Pressekonferenz von Bundeskanzler Scholz und dem ukrainischen Präsidenten Selensky am 14. Mai 2023 in Berlin

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BK Scholz: Lieber Wolodymyr, herzlich willkommen in Berlin! Es ist ein starkes Signal, dich heute hier in unserer Hauptstadt zu begrüßen. Dutzende Male haben wir in den vergangenen eineinhalb Jahren miteinander telefoniert. Mehrmals sind wir uns begegnet - in Kiew, in Brüssel, in Paris und in München. Hier in Berlin ist es aber unser erstes Treffen, und darüber freue ich mich sehr - trotz der schwierigen, furchtbaren Umstände, die uns hier zusammenführen.

Seit 444 Tagen läuft der erbarmungslose russische Angriffskrieg gegen dein Land. Seit 444 Tagen stellen sich die Ukrainerinnen und Ukrainer unbeugsam und heldenhaft dieser brutalen Aggression Russlands entgegen. Dafür gebührt euch all unser Respekt und auch unsere Anerkennung.

Dieser schreckliche Krieg hat erhebliche geopolitische Konsequenzen. Zuallererst aber betrifft er die Bürgerinnen und Bürger der Ukraine. Mehr als eine Million von ihnen, vor allem Frauen, Kinder und Ältere, haben hier in Deutschland Schutz gefunden. Wir hier in Deutschland, unserer Bürgerinnen und Bürger, stehen in voller Solidarität zu den Menschen, die vor den brutalen Angriffen hierher geflohen sind. Diese Solidarität, sie ist anhaltend und sie ist stark.

Die enge Verbindung wird die Beziehungen unserer beiden Länder zueinander auf Jahrzehnte hinaus prägen. Im Angesicht des Schreckens, des himmelschreienden Unrechts, rücken wir noch enger zusammen. Wir unterstützen die Ukraine nicht nur humanitär, sondern auch politisch, finanziell und natürlich auch mit Waffen. Ich habe es oft gesagt und wiederhole es hier heute: Wir unterstützen euch so lange, wie es nötig sein wird.

Seit Beginn des Krieges beläuft sich allein unsere bilaterale Unterstützung der Ukraine auf 17 Milliarden Euro, und wir haben die Weichen dafür gestellt, dass diese Hilfe auch in den nächsten Jahren sichergestellt wird.

Militärisch liefern wir sehr moderne und wirksame Waffen, mit denen ihr euch verteidigen könnt, beispielsweise Kampfpanzer vom Typ Leopard 2A6, Schützenpanzer Marder, die Systeme IRIS-T und Patriot zur Luftverteidigung, Flugabwehrpanzer, Panzerhaubitzen, Mehrfachraketenwerfer und viel Munition. Und wir lassen in unserer Unterstützung nicht nach. Gerade haben wir entschieden, ein neues Unterstützungspaket für Militärgerät zu schnüren, mit einem Gesamtwert von 2,7 Milliarden Euro. Die ukrainischen Streitkräfte werden weitere Kampfpanzer vom Typ Leopard 1, weitere Schützenpanzer Marder und IRIS-T-Systeme erhalten.

Wir sehen all die schrecklichen Berichte, und deswegen ist klar: Die Verantwortlichen für diesen fürchterlichen Angriffskrieg müssen zur Rechenschaft gezogen werden. Kein Staat der Welt darf ein anderes Land überfallen, niemand darf morden, plündern, Kinder entführen. Deswegen setzen wir uns gemeinsam mit unseren Partnern dafür ein, dass Russland für seine Untaten zur Rechenschaft gezogen wird.

Lieber Wolodymyr, ich freue mich, dass wir nachher gemeinsam nach Aachen fliegen, wo dir und dem ukrainischen Volk der internationale Karlspreis verliehen wird. Wer, wenn nicht die Ukraine, hätte diese Auszeichnung dieses Jahr verdient?

Vielen Dank für deinen Besuch!

