Pressekonferenz von Bundeskanzler Scholz zum informellen Treffen des Europäischen Rats am 7. Oktober 2022

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BK Scholz: Meine Damen und Herren, ich freue mich, dass ich heute erneut in Prag sein konnte. Erst vor knapp sechs Wochen war ich hier und habe an der Karls-Universität darüber gesprochen, was die Zeitenwende für Europa und für die Europäische Union bedeutet. Heute blicken wir hier in Prag auf das erfolgreiche Gründungstreffen der Europäischen Politischen Gemeinschaft sowie auf ein sehr gutes, informelles Treffen des Europäischen Rats zurück.

Beide Gipfel haben noch einmal unterstrichen: Der russische Überfall auf die Ukraine markiert für uns Europäerinnen und Europäer eine echte Zeitenwende. Von Prag geht ein klares Signal aus: Die Staaten Europas stehen fest an der Seite der Ukraine. Wir unterstützen die Ukraine dabei, ihre Souveränität und ihre territoriale Integrität zu verteidigen, und wir werden in diesen Bemühungen nicht nachlassen. Das heißt auch, Klartext zu sprechen: Niemand von uns akzeptiert die fadenscheinigen Versuche Russlands, sich Teile der Ukraine völkerrechtswidrig unter den Nagel zu reißen. Die Ergebnisse der Scheinreferenden sind für uns null und nichtig.

Lassen Sie mich an dieser Stelle den drei Organisationen gratulieren, die heute völlig zu Recht den Friedensnobelpreis erhalten haben. Der Mut, die Leidenschaft und die Klarheit, mit der Memorial in Russland, der Menschenrechtsanwalt Ales Bjaljazki in Belarus und das Center for Civil Liberties in der Ukraine für Freiheit und Recht kämpfen, verdienen allerhöchsten Respekt. Ich gratuliere sehr herzlich zu dieser Auszeichnung.

Putin will Europa spalten. Das ist sein Ziel. Aber er hat das Gegenteil erreicht. Europa ist hier in Prag noch enger zusammengerückt. Das Treffen der Europäischen Politischen Gemeinschaft hat sich als wirklich gutes, neues Gesprächsformat erwiesen. Hier ist ganz Europa auf Augenhöhe zusammengetroffen, um sich zu den wichtigen Fragen unserer Zeit auszutauschen - Sicherheit, Energieversorgung, Klima, Wirtschaft - und die Zusammenarbeit auszubauen, und hier saßen auch jene mit am Tisch, die sonst nicht so oft gehört werden. Das ist ebenfalls eine Konsequenz der Zeitenwende.

Das Treffen war für uns alle eine gute Gelegenheit, in kurzer Zeit viele Kolleginnen und Kollegen zu treffen, etwa die neue britische Premierministerin Liz Truss, oder gemeinsam mit meinem Freund Emmanuel Macron Zeit für Gespräche mit der Präsidentin des Kosovo Osmani und auch dem serbischen Präsidenten Aleksandar Vučić zu finden. Auch so können wir wichtige Themen für unseren Kontinent bewegen.

Wir wollen die Zusammenarbeit in diesem Forum zukünftig fortsetzen und haben uns entschieden, der Einladung von Präsidentin Sandu zu folgen und unser nächstes Treffen in einem halben Jahr in Moldau abzuhalten.

Beim heutigen informellen Europäischen Rat haben wir zunächst über unsere weitere Unterstützung für die Ukraine beraten, politisch, humanitär, finanziell und natürlich auch mit Waffen. So haben wir ein achtes Sanktionspaket vereinbart. Dieses Paket wird die Effekte der vorangegangenen Sanktionsrunden auf Russland noch einmal verschärfen. Auch der unter deutscher G7-Präsidentschaft beschlossene Preisdeckel für russisches Öl wird nun im EU-Sanktionsregime rechtlich verankert.

