Rede von Bundeskanzler Scholz bei der Frühjahrstagung der Landesgruppen Niedersachsen/Bremen und Nordrhein-Westfalen der SPD-Bundestagsfraktion am 19. April 2024 auf Norderney

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Rede von Bundeskanzler Scholz bei der Frühjahrstagung der Landesgruppen Niedersachsen/Bremen und Nordrhein-Westfalen der SPD-Bundestagsfraktion am 19. April 2024 auf Norderney

Freitag, 19. April 2024 in Norderney

Schönen Dank für die Einladung und für die Gelegenheit, hier ein paar Worte zu sagen! Es ist ja schon ganz besonders, hierherzukommen. Insofern fängt der Tag schon einmal großartig an, und ich glaube, dass das vielen so geht. Ich habe vorhin beim Hereingehen gesagt: Das ist ja auch einer der wichtigsten Urlaubsorte der Nordrhein-Westfalen. - Insofern ist es ja gar kein Zufall, dass die beiden Landesgruppen hier gemeinsam tagen.

Die Welt, in der wir gegenwärtig leben, ist von vielen Krisen geprägt, die uns herausfordern. Eine, die uns jeden Tag mit großer Sorge erfüllt und die wir intensiv betrachten, ist die Entwicklung im Nahen Osten, der furchtbare Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober und das, was wir jetzt an weiterer Entwicklung erleben: der Krieg in Gaza und all die Konsequenzen, die das auch für die Bürgerinnen und Bürger, die dort leben, hat, und natürlich die Sorge um alle Menschen, die von Krieg und all den Folgen, die damit verbunden sind, betroffen sind.

Gestern Nacht hat es erneut eine militärische Aktivität gegeben, über die gegenwärtig auch in den Medien schon ein wenig berichtet wird. Darüber kann und will ich nicht mehr sagen, als dass für uns weiter ein ganz klares Prinzip gilt: Alle müssen jetzt und in der nächsten Zeit dafür sorgen, dass es nicht zu einer weiteren Eskalation des Krieges kommt. Das ist das, was wir als Bundesrepublik Deutschland gemeinsam mit unseren Freunden und Verbündeten klar vertreten, mit den USA, mit den anderen Staaten der G7, mit unseren Kolleginnen und Kollegen in Europa. Das ist auch die Rolle, die wir haben müssen, um dafür zu sorgen, dass es eine gute Perspektive gibt.

Wir haben über die Situation oft gesprochen. Deshalb, will ich sagen, gehört für uns auch dazu, dass wir uns nicht nur immer klar dazu bekannt haben, dass Israel jedes Recht hat, sich gegen den Angriff, den die Hamas gestartet hat, zu verteidigen, sondern auch dazu, dass das entlang der Regeln des Völkerrechts geschehen muss, dass die Belange der Zivilbevölkerung in Gaza beachtet werden müssen, dass es jetzt nicht zu groß angelegten Offensiven in Rafah kommt, dass humanitäre Hilfe nach Gaza gelangen kann und dass eine Perspektive für die palästinensische Bevölkerung in Westbank und Gaza gefunden wird, aber auch für die ganze Region. Die setzt voraus, dass ein friedliches Miteinander zwischen Israel und einem palästinensischen Staat möglich wird, der Westbank und Gaza umfasst. Das ist unsere Haltung, die wir vertreten.

Ich habe diesen Krieg, diese Entwicklung, wegen der Aktualität der Ereignisse heute Nacht als Allererstes angesprochen. Aber es ist nicht der einzige, der uns besorgt, und auch das spricht ja auch Bände über die Welt, in der wir gegenwärtig leben. Viele Kriege sind es, die uns gegenwärtig Sorgen machen, und man mag sie gar nicht alle aufzählen: den Bürgerkrieg in Myanmar, das, was im Jemen stattfindet, die Entwicklung im Sudan, in Somalia. In Mosambik gibt es einen Bürgerkrieg, der sich unverändert auszuweiten droht, und niemand weiß, was im Kongo und darum herum geschehen wird. Auch da mag es bald zu einer großen militärischen Eskalation kommen. Wir wissen: Wenn wir die ganze Welt anschauen, ließe sich diese Liste von Kriegen und großen Auseinandersetzungen verlängern. Der Sahel ist eine solche Region, weil unsere Bemühungen ‑ zusammen mit vielen anderen und den Vereinten Nationen ‑, für Frieden und eine bessere Entwicklung zu sorgen, keine Erfolge gebracht haben. Das muss man ja sagen. Aber es ist ein weiteres Zeichen dafür, dass die Welt ein gefährlicher Ort ist.