P Selensky: Vielen Dank, Olaf! - Sehr verehrter Herr Bundeskanzler, sehr verehrte Journalisten und Anwesende, deutsches Volk! Vor allem möchte ich dir, Olaf, und dem gesamten deutschen Volk herzlich danken - wirklich herzlich - für eure Hilfe, für jedes gerettete ukrainische Leben. Ich möchte unterstreichen: Die Hilfe Deutschlands ist ein Schutz des Lebens der Menschen, die dort Leben, ist ein Schutz der Menschen, die das, was sie haben, mithilfe von Luftverteidigung und Luftabwehr verteidigen, damit das soziale Leben in der Ukraine weitergehen kann. Auch Ihre finanzielle Hilfe ist sehr wichtig. Das ukrainische Volk wird dem deutschen Volk dafür immer dankbar sein, und durch Deutschlands Führungskraft und deine Führungskraft, Olaf, ist die Chance gegeben, die Welt sicherer zu machen. Je mehr Deutschland hier führend ist, desto besser ist das für den Frieden in der Welt und desto mehr Stabilität wird es in den internationalen Beziehungen geben.

Sehr geehrte Damen und Herren, gerade jetzt möchten wir alle, dass dieser Krieg so schnell wie möglich zu Ende geht, aber er muss zu Ende gehen mit einem gerechten Frieden. Unsere territoriale Integrität und Sicherheit sind genauso wichtig wie die territoriale Integrität aller Völker. Gerade jetzt, in diesem Jahr, rechnen wir damit, dass dieser Krieg zu Ende geht und wir die Niederlage des Aggressors besiegeln können.

Das neue Unterstützungspaket von deutscher Seite über 2,7 Milliarden Euro ist eine sehr wichtige und starke Hilfe - vielen Dank, Olaf, dafür! Das sind Luftabwehrsysteme, Granaten, Haubitzen - der Herr Bundeskanzler hat dazu bereits gesprochen -, aber in diesem Sicherheitspaket ist die Möglichkeit, uns zu schützen und gegen die russischen Angreifer zu verteidigen. Deutschland hat über elf Milliarden Euro bereitgestellt, um in diesem Jahr die Sicherheit der Ukraine zu stärken, und auch die Beteiligung Deutschlands an der europäischen Friedenfazilität zählt hierzu. Das zeigt den Willen des deutschen Volkes, die Freiheit zu verteidigen. Vom Umfang her ist die deutsche Hilfe die zweitgrößte nach den USA; das ist sehr, sehr viel.

Wir haben mit dem Bundeskanzler über die Lage in der Kampfzone gesprochen, über die Situation an der Front. Die Kampfhandlungen werden weitergehen. Wir haben darüber gesprochen, was wir zur Umsetzung unserer Friedensformel vorhaben, für die Stabilität und Ruhe in den internationalen Beziehungen. Wir haben unsere Positionen im Rahmen der G7 abgestimmt, und die Wege, auf die wir vonseiten der Weltgemeinschaft gegen diese Gefahr, die immer noch existent ist, hoffen. Wir sehen hier eine deutsche Hilfe, und die Ukraine ist ein Land, das sich als europäisches Land sieht. Ich denke, wir haben uns auch einen Anspruch darauf erarbeitet, ein europäisches Land und ein Land unter anderen europäischen Völkern zu sein.

Ich möchte mich bei allen deutschen Familien, bei jedem deutschen Steuerzahler, bei jeder Stadt und bei jedem Bundesland bedanken für die Unterstützung unserer Menschen, die in Deutschland Schutz gefunden haben, als sie sich vor den russischen Anschlägen auf unser Land gerettet haben. Diese Worte des Dankes möchte man jeden Tag sagen - danke für jede Mutter, für jedes Kind, das Sie gerettet haben.

Ruhm der Ukraine!

Frage: Herr Präsident, Sie haben es gerade schon gesagt: Deutschland hat Ihnen ein sehr umfangreiches Waffenpaket zugesagt. Sie haben das als ein starkes Zeichen bezeichnet. Was dieses Waffenpaket nicht enthält, sind Kampfjets westlicher Bauart, die die Ukraine schon seit vielen Monaten fordert. Was erwarten Sie da von Deutschland? Erwarten Sie, dass Deutschland selbst Kampfjets liefert, also Eurofighter oder Tornados, oder erwarten Sie zumindest, dass Deutschland Sie bei den Bemühungen unterstützt, von den USA F-16-Kampfjets zu erhalten?

