Pressestatements von Bundeskanzler Scholz und Ministerpräsident Li Qiang zu den 7. Deutsch-Chinesischen Regierungskonsultationen am 20. Juni 2023

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(Die Protokollierung des fremdsprachlichen Teils erfolgte anhand der Simultandolmetschung)

BK Scholz: Sehr geehrter Herr Ministerpräsident, ich freue mich, Sie und Ihre Delegation zu den 7. deutsch-chinesischen Regierungskonsultationen begrüßen zu können. Dies ist Ihre erste Auslandsreise als Ministerpräsident. Herzlich willkommen in Deutschland!

 Der direkte Dialog, das persönliche Gespräch, ein wirklicher Austausch ‑ all das ist in dieser außergewöhnlichen Zeit voller globaler Herausforderungen und Krisen noch wichtiger als sonst. Es trägt zu einem besseren Verständnis füreinander bei, und es erlaubt auch, in direktem Gespräch miteinander Fragen zu besprechen, wo wir unterschiedlicher Meinung sind und Differenzen haben.

Ich glaube, für uns beide und unsere Ministerinnen und Minister sind diese Regierungskonsultationen sehr nützlich. Unter dem Motto „Gemeinsam nachhaltig handeln“ haben wir über die Chancen unserer Zusammenarbeit, über globale Herausforderungen, die wir nur gemeinsam lösen können, und über Wirtschaft und Handel gesprochen.

Eine dieser Herausforderungen ist die COVID-19-Pandemie und ihre Folgen, die im Welthandel weiterhin zu spüren sind. Die Pandemie hat uns abermals gezeigt, dass wir international auch in Gesundheitsthemen eng zusammenarbeiten müssen. Das gilt multilateral im Rahmen der Weltgesundheitsorganisation, aber natürlich auch bilateral.

Doch es geht längst nicht nur um die Handelsbeziehungen. Wichtig ist es, dass nun auch wieder gesellschaftliche Kontakte stattfinden. Das gilt ebenso für Wissenschaft und Forschung und für den Austausch zwischen Thinktanks. Je mehr wir übereinander wissen und je offener der Austausch ist, desto geringer ist auch der Raum für Missverständnisse.

Freiraum und Offenheit braucht auch der Journalismus. Deutsche Korrespondentinnen und Korrespondenten wollen gern aus China berichten. Sie brauchen dafür auch einen Zugang. Wir setzen uns dafür ein.

Als Bundesregierung dringen wir darauf, dass Hindernisse abgebaut werden. Unser gemeinsames Bekenntnis heute zu „people-to-people“-Kontakten ist wichtig. Sie müssen sich jetzt in der Realität widerspiegeln.

Der Klimawandel ist ein globales Phänomen, das vor Landesgrenzen keinen Halt macht. Deshalb war uns heute eine enge Zusammenarbeit im Kampf gegen den Klimawandel ein besonderes Anliegen. In China wie in Deutschland steigen die Temperaturen, und Extremwetterereignisse nehmen zu. Im vergangenen Jahr litt China unter Dürren von bisher unbekanntem Ausmaß. In Deutschland bewältigen wir noch immer die Folgen der Flutkatastrophe im Ahrtal vor zwei Jahren.

Als große Emittenten von CO₂ kommen Deutschland und China eine besondere Verantwortung beim Kampf gegen den Klimawandel zu. Dieser Verantwortung werden wir uns gemeinsam stellen. Wir haben heute miteinander einen Klima- und Transformationsdialog vereinbart. Wir werden gemeinsam die Transformation beschleunigen, und zwar pragmatisch durch Dialog und konkrete Zusammenarbeit. Jede Tonne CO₂, die wir einsparen, leistet einen Beitrag zur Begrenzung der Erderwärmung. Unser gemeinsames Ziel ist es, Industrieprozesse klimafreundlicher zu machen, die Energiewende zu beschleunigen, den Umstieg auf klimafreundliche Mobilität zu fördern und die Kreislaufwirtschaft zu stärken.