Das Deutlichste, das uns jetzt am meisten umtreibt, ist natürlich der brutale Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine. Das, was Russland macht, ist ‑ ich will das hier an dieser Stelle und auch bei dieser Zusammenkunft hier an diesem Ort sagen ‑ eine Zeitenwende, weil es die Sicherheitsarchitektur und damit das Gefühl dafür, dass Sicherheit und Frieden in Europa eine Perspektive haben, aufgekündigt hat. Es gab eine Verständigung in der Welt, und diese Verständigung existierte gerade in Europa, dass Grenzen nicht mehr mit Gewalt verschoben werden sollen. Das hat Russland aufgekündigt. Das ist die Zeitenwende, und deshalb unterstützen wir die Ukraine bei ihren Bemühungen, das Land, die Integrität des Landes und die Souveränität zu verteidigen.

Wir tun das am umfangreichsten in Europa und meistens auch als Erste und als Schnellste. Es ist ja vielleicht ab und zu wichtig, das hier in Deutschland zu sagen; denn anderswo gibt es gar keinen Zweifel mehr daran, dass wir diejenigen mit der größten und umfassendsten Unterstützungsleistung sind und dass wir diejenigen sind, die auch die wichtigen Dinge oft als Allererste, im größten Umfang und zuverlässig zur Verfügung gestellt haben.

Gerade erst haben wir die Entscheidung getroffen, neben den zwei Patriot-Batterien, die wir zur Verfügung gestellt haben, eine weitere dorthin zu verbringen. Das ist eine weitreichende Entscheidung, und Boris und ich haben darüber lange miteinander diskutiert, das hin und her gewogen, weil das ja etwas ist, das wir auch unter dem Gesichtspunkt unserer eigenen Verteidigungsfähigkeit gut bedenken müssen. Aber wir haben diesen Schritt noch einmal gemacht, sodass wir als Deutsche der Ukraine Luftverteidigung in größtem Umfang und auch den effektivsten Teil in allen Dimensionen bereitgestellt haben, weil wir jetzt noch einmal viele dazu aufrufen wollen, dass sie mitmachen, dass sie genauso wie wir schauen, vielleicht nicht nach der dritten Batterie, sondern nach der ersten. Aber da müssen ja doch noch welche möglich sein! Es braucht, damit die Ukraine sich gegen die Angriffe aus der Luft verteidigen kann, jetzt noch einmal zusätzlich zu der weiteren, die wir geliefert haben, sechs neue Patriot-Batterien als Verteidigungsmöglichkeit, und wir fordern unsere europäischen Freunde und Verbündeten auf, die jetzt bereitzustellen.

Wir sind klar: Wir unterstützen die Ukraine mit allen Möglichkeiten, die erforderlich sind, und dabei geht es eben auch um Verteidigung und darum, dass die Waffen geliefert werden, die Munition, die gebraucht wird. Aber wir bemühen uns schon seit Langem darum, dass auch nicht vergessen wird, dass auch diplomatische Bemühungen notwendig sind. Deshalb haben wir immer alles unterstützt, was in dieser Hinsicht von großer Bedeutung war, zum Beispiel die Verhandlung über das Getreideabkommen, zum Beispiel die Verhandlung über einen Gefangenenaustausch, zum Beispiel die Frage, wie man gewährleisten kann, dass die Sicherheit des Atomkraftwerkes Saporischschja nicht gefährdet wird, und, und, und.

Aber ganz besonders gilt das für den großen Prozess, der jetzt schon lange im Gange ist, in dem wir versuchen, Gesprächsformate zu pflegen, weil es ja so viele nicht gibt, die weit über die Ukraine hinausreichen. Es hat Treffen in Kopenhagen, in Dschidda, in Valletta, in Davos gegeben, bei denen nicht nur die vielen Unterstützer und Freunde, die die Ukraine hat, zusammengekommen sind, sondern auch andere, die sich ein bisschen weniger klar entschieden haben, wenn es darum geht, was sie denken, wie die Dinge weitergehen sollen; zum Beispiel aus dem arabischen Bereich, Südafrika, Brasilien und auch China. Das ist immer noch eine Pflanze, die viel gegossen werden muss, aber es ist etwas, das es gibt und das wir pflegen und von dem wir hoffen, dass dort demnächst weitere Zusammenkünfte möglich werden, bei denen etwas hinsichtlich der großen Frage beschlossen wird ‑ nicht schon jetzt; das ist leider klar‑, wie es mit dem Krieg zu Ende geht, wie man eine Lösung finden kann, die einen Diktatfrieden Russlands verhindert und eine Perspektive für die Ukraine bietet, die ihre Unabhängigkeit und Souveränität und Integrität als Demokratie verteidigt. Aber das sind doch Punkte, die dazugehören.

