Rede von Bundeskanzler Scholz anlässlich des Spatenstichs für den neuen Stadtteil Freiburg-Dietenbach am 27. Februar 2024

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Einen schönen guten Tag und noch einmal schönen Dank für die Einladung, Herr Oberbürgermeister!

Ich will gerne sagen, dass ich sofort zugesagt habe, als die Einladung kam; denn das ist heute natürlich schon ein bedeutendes Ereignis. Es handelt sich um einen Mut machenden Moment in Deutschland, in dem alle gegenwärtig über die Frage reden: Wie geht nun einmal wieder etwas voran? „Nicht meckern, sondern machen“ ist vielleicht der Slogan, der aus dieser Veranstaltung herausgehen sollte. Dafür danke!

Wir brauchen in Deutschland viele, viele Wohnungen ‑ und vor allem bezahlbare Wohnungen ‑, die an vielen unterschiedlichen Orten in unserem Land entstehen. Wir wissen, dass das Problem auch nicht verschwinden wird. Es hat immer wieder einmal jemand gedacht ‑ und das hat die Baukonjunkturen dann jeweils auch beeinträchtigt ‑, dass man die Städte eigentlich schon zu Ende entwickelt hat. Aber tatsächlich haben all diejenigen, die uns das vorausgesagt haben, sich komplett verrechnet. Denn wir haben wachsende Städte, große, kleine, viele Orte, wo Familien, wo viele Menschen zusammenkommen und miteinander arbeiten und leben wollen, und sie brauchen dafür Wohnungen, einen Ort, an dem sie gut leben können, und eine gute Nachbarschaft.

Manchmal denkt man ja auch, alles, was wir heute schon kennen, wäre schon immer so da gewesen. Aber wahrscheinlich reicht ein Blick in die Geschichte dieser Stadt und mancher anderer, um sich vorzustellen, dass dort in den letzten 200 Jahren ein irres Wachstum von sehr kleinen Zahlen aus stattgefunden hat. Das ist immer damit verbunden gewesen, dass man nicht nur Innenverdichtung hinbekommen hat, sondern tatsächlich auch neue Wohnungen an neuen Stellen gebaut hat. Das wird auch in Zukunft weiter eine große Herausforderung für Deutschland bleiben.

Zumal ja eine Sache ganz offensichtlich ist: Deutschland wächst. Wir haben die höchste Zahl an Einwohnern seit Ewigkeiten, und die realistischen Statistiken, die uns das Bundesamt vorrechnet, gehen davon aus, dass das auch so weitergehen wird. Das ist zum einen so, weil wir das große Glück haben ‑ nicht jeder von uns und jede, aber doch die allermeisten ‑, viel länger zu leben, als das früher der Fall gewesen ist. Das führt ja auch dazu, dass der Wohnungsbedarf steigt; denn wenn wir viele Generationen haben, die alle jeweils in einer eigenen Wohnung leben, dann bedeutet das Wachstum in den Städten. Das ist etwas, das wir uns klar machen müssen. Wenn man bedenkt, dass Deutschland vielleicht in den Siebzigerjahren dieses Jahrhunderts 90 Millionen Einwohner haben wird und nicht wie jetzt 84 oder 85 Millionen, dann ist offensichtlich, dass sich das alles nur lösen lässt, wenn wir zusätzlichen Wohnungsbau genau dort hinbekommen, wo Frauen und Männer, wo Kinder, wo Junge und Alte, wo viele leben wollen, weil das für ihr Leben und das, was sie sich vorgenommen haben, wichtig ist. Darum ist Wohnungsbau eine ganz zentrale Herausforderung, und wir müssen das hinbekommen.