Der Klimawandel ist für uns eine Generationenherausforderung und somit ein Querschnittsbereich, den alle Ministerien stets mitdenken. Unsere Ministerinnen und Minister haben über den Ausbau von Windkraft und Solarenergie gesprochen. Es kann ein wichtiger Schritt sein, global ein gemeinsames Ziel für den Einsatz von erneuerbaren Energien zu vereinbaren. Wir wollen Kräfte bündeln und Erfahrungen teilen, um den Ausstoß von Klimagasen weiter zu verringern. Auch über unsere Erfahrungen mit dem Kohleausstieg haben wir berichtet.

Wir wollen unsere Zusammenarbeit im Umweltbereich auch an anderer Stelle vertiefen. Anfang November wird das deutsch-chinesische Umweltforum auf Ministerinnenebene stattfinden. Gestern wurde zudem ein deutsch-chinesisches Memorandum of Understanding zu Elektro- und Wasserstoffmobilität unterzeichnet, mit dem wir die seit 2014 bestehende erfolgreiche Zusammenarbeit und den gegenseitigen fachlichen Austausch in den Bereichen Sicherheit, Regulierung und Standardisierung fortführen können.

Der brutale Überfall Russlands auf die Ukraine und seine Folgen haben uns bei unseren Gesprächen natürlich ebenfalls beschäftigt. Die Zerstörung des Staudamms von Kachowka ist eine weitere furchtbare Konsequenz des russischen Angriffskriegs, der weiteres Leid über die ukrainische Bevölkerung und Schäden für die ukrainische Infrastruktur und Umwelt mit sich bringt.

Ich habe erneut an die chinesische Regierung appelliert, in diesem Krieg noch stärker ihren Einfluss auf Russland geltend zu machen. Als Ständiges Mitglied des UN-Sicherheitsrates trägt China hier eine ganz besondere Aufgabe. Auch in der G20 sollten wir hierzu gut zusammenarbeiten. Da ist es wichtig, dass China weiter keine Waffen an den Aggressor Russland liefert.

Bei meiner Reise nach Peking im November haben Präsident Xi und ich außerdem gemeinsam klargestellt, dass es keine Drohung mit und schon gar keinen Einsatz von Atomwaffen geben darf. Das gilt unverändert fort, und ich bin dankbar für diesen gemeinsamen klaren Standpunkt. Ein Frieden kann und darf nicht ohne Berücksichtigung der Rechte der Ukraine erfolgen, die in der Charta der Vereinten Nationen verankert sind, nämlich das Recht auf territoriale Integrität und Souveränität. Auf dieser regelbasierten internationalen Ordnung fußt das friedliche Miteinander weltweit, nicht auf der Macht des Stärkeren. Ein Frieden muss sich deshalb auf das Völkerrecht und die souveräne Entscheidung der Ukraine stützen.

Klar ist: Grenzen müssen Bestand haben. Kein Land darf andere Länder als seinen Hinterhof betrachten und mit Gewalt versuchen, Grenzen zu verschieben. Imperialismus ist nie die Lösung. Jetzt gilt es, einen „frozen conflict“ zu vermeiden. Russland muss ‑ so sehen wir das ‑ Truppen zurückziehen; sonst wird es nicht gelingen, dass ein guter Frieden eintritt.

Eng verknüpft mit diesem Krieg und dem Thema weltweiter Stabilität ist auch die Frage der globalen Ernährungssicherheit sowie der Unterstützung für stark verschuldete Staaten, um Investitionen unter anderem in Armutsbekämpfung, wirtschaftliche Entwicklung und Klimaanpassung wieder zu ermöglichen. Auch hier wollen wir mit China zusammenarbeiten und gemeinsam Lösungen suchen, um den Staaten zu helfen, bei denen Hunger, Hyperinflation und hohe Staatsverschuldung zu gefährlicher Instabilität, Konflikten und Flucht führen. Je größer die internationale Rolle ist, desto größer ist auch die Verantwortung. Wir sollten dabei konstruktiv zusammenarbeiten, um das Common Framework der G20 noch effizienter zu machen. China ist weltweit der größte bilaterale Gläubiger und trägt damit natürlich auch eine besondere Aufgabe bei diesem Thema.