Deshalb ist es in dem Sinne ein ganz wichtiger Schub gewesen, ein ganz wichtiger Fortschritt, dass diese Frage jetzt in meinen Gesprächen mit dem chinesischen Präsidenten und dem chinesischen Regierungschef auch eine Rolle gespielt hat und dass wir uns gemeinsam zu solchen Bemühungen bekannt haben, zu den Themen, die dort besprochen werden und die Friedenszusammenkünfte in der Schweiz als eine notwendige Sache begriffen und beschrieben haben. Das ist etwas, das in diesem mühseligen Prozess unverzichtbar ist, und ich bin dankbar, dass Deutschland und auch ich dazu einen Beitrag leisten konnten, dass das jetzt möglich wird.

Die Politik bewegt sich in der Welt in Dimensionen, die nicht den Gesetzmäßigkeiten von kurzfristigen, aufploppenden Nachrichten in irgendwelchen Social-Media-Kanälen entsprechen. Sicherlich ist es auch nicht so, wie es für die Dramaturgie eines Tages im Netz perfekt wäre: Erst die eine Meldung, nachmittags die Lösung aller Weltprobleme. - Manchen Kommentar zu diesen Fragen habe ich so verstanden, als ob das Realität wäre in der Welt, in der wir leben. Aber ich glaube, das spricht eher wenig für das Beurteilungsvermögen derjenigen, die sich so zu diesen Dingen verhalten. Die Bürgerinnen und Bürger, die sind sehr klar und sehr vernünftig. Sie wissen: Wir müssen beides tun, die Ukraine unterstützen und diese Möglichkeiten und Formate mühselig, beharrlich und mit aller Geduld voranbringen. Wir haben nur diese Möglichkeiten.

Wir haben natürlich auch über die wirtschaftliche Entwicklung in China gesprochen. Vielleicht darf ich das sagen: Ich war erst in Chongqing, 32 Millionen Einwohner, dann in Schanghai, 25 Millionen, dann in Peking, 22 Millionen, und jetzt bin ich auf Norderney, 6000. Aber wir haben auch größere Städte. Aber welche mit 25 Millionen sind nicht dabei, übrigens überhaupt in Europa nicht. Man sieht also, dass China ein Land ist, das sich dramatisch entwickelt, in dem es Regionen und Bereiche gibt, die wirtschaftlich dicht dran sind an dem, was wir an Wohlstand und technologischer Kompetenz haben. Gleichzeitig ist die zweitgrößte Wirtschaftsnation der Welt auch in vielen Teilen noch ein Land, das viel, viel Entwicklungsbedarf vor sich hat, ganz anders als die ‑ jedenfalls nach aktueller Statistik ‑ drittgrößte Wirtschaftsnation der Welt, die Bundesrepublik Deutschland mit 84 Millionen Einwohnern.

Manchmal, glaube ich, müssen wir uns das noch einmal sagen: Das ist die Wirklichkeit. Da sind die USA mit weit mehr als 300 Millionen Einwohnern, da ist China mit weit mehr als einer Milliarde Einwohnern, und dann kommt Deutschland. Manchmal kommt Japan vor uns, die haben nämlich mehr Einwohner. Es ist auch egal, ob wir auf Platz drei oder vier sind, aber im Augenblick zählen die meisten uns auf Platz drei - mit viel weniger Einwohnern, mit 84 Millionen. Was für eine gigantische ökonomische Leistung! Was für eine Wirtschaftskraft verbirgt sich hinter dieser Berichterstattung über Wirtschaftskraft in der Welt!

