ist zu wenig; da geht mehr. Wenn wir es genau betrachten, dann sehen wir, dass es Gründe dafür gibt, zum Beispiel zuallererst externe Gründe. Die Weltkonjunktur kühlt sich ab. China wächst deutlich langsamer als früher. Wir mussten innerhalb weniger Monate vollständig auf die Energie aus Russland verzichten mit der Folge explodierender Energiepreise. Innerhalb eines Jahres sind die Leitzinsen von einem historisch außergewöhnlichen Tief um etwa vier Prozentpunkte gestiegen.

Daneben gibt es natürlich auch strukturelle Wachstumsthemen. Es fehlt nicht an Arbeit, aber an Arbeitskräften. Wir haben zu lange zu wenig getan, um eine verlässliche, bezahlbaren Energieversorgung in Deutschland zu sichern. Wir hemmen uns selbst mit Bürokratie und Überregulierung in vielen Bereichen. Wir müssen auch schwere Versäumnisse bei Investitionen in Infrastruktur und Digitalisierung aufholen.

Alle diese Hemmnisse, meine Damen und Herren, gehen wir an. Das ist für mich der Kern einer modernen Angebotspolitik in Zeiten der Transformation und Veränderung.

Damit bin ich beim zweiten Teil der Navigation, dem richtigen Kurs. Das Ziel ist klar. Wir wollen, und wir müssen in einer Welt mit dann wahrscheinlich knapp zehn Milliarden Einwohnern bis 2045 klimaneutral werden. Wir wollen dabei ein starkes Industrieland bleiben. Damit das gelingt haben wir umgesteuert.

Erstens:

Wir setzen alle Hebel in Bewegung, um mehr qualifizierte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland zu haben. Denn der Mangel an Arbeitskräften ist der Faktor, der unser Wachstum am stärksten bremst. Deswegen haben wir das Fachkräfteeinwanderungsgesetz geschaffen. Deswegen unterstützen wir bei der Aus- und Weiterbildung in den Unternehmen. Deswegen investieren wir in den Ausbau der Ganztagesbetreuung. Deswegen fördern und brauchen wir KI-Investitionen in unseren Unternehmen. Deswegen setze ich mich dafür ein, dass es noch attraktiver wird, freiwillig über den gesetzlichen Renteneintritt hinaus zu arbeiten.

Zweitens:

Wir sorgen für ausreichend bezahlbare Energie. Diese werden wir zukünftig viel weniger importieren müssen, sondern hier herstellen. Beim Ausbau der erneuerbaren Energien in Deutschland haben wir annähernd das Tempo erreicht, das wir brauchen, um 2030 Strom zu 80 Prozent aus erneuerbaren Energien zu produzieren. Wohlgemerkt, es wird mehr Strom sein als heute, den wir dann brauchen. Bei der Solarenergie liegen wir schon über dem Soll. Beim Wind an Land hat sich die genehmigte Leistung innerhalb des vergangenen Jahres beinahe verdoppelt. Der Genehmigungsrekord ist der Ausbaurekord in ein, zwei Jahren. Auch beim Ausbau der Übertragungsnetze sehen wir, dass die Entwicklung Fahrt aufnimmt. Bisher dauerte der Bau von Leitungen immer länger als vorgesehen; nun geht es zum ersten Mal schneller als zwischenzeitlich geplant. Zugleich haben wir für Zeiten, in denen kein Wind weht und die Sonne nicht scheint, vorgesorgt. Mit dem, was in den Medien ein bisschen abstrakt als Kraftwerksstrategie diskutiert wurde, sorgen wir dafür vor, dass mit dem Bau moderner, hochflexibler und klimafreundlicher Kraftwerke auch dann Energie zur Verfügung steht, wenn es mit Sonne und Wind umweltbedingt nicht gleich funktioniert. 24 Stunden Strom am Tag, sieben Tage die Woche und auch viel mehr als heute, das brauchen wir für die Wirtschaft und Industrie der Zukunft. Auch der Rahmen für unser Wasserstoffkernnetz steht, übrigens privat finanziert, wenn auch staatlich abgesichert. Damit haben wir mittlerweile alle Elemente für die Energieversorgung der Zukunft in Deutschland fast beisammen.