Ich will mich, wenn ich das an dieser Stelle machen darf, mit manchen Meinungen auseinandersetzen, die dazu auch im Raum sind. Zum Beispiel heißt es, man müsse das nicht machen und es reiche, die Wohnungen neu zu verteilen. Da wünsche ich allen sehr viel Spaß bei der Errichtung entsprechender Planungsbehörden; ich wünsche allen auch viel Spaß dabei, zu erläutern, dass jemand jetzt aus seiner 60-Quadratmeter-Wohnung ausziehen soll, weil 40 Quadratmeter doch reichen ‑ oder was weiß ich, wie man sich diese Diskussion vorstellt. Das kann doch nicht funktionieren, und deshalb sollten wir uns mit solchen Argumenten und Plänen, die man überall hört, auch nicht weiter auseinandersetzen; denn sie halten uns von der eigentlichen Aufgabe ab, tatsächlich neue und zusätzliche Wohnungen zu bauen.

Es gibt einen amerikanischen Stadtforscher, der eine Zeit lang bei jedem Immobilienkongress herumgereicht worden ist und dessen Bücher auch viele gelesen haben: Richard Florida. Er hat uns ausführlich geschildert, wie wir Städte lebenswert und attraktiver machen können und was dazu hilft ‑ eine liberale Umwelt zum Beispiel, ein gutes Miteinander und dass es ein gemischtes Miteinander in den Städten gibt. Er hat damit großen Erfolg gehabt und ist deshalb auch immer wieder zu vielen Kongressen eingeladen worden. Aber er hat dann irgendwann ein neues Buch geschrieben. Dieses Buch hat dazu geführt, dass er nicht mehr so oft eingeladen wurde, aber es handelt von dem, was wirklich los ist. Dieses Buch hat den Titel „The New Urban Crisis“ bekommen, und es beschreibt für die USA, dass die Städte so teure Orte geworden sind, dass viele, die normale Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind ‑ Krankenschwestern, Polizisten, Arbeiter in einer Fabrik, Handwerkerinnen ‑, sich das Leben an diesen Orten nicht mehr leisten können. Er beschreibt auch ziemlich ausführlich, dass es in den Siebzigerjahren und sogar noch in den Achtzigerjahren in New York für einen Arbeiter möglich war, sich eine Wohnung zu mieten, dass das aber heute in den allermeisten Orten unvorstellbar ist. Er beschreibt dann auch für alle Orte in den USA, wie sich diese Entwicklung über viele Jahrzehnte zugetragen hat und das dazu geführt hat, dass diejenigen, die wenig Geld haben, sehr große Pendlerdistanzen in Kauf nehmen müssen und manchmal in Orte ziehen müssen, die dann nicht so attraktiv sind wie die, in denen sie vorher gelebt haben.

Das heißt, er hat gesagt ‑ was ja selten ist in der Wissenschaft und in der Politik ‑: Ich habe da etwas nicht ganz richtig gesehen ‑ nicht, weil das, was er vorher zur Attraktivität von Innenstädten, von Stadtquartieren, von modernen Lebensmöglichkeiten aufgeschrieben hat, falsch war, sondern weil es falsch war zu denken, dass es nicht darauf ankommt, in diesen Orten und in diesen Städten auch neuen und zusätzlichen Wohnungsbau zustande zu bekommen. Das ist die Aufgabe, vor der wir uns nicht aus Bequemlichkeit drücken dürfen, und deshalb ist es richtig ‑ und ich wiederhole: das ist das, was zu meiner Annahme der Einladung geführt hat ‑, dass wir in Deutschland 20 neue Stadtteile an den Orten bauen, wo wirklich Nachfrage nach Wohnungen besteht und wir uns nicht alleine auf Innenverdichtung beschränken.