Deshalb muss es natürlich darum gehen, dass wir jetzt alles dafür tun, dass wir Wohlstand für die zukünftigen Generationen in Deutschland sichern können, dass wir die Voraussetzungen dafür schaffen, dass das gut geht und gut ausgeht. Das müssen wir jetzt entscheiden, jetzt, wo wir noch acht Milliarden Einwohner auf der Welt haben, damit es auch klappt, wenn wir um 2050 herum zehn Milliarden haben werden. Deshalb müssen wir auch jetzt Bedingungen schaffen, unter denen diese Welt von zehn Milliarden gut miteinander wachsen und sich entwickeln kann und friedlich bleibt, diese Welt mit vielen neuen Mächten neben Europa und Nordamerika und vielleicht unseren asiatischen Freunden und Verbündeten wie Korea und Japan oder Australien, mit vielen anderen großen Ländern mit oft 500 Millionen, einer Milliarde, 1,4 Milliarden Einwohnern, nicht nur einem, sondern vielen! Darum sind die Fragen, wie wir das hinbekommen, von so zentraler Bedeutung.

Eine Sache, die für wirtschaftlichen Handel und fairen Wettbewerb und gute Entwicklungsbedingungen zentral ist, ist, dass wir drei Dinge für uns als Deutsche klar begreifen.

Erstens. Wir sind als eine der erfolgreichsten Exportnationen der Welt auf einen funktionierenden Welthandel angewiesen, und deshalb sollten wir neue Initiativen starten, die dafür Sorge tragen, dass die Welthandelsorganisation und ihre Prinzipien wieder mehr beachtet werden, wenn es um Subventionen geht, wenn es um faire Handelsbeziehungen geht, auch, wenn man über die Frage redet, wie gewissermaßen Überkapazitäten in der Welt ausgebreitet werden oder was auch sonst. Es gibt Prinzipien, auf die wir uns schon verständigt haben, und sie sind auch geeignet, die Konflikte zu lösen. Deshalb gilt es, einen neuen Anlauf zu nehmen, die Welthandelsorganisation stark zu machen.

Zweitens brauchen wir eine neue Nord-Süd-Politik. Es ist sehr wichtig, dass wir auf Augenhöhe mit diesen Ländern sprechen.

Drittens brauchen wir eine starke Europäische Union. Ich war gerade beim Europäischen Rat, wo wir diese Fragen beredet haben und zusammen mit Frankreich eine Initiative ergriffen haben, um jetzt noch einmal etwas für die Kapitalmarktunion zu tun. Ich meine, es wird ja jeden Tag gemutmaßt, warum das Wachstum in den USA größer ist als in Europa. Aber in Wahrheit steht alles fest: Es ist im Wesentlichen der fehlende Kapitalmarkt, die Tatsache, dass das viele Geld, das in Europa eingesammelt wird, nicht in Wachstum in Europa investiert wird. Diese Bedingungen müssen wir ändern. Es ist doch ein Anachronismus, dass die Kapitalsammelstellen in Europa das Geld zusammensammeln, in die USA transferieren und es von dort in Wachstumsfinanzierung und Start-ups in Europa investiert wird! Wir müssen das selbst können, und das muss jetzt mutig vorangebracht werden. Es darf nicht bei dem Stillstand der letzten zehn, 20 Jahre bleiben!

Aber wir brauchen als Europäische Union, und das schließt den Kreis, den ich hier aufgemacht oder begangen habe, auch Freihandelsabkommen. Deshalb habe ich mich noch einmal dafür eingesetzt, dass das jetzt endlich vorankommt. Es sind so viele Abkommen nicht zu Ende verhandelt: mit den Staaten im Süden Amerikas, mit Indonesien, mit den ganzen ASEAN-Staaten, mit Indien. Das kann nicht alles zehn, 20 Jahre dauern. Ich sage auch hier als deutscher Bundeskanzler: Wenn wir der Europäischen Union die Kompetenz für Handelsverträge gegeben haben, dann nicht, damit da keine abgeschlossen werden, sondern, damit da welche zustande kommen! Das jedenfalls habe ich in Brüssel klar gemacht.