Drittens:

Wir werden schneller und einfacher. Über den beschleunigten Hochlauf beim Ausbau der erneuerbaren Energien habe ich eben gesprochen. Grund dafür ist, dass wir diesem Ziel gesetzlichen Vorrang in Planungsprozessen eingeräumt haben. Das wirkt. Deswegen haben wir solch einen Vorrang auch bei Stromnetzen, Wasserstoffnetzen und bei Bahntrassen eingeführt. Wir arbeiten aber auch an einem einfacheren Baurecht, und wir arbeiten eng mit den Ländern zusammen. Ende des vergangenen Jahres haben wir uns auf einen sogenannten Deutschlandpakt verständigt. Gemeinsam beschleunigen und vereinfachen wir Planungs- und Genehmigungsverfahren in einer Menge und Dimension, wie es in Deutschland in den letzten 30 oder 40 Jahren noch nicht der Fall gewesen ist. Wir haben richtig viel vor. Denn die letzten 30 oder 40 Jahre ‑ wenn man sich genau umblickt und zurückschaut, dann sieht man, dass es wahrscheinlich noch viel länger zurückreicht ‑ haben wir mit viel Liebe und Mühe dafür gesorgt, dass es immer schwieriger und komplizierter wurde, Genehmigungen zu bekommen. Nun müssen wir uns eben entsprechend viel anstrengen und genauso viel Liebe und Mühe aufwenden, um das alles wieder in die andere Richtung zu drehen.

Viele Wirtschaftsverbände waren an der Erstellung eng beteiligt. Auch deswegen wird der Deutschlandpakt echte Verbesserungen bringen. Damit das alles nicht nur Ankündigung bleibt, schauen wir im Mai gemeinsam mit den Ländern, wie weit wir schon sind und wo wir noch mehr Tempo brauchen. Denn ich will, dass Deutschland wirklich umsteuert.

Vielleicht darf ich an dieser Stelle auch über eine Sache sprechen, die mich immer umtreibt. Es gibt vielleicht in Unternehmen, auch in Banken und Kapitalinstitutionen, aber auf alle Fälle auch in der Politik Situationen, in denen man nicht anfängt, weil man denkt, man werde sowieso nicht fertig. Das ist in einem föderalen Staat eine ganz große Herausforderung. Verantwortlich sind immer die, um die es abends in der „Tagesschau“, bei „heute“ und in den verschiedenen anderen Nachrichtensendungen geht, was nach 20 Uhr diskutiert wird. Aber zuständig sind manchmal diejenigen, die dort nicht vorkommen, was übrigens bei manchen der Dinge, wie Sie erleben, dazu führt, dass man ziemlich ungeniert als Zuständiger Forderungen an die Unzuständigen richten kann.

Ein Beispiel abseits dessen, was Genehmigungsprozesse betrifft, die Digitalisierung von Ausländerbehörden: Dafür gibt es genau 560 Verantwortliche in Deutschland. Aber sollen wir deshalb, weil es ja nicht klappen kann, sich zu streiten, darauf verzichten, die Dinge hinzubekommen? ‑ Meine Antwort ist nein. Deshalb haben wir es einfach einmal geschafft, uns so lange zu streiten, bis wir jetzt eine feste Vereinbarung über die Digitalisierung sämtlicher Ausländerbehörden in Deutschland haben.

Das gilt natürlich auch für die vielen Planungs- und Genehmigungsverfahren überall in Deutschland. Immer ist irgendjemand zuständig. Wenn man den Beratern folgt, die einem immer die falschen Ratschläge geben, dann würde man sagen: Fang die Sache nicht an! Du bist nur für einen Teil zuständig. Wenn du hinterher sagst: „Ich habe einen Erfolg“, dann sagen dir die Leute: „Das und das und das klappt nicht“, woran du gar nichts ändern kannst. ‑ Deshalb müssen wir im föderalen Staat, der die Stärke und die Kraft Deutschlands ausmacht, es aber auch schaffen, effiziente Regelungen durchzusetzen, indem wir so etwas wie ein Unterhaken organisieren und dann auf allen Ebenen die Beschleunigungsschritte gehen, die tatsächlich nur zusammen einen Erfolg haben, und als Politiker das Risiko eingehen, dass wir für Misserfolge, die wir selbst gar nicht in der Hand haben, mit haftbar gemacht werden. Aber Nichtstun ist keine Alternative mehr.

