Pressestatement von Bundeskanzler Scholz vor dem Treffen des Europäischen Rats am 21. und 22. März 2024

  • Bundeskanzler ⏐ Startseite
  • Olaf Scholz

  • Aktuelles

  • Kanzleramt

  • Mediathek 

  • Service

BK Scholz: Einen schönen guten Tag! Wir kommen hier zusammen, um uns natürlich auch über die langfristige Entwicklung unserer Europäischen Union zu unterhalten. Die strategische Agenda steht hier auf der Tagesordnung. Aber es gibt auch viele konkrete Punkte, die jetzt unmittelbar zu bewältigen sind.

Eine gute Botschaft: Wir kommen weiter voran mit dem Erweiterungsprozess. Ich jedenfalls bin sehr dafür, dass wir nach den vielen Bemühungen, die in Bosnien-Herzegowina unternommen worden sind, jetzt auch diesem Land die nächsten Schritte eröffnen, wie wir das schon so vielen anderen gegenüber möglich gemacht haben.

Außerdem gilt für mich insgesamt, dass sich die Staaten des westlichen Balkans auf uns verlassen können müssen. Das Versprechen, Mitglied der Europäischen Union werden zu können, ist vor 20 Jahren ‑ mehr als 20 Jahren ‑ in Thessaloniki abgegeben worden. Jetzt brauchen wir die nächsten Schritte, wie wir natürlich genauso daran arbeiten, den Prozess zu unterstützen, der in Moldau, in der Ukraine und natürlich auch in Georgien stattfindet.

Für uns auch wichtig ist das große Thema der Unterstützung der Ukraine. Wir dürfen diese Frage niemals auf die leichte Schulter nehmen. Es ist unverändert wichtig, dass wir dem brutalen russischen Angriff etwas entgegensetzen, indem wir die Ukraine unterstützen, und das geht finanziell, wenn es um den Haushalt, um Entwicklungsaufbau geht ‑ Deutschland wird ja dieses Jahr auch die Aufbaukonferenz veranstalten ‑, aber es geht zuallererst natürlich darum, dass wir Waffenhilfe organisieren. Deutschland steht da weit vorne. Wir haben mittlerweile Hilfe in Höhe von 28 Milliarden Euro geliefert und zugesagt, was Waffen betrifft. Das ist sehr viel. Aber es müssen alle europäischen Staaten einen guten Beitrag leisten ‑ ich sehe da auch erkennbar Fortschritte ‑, und wir müssen sehen, was wir tun können, um miteinander die Unterstützung zu ermöglichen.

Da ist es mir wichtig, hier auf den großen Durchbruch zu verweisen, den wir in unseren Beratungen in Paris erzielt haben. Wir werden nicht nur in Europa, wo wir die Produktion von Munition und von Waffen ausweiten müssen, sondern auch weltweit einkaufen, weil es jetzt ja auch schnell gehen muss. Das ist eine gute Verständigung, die nicht nur bei der von der tschechischen Regierung auf den Weg gebrachten gemeinsamen Einkaufsinitiative hilft, sondern die eben auch hilft, wenn es darum geht, dass wir hier unsere weiteren Entscheidungen treffen. Mit der European Peace Facility, über die wir uns schon verständigt haben, ist eben auch die Verständigung verbunden, dass wir das auch so machen, dass diese europäischen Mittel nicht nur für Einkäufe in Europa, sondern auch außerhalb eingesetzt werden können.

Ähnliches wünsche ich mir für das, was jetzt noch demnächst ansteht, nämlich die Nutzung der „windfall profits“ aus den „frozen assets“ Russlands. Dabei geht es um die Erträge, die verwendet werden können, die niemandem zustehen und deshalb von der Europäischen Union auch verwandt werden können. Sie werden aus meiner Sicht natürlich zuallererst verwandt werden sollen für die Möglichkeit, die Waffen zu erwerben, die Munition zu erwerben, die die Ukraine für ihren Verteidigungskampf braucht. Das ist also ein großes Thema, das uns hier heute erneut beschäftigen wird, aber, wie ich denke, doch mit großer Einigkeit.

Im Übrigen ist es so, dass wir hier auch weitere Fragen zu besprechen haben, die sich etwa mit dem Nahen Osten beschäftigen. Dabei geht es um die Frage, wie wir es hinbekommen, dass dort eine gute Entwicklung stattfinden kann. Für uns ist klar: Israel hat das Recht, sich gegen den furchtbaren Angriff der Hamas zu verteidigen. Wir haben alle noch die Bilder in Erinnerung, die mit dem 7. Oktober und der Dehumanisierung von Menschen verbunden sind, was wir niemals akzeptieren und niemals hinnehmen dürfen. Deshalb ist es richtig, dass auch da jegliche Klarheit existiert.

