Rede von Bundeskanzler Scholz bei der 13. Nationalen Maritimen Konferenz

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Sehr geehrter Herr Bundesminister Habeck, lieber Robert,
sehr geehrte Frau Staatssekretärin Kluckert,
sehr geehrter Dieter Janecek,
verehrter Herr Bürgermeister Bovenschulte, lieber Andreas,
meine Damen und Herren,

der Panamakanal ist eine der wichtigsten Wasserstraßen der Welt. 14 000 Schiffe passen jedes Jahr durch dieses Nadelöhr, es sei denn, es regnet zu wenig, so wie in diesem Sommer. Dann ist der Wasserpegel zu niedrig, die Containerschiffe stehen im Stau, Container kommen nicht rechtzeitig da an, wo sie hinsollen, und das Nadelöhr wird noch enger, als es ohnehin schon ist. Zu wenig Wasser in Panama kann die Weltwirtschaft genauso durcheinanderwirbeln wie die Havarie der „Ever Given“ vor gut zwei Jahren im Suezkanal.

Hier zeigt sich, wie sehr die Dinge zusammenhängen ‑ der Klimawandel und unterbrochene Lieferketten, Umwelt und Logistik, Regen in Panama oder ein Schiffsunglück und die Weltwirtschaft. Und weil diese Fragen miteinander zusammenhängen, dürfen auch unsere Antworten nicht eindimensional sein: Wir müssen unsere Emissionen senken und weiterhin erfolgreich unsere Produkte exportieren. Wir müssen uns gegen Lieferengpässe wappnen, aber ohne gewachsene Lieferbeziehungen zu kappen. Wir wollen bis 2045 klimaneutral werden und zugleich ein starkes Industrieland bleiben. Das ist es, woran wir jeden Tag arbeiten.

Was wir dafür brauchen, ist ein fairer und freier Welthandel. Dieser Welthandel läuft zu rund 90 Prozent über Schiffe. Die umgeschlagenen Waren können Medikamente sein, die man in Leipzig in der Apotheke kauft und deren Vorprodukte aus Indien stammen, oder Maschinen aus Bayern, die nach Amerika exportiert werden, Nahrungsmittel und Rohstoffe, ohne die unser Land nicht funktioniert. Alles läuft über die Häfen.

Und dennoch: Außerhalb der Logistikcommunity und jenseits von Hafenstädten wie Bremen, Hamburg, Wilhelmshaven, Lübeck, Rostock oder Duisburg wurden die deutschen Häfen von vielen Entscheidungsträgern lange Zeit vernachlässigt. In einer Epoche zunehmender Globalisierung war es zwar beruhigend zu wissen, dass an den norddeutschen Kais und den Binnenhäfen Jahr für Jahr immer mehr Container umgeschlagen wurden. Aber wirklich relevant schien dies für viele Externe leider nicht. Es galt als selbstverständlich, dass die Waren schon irgendwie ihren Weg zu Industrie und Verbrauchern finden würden.

Ähnlich verhielt es sich mit der maritimen Industrie an der Küste. Nach dem jahrzehntelangen Werftensterben schien es für Außenstehende sicherlich nicht verkehrt, dass es noch ein paar Betriebe gab, die Kreuzfahrtschiffe und U-Boote bauen konnten. Aber letztlich waren auch das Dinge, die manchen Entscheidern eher zweitrangig schienen. Diese Sicht auf die Häfen und die maritime Branche hat sich fundamental geändert.

Seit uns Corona gezeigt hat, wie anfällig unsere Lieferketten waren, seit Russland die Ukraine angegriffen hat und seitdem in diesem furchtbaren Krieg jeden Tag Männer, Frauen und Kinder sterben, seit wir unsere Energieversorgung innerhalb kürzester Zeit unabhängig gemacht haben von russischen Importen ‑ seitdem ist klar: Deutsche Häfen sind mehr als Betriebsstätten der Reedereien, mehr als Kostenstellen. Unsere Häfen sind Zentralen der Energiewende, sie sind Anlaufstellen sicherer Handelsrouten, Umschlagplätze für funktionierende Lieferketten, und sie sind Schutzräume unserer kritischen Infrastruktur. Auch für unsere Tore zur Welt ist eine neue Zeit angebrochen.

Der ehemalige amerikanische General Hodges hat vor gut einem Jahr in einem Interview gesagt: „Hamburg und Bremerhaven sind tatsächlich die wichtigsten Häfen, auf die die NATO angewiesen ist.“ Die Versorgung der Bundeswehr und unserer Partner hängt ab von den Häfen. Die Verlegung von Truppen zur Unterstützung unserer Verbündeten hängt ab von den Häfen. Übrigens nutzen wir das Sondervermögen für die Bundeswehr auch, um mit etwa 13 Milliarden Euro ihre maritime Ausstattung zu modernisieren.