Diesen Herausforderungen können wir gemeinsam nur begegnen, wenn wir in engem Austausch bleiben. Daher wollen wir noch in diesem Jahr den dritten hochrangigen deutsch-chinesischen Finanzdialog in Berlin durchführen. Unsere dynamischen Wirtschaftsbeziehungen sind ein wichtiger und konstitutiver Teil unserer Beziehungen. Ich freue mich daher, dass sich unserem Gespräch gleich noch ein Treffen deutscher und chinesischer Wirtschaftsvertreter anschließt. Dabei werden wir darüber sprechen, wie unsere Wirtschaftsbeziehungen weiter entwickelt werden können, aber auch über die bestehenden Herausforderungen.

Ich sage es oft und habe es heute auch gegenüber meinem Kollegen Li noch einmal betont: Wir haben kein Interesse an einer wirtschaftlichen Abkopplung von China. Das haben auch die G7-Staaten gerade noch einmal in Hiroshima betont. Der Zugang zum chinesischen Markt und faire Wettbewerbsbedingungen für Deutschland und andere ausländische Unternehmen in China bleiben dabei weiter Herausforderungen, bei denen wir auf konkrete Verbesserungen dringen. Ich habe meinem Kollegen einige sehr konkrete Probleme benannt, die uns Sorgen bereiten. Ein „level playing field“ setzt hier Verbesserungen voraus, um die wir uns bemühen wollen.

Worüber wir auch gesprochen haben, ist, dass Verbraucher nicht nur in Deutschland, sondern auf der ganzen Welt immer genauer darauf achten, unter welchen Bedingungen Produkte hergestellt werden. In diesem Sinne greift das deutsche Lieferkettengesetz weltweit. Es will einer besseren Achtung der Menschenrechte in aller Welt Sorge tragen. Würdige Produktionsbedingungen und damit verbunden die Verbesserung der Menschenrechtslage sind in unser beider Interesse. Das gilt natürlich auch im Hinblick auf die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte: Sie ist für uns alle verpflichtend.

Deutschland setzt auf eine aktive Verbreiterung unserer Wirtschaftsbeziehungen nach Asien und darüber hinaus. Wir wollen uns nicht gegenüber einem Partner verschließen, sondern ausgewogene Partnerschaften in ganz Asien und darüber hinaus auf- und ausbauen. Mir war es wichtig, das hier auch im Gespräch zu erläutern.

Lieber Herr Ministerpräsident, diese Regierungskonsultationen haben die besondere Bedeutung unserer bilateralen Beziehungen erneut unterstrichen. Lassen Sie uns den Dialog fortsetzen, um einander gut zu verstehen und den globalen Herausforderungen gemeinsam begegnen zu können.

Schönen Dank!

MP Li: Danke schön! Sehr geehrter Herr Bundeskanzler Scholz, liebe Journalisten, Freundinnen und Freunde, meine Damen und Herren, guten Tag! Es freut mich sehr, nach Deutschland zu kommen. Dies ist meine erste Auslandsreise als Ministerpräsident des Staatsrates. Zuerst möchte ich mich bei Bundeskanzler Scholz und der Bundesregierung für ihren herzlichen Empfang bedanken.

Gestern habe ich mit Bundespräsident Steinmeier und Bundeskanzler Scholz über die bilateralen Beziehungen, die sozioökonomische Entwicklung beider Länder sowie die internationale Lage ganz offen und tiefgehend miteinander gesprochen.

Heute ‑ und zwar gerade ‑ habe ich mit Bundeskanzler Scholz die 7. Regierungskonsultationen geleitet. Damit setzen wir die wichtigen Übereinkünfte beider Staatsoberhäupter um und planen umfassend die Zusammenarbeit in der nächsten Phase. Man kann sagen, dass die diesmaligen Regierungskonsultationen ganz praxisorientiert und hocheffektiv sind und dass sie fruchtbare Ergebnisse tragen. Wir werden offiziell die Einrichtung des Dialogmechanismus zum Klimawandel und zur grünen Entwicklung ankündigen, und beide Länder werden dann den dritten hochrangigen Finanzdialog abhalten und auch das neue Umweltforum sowie den Gesundheitsdialog abhalten. Beide Seiten haben auch in den Bereichen intelligente Fertigung, Innovation, Umweltschutz und Berufsbildung insgesamt mehr als zehn Kooperationsvereinbarungen getroffen.