Die Innenverdichtung muss man aber auch durchführen, und da gibt es unglaublich viele Vorschriften, die man ändern und abschaffen kann. Zum Beispiel sind viele ganz lange nicht darauf gekommen, dass, wenn man es toll findet, Dachgeschossausbau zu machen oder Häuser, die schon existieren, ein bisschen aufzustocken, man dies nicht machen kann, weil dann gesagt wird: Dann müssen aber neue Garagen gebaut werden. Das ist aber eine Vorschrift, die an vielen Stellen in Deutschland noch existiert. Die Bauministerinnen und Bauminister haben verabredet, das zu ändern. Aber das ist einfach unvorstellbar, wenn man irgendwie unter einem Haus noch eine Tiefgarage bauen soll, damit man oben noch zwei Stockwerke darauf bauen kann. Oder es gibt Vorschriften, die dazu gut sind, dass es ab einer bestimmten Geschosshöhe irgendwie so sein müsse, dass da noch ein Fahrstuhl dazukommt. Das kann man ja sagen, wenn man Neubau macht. Ist das aber eine vernünftige Vorschrift, wenn auf ein existierendes vierstöckiges Gebäude noch ein fünftes Stockwerk obendrauf kommt? Ich sage Nein. Deshalb ist es richtig, dass die Bauministerinnen und Bauminister und die Bundesbauministerin miteinander und mit der Bauwirtschaft ein ganz langes Maßnahmenprogramm vereinbart haben, einschließlich neuer baurechtlicher Vorschriften, die mit vielen dieser bürokratischen Regelungen in Bund und Ländern Schluss machen, damit mehr gebaut werden kann, einfacher gebaut werden kann und auch billiger gebaut werden kann!

Wenn man über neue Stadtteile redet, dann kommt ‑ der Oberbürgermeister hat darauf auch angespielt ‑ natürlich sofort der Einwand: Das ist ja alles wie die Plattenbauten, die in den Sechziger-, Siebziger, manchmal noch Achtzigerjahren errichtet worden sind. Nein, das ist es nicht. Worüber wir reden, ist serielles Bauen. Das heißt, dass man Dinge auch immer wieder machen kann, dass man es zum Beispiel auch möglich macht, dass die Grundstruktur eines Hauses genehmigt wird und dann noch einmal wieder gebaut werden kann, mal mit Satteldach, mal als Flachdach, mal mit, mal ohne Balkon, mal mit Backstein, mal mit Verputzung, was weiß ich. Aber die Grundstrukturen sind schon fertig und müssen nicht jedes Mal wieder neu geplant und genehmigt werden - mit den irren Kosten, die das jeweils hat. Ich frage mich, wenn man dieses Bild hier hinter mir und vor Ihnen sieht, was denn eigentlich so schlimm daran wäre, wenn es rechtlich zulässig wäre, eines der schönen Häuser, das wir da sehen, zu nehmen und zu sagen: Das ist schon einmal genehmigt, bis hin zur Feuerpolizei, das kann auch in einer anderen Stadt gebaut werden, sogar außerhalb Baden-Württembergs! Das stelle ich mir als serielles Bauen vor und als erhebliche Verbilligung des Bauens, wenn wir so etwas machen und das rechtlich möglich machen.

Dann, will ich dazusagen, müssen wir natürlich die Rahmenbedingungen dafür schaffen, dass das auch geht. Dass die Bautätigkeit jetzt zum Erliegen gekommen ist, hat natürlich auch etwas damit zu tun, dass so ganz plötzlich die Zinsen gestiegen sind. Die Zinshöhe ist eine Herausforderung, aber sie ist nicht die höchste Zinssumme, die jemals von Bauherren und Baufrauen zu bewältigen war. Hier im Raum sitzen wahrscheinlich auch einige, die ihre eigenen Häuser bei neun Prozent Zinsen gebaut haben, und es ist die größte Zahl an Wohnungen in Westdeutschland errichtet worden, als die Zinsen in Deutschland tatsächlich in dieser Größenordnung lagen. 1972 waren es mehr als 700 000 Wohnungen, die im Westen Deutschlands ‑ in ganz Deutschland 800 000 Wohnungen ‑ gebaut worden sind, innerhalb eines Jahres und bei sehr hohen Zinsen. Natürlich waren die Bedingungen damals anders, und vieles war überhaupt anders, als es jetzt ist. Aber eines kann man doch sagen: Irgendwie ist das nicht der entscheidende Grund. Wichtig ist natürlich, dass es so plötzlich passiert ist, und das ist eine Herausforderung, die viele Projekte und viele Projektentwicklungen auch gefährdet hat. Darüber muss man klar reden. Deshalb bin ich ganz froh, dass mit der Politik, die die Europäische Zentralbank auf den Weg gebracht hat, ja nicht nur ein Zinsanstieg verbunden ist, sondern auch die Perspektive, dass es wieder heruntergeht, wenn wir die Inflation besiegt haben. Danach sieht es jetzt aus, dass die Inflationsrate zurückgeht und dass wir dann gleichzeitig auch geringere Zinssätze in der Zukunft haben dürften, sodass das Bauen aus dieser Perspektive wieder etwas einfacher wird.