Gerade erst haben wir auch die Unternehmen weiter von unnötiger Bürokratie entlastet. Insgesamt spart das letzte Entlastungspaket, das wir im vergangenen Sommer beschlossen haben, rund drei Milliarden Euro jährlich. Das ist bei der Größe der deutschen Volkswirtschaft nicht bei jedem ein großer Betrag, aber es ist schon einmal etwas, was wir tun.

Klar ist aber auch, und das werden Sie jeden Tag empfinden: Wir sind noch lange nicht am Ziel. Deshalb treiben wir die Veränderung auch weiter mit großer Konsequenz voran. Ganz wichtig ist dabei selbstverständlich der Blick nach Brüssel. Die Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat versprochen, mindestens 25 Prozent der Berichtspflichten abzuschaffen. Ich sage einmal: Das wäre einmal ein Anfang! Denn, ehrlich gesagt, stammt auch ein großer Teil ‑ vielleicht sogar der allergrößte Teil ‑ der Dinge, die wir heute als bürokratische Pflichten empfinden, aus Regulierungen, die einmal in Brüssel beschlossen worden sind, und da ist es ja noch schwieriger, eine Veränderung durchzusetzen, weil man überhaupt nicht weiß, wen man denn so als Wähler verantwortlich machen soll für die ganzen vielen Entscheidungen, die da getroffen worden sind. Aber trotzdem, es wäre ein Anfang. Außerdem haben wir uns mit Frankreich fest verbündet, dass wir nach den Europawahlen genau daran arbeiten wollen.

Wir werden übrigens auch darauf achten, dass die Finanzindustrie vom Bürokratieabbau profitiert. Denn es hat sich gezeigt, dass es an einigen Stellen über das Ziel hinausgeschossene Regelungen gibt. Wir setzen uns deswegen für eine Überprüfung und Vereinfachung des Finanzmarktregelwerkes ein. Besonders bei den Berichts- und Meldepflichten gibt es da manches zu tun.

Viertens:

Wir gehen den Investitionsstau an und setzen Mittel gezielt dort ein, wo das volkswirtschaftliche Wachstum ausgelöst werden kann. In diesem Jahr sind das insgesamt fast 110 Milliarden Euro für Glasfaserleitungen, für die Erneuerung von Schienen, bessere Straßen und neue Brücken, für Programme, mit denen ein flächendeckendes Ladesäulennetz, der Wasserstoffhochlauf, die Transformation von Industrieprozessen, energetische Gebäudesanierung oder Mikroelektronik gefördert werden. Auch für die kommenden Jahre haben wir hohe Investitionen des Bundes geplant. Dazu kommen noch die Investitionen der Länder und Kommunen.

Vor meiner Chinareise hat ein Experte zu mir gesagt, die Autoindustrie müsse statt Autos künftig Smartphones auf Rädern bauen. Das ist sicher übertrieben. Aber eines stimmt: Im Mobilitätswettbewerb vorne mit dabei ist derjenige, der die leistungsstärksten Batterien baut, der die besten Halbleiter herstellt und die beste Software programmiert. Als breit aufgestelltes Exportland müssen wir für sehr viele Felder sicherstellen, dass wir unsere technologische Souveränität und unsere industrielle Wettbewerbsfähigkeit sichern, weil doch klar ist, dass wir nicht mit der billigen Produktion von Massengütern unseren Platz behaupten werden, sondern, indem wir bei Technologie und Innovation spitze sind. Das macht Made in Germany seit jeher aus, und das soll auch so bleiben.

Um das zu erreichen, geben wir, Staat und Unternehmen, erhebliche Summen für Forschung und Entwicklung aus, drei Prozent unseres Bruttoinlandsprodukts. Auch an der Stelle will ich das noch einmal kurz unterstreichen. Wenn man die großen Nationen Europas anschaut, dann sind wir die einzige mit mehr als drei Prozent für Forschung und Entwicklung, und wenn man sich das Weltranking derjenigen anschaut, die viel Geld für Forschung und Entwicklung ausgeben, sind da die USA, China, Japan und Deutschland, und dann ist da ganz lange kein anderer europäischer Staat, aber vor allem auch nicht die Europäische Union als Gesamtheit, die eigentlich vorne liegen müsste ‑ ganz vorne, wenn alle das in dieser Größenordnung machen würden. Manchmal macht man sich ja Gedanken über die Gründe für den Exportüberschuss der deutschen Volkswirtschaft oder darüber, warum wir nach manchen Rechnungen, was die weltwirtschaftliche Kraft angeht, jetzt auf Platz drei liegen, obwohl wir nur 84 Millionen Einwohner haben. Aber das hat ganz viel mit genau diesem Thema zu tun. Forschung und Entwicklung müssen weiter hoch bleiben, privat und staatlich. Nur zusammen bringt das die Grundlage für das Wachstum und den Fortschritt für morgen.