Eine zweite Frage, wenn Sie erlauben: Stimmen die Berichte, dass Sie planen, russisches Territorium anzugreifen, um sich in eine bessere Verhandlungsposition zu bringen?

Herr Bundeskanzler, das neue Waffenpaket enthält Waffen derselben Qualität, wie sie Deutschland bereits geliefert hat. Sind Sie bereit, in Zukunft auch Waffen neuer Qualität zu liefern, also Kampfjets oder Marschflugkörper, oder hält Sie die Befürchtung, dass die Ukraine damit Russland angreifen könnte, von einer solchen Entscheidung ab?

P Selensky: Vielen Dank für die Frage. Zunächst zu Ihrer Frage in Bezug auf Kampfflugzeuge: Ich denke, dass es darum im zweiten Teil unseres Gesprächs gehen wird. Wir arbeiten jetzt daran, eine Kampfjetkoalition zu schaffen. Mein Besuch in den europäischen Hauptstädten dient unter anderem diesem Ziel. Ich denke, dass ich mich mit der Bitte, uns in dieser Koalition zu unterstützen, auch an die deutsche Seite wenden werde. Für die Ukraine ist sehr wichtig, unsere Anstrengungen zu koordinieren. Heute hat Russland ein Übergewicht im Luftraum. Das wollen wir überwinden.

Was das Eindringen betrifft: Dorthin, wohin ich komme, komme ich offiziell. Ich dringe nirgends ein. Das kann ich dazu sagen.

BK Scholz: Schönen Dank für die Frage. Wir haben in der Tat schon sehr viel geliefert. Aber darum geht es jetzt auch ganz konkret. Bei der geplanten Offensive der Ukraine geht es um die Verteidigung des eigenen Landes und den massiven Versuch, sicherzustellen, dass Russland seine Truppen zurückzieht. Darum geht es, wenn wir den Frieden in der Ukraine sichern wollen. Wir haben sehr viel geliefert. Gerade was die Luftverteidigung betrifft, sind das sehr moderne Waffen, etwa mit dem Patriot-System, mit IRIS-T, das wir zur Verfügung stellen und das sehr wirksam ist, mit dem Flakpanzer Gepard und mit vielen kleineren Waffen, die genau diesem Zweck dienen, genauso wie die vielfältigen Formen der Artillerie, die wir zur Verfügung stellen. Das ist das, worauf wir als Deutsche uns jetzt konzentrieren.

Frage: Sehr geehrter Herr Präsident Selensky, Sie haben früher gesagt, dass Sie mehr Zeit für den Gegenangriff brauchen. Nun gab es Ankündigungen für das neue Paket. Reicht das nun aus, damit die Ukraine tatsächlich zum Gegenangriff übergehen kann, oder muss das so sein?

(Die Fragestellerin fährt auf Englisch fort. Eine Dolmetschung erfolgt nicht.)

P Selensky: Ich werde mich kurzfassen. Noch einige Besuche, und dann ist es ausreichend.

BK Scholz: Viel Erfolg! - Aber die entscheidende Aussage ist natürlich: Wir haben jetzt eine Aufgabe, die darin besteht, die Ukraine bei ihrem Verteidigungskampf zu unterstützen. Das ist das, was wir tun. Der Präsident hat es eben gesagt: Deutschland ist nach den USA jetzt der zweitgrößte Unterstützer der Ukraine. Wir werden das auch weiterhin bleiben. Das macht die Größe des Pakets, über das wir eben gesprochen haben, von jetzt noch einmal einer erheblichen Milliardensumme ja deutlich.

Wir sind auch ganz klar in unserer Botschaft gegenüber der Ukraine, aber mindestens ebenso an den russischen Aggressor: Wir werden die Ukraine so lange unterstützen, wie es notwendig ist. Das heißt, dass wir hoffen, dass der Krieg schnell ein Ende findet, auch deshalb, weil es gelingt, mit der Unterstützung mit Waffen die Ukraine in die Lage zu versetzen, ihr Land zu verteidigen. Aber wir bereiten uns und auch alle unsere Freunde und Partner darauf vor, dass wir lange Zeit unterstützen können, wenn und soweit das notwendig ist. Das ist, denke ich, die wichtige Aussage, die man machen kann.