Gleichzeitig ist für uns gemeinsam richtig, dass wir sehr besorgt auf die weitere Entwicklung des Konfliktes schauen. Wir sind nicht für eine große Offensive in Rafah; das habe ich auch in Israel selbst betont. Wir hoffen darauf, dass jetzt ein länger anhaltender Waffenstillstand möglich wird, der auch verbunden ist mit der Freilassung aller Geiseln und, was mir auch wichtig ist, der Herausgabe der Gestorbenen. Das eine wie das andere ist für die Angehörigen von allergrößter Bedeutung, und das muss jetzt gelingen.

Gleichzeitig ist es zentral, dass mehr humanitäre Hilfe nach Gaza gelangt ‑ im Rahmen eines solchen Waffenstillstandes, aber auch ganz unabhängig davon. Ich habe der israelischen Regierung gesagt: Unser Ziel muss sein, dass wir auf 500 Lastwagen oder äquivalente Lieferungen kommen. Das kann auch per Schiff und mit den Airdrops passieren, aber der wichtigste Weg sind wahrscheinlich die Lastkraftwagen, die die Grenze passieren, und das ist das, was jetzt noch weiter ausgeweitet werden muss. Insofern ist auch das für uns ein gutes und wichtiges Thema, das wir für die Zukunft zu besprechen haben.

Neben diesen beiden wichtigen Themen gibt es natürlich viele andere Fragen, die uns umtreiben. Da geht es natürlich auch darum, wie wir unsere Europäische Union weiterentwickeln. Mehr Zusammenarbeit bei der Verteidigungswirtschaft ist auch wichtig. Da spielt die Europäische Union ja keine organisatorische Rolle, aber es geht schon darum, dass wir die Zusammenarbeit der Unternehmen erleichtern, indem wir es zum Beispiel im Bereich der Wettbewerbsbedingungen, im Bereich von Einkäufen leichter machen, das Notwendige zu tun.

Es sind also viele, viele Fragen, die hier anstehen, die bewegt werden müssen, die uns gemeinsam wichtig sind und um die wir uns auch kümmern wollen, wenn es um die Zukunft geht.

Frage: Inwiefern stimmt Ihre Position mit dem Vorschlag der EU-Kommission überein, wenn es um eine Prozentsatzregelung bei den eingefrorenen russischen Geldern geht?

BK Scholz: Wir haben uns hier darauf verständigt, dass es immer um die „windfall profits“ geht, also um die Erträge. Mir ist wichtig, dass wir dieser Nutzung jetzt noch eine klare Richtung geben, zum Beispiel in Richtung auf Unterstützung beim Erwerb von Munition.

Frage: Erwarten Sie sich hier Probleme von den Kleinstaaten, die vielleicht nicht diese militärische Nutzung im Fokus sehen wollen?

BK Scholz: Ich glaube, dass es hier eher großes Einvernehmen geben wird. Natürlich wird immer diskutiert werden müssen, aber aus meiner Sicht ist es ganz zentral, dass wir die Dinge voranbringen.

Wir haben ja ‑ ich habe es eben schon gesagt ‑ Zukunftsfragen auf der Agenda. Eine will ich noch erwähnen: Wir werden uns hier auch über die Euro-Gruppen-Beratung austauschen, und ich will hier ganz klar sagen: Das wichtigste Defizit in der Wettbewerbsfähigkeit Europas ist die fehlende Kapitalmarktunion, die fehlende Bankenunion, und da bin ich mit dem, was bisher so geplant ist, nicht zufrieden. Ich möchte mir da mehr Begeisterung bei allen erarbeiten, und ich möchte, dass wir in der nächsten Periode auch substanzielle Fortschritte machen.

Frage: Welches Signal sendet das an Putin, wenn es heute oder bei diesem Gipfel keine Einigung zu den „windfall profits“ gibt?

BK Scholz: Ich bin mir ganz sicher, dass wir hier überhaupt ein sehr klares Signal an Putin senden. Er hat sich verrechnet, wenn er glaubt, dass wir nicht in der Lage sind, die Ukraine so lange zu unterstützen, wie das notwendig ist, und da ist die Nutzung der „windfall profits“ ein kleiner, aber wichtiger Baustein.

Frage: Das Vorgehen Israels im Gazastreifen … (akustisch unverständlich)?

BK Scholz: Für uns ist ganz klar, was jetzt ansteht: Wir brauchen einen länger anhaltenden Waffenstillstand. Wir gehen immer davon aus, dass die israelische Regierung sich bei ihrer militärischen Aktivität im Gazastreifen an das hält, was für das eigene Land, aber auch für uns alle im Völkerrecht verankert ist.

Ich danke Ihnen allen ‑ schönen Dank!