Über die finanzielle Unterstützung für die Ukraine haben wir ebenfalls gesprochen. Die gute Nachricht lautet: Der akute Finanzbedarf der Ukraine ist für dieses Jahr praktisch gedeckt. Hierzu haben auch die EU und ihre Mitglieder mit Milliardensummen entscheidend beigetragen. Es braucht einen tragfähigen Gesamtansatz, mit dem wir die Ukraine in den nächsten Jahren unterstützen können. Darüber, wie ein solcher Ansatz aussehen kann und gestaltet werden muss, müssen Fachleute beraten. Für den 25. Oktober habe ich deshalb gemeinsam mit Ursula von der Leyen zu einer Expertenkonferenz nach Berlin geladen. Dann geht es nicht um neue Hilfszusagen, sondern darum, geeignete Instrumente zu entwickeln, mit denen der Ukraine dauerhaft geholfen werden kann, denn der Wiederaufbau der Ukraine wird eine Generationenaufgabe.

Zudem haben wir hier in Prag selbstverständlich darüber beraten, was wir gegen die viel zu hohen Energiepreise tun können, unter denen alle Staaten und auch die Bürgerinnen und Bürger und die Unternehmen in unseren Ländern zu leiden haben. Gut ist, dass sich die Energieministerinnen und -minister in der vorige Woche auf ein gemeinsames Notfallpaket geeinigt haben, um die europäischen Strompreise zu senken. Das werden wir jetzt national umsetzen.

In dieser Woche haben sich die EU-Finanzministerinnen und Finanzminister auch auf die Finanzierung des REPowerEU-Programms verständigt – auf ein Paket, mit dem wir Mittel von deutlich mehr als 200 Milliarden Euro bereitstellen. Damit werden Investitionen in den Energiesektor angestoßen, um unsere Unabhängigkeit von russischen Energieimporten langfristig sicherzustellen. Beides - das Notfallpaket und REPowerEU - zeigt: Europa steht in dieser Krise zusammen.

Gleichzeitig haben wir heute über die nächsten Schritte beraten. Wir sind uns völlig einig: Die Preise für den Import von Gas sind viel zu hoch. Es geht darum, in Gesprächen mit zuverlässigen Gaslieferanten wie Norwegen und den USA, aber auch mit vielen anderen in der Welt darüber zu diskutieren, wie wir die Gaspreise in Europa senken können. Ministerpräsident Støre hat hier gestern deutlich gemacht, dass Norwegen einem solchen Dialog offen gegenübersteht. Wichtig ist mir, dass wir uns hierzu auch mit den anderen Konsumentenländern wie Südkorea und Japan abstimmen, denn Europa ist keine Insel.

Natürlich gab es auch noch eine Reihe von anderen Ideen. Ich will klar sagen: In dieser Frage gibt es keine Denkverbote und keine ideologischen Auseinandersetzungen. Es ist aber auch klar: Jeder Markteingriff, jede Setzung von Preisen stellt automatisch Fragen an die Versorgungssicherheit. Deshalb müssen wir diese Dinge sehr genau diskutieren und vorbereiten. Wir haben uns darauf verständigen, dass die Energieministerinnen und -minister die Vorschläge jetzt genau auf Vor- und Nachteile prüfen und wir beim nächsten EU-Rat in Brüssel auf dieser Grundlage weiterberaten.

Ich habe die Gelegenheit auch genutzt, um meinen Kolleginnen und Kollegen noch einmal den deutschen Abwehrschirm zu erläutern und in den europäischen Kontext einzuordnen. Das war wichtig und hat sicherlich dazu beigetragen, Missverständnisse auszuräumen. Wir bewegen uns mit unseren Entscheidungen jedenfalls im Rahmen dessen, was auch andere in Europa machen. Selbstverständlich ist unser Programm von 200 Milliarden Euro zur Entlastung von den hohen Gaspreisen, von den hohen Energiepreisen notwendig. Das gilt für die Bürgerinnen und Bürger, für die Haushalte und auch für die Unternehmen in Deutschland.