Ansonsten gilt: Wenn wir uns jetzt darauf konzentrieren, dass die Ukraine den russischen Angriff zurückweisen kann, dann geht es um praktische Fragen. Alles andere ist existierende Beschlusslage aus Bukarest.

Zusatzfrage: (ohne Mikrofon, akustisch unverständlich)

BK Scholz: (auf Englisch, ohne Dolmetschung)

Frage: Eine Frage an Sie beide, Herr Bundeskanzler und Herr Präsident: Das deutsch-ukrainische Verhältnis gilt als belastet, zum einen, weil Ihre Partei, Herr Bundeskanzler, lange Zeit ein enges Verhältnis zu Russland hatte und Sie Waffenlieferungen immer intensiv geprüft haben, bevor Sie zugestimmt haben. Ist das mit dem heutigen Treffen und dem erneuten Waffenpaket endgültig ausgeräumt? Haben Sie Vertrauen, Herr Präsident?

Ich habe gerade Ihre Antworten auf die Frage, ob ukrainische Kräfte auf russisches Gebiet schießen könnten, nicht ganz genau verstanden. Herr Präsident, Sie haben gesagt, Sie kämen überall dorthin, wohin Sie offiziell kämen. Bedeutet das Angriffe auf die Krim?

Herr Bundeskanzler, würden Sie das mit Waffen, die so weit reichen, unterstützen?

Dann habe ich noch eine Frage. Herr Präsident, in Deutschland fällt es einem Teil der Menschen sehr schwer, ihre Nähe zu Russland aufzugeben. Man hört auch unter ukrainischen Geflüchteten von Kummer über zerbrochene Freundschaften. Kann es für Sie irgendwann Versöhnung geben?

P Selensky: Vielen Dank für diese ganze Fragenliste. Ich weiß gar nicht, womit ich beginnen soll. Ich beginne mit der Frage, ob irgendwelche Lieferungen gebremst werden. Ich denke, wir sind heute im Krieg und sehr dankbar für die deutsche Hilfe, wie es der Kanzler gesagt hat. Ich kann bestätigen, dass Deutschland in der Unterstützung heute an zweiter Stelle steht. Ich denke, dass wir daran arbeiten werden, Deutschland auf den ersten Platz in der Unterstützung zu bringen.

Was russisches Territorium betrifft: Wir greifen kein russisches Gebiet an. Wir befreien unsere legitimen Gebiete. Für etwas anderes haben wir weder Zeit noch Kraft. Wir haben auch keine Waffen übrig, mit denen wir das tun könnten. Wir bereiten einen Gegenangriff zur Deokkupation der gemäß unserer Verfassung illegitim eroberten Gebiete vor, im Rahmen unserer legitimen Grenzen, die weltweit anerkannt sind.

BK Scholz: Schönen Dank. Der Präsident hat beantwortet, was seine Pläne sind. Deshalb erübrigt sich die Antwort auf die Frage, die Sie gestellt haben. Wir haben bisher Waffen geliefert, die genau diesem Zweck dienen, nämlich der Verteidigung der Ukraine, damit sie in der Lage ist, den Angriff auf das eigene Land zurückzuweisen und ihr eigenes Territorium zu verteidigen.

Genau darum geht es auch bei dem, was wir weiter tun. Die Größe der Waffenlieferungen, die Deutschland zur Verfügung stellt, und die Qualität dieser Waffen ist schon beschrieben worden. Ich will ergänzen, dass das bei uns auch noch viele andere Komponenten beinhaltet, die nicht immer im Fokus stehen, zum Beispiel sehr viel Mühe mit der Ausbildung der ukrainischen Soldatinnen und Soldaten hierzulande, zum Beispiel, dass wir sowohl in Deutschland als auch in den Nachbarländern der Ukraine Servicehubs eingerichtet haben, die die ständige Reparatur der verschiedenen Waffensysteme nötig macht. Das haben manche vielleicht nicht im Blick. Aber eine erfolgreiche Verteidigung setzt voraus, dass man seine Waffen permanent einsetzen kann, und das setzt ein etabliertes, funktionierendes, gut organisiertes Reparaturregime voraus, das wir jetzt an vielen Stellen zum Beispiel in Polen, in der Slowakei und in Rumänien etabliert haben. Wir werden auch weiterhin daran arbeiten, genau das zu gewährleisten, übrigens auch, was die Frage der Munitionslieferungen betrifft, die eine große Rolle spielen.