Unser Land ist durch das, was mit dem Krieg Russlands gegen die Ukraine, den vielen weiteren Kriegen und den Konsequenzen daraus verbunden ist, natürlich besonders herausgefordert gewesen. Wir sind vor zwei Jahren als Regierung angetreten, um das Land voranzubringen, einen Turnaround zustande zu bringen und Fortschritt möglich zu machen. Wir haben uns auch trotz den widrigen Zeiten darangemacht. Aber ganz plötzlich mussten wir nicht nur etwas dafür tun, die Verteidigungsfähigkeit unseres Landes zu stärken und der Ukraine dabei zu helfen, sich zu verteidigen, sondern wir mussten auch sofort mit den ökonomischen Konsequenzen umgehen, die sich in dramatisch steigenden Energiepreisen und vielem, vielem anderen gezeigt haben, was Veränderung von Handelsströmen, von Märkten, von Lieferbeziehungen und allem anderen betrifft, was dabei eine Rolle spielt.

Liebe Freundinnen und Freunde, wir haben es geschafft! Das hätte uns niemand vorhergesagt. Ich erinnere mich noch an die Gespräche, die ich international geführt habe, bei denen der eine oder andere die Häme im Gesicht kaum verbergen konnte in der Annahme, Deutschland bekomme jetzt eine zehn- oder zwanzigjährige Wirtschaftskrise. Übrigens bestand bei den europäischen Partnern überhaupt große Sorge, weil Deutschland als großes Land in der Mitte und mit Handels- und Lieferbeziehungen überallhin, auch in Europa, natürlich der Wirtschaftsmotor der gesamten Europäischen Union ist.

Apropos, weil Direktinvestitionen deutscher Unternehmen im Ausland plötzlich ein Problem sind: Was ist denn nach 1990 mit dem Fall des Eisernen Vorhangs wohl passiert? ‑ Überall Zulieferer und Direktinvestitionen deutscher Fabriken in Polen, in Tschechien, in der Slowakei, in Ungarn, in Rumänien, in Bulgarien und immer so weiter, auch in den Balkanstaaten! Zighunderte Milliarden an Direktinvestitionen sind dorthin geflossen, was jetzt die Wirtschaftsbeziehungen unserer Länder ausmacht. Das ist innerhalb kürzester Zeit passiert, und niemand wäre seinerzeit auf die Idee gekommen, das sei ein Ausdruck ökonomischer Fehlentwicklungen, sondern das, was damals passiert ist, wurde sehr gelobt. Jetzt ist die Arbeitslosigkeit in vielen dieser Länder so gering, dass es mit den Direktinvestitionen schon schwierig wird, weil man die Arbeitskräfte nicht überall findet und jeder Zentimeter mit Fabriken zugebaut ist, die neu entstanden sind.

Ich sage das deshalb, weil es natürlich zum ökonomischen Modell unseres Landes dazugehört, dass wir mit der ganzen Welt Handel treiben, dass wir Güter und Dienstleistungen dahin verkaufen, daher beziehen und dass wir in anderen Ländern investieren. Das ist die Grundlage unseres volkswirtschaftlichen Wohlstands, und das müssen wir auch verteidigen.

Aber wir haben es geschafft. Wir haben es getan. Das sichtbarste Beispiel sind die norddeutschen Küsten. Dort stehen nicht nur die tollen Windräder, sondern gar nicht versteckt auch mehrere Terminals, über die jetzt Gas nach Deutschland kommen kann, in Wilhelmshaven, in Stade, in Brunsbüttel und in Mukran, übrigens mit Genehmigung, jetzt im Betrieb. Wir haben es geschafft, es mit dem Gas aus Norwegen, mit dem Gas aus den westeuropäischen Häfen, mit dem Ausbau der Gasleitungen in Deutschland, die natürlich nicht auf solche Verkehre ausgerichtet waren ‑ dafür mussten wir auch Staus auflösen ‑, in kürzester Zeit hinzubekommen, eine sichere Energieversorgung für Deutschland zu gewährleisten. Wir haben mit Zigmilliarden ‑ 200 hatten wir ins Fenster gestellt ‑ dafür gesorgt, dass die deutsche Wirtschaft nicht zusammenbricht, und die Energiepreise für Unternehmen und für Bürger subventioniert. Jetzt können wir sagen: Es ist noch nicht für jeden unmittelbar fühlbar, weil manche noch die Preise aus den Einkaufsvorgängen der letzten Zeit zahlen, aber im Großhandelsbereich und damit sehr schnell bei allen Unternehmen im produzierenden Bereich und bei den Bürgerinnen und Bürgern sind wir bei Preisen vor dem russischen Angriffskrieg. Sie liegen teilweise darunter. Es ist eine Leistung dieser Regierung, diese Bedingungen in kürzester Zeit hergestellt zu haben.