Wir investieren im Übrigen auch ganz entschlossen in die Förderung von Schlüsseltechnologien. Die vielen Neuansiedlungen, die wir so für Deutschland gewinnen konnten ‑ bei Halbleitern, in der Batterietechnologie, bei künstlicher Intelligenz und im Pharmabereich ‑, bringen neben technologischer Souveränität und unmittelbarer Wertschöpfung auch großen Nutzen für die jeweilige Region, für Start-ups und für den deutschen Mittelstand. Denn solche Investitionen ziehen weitere Ansiedlungen nach sich und lassen so ganze Cluster entstehen. Dafür das richtige Umfeld zu schaffen, das ist der Schlüssel, um erfolgreich zu sein in der laufenden, tiefgreifenden Transformation, die in ihren Ausmaßen wohl nur mit der industriellen Revolution verglichen werden kann.

Dabei ist klar: Um als Deutschland mit einem Prozent der Weltbevölkerung, um als EU mit reichlich fünf Prozent der Weltbevölkerung global vorne dabei zu bleiben, um Wachstums- und Innovationsfinanzierung zu verbessern, brauchen wir nicht nur öffentliches, sondern auch viel privates Kapital. Ich habe Mario Draghis Schätzung von 500 Milliarden Euro im Jahr eben schon erwähnt und will das einfach nur noch einmal unterstreichen: Es ist eine Menge, und das ist überwiegend nicht staatlich, was ich auch in Brüssel überall einmal vortragen werde.

Um uns diesem Bedarf auch nur anzunähern, brauchen wir einen tieferen und leistungsfähigeren Kapitalmarkt in Europa. Wir müssen Unternehmen, darunter auch Start-ups, Finanzierungsmöglichkeiten und Kapital für Investitionen bieten, damit sie nach Deutschland und Europa wollen, anstatt auf andere Kontinente ausweichen zu müssen, um dort zu wachsen und zu expandieren. Ich weiß: Die Banken und internationale Finanzinvestoren stehen bereit, scheitern jedoch häufig an national organisierten Kapitalmärkten in Europa. Deshalb will ich hier sehr klar sagen: Es ist meine Überzeugung, dass der wesentliche Unterschied für die Wachstumsperspektiven der USA oder Europas in der fehlenden Kapitalmarktunion und auch der fehlenden Bankenunion liegt. Wir werden das zu einem Thema größter Priorität machen müssen, weg von irgendwelchen Fachexpertenausschüssen, hin dazu, dass das politisch vorangetrieben wird.

Es gibt so viel, was man bedenken muss bei dieser Frage. Ich greife nur ein Thema auf, über das ich gleich vielleicht noch zwei Sätze sagen werde, das Insolvenzrecht. Ja, vielleicht gibt es 27 Mal das beste Insolvenzrecht der Welt. Aber vielleicht wäre es besser, wir hätten einmal das zweitbeste, aber einheitlich für alle 27. Das muss sich ja gar nicht auf alle Bereiche des Insolvenzrechts erstrecken, aber diese Perspektive muss sein! Natürlich haben einige in der Vergangenheit davon profitiert, dass sie ein bisschen von Sondervorteilen ihrer Regulierung oder Steuerpraxis Gebrauch gemacht haben. Aber wenn, das zu verteidigen, heißt, dass wir die Größe des europäischen Kapitalmarkts nicht voll zur Entfaltung bringen können, dann bedeutet das, auf Wachstum zu verzichten, und das kann kein staatlicher Investitions- und Innovationsfonds ersetzen. Wir können helfen mit dem, was wir da machen, aber wir können nicht das ersetzen, was privates Kapital zustande bringen muss. Wir brauchen mehr Dynamik, wir brauchen mehr Fortschritt, und wir brauchen mehr Bereitschaft, alte Zöpfe abzuschneiden.