Gleichzeitig habe ich darauf hingewiesen, dass Europa über sehr viel Finanzkraft verfügt, um sich dieser Krise entgegenzustellen: Aus dem großen Programm „Next Generation EU“, das wir während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft gemeinsam beschlossen haben, ist bislang erst rund ein Fünftel der Mittel ausgezahlt. Hier stehen also noch 600 Milliarden Euro zur Krisenbewältigung zu Verfügung. Diese 600 Milliarden, ergänzt durch zusätzliche nationale Mittel, sind ein gewaltiger europäischer Beitrag, mit dem wir Putins Versuchen entgegentreten, Europa durch Energie-Erpressung in die Knie zu zwingen. Das wird ihm nicht gelingen.

Meine Damen und Herren, vor uns liegt in diesem Herbst und Winter noch viel Arbeit, und es wird auch nicht einfach. Aber ich bin zuversichtlich, dass es uns mit unserer gemeinsamen Kraftanstrengung in Europa gelingen wird, auch diese Krise zu bewältigen.

Frage: Herr Bundeskanzler, der US-Präsident schätzt, dass die Gefahr eines Atomkriegs so hoch ist wie seit der Kubakrise vor 60 Jahren nicht mehr. Teilen Sie diese Einschätzung?

Und ich habe noch eine Frage zur Ausbildung ukrainischer Streitkräfte: Die EU denkt ja über eine gemeinsame Mission nach. Haben Sie heute über sie gesprochen, und in welchem Umfang könnte sich Deutschland an ihr beteiligen?

BK Scholz: Wir bereiten schon lange eine gemeinsame Ausbildungsmission in Europa vor, die einen großen Umfang hat. Deutschland wird dazu einen wichtigen Beitrag leisten. Das alles wird gerade sehr sorgfältig besprochen - nicht bei diesem Treffen, aber überall, wo das miteinander zu verhandeln ist. Ich kann Ihnen sagen, dass die Vorbereitungen so weit gediehen sind, dass ich davon ausgehe, dass in der nächsten Woche konkrete Entscheidungen bekannt gemacht werden können.

Das ist also schon lange in Arbeit, wird auch passieren und ist ja auch dringend erforderlich.

Ich finde, es ist sehr wichtig, dass wir eine klare Antwort auf die Drohung mit Atomwaffen, die wir gehört haben, geben. Diese Antwort muss lauten: Das sollen alle bleiben lassen. Das wäre gefährlich für die Welt. Der Einsatz von Atomwaffen ist inakzeptabel.

Frage: Herr Bundeskanzler, Sie haben gesagt, Sie hätten heute noch einmal erläutert, was der deutsche Abwehrschirm ist, und hätten auch das Gefühl gehabt, dass Sie damit Missverständnisse ausgeräumt haben. Können Sie sagen, wie genau Sie dabei argumentiert haben und warum die anderen das nicht vorher begriffen haben?

BK Scholz: Wir werden 200 Milliarden einsetzen, um in diesem, dem nächsten und dem übernächsten Jahr Entlastung zu organisieren - für die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland, für die Rentnerinnen und Rentner, für die Familien, für die Leute, die als Studentinnen und Studenten zurechtkommen müssen, aber selbstverständlich genauso für die Unternehmen, damit Arbeitsplätze gesichert werden. Solche Programme sind auch anderswo geplant oder bereits umgesetzt, in Italien zum Beispiel, in Spanien schon sehr lange, in Frankreich schon in großem Umfang, im Wesentlichen mit der Subventionierung staatlicher Unternehmen, aber auch mit verschiedenen anderen Maßnahmen. In den Niederlanden ist Entsprechendes bekannt gemacht worden. Das deutsche Programm passt recht gut dazu.