Aber das Tempo, das wir dabei vorgelegt haben, muss auch für Deutschland insgesamt gelten. Deshalb ist einer der ganz großen Punkte für den Turnaround Deutschlands, den wir uns mit dem Antritt dieser Regierung vorgenommen haben, dass wir dafür Sorge tragen, dass alles viel schneller geht. Jetzt klagen auch viele, die früher den Mund gehalten haben. Aber es sind Gesetze, die 20, 30, 40 Jahre alt sind. Es waren immer CDU-Regierungen, die für den größten Teil dessen, was heute Schwierigkeiten macht, Verantwortung tragen, die den Ausbau der erneuerbaren Energien, des Energienetzes, den Umbau der Volkswirtschaft behindert haben. Wir haben diese Gesetze Schritt für Schritt beiseitegeräumt und uns mit dem Deutschlandpakt, den wir mit den Ländern vereinbart haben, noch ein großes Restpaket vorgenommen. Wir werden Deutschland schneller machen. Wir haben den größten Teil schon geschafft. Der Rest kommt in den nächsten Wochen und Monaten. Dann ist es das größte Beschleunigungspaket für Genehmigungsverfahren, das in Deutschland jemals stattgefunden hat. Es ist eine Grundlage für den Turnaround unseres Landes.

Man kann sehen, dass das passiert. Ich habe es schon gesagt: Die Windkraftanlagen werden ausgebaut, offshore und onshore. Das Stromnetz wird ausgebaut. Wir sorgen für mehr Solarenergie. Auch das geht schneller voran. Wir sorgen jetzt dafür, dass Speicherkapazitäten gebaut werden. Wir bauen Kraftwerke, die dann anspringen, wenn Sonne und Wind gewissermaßen ihre Arbeit nicht leisten können. Wir bauen Batteriespeicher im Netz. Wir sorgen dafür, dass das besser funktioniert. Wir werden deshalb eine stabile, dauerhaft bezahlbare Energieversorgung für Deutschland gewährleisten können, mit den erneuerbaren Energien und mit der Möglichkeit, dass jedes deutsche Unternehmen, dass für seinen Verkauf gewährleisten muss, dass seine Produkte CO2-neutral hergestellt sind, dies auch beweisen kann. Das findet doch statt, wenn man sich in der Welt umschaut! Alle müssen das irgendwann können. Aber wenn sie das in Deutschland nicht können, weil wir anders produzieren, dann wird das riesige Nachteile für die Marktentwicklung in der Zukunft haben. Deshalb ist es richtig, dass wir diesen Weg gehen. Die Energie wird bezahlbarer, sie wird stabil und sicher zur Verfügung stehen, und jedes Unternehmen kann auf seine Produkte „CO2-neutral“ schreiben und das 2030, 2035, 2040 erreichen, je nachdem, wie die Unternehmensziele sind, weil wir die richtigen Weichen gestellt haben.

Ich glaube, dass das auch für die Halbleiterinvestitionen in Deutschland gilt. Wir haben großartige Unternehmen hier und übrigens immer schon gehabt. Bosch ist eines davon, das mit Halbleitern erfolgreich ist. Infineon ist eines davon. Es hieß früher einmal Siemens Halbleiter. NXP ist eines davon, auch ein Unternehmen, das aus einem anderen großen Elektronikkonzern entstanden ist. Es gibt jetzt riesige Investitionen im Saarland, in Magdeburg, in Dresden, von großen Unternehmen, die weltweit operieren. Deutschland wird das Zentrum der Halbleiterindustrie in Europa. Das haben wir gemacht, und ich finde, es ist eine richtige Weichenstellung für die Zukunft unseres Landes.

Wir tun das Gleiche, wenn es darum geht, die Zukunft im Bereich von Gesundheit und Pharma zu gewährleisten, übrigens mit Gesetzen, die der Deutsche Bundestag beschlossen und auf den Weg gebracht hat. So unmittelbar habe ich es fast noch nie erlebt. Ich kann euch jedenfalls sagen, dass es bei den Grundsteinlegungen für Pharmaunternehmen, bei denen ich dabei sein durfte und mit denen privatwirtschaftliche Investitionen in Milliardenhöhe verbunden sind, immer so war, dass sie gesagt haben: Es sind das Gesundheitsdatennutzungsgesetz und das Medizinforschungsgesetz, das jetzt auf den Weg gebracht worden ist, die die Grundlage dieser Investitionen darstellen. ‑ Wir haben die Angebotsbedingungen für Investitionen in Deutschland verbessert, damit Deutschland wachsen kann und der Turnaround gelingt.