Was wir aber auch machen müssen, ist natürlich, dass wir helfen, dass das Bauen finanziert werden kann, dass man das hinbekommt. Ein großes Thema ‑ auch das ist angesprochen worden ‑ ist der soziale Wohnungsbau. Es hat ja doch die Theorie gegeben, der sei überflüssig, alles gehe mit Individualförderung. Nun haben wir das Wohngeld erhöht. Aber ich will ausdrücklich sagen: Das sind schon ganz gewaltige Lohnsteigerungen, die notwendig wären, damit manche der frei finanzierten Mieten von jemandem geleistet werden können, der als Geselle in einem Handwerksbetrieb arbeitet, oder von einer Frau, die als Krankenschwester tätig ist. Das kommt dann mit den heutigen Höhen bei Weitem nicht hin.

Deshalb muss man sich klarmachen, dass wir auch einen öffentlichen Auftrag haben, dazu beizutragen, dass die Finanzierung solcher Wohnungen und auch solcher Stadtteile billiger wird. Deshalb hat die Bundesregierung die Mittel für den sozialen Wohnungsbau erheblich aufgestockt, auf jetzt zusammen 18 Milliarden Euro, die zur Verfügung stehen für das, was gemacht wird, zusammen mit Ländern und Gemeinden. Deshalb haben wir Finanzierungsmöglichkeiten für den Wohnungsbau wieder neu aktiviert, die zum Beispiel dazu beitragen sollen, dass, wenn man etwas ökologischer als vorgeschrieben arbeitet, man dafür eine zusätzliche Förderung bekommen kann. Das hilft. Das Programm, das da gerade wieder freigezeichnet worden ist, ist fast schon wieder überlaufen, aber es zeigt, was für eine große Nachfrage in diesem Zusammenhang existiert. Wir haben auch noch mal ein neues Programm für kleinere Wohnungen auf den Weg gebracht, die dann billiger sein sollen und die man mitfinanzieren kann, und wir haben ganz konkret in dem, was jetzt als Wachstumschancengesetz diskutiert wird und im Bundesrat verhandelt wird, noch einmal erleichterte Abschreibungsmöglichkeiten für den Wohnungsbau geschaffen, neue Möglichkeiten eröffnet, damit es mit mehr Wohnungen in diesem Land losgehen kann. All das ist notwendig, denn wir brauchen größere Zahlen, der Bauüberhang muss abgebaut werden, und wir brauchen viele, viele neue zusätzliche genehmigte und gebaute Wohnungen.

Es sollte jetzt auch losgehen, und es sollte deshalb auch eine Ermutigung sein, dass das heute hier mit dem Spatenstich beginnt, eine Ermutigung, es nachzumachen und sich auf die langen Wege und langen Reisen zu begeben, die dazu notwendig sind. Denn auch wenn wir mit dem Baurecht alles einfacher machen, wird es so sein, dass solche Projekte lange geplant werden müssen, dass viele mitreden und mitgestalten, und wird es so sein, dass man die Bürgerinnen und Bürger überzeugen muss. Das ist das ganz Besondere an diesem Projekt, dass es die Entscheidung der Bürger schon gegeben hat, dass es eine Mehrheit gewesen ist, die gesagt hat: Wir wollen das. Das zeigt, dass unsere Demokratie nicht nur von denjenigen getragen wird, die immer auf ihre eigenen Interessen schauen, sondern von einem Gemeinschaftsverständnis, von einem Verständnis für künftige Generationen. Darum ist das heute ein guter Tag für Deutschland. Nicht meckern, sondern machen!