Frage: Herr Bundeskanzler, ich frage bezüglich des „price cap“: Wie groß sind Ihre Sorgen? Sie haben sie eben nur ganz vorsichtig angedeutet, dass mit einer solchen Maßnahme die Versorgungssicherheit gefährdet werden könnte. Ist das Instrument, ganz gleich in welcher Ausformung, überhaupt geeignet?

Noch eine kleine Zusatzfrage zu China: Im UN-Menschenrechtsrat haben die westlichen Staaten kürzlich eine Niederlage erlitten, was eine erneute Untersuchung der Unterdrückung der Uiguren angeht. Ist das nicht ein Zeichen dafür, dass die westlichen Bemühungen, eine Front gegenüber autoritären Regierungen zu formen, auch Rückschläge erleiden?

BK Scholz: Es ist ganz wichtig, dass die Preise für Gas und auch für andere fossile Ressourcen, die wir zur Energieversorgung unseres Kontinents nutzen, sinken. Das werden wir nur gemeinsam bewirken können, übrigens nicht allein als Europäerinnen und Europäer, sondern auch nur gemeinsam mit anderen. Ich habe es vorhin schon gesagt: Mir liegt sehr viel daran, dass wir auch mit Südkorea und Japan sprechen. Sie stehen vor gleichen Herausforderungen wie wir. Warum sollten wir uns auf uns selbst beschränken?

Selbstverständlich ist es aus meiner Sicht auch richtig, dass man auch mit den Ländern, die die Gasversorgung anderer Länder als Geschäftsmodell haben, sehr konkrete Gespräche führt. Das betrifft die USA und Norwegen, aber das betrifft auch unsere Freunde in Kanada und jene, die sich in Afrika und auf der arabischen Halbinsel mit Energieproduktion beschäftigen. Es muss ein gemeinsames Interesse im Wesentlichen der Produzenten von Gas, aber auch der Produzenten anderer fossiler Energien und der Abnehmer dieser Energien daran bestehen, dass die Märkte dauerhaft funktionieren. Das gelingt nur, wenn die Preise nicht zu hoch und deshalb für beide Seiten verträglich sind. Ich glaube, dass das Sinn ergibt. Deshalb werden wir konkret über die Wege reden, auf denen das miteinander gelingen kann.

Die Vorschläge, die gemacht worden sind, sind sehr vielfältig. Insoweit wird noch viel Arbeit zu leisten und vieles auf seine praktische Sinnhaftigkeit zu prüfen sein, weil es immer um zwei Aufgaben geht: Die Preise müssen herunter und die Energieversorgungssicherheit muss gewährleistet sein.

Zusatz: Und China?

BK Scholz: Ich finde es bedauerlich, dass die Entscheidung so ausgefallen ist, wie sie ausgefallen ist. Ich finde es sehr richtig, dass es eine Untersuchung gegeben hat. Das hat Frau Bachelet sehr gut gemacht, dies war aber auch notwendig. Aus meiner Sicht ist es wichtig, dass man an der Sache dranbleibt.

Im Übrigen ist das für mich ein Hinweis darauf, dass wir genau das machen müssen, wofür ich seit langer Zeit werbe: Dass wir nämlich mit unseren Partnern in der Welt, in Asien, in Afrika, im Süden Amerikas auf Augenhöhe reden und klarmachen, dass die Dinge, für die wir uns einsetzen, einen universellen Charakter haben, dass wir das immer und bei jeder Gelegenheit tun und keine Unterschiede machen und dass das wichtig ist für das Miteinander in der Welt.

Frage: War die Aufnahme russischer Kriegsdienstverweigerer heute Thema bei den Gesprächen? Selbst, wenn nicht: Was ist Ihr Eindruck? Kommt man einer EU-Lösung näher, oder bleibt es bei den doch sehr unterschiedlichen nationalen Positionen?