Ich will an dieser Stelle auch noch kurz erwähnen, dass das auch für die Investitionen in Rechenkapazitäten in diesem Land gilt. Die Investitionen von Microsoft vor allem in Nordrhein-Westfalen aufgrund der Bemühungen vieler sozialdemokratischer Bürgermeister, das ist wirklich etwas ganz Besonderes. Nachdem ich mit den Vertretern von Microsoft eine Pressekonferenz gemacht und deren Investition in Höhe mehrerer Milliarden begrüßt habe, haben sich übrigens beleidigte Konkurrenten gemeldet. Ich habe ihnen gesagt: Ab einer Milliarde komme ich immer. ‑ Ich glaube, es wird Gelegenheiten geben. Da passiert noch etwas. In dem Sinne also bemühen wir uns auch weiterhin um Bedingungen, die gut für wirtschaftliches Wachstum sind. Daran arbeiten wir.

Lasst mich kurz noch drei Aspekte nennen, die für den Turnaround unseres Landes von größter Bedeutung sind und an die wir uns gemacht haben.

Zunächst einmal ist es das Thema der Migration. Ich will es ausdrücklich ansprechen, weil wir in diesem Feld Veränderungen auf den Weg gebracht haben, die seit 25 Jahren nicht so bedeutend gewesen sind. Wir haben zum einen ‑ auch das gehört zu den Angebotsbedingungen für wirtschaftliches Wachstum in Deutschland ‑ dafür gesorgt, dass wir die Offenheit unserer Volkswirtschaft gewährleisten. In den letzten Jahren ist das Wachstum nur möglich gewesen, weil im Wesentlichen aus Europa sechs Millionen Arbeitskräfte nach Deutschland gekommen sind, in kurzer Zeit. Übrigens ist das der Grund, warum die Sozialversicherungsbeiträge geringer sind, als sie vor 20 Jahren waren. Das ist auch der Grund, der dazu geführt hat, dass wir überhaupt Wachstum hatten, dass unsere Produktionspotenziale nicht noch geringer sind, als sie ohne dieses gewesen wären, und dass wir sie ausbauen können, weil wir jetzt die Offenheit gewährleisten, und zwar mit dem Arbeitskräfteeinwanderungsgesetz, mit dem Staatsangehörigkeitsrecht und mit der praktischen Umsetzung, mit umfangreichen Digitalisierungen und schnell entscheidenden Behörden in den Konsularabteilungen und den Ausländerbehörden. Da müssen wir noch etwas tun, aber das gehen wir an.

Zum anderen haben wir aber auch das Management der irregulären Migration besser hinbekommen. Wir haben das schon im Mikromanagement getan und im Einzelnen geschaut, welche Gesetze der Bund machen muss. Mit dem letzten Schritt, mit der Bezahlkarte, ist das umfassendste Veränderungsprogramm beschlossen worden, das seit 25 Jahren bewegt worden ist. Die Sprücheklopfer, die immer einmal wieder für eine Sonntagszeitung ein Interview mit einer absurden Forderung haben, wissen gar nicht mehr, was an Dingen, die noch irgendwie vernünftig klingen, sie noch fordern sollen. Deshalb fordern sie immer Unvernünftigeres. Denn wir haben alles getan, was ein vernünftig denkender Mensch verlangen kann.

Das gilt auch dann, wenn es um die Frage geht, was wir im Hinblick auf Europa in dieser Frage tun. Dass die GEAS-Reform ‑ ich danke Katarina Barley und all den anderen Europäerinnen und Europäern aus unserer Parteienfamilie ‑, dass die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems jetzt zustande gekommen ist, ist auch unser Verdienst. Das war wichtig. Denn die Leute sitzen immer nur da, reden nur und tun nichts. Acht Jahre lang ist nichts passiert, und kaum regiert eine sozialdemokratische Innenministerin und hilft Katarina Barley mit, schon gelingt das. Das ist der Erfolg, auf den wir auch hinweisen sollten, wenn es um diese Themen geht.