Die deutschen Seehäfen, aber auch die maritime Infrastruktur sind wichtig für unsere Sicherheit: Leitungen, Pipelines, Kabel ‑ sie alle verbinden uns mit anderen Ländern. Sie sind die Lebensadern für unseren modernen, hochindustrialisierten Staat. Diese kritische Infrastruktur müssen wir schützen: vor Stürmen, die über uns hinwegfegen, aber eben auch vor Hackern, die angreifen, und vor Terroristen, die Anschläge planen. Deshalb ist es so wichtig, dass der Bund, die Länder, die Kommunen sowie die privaten Betreiber den Schutz unserer kritischen Infrastruktur intensivieren.

Beim NATO-Gipfel in Vilnius haben wir auf Vorschlag von Norwegen und Deutschland vereinbart, dass ein maritimes Zentrum der NATO eingerichtet wird ‑ für die Sicherheit kritischer Infrastruktur, die unter Wasser liegt. Bei uns in Deutschland ist das KRITIS-Dachgesetz in der Abstimmung. Für den physischen Schutz kritischer Infrastrukturen, etwa große Kraftwerke, Krankenhäuser oder auch Verkehrsinfrastruktur wie Häfen.

Natürlich gibt es keinen 100-prozentigen Schutz vor Katastrophen, Sabotage oder menschlichem Versagen. Aber ohne Investitionen in unsere Sicherheit gibt es keine Freiheit, keine Stabilität und auch keinen Wohlstand, und das schließt die maritime Sicherheit ein.

Die Bundesregierung wird sich deshalb verstärkt für die deutschen Seehäfen engagieren. So haben wir es im Koalitionsvertag verankert. Die neue Nationale Hafenstrategie ist in Arbeit. Sie ordnet die Aufgaben und Prioritäten für die nächsten Jahre neu. Mir ist wichtig, dass sie, wenn es geht, noch in diesem Jahr vom Kabinett beschlossen wird.

Zwei Bedingungen müssen erfüllt sein, damit diese neue Strategie Erfolg haben kann. Erstens brauchen wir mehr Investitionen in die Zukunft unserer Häfen. Die Reedereien und die großen Logistiker haben in den vergangenen Jahren gut verdient. Sie haben mit ihren Gewinnen in eigene Terminals und in Logistikunternehmen investiert. Auch die großen Logistiker investieren entlang der Wertschöpfungskette. Das ist nicht nur völlig legitim, das ist gut für die Zukunft unserer Häfen.

Natürlich ist auch der Staat gefordert, in erster Linie natürlich die Länder, in denen die Häfen liegen. Sie haben ja durchaus ein finanzielles Interesse am Erhalt einer wettbewerbsfähigen Infrastruktur und eine zentrale Rolle bei ihrer Entwicklung. Das sage ich jetzt mal als jemand, der früher selbst in einer anderen Freien und Hansestadt politische Verantwortung getragen hat. Als jemand, der auf Landes-, aber auch auf Bundesebene schon einige Verhandlungen geführt hat, formuliere ich das hier bewusst etwas vorsichtig.

Der Bund bekennt sich klar zu seinem Teil der Verantwortung für leistungsstarke und zukunftssichere Häfen mit den notwendigen Hafeninfrastrukturen. Wir wollen gleichzeitig Impulse setzen zum Gelingen der Transformation in Richtung Digitalisierung, Klimaneutralität und Sicherung der Energieversorgung. Dazu stehen wir als Bund mit den Ländern in einem vertrauensvollen Dialog. Ich bin zuversichtlich: Zusammen werden wir gute Ergebnisse erarbeiten. Ich weiß: Aus Sicht der Länder gehört dazu auch eine Erhöhung der finanziellen Mittel.

Meine Damen und Herren, unsere Häfen und die maritime Branche sind für den Arbeitsmarkt sehr wichtig. Aus meiner Zeit als Bürgermeister weiß ich: Allein der Hamburger Hafen sichert in ganz Deutschland weit über eine halbe Million Arbeitsplätze ‑ auf den Werften und im Schiffbau, bei den Zulieferern, in der Handelsflotte, in den See- und Binnenhäfen, in der Meerestechnik. 1,35 Millionen Beschäftigte halten die hafenabhängige Industrie in Deutschland am Laufen. Bundesweit sichern Häfen direkt wie indirekt bis zu 5,6 Millionen Arbeitsplätze. Fast immer sind das gut bezahlte, qualifizierte Jobs, sichere Arbeitsplätze an Land und auf See, die wir erhalten wollen.