BK Scholz: Das hat keine große Rolle gespielt. Ein oder zwei von den sehr vielen, die sich zu Wort gemeldet haben, haben das ganz knapp am Rande erwähnt. Ich bin nicht sicher, ob es insoweit eine gemeinsame europäische Lösung gibt, aber das wird weiter diskutiert.

Frage: Was wäre denn die gemeinschaftliche europäische Lösung für die Energiekrise, wenn Sie sich in zwei Wochen in Brüssel wiedertreffen? Welche Lösung sehen Sie, wenn der Preisdeckel nicht unbedingt die Lösung ist?

BK Scholz: Das war heute wirklich eine gute Diskussion, zu der auch alle etwas beigetragen haben. Deshalb hat sie lange gedauert, was aber der Sache angemessen ist. Ich finde, wenn man in der Absicht, zu gemeinsamen Lösungen zu kommen, die verschiedenen Vorschläge wägt und erörtert, dann ergibt es keinen Sinn, wenn hinterher alle wieder über ihre Einzelideen reden, denn die Vorschläge sollen ja zusammengeführt werden.

Ich bin sicher, dass es nur einen Vorschlag geben kann, der nicht dazu führt, dass man Regeln einführt, die zwar theoretisch funktionieren, aber nicht dazu beitragen, dass man auch Gas bekommt. Es muss also immer gewährleistet sein, dass Gas, Öl und Kohle auch tatsächlich nach Europa geliefert werden. Dann muss man sehen, wie man das, was im Verhältnis von Angebot und Nachfrage ja auch richtig wäre, hinbekommt, nämlich dass die Preise sinken. Die sind ja künstlich zu hoch. Das entspricht ja nicht dem Verhältnis von Angebot und Nachfrage.

Frage: Herr Bundeskanzler, noch einmal zu dem 200-Milliarden-Paket: Es gab teilweise ja Kritik von den Staats- und Regierungschefs, die sich heute und auch gestern schon geäußert haben. Wie sehen Sie denn diese Diskussion? Gibt es denn diese Gefahr, dass vielleicht andere Staaten benachteiligt werden können, oder sehen Sie die auch? Ich verstehe auch das nationale Interesse an diesem 200-Milliarden-Paket, aber wie bekommt man das dann mit den europäischen Interessen übereinander?

BK Scholz: Ich hatte ja schon berichtet, dass es kaum ein Land gibt, das nicht ähnliche Maßnahmen ergreift, zum Beispiel Italien, zum Beispiel Spanien, zum Beispiel Frankreich, zum Beispiel die Niederlande, zum Beispiel Deutschland. Deshalb bin ich auch sicher, wenn ich für mich das Ergebnis der Diskussion zusammenfasse, dass alle wissen: Solche Maßnahmen sind notwendig und werden auch überall ergriffen werden müssen.

Frage: Mehrere Staaten und auch EU-Kommissare haben sich dafür ausgesprochen, neue Schulden aufzunehmen, um Kredite zu vergeben und auf diese Weise auch Ländern zu helfen, die vielleicht weniger Spielraum in ihren nationalen Budgets haben. Welche Rolle spielte das heute in den Beiträgen? Sehen Sie die Debatte in zwei Wochen auf ein solches Szenario zulaufen?

BK Scholz: Das hat keine große Rolle gespielt. Natürlich sind die verschiedenen Vorschläge, die öffentlich genannt werden, auch dort vorgekommen, obwohl ich glaube, dass sich manches von dem, was Sie wahrnehmen, wenn da alle an Ihnen vorbeigehen und Pressestatements gemacht werden, dann im gemeinsamen Gespräch viel konstruktiver anhört, als man es bei dem einen oder anderen vor den Medien hört. Aber im Ergebnis, will ich sagen, haben wir ja doch große Spielräume. Ich habe eben darauf hingewiesen: Wir haben unser Wiederaufbauprogramm. Von dem ist das allermeiste nicht ausgegeben.