Anschließend werde ich mit Bundeskanzler Scholz Unternehmensvertreter aus China und Deutschland treffen und an dem 11. Forum für die wirtschaftliche und technologische Zusammenarbeit teilnehmen, bei dem wir uns gemeinsam über die Zusammenarbeit im Wirtschafts-, Handels-, Investitions- und Technologiebereich beraten werden.

Wie Bundeskanzler Scholz gesagt hat, ist die internationale Lage sehr vielfältig und komplex. Die Deglobalisierung flammt wieder auf und der Weltwirtschaft fehlt es an Wachstumsdynamiken. China und Deutschland sind beide einflussreiche Großstaaten. Deshalb sollten wir umso mehr miteinander Hand in Hand zusammenarbeiten und einen noch größeren Beitrag zum Weltfrieden und zur globalen Entwicklung leisten. China legt großen Wert auf die Entwicklung der Beziehungen zu Deutschland und zu Europa. Wir sind gern bereit, uns gemeinsam mit Deutschland zu bemühen, unsere bilateralen Beziehungen auf ein immer höheres Niveau zu bringen. China und Deutschland sollten Seite an Seite das internationale System mit den VN als Kern und echten Multilateralismus verteidigen. Wir sollten an der Tradition der Zusammenarbeit zum gegenseitigen Nutzen festhalten und das multilaterale Handelssystem sowie die Stabilität der Industrie und der Lieferketten aufrechterhalten. Wir sollten unsere Zusammenarbeit ständig ausbauen und noch mehr Dynamiken für unsere Zusammenarbeit in intelligenter Fertigung, Elektroautos sowie „green finance“ schaffen. Deshalb starte ich hier gern eine Initiative für den Abschluss einer Partnerschaft zwischen China und Deutschland für die grüne Entwicklung. Die Begegnung des Klimawandels sollte ein wichtiges Kooperationsfeld für beide Seiten werden.

China und Deutschland sind wichtige Volkswirtschaften auf der Welt und haben großen Einfluss auf die Entwicklung der Weltwirtschaft. Seit diesem Jahr gewinnt die chinesische Wirtschaft stets an Dynamik. Unser Konsum und unsere Investitionen erholen sich ständig. Die Beschäftigung und die Preise bleiben insgesamt stabil. Es zeichnen sich auch gute Tendenzen der Wirtschaftsentwicklung ab. Das BIP ist im ersten Quartal im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 4,5 Prozent gewachsen. In der letzten Zeit haben viele internationale Organisationen die Wirtschaftserwartung an China nach oben geschraubt. China hat einen riesengroßen Markt, ein vollständiges Industriesystem und reichhaltige Humanressourcen. Die chinesische Wirtschaft wird sich ständig zum Besseren entwickeln. Deshalb sind wir sowohl dazu fähig als auch ganz zuversichtlich, dass sich unsere Wirtschaft weiterhin gesund entwickeln kann. Die deutsche Wirtschaft wiederum befindet sich auf einem hohen Entwicklungsniveau. Deutschland hat wissenschaftliche und technologische Stärke. Wenn wir unsere Zusammenarbeit in der Wissenschaft und der Technologie sowie der Wirtschaft weiter verstärken, dann werden wir einen Beitrag zur Stabilität der Weltwirtschaft leisten.

Dieses Jahr ist das 45. Jubiläum der chinesischen Reform und Öffnung nach außen. Deutschland ist sowohl Augenzeuge als auch Weggefährte von Chinas Reform und Öffnung nach außen. Seit 45 Jahren entwickeln sich China und die Welt gemeinsam und verhelfen sich gegenseitig zum Erfolg. Wir profitieren von der jeweiligen Entwicklung. Egal, wie sich die internationale Lage verändert, wird China an der Grundregel der nationalen Politik festhalten, der Öffnung nach außen und der Öffnungsstrategie zum gegenseitigen Nutzen. Wir werden immer wieder an neuen Ausgangspunkten unserer Öffnung nach außen auf einem hohen Niveau vorantreiben und die hochqualitative Entwicklung sowie die chinesische Modernisierung fördern. Deshalb sind wir gern dazu bereit, mit Deutschland Hand in Hand gemeinsam nach vorn zu gehen, unsere Rolle als Stabilisator in dieser sich stetig wandelnden Lage zu spielen und beschleunigt eine Schicksalsgemeinschaft der Menschheit aufzubauen.

Vielen Dank.