Lasst mich noch einen Veränderungspunkt, einen Turnaround benennen. Was wir beim Thema der Sicherheit tun, ist sehr entscheidend. Ein Sondervermögen in Höhe von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr, zwei Prozent der Wirtschaftsleistung für Verteidigung, die Stärkung der NATO, in der jetzt alle das Zwei-Prozent-Ziel erreichen wollen, neue Mitglieder in der NATO, Finnland und Schweden, die Unterstützung der Ukraine: Das ist eine umfassende Korrektur sicherheitspolitischer Entscheidungen, die wir auf den Weg gebracht haben und die für die Sicherheit und Zukunftsfähigkeit unseres Landes zentral ist. Boris, ich danke dir für deinen Einsatz.

Zuletzt und weil es am meisten angegriffen wird, im Rückgriff auf das, was ihr vermutlich gestern diskutiert habt, wenn ich deinen Bericht richtig verstanden habe: Wir haben auch einen Turnaround für unser Land gemacht, wenn es um den sozialen Zusammenhalt und um Gerechtigkeit geht. Man muss das alles vielleicht noch einmal aufzählen, etwa den Mindestlohn. Wir haben dafür gesorgt, dass diejenigen, die fleißig sind, aber zu wenig verdienen, ein besseres Einkommen haben, mit dem Mindestlohn, dass sie auch zurechtkommen können, mit einem höheren Wohngeld, mit dem, was wir im Bereich von Kindergeld und Kinderzuschlag zustande gebracht haben und mit der Reduzierung der Sozialversicherungsbeitragsbelastung für Geringverdiener und auch mit vielen Steuererleichterungen, die dabei möglich geworden sind, für sie und für die, die darüber verdienen ‑ ich sage mal: von 2000 Euro bis 6000 Euro. Auch diese brauchen unseren Blick und unsere Unterstützung. All das haben wir getan. Respekt für die, die arbeiten, ist wirklich das Programm, das wir verfolgt haben, und das werden wir auch weiterhin tun.

Darf ich eine Meldung der letzten zwei Tage hier erwähnen?

(Zuruf: Ja! - Zuruf: Aber nur eine positive!)

‑ Eine positive, ja! ‑ Die Zahl der Kinder, die den Kinderzuschlag bekommen, ist um etwa 200 000 gewachsen. Ich habe erst einmal nachgefragt, ob das stimmt. Es stimmt. Das heißt, da hat etwas geklappt! Rolf Mützenich hat das durchgesetzt, die Kindergelderhöhung und den Kinderzuschlag, die Verbesserung. Wir haben auch kleine Korrekturen vorgenommen, die dazu führen, dass das jetzt mehr in Anspruch genommen wird. Das war immer unsere Vorstellung. Das Beste für Kinder, damit sie nicht arm sind, dass wenigstens ein Elternteil, aber möglichst beide arbeiten, dass es aber dann, wenn es mit der Arbeit nicht für ein gutes Einkommen für die Familie reicht, trotzdem so ist, dass man nicht Bürgergeld als Aufstocker bekommen muss, sondern gut zurechtkommen kann. Mit den Entscheidungen, über die ich eben berichtet habe, haben wir genau das möglich gemacht. Wir denken an Leute, die fleißig sind, viel arbeiten und nicht immer genug verdienen.

In dem Sinne werbe ich dafür, dass wir uns nicht auf dem ausruhen, was wir erreicht haben, dass wir es aber durchaus mit Stolz betrachten. In dem Sinne werbe ich dafür, dass wir jenen entgegentreten, die, weil sie ihre Süppchen kochen wollen, dieses wirtschaftliche starke Land herunterreden und die Perspektiven, die wir haben, nicht voranbringen wollen. Wir müssen jetzt alles dafür tun, dass wir in dieser Lage, in der die Konjunktur allmählich wieder besser wird, die Inflation zurückgeht, die reale Kaufkraft steigt, die Renten steigen, in der die Zinsen sinken werden, in der die Erwartung der Wirtschaft wieder wächst, die Produktion wieder zunimmt, dass wir in dieser Zeit diejenigen sind, die die Zuversicht vermitteln, dass wir eine Perspektive haben, die gut für Deutschland ist, dass wir als Partei der Zuversicht auftreten und dass wir dabei nicht vergessen, zu sagen: Dieser Turnaround für unser Land, den wir nach vielen Jahren des Stillstands hinbekommen haben, ist uns nicht in den Schoß gefallen, sondern den haben wir hart erarbeitet, und wir bleiben dran!

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