Frage: Ich schließe direkt an das Wiederaufbauprogramm an. Dieser Recovery Fund „Next Generation EU“ war ja auch dafür aufgelegt worden, Europa grüner, digitaler etc. zu machen. Verstehe ich Sie dann richtig, dass diese Mittel jetzt umgewidmet werden, um Gaspreise zu subventionieren? Wenn das so ist, fehlen die dann nicht für andere Vorhaben?

BK Scholz: Zunächst einmal ist es so, dass wir doch eine ganz besondere Situation haben. Konjunkturprogramme, und das ist das Wiederaufbauprogramm ja in Wahrheit, wirken immer dort besonders unmittelbar, wo es um das geht, was wir automatische Stabilisatoren nennen, also in Deutschland zum Beispiel die Kurzarbeiterregelung und auch unser Sozialversicherungssystem, das unmittelbar agiert, sogar ohne dass eine Entscheidung durch die Gesetzgebung getroffen werden muss, und vieles andere, das wir in Deutschland haben. Ähnliches gibt es in anderen Ländern Europas. Wir haben das mit dem SURE-Programm, das in der Krise sehr geholfen hat und durch das Kurzarbeit dann so ähnlich wie in Deutschland - adaptiert auf die jeweiligen ganz anderen sozialen Sicherungssysteme - eingeführt worden ist, ja sogar verallgemeinert.

Aber das Besondere an dem Wiederaufbauprogramm, dem Recovery-Programm für die Europäische Union, ist ja, dass es eben auch Elemente des Wiederaufbaus und der Investitionen in die Zukunft beinhaltet, und die fließen normalerweise dann, wenn die Krisen vorbei sind. Das ist auch nicht falsch, weil dieses Signal „Es geht weiter!“ in der Krise wichtig ist. Aber wir dürfen einfach nicht übersehen, dass ein so großer Teil der Mittel, die dort mobilisiert worden sind, noch gar nicht in Anspruch genommen worden sind. Deshalb ergibt es aus meiner Sicht Sinn, dass man erst einmal schaut, welche Handlungsmöglichkeiten sich daraus ergeben.

Frage: Herr Bundeskanzler, ich würde ganz kurz daran anschließen wollen. Sie waren ja gerade in A Coruña in Spanien. Da fließt viel Geld des Wiederaufbaufonds zum Beispiel in den grünen Wasserstoff und andere Klimaprogramme. Könnte man davon Ihrer Meinung nach jetzt auch etwas umgestalten, um das in die Stützung, für Energiemaßnahmen, so wie die Deutschen 200 Milliarden Euro, zu nutzen? Wäre das für Sie eine vorstellbare Option?

Meine eigentliche Frage betrifft Südkorea und Japan und dass Sie angesprochen hatten, dort zu koordinieren. Ganz konkret hat Japan ja zum Beispiel sehr lange Lieferverträge für LNG und bekommt das ja dadurch sehr, sehr günstig. Glauben Sie tatsächlich, dass man die Japaner oder Südkorea überzeugen kann, vielleicht auch einen Deal mit den Europäern zu machen, um den Europäern ein bisschen mehr abzugeben, und sich zu koordinieren? Würden Sie - Sie gucken mich ganz komisch an; Sie können es ja gleich erläutern - so etwas auch unter der G7-Struktur machen wollen?

BK Scholz: Es ging jetzt nicht darum, Verträge auszutauschen. Es ging mir darum, dass wir den Blick ein bisschen weiten. Wir reden über einen Weltmarkt, aber tatsächlich findet die Diskussion bei vielen ziemlich selbstbezüglich statt, entweder nur auf das eigene Land oder maximal auf Europa bezogen. Das ist aber bei der Betrachtung eines Weltmarkts und globaler Lieferstrukturen keine gute Idee. Deshalb finde ich richtig, dass wir mit unseren Freunden, die wir anderswo haben, im Gespräch sind und schlicht einmal die Probleme gemeinsam betrachten und gemeinsame Handlungsoptionen entwickeln, die sich daraus ergeben können. Das ist jedenfalls das, was ich rate. Deshalb ist es mir auch ein Anliegen, dass wir diese Frage zum Beispiel im G7-Rahmen in der nächsten Zeit vertiefen, weil genau das ein guter Ort für solche Fragen ist.