Substanzielle Fortschritte bei der Vertiefung der Kapitalmarktunion sind also notwendig. Angesichts des Investitionsbedarfs ist das für die Zukunft Europas und unserer Wettbewerbsfähigkeit, wie ich eben gesagt habe, von entscheidender Bedeutung. Es ist eben die Zeit, um das noch einmal zu unterstreichen, die dickeren Bretter zu bohren. Wir brauchen eine Harmonisierung des Insolvenzrechts, wie ich gesagt habe. Wir wollen mehr gemeinsame Steuerstandards. Wir wollen eine stärkere Harmonisierung der Kapitalmarktaufsicht, ohne dass alles gleich an einer Stelle zusammengefasst wird, aber so, dass es zusammenpasst. Wir wollen eine Stärkung des Verbriefungsmarktes zur Finanzierung der Realwirtschaft, und wir wollen, dass Privatanleger Zugang zu einer breiteren Palette von Finanzprodukten erhalten.

Hinsichtlich all dieser Punkte arbeiten wir mit der französischen Regierung intensiv an konkreten Vorschlägen, und das ist uns wichtig, weil wir jetzt den Druck machen müssen, damit etwas passiert, und hoffen, dass, wenn wir dabei gemeinsam vorgehen, das alle anderen motiviert, auch mitzumachen. Wir hatten gerade die Debatte im Europäischen Rat; Sie haben das angesprochen. Es war sehr interessant. Da haben wir noch etwas vor uns! Es haben sich sehr viele gemeldet, ganz aufgeregt. Aber es geht jetzt darum, dass wir uns trauen, diese Dinge auch anzugehen und sie nicht weiter schleifen zu lassen.

Dass wir auch noch eine Vollendung der Bankenunion brauchen, das muss ich hier vielleicht nicht sagen, aber will ich trotzdem noch einmal vertiefen. Es ist für mich wichtig, dass das nicht vergessen wird; denn es ist gut und richtig, dass wir in der Europäischen Union gemeinsame Regeln zur Bankenaufsicht und Abwicklung geschaffen haben. Aber die Bankenunion ist mehr als nur ein gemeinsames Sicherheitsnetz, wie manche denken. Wir brauchen einen gemeinsamen Markt für Bankdienstleistungen. Wir brauchen insbesondere bessere Rahmenbedingungen für grenzüberschreitend tätige Banken. Sie müssen volle Flexibilität dabei haben, ihr Kapital und ihre Liquidität innerhalb der Bankenunion einzusetzen.

Wir benötigen ebenfalls einen effizienteren, besseren und günstigeren Zugang zur Finanzierung. Lassen Sie mich hinzufügen: Wir setzen uns mit ganzer Kraft dafür ein, gerade den Finanzstandort Deutschland dabei weiter zu stärken. Weil zu dieser Stärkung auch die Vernetzung mit den wichtigen Regulierungsbehörden gehört, freue ich mich sehr, dass es gelungen ist, die neue EU-Anti-Geldwäschebehörde in Frankfurt anzusiedeln.

Meine Damen und Herren, ja, die Zeiten sind unruhig. Auch an Deutschland geht das nicht spurlos vorbei. Aber wir navigieren da gut hindurch. Das zeigen ja nun auch einige wichtige Kennzahlen. Die Inflation liegt so niedrig wie seit drei Jahren nicht. Viele Experten rechnen demnächst wieder mit sinkenden Zinsen. Die Zahl der Beschäftigten ist so hoch wie nie, und auch die Produktionszahlen in Deutschland springen wieder an: im Februar 5,7 Prozent Wachstum in der Automobilindustrie, 4,6 Prozent in der Chemieindustrie, 7,9 Prozent im Baugewerbe, 4,2 Prozent bei den besonders energieintensiven Unternehmen. Wir wissen, wo wir stehen, unser Ziel ist klar, und wir haben die Segel richtig gesetzt. Der weiter nötige Rückenwind, der kommt besonders auch von Ihnen, von der Finanzwirtschaft, und gerade deshalb schönen Dank für die Einladung!