Dafür ‑ das ist mein zweiter Punkt ‑ dürfen wir nicht am Alten festhalten. Wir brauchen eine europäische Hafenpolitik, die sicherstellt, dass der Wettbewerb fair bleibt, dass sich die deutschen Häfen auf einem Level Playing Field mit den Hafenstandorten in Europa behaupten können. Und wir brauchen deutsche Häfen, die bei den Mengen, Kosten und der Produktivität besser werden. Viel hängt ganz klar davon ab, wie automatisiert sie arbeiten, wie digitalisiert die Prozesse funktionieren und wie sie Innovationen voranbringen.

Wir unterstützen digitale Testfelder und innovative Hafentechnologien. So können Lieferketten und logistische Prozesse besser vernetzt werden. Das stärkt die Leistungsfähigkeit der deutschen Seehäfen für die Zukunft.

Auch Deutschlands Entscheidung, bis 2045 klimaneutral zu werden, sollten wir als Chance begreifen, als Auftrag zum Handeln. Mit ihrer guten Schienenanbindung haben gerade die deutschen Seehäfen hier einen Vorteil. Den wollen wir stärken. Deshalb wird die Bundesregierung weiter daran arbeiten, dass die Container besser auf die Schiene kommen.

Nicht zuletzt verspricht die Energiewende neue Aufgaben und neue Aufträge für unsere Häfen. Auch weil sie so flexibel waren, haben wir die Energieversorgung Deutschlands im letzten Winter gesichert. Dafür stehen die neuen LNG-Terminals in Wilhelmshaven, in Stade, in Brunsbüttel, in Lubmin und künftig auch in Mukran auf Rügen ‑ errichtet im neuen Deutschland-Tempo. Dieses Deutschland-Tempo muss zum Standard werden, und zwar überall in Deutschland; denn wir befinden uns mitten im größten Umbau unserer Volkswirtschaft seit Beginn der Industrialisierung.

Deshalb habe ich den Ländern und Kommunen vergangene Woche im Bundestag angeboten, unsere Kräfte zu bündeln und mit einem Deutschland-Pakt gemeinsam dafür zu sorgen, dass Deutschland schneller, moderner und sicherer wird. Für die maritime Wirtschaft heißt das: Wir treffen bis Jahresende alle wichtigen Entscheidungen, die wir zum Aufbau eines Wasserstoffkernnetzes brauchen ‑ von den Häfen mit ihren neuen LNG-Terminals bis in die industriellen Ballungsgebiete unseres Landes.

Wir schaffen Platz für die großen Errichterschiffe, damit die riesigen Offshore-Windkraftanlagen aufgebaut werden können. Dafür haben wir die Ausbauziele im vergangenen Jahr erhöht, um 30 Gigawatt Offshore-Windenergie bis zum Jahr 2030 zu installieren. Dafür nutzen wir auch den Klima- und Transformationsfonds in der Größenordnung von 60 Millionen Euro pro Jahr bis 2026.

Eine große Chance für die deutschen Häfen und für die maritime Industrie sind auch Konverter-Plattformen. Sie sind für das Gelingen der Energiewende unerlässlich. Die Bundesregierung hat diese Bedeutung erkannt. Ich bin zuversichtlich, dass wir zügig geeignete Standorte identifizieren und Projekte vorantreiben können.

Damit wir grünen Wasserstoff auf See erzeugen können, haben wir im kommenden Jahr rund 100 Millionen Euro im Haushalt veranschlagt. Robert Habeck wird sicherlich gleich noch ein bisschen mehr dazu sagen. Da passiert also eine Menge

Auch die Seeschifffahrt selbst hat vor Kurzem einen großen Fortschritt für das Klima gemacht. Die Internationale Seeschifffahrts-Organisation hat es beschlossen: Klimaneutralität bis 2050. Das ist ein starkes Signal, das in einer weltweit agierenden Branche natürlich auch nur weltweit funktionieren kann. Das wird überall Investitionen auslösen ‑ in innovative Schiffe, die sauberer fahren. Auch davon kann Deutschlands maritime Wirtschaft nur profitieren, weil sie schon jetzt ‑ mehr als andere ‑ auf Nachhaltigkeit setzt.

Meine Damen und Herren, die Zeiten, in denen die Häfen, die Seeschifffahrt und die maritime Wirtschaft zwar wahrgenommen, aber nicht wichtig genommen wurden, sind vorbei. In den aktuellen Krisen haben sie alle hervorragend funktioniert. Dafür sage ich heute: „Danke!“

Lassen Sie uns die neue Zeit für unsere Häfen und die Seeschifffahrt gemeinsam zu einer besseren Zeit machen.

Ich wünsche Ihnen viel Erfolg bei dieser Maritimen Konferenz und immer eine Handbreit Wasser unter dem Kiel.

Schönen Dank.