Ansonsten will ich aber unterstreichen, dass es auch aus meiner Sicht nicht richtig war, dass in den letzten Jahren in Europa viel zu viele aus, wie ich finde, nicht richtigen Motiven auf kurzfristige Verträge und auf Spotmärkte gesetzt haben. Wenn man eine sichere Lieferstruktur haben will, ist es notwendig, langfristige Verträge abzuschließen. Im Übrigen ist es notwendig, sie zu diversifizieren.

Für das deutsche Beispiel gesprochen: Wenn wir norwegisches, niederländisches und russisches Gas importiert haben, waren das vielleicht nicht genügend Importeure und, was in unserem Fall ja auch geht, nicht genügend Importinfrastrukturen. Wir müssen jetzt mit großer Geschwindigkeit und großem Ernst überall in Norddeutschland neue Importstrukturen mit neuen Häfen in Wilhelmshaven, Stade, Brunsbüttel und Lubmin bauen. Das ist etwas, was man eigentlich von vorherein hätte diversifizieren sollen. Dann ist man nicht abhängig davon, dass irgendwo in der Welt gerade einmal etwas gegen die eigenen Interessen läuft, was ja immer passieren kann. Das wird sich wahrscheinlich als Betrachtungsweise nicht nur auf Gas, Kohle und Öl erstrecken. Es wird auch für andere Rohstoffe, für wichtige Lieferstrukturen gelten, dass wir diversifizieren, um damit auch unsere Sicherheit auch zu erhöhen.

Was die Frage betrifft, die Sie gestellt haben: Es geht mir jetzt nicht darum, solche Projekte nicht durchzuführen. Aber es geht mir darum, darauf hinzuweisen, dass wir ein großes Programm haben, das viele Aspekte und viele Details beinhaltet, wo das Allermeiste weder ausgegeben noch verplant ist. Das muss man im Kopf haben, wenn man darüber redet, was man konkret vorhat und welche Möglichkeiten existieren. Ich glaube, dass es deshalb Sinn macht, sich das alles gemeinsam anzuschauen und nach Handlungsoptionen zu suchen.

Zusatz: Was noch nicht verplant ist, könnte man eventuell umwidmen.

BK Scholz: Ich finde, es ist nicht richtig, hier jetzt ins Detail zu gehen, zumal die Pläne, was die einzelnen Länder gemacht haben, alle so unterschiedlich sind. Länder wie Deutschland haben ihren Anteil an den „loan“-Programmen ja überhaupt nicht wahrgenommen und werden es auch nicht. Deshalb ist es, glaube ich, schon wichtig, da einmal hinzugucken.

Frage: Herr Bundeskanzler, ich muss noch einmal auf dieses Programm von 200 Milliarden Euro kommen. Das, was Sie hier zur Verteidigung dieses Programms gesagt haben, haben Sie ja schon vorher öffentlich gesagt, das hat Herr Lindner öffentlich gesagt. Trotzdem ist das ja offensichtlich bei Ihren Kolleginnen und Kollegen nicht angekommen, denn sie haben vor Beginn der Sitzung noch einmal ihre Vorbehalte wiederholt. Haben Sie das in der Sitzung auch gemacht? Woraus schließen Sie, dass Sie da Missverständnisse haben ausräumen können?

Zweitens. Rechnen Sie damit, dass es schon beim Gipfel in zwei Wochen möglicherweise eine Lösung für diese Gaspreisfrage geben könnte?

BK Scholz: Alles, was schnell geht, ist gut. Deshalb muss viel gearbeitet werden. Das ist ja auch bei uns in Deutschland der Fall. Wir haben, was die Frage der Entwicklung der Gaspreise betrifft, eine Kommission eingesetzt. Diese wird uns hoffentlich Anfang der nächsten Woche zumindest erste Ergebnisse präsentieren, die wir dann auch schnell und zügig umsetzen können, sodass ganz schnell eine Entlastung bei den Bürgerinnen und Bürgern, bei den Kleinunternehmen eintritt und auch klar ist, welche Perspektive wir zur Sicherung von Arbeitsplätzen für die großen Unternehmen haben.

Ich will doch noch einmal sagen, dass das, was ich so in meinen Tickermeldungen gelesen haben, pointierter war als das gute Gespräch, an dem ich teilgenommen habe, wenn ich das so sagen darf. Es ist natürlich alles irgendwie vorgekommen. Das ist ja auch richtig. Trotzdem ist doch sehr klar zu sagen: Was Deutschland macht, ist richtig. Das ist genau das, was wir jetzt zur Entlastung unserer Bürgerinnen und Bürger tun müssen. Wir sind ein wirtschaftlich starkes Land. Wir können das auch. Wir haben immer auf unsere Finanzstabilität geachtet – und das ist auch richtig so -, damit wir in Krisen handlungsfähig sind. Natürlich weiß auch jeder, dass wir unter den G7-Ländern dasjenige mit der geringsten Schuldenquote sind. Deshalb haben wir auch die Möglichkeit, in einer Krise zu handeln. Ich glaube, dass niemand etwas dagegen hat, dass wir das machen. Dass die Diskussion jetzt darum geht, wie wir in Europa gemeinsam agieren können, ist sicher richtig. Aber wenn man sich einmal umschaut, muss man einfach feststellen: Das, was wir machen, liegt irgendwie im Mittelfeld von ziemlich vielen Entscheidungen, die sehr viele längst getroffen haben.

Zusatz: Das habe ich verstanden. Aber die anderen ja offenbar nicht.

BK Scholz: Na ja, man kann es dann ja noch einmal sagen.

Frage (auf Englisch; ohne Übersetzung):

BK Scholz (auf Englisch; ohne Übersetzung)

Frage: Herr Bundeskanzler, mit Blick auf die jüngsten Ereignisse: Welche Rolle hat in den Gesprächen der Schutz kritischer Infrastruktur gespielt? Gab es in der Hinsicht Schlussfolgerungen?

BK Scholz: Wir sind hier bei einem informellen Treffen, wo Fragen angesprochen werden, aber hier ganz bewusst niemand Entscheidungen treffen will und wir uns auch nicht den Tort antun, hinterher Erklärungen zu malen, wo wir uns dann fünf Stunden über Kommas unterhalten, sondern das Befreiende ist, dass hier wirklich Raum für Diskussionen ist. Das ist auch gut und hilfreich für die vielen Entscheidungen, die wir vorbereiten müssen und die wir bei den nächsten anstehenden Treffen zu treffen haben.

Klar ist das angesprochen worden. Für mich kann ich auch klar sagen: Wir werden alles dafür tun, unsere kritischen Infrastrukturen zu schützen. Wir werden auch das gemeinsam mit unseren Partnern intensivieren. Es sind große Räume, um die es geht. Da macht sich niemand etwas vor. Trotzdem macht es ja Sinn, dass man angesichts dessen, was wir an Anschlägen in den ausschließlichen Wirtschaftszonen Dänemarks und Schwedens gesehen haben, richtigerweise gemeinsam guckt, wie wir diese Infrastrukturen schützen können.

Außerdem ist es so, dass wir gemeinsam mit Schweden und Dänemark den konkreten Vorfall untersuchen und versuchen, mit all den Informationen, die wir von Partnerländern haben und die wir zusammentragen, eine bestmögliche Aufklärung dieses konkreten Sabotageaktes zu erreichen.