Im Übrigen bin ich sehr sicher, dass die Beziehungen zwischen der Ukraine und Deutschland sehr, sehr gut sind. Das spiegelt sich nicht nur in unser beider engen Freundschaft, engen Kooperation und der Offenheit wider, in der wir über alle Fragen sehr gut sprechen, sondern das spiegelt sich auch zwischen unseren beiden Ländern wider. Dass Deutschland so viel an Unterstützung in militärischer und finanzieller Hinsicht leistet, wird von einer großen Zahl von Bürgerinnen und Bürgern getragen, die selber helfen, die eine Million hier registrierten Bürgerinnen und Bürger zu unterstützen. Das ist nicht nur eine Verwaltungsangelegenheit. Das ist etwas, was eine zivile Bewegung von vielen Bürgerinnen und Bürgern meines Landes darstellt: Familien, die ukrainische Familien aufgenommen haben, Erzieherinnen und Erzieher, Lehrerinnen und Lehrer, die sich in den Schulen ganz viel Mühe geben, ganz viele Initiativen für Freizeitaktivitäten, für Aktivitäten der beruflichen Integration, die jeden Tag stattfinden.

Deshalb bin ich ganz sicher, dass es in Deutschland eine stabile, klare Unterstützung für den Kurs der Bundesregierung gibt, die Ukraine so zu unterstützen. Das beinhaltet auch, dass wir das behutsam und klug abgewogen machen. Die Tatsache, dass wir das gemacht haben, ist vielleicht auch die Ursache dafür, warum die Unterstützung in Deutschland, anders als in dem einen oder anderen Land, ungebrochen hoch ist.

Frage: Wir haben von einer Initiative Brasiliens in Bezug auf Friedensgespräche und die Errichtung eines gerechten Friedens - so war tatsächlich die Formulierung - gehört. Wir haben noch nicht gesehen, woher diese Meldungen genau kommen. Vor allem ist für uns interessant zu hören, was unsere Partner unter einem „gerechten Frieden“ verstehen. Bedeutet das eine Mitgliedschaft in der Nato, in der EU?

Und eine Präzisierung: Ist es tatsächlich so, dass vom Erfolg des Gegenangriffs abhängen wird, ob Waffen geliefert wird?

Eine Frage an den Bundeskanzler: Sie haben auch über die politische Beteiligung Deutschlands an der Beendigung des Krieges gesprochen. Heißt das, dass Deutschland dafür stimmen wird, dass die Ukraine EU-Mitglied wird?

Haben Sie heute dem Präsidenten Vorschläge zur Beendigung der Aggression gegen die Ukraine unterbreitet?

P Selensky: Vielen Dank. Zuerst einmal ist es so, dass der Krieg auf unserem Hoheitsgebiet abläuft. Deshalb ist es so, dass sich jeder Friedensplan, den es gibt, auf eine Initiative der Ukraine berufen können muss. Diesen habe ich in Indonesien beim G20-Gipfel vorgestellt. Wir haben darüber mit dem Kanzler gesprochen, und er wird seine Gedanken dazu äußern. Ich denke aber, dass wir die gleiche Position haben.

Was andere Staaten betrifft, die ihre Angebote unterbreitet haben oder das wollen, brauchen wir nicht viele Pläne. Wir haben einen Krieg, der nur auf unserem Gebiet stattfindet. Deshalb ist es so, dass wir bereit sind, uns Initiativen eines jeglichen Landes anzuhören und nicht nur anzuhören. Je mehr Staaten sich beteiligen, die auch am Gipfel zur Friedensformel der Ukraine, dem Zehn-Punkte-Plan, teilnehmen werden - - - Wir werden sehen, wer dort teilnehmen wird. Dort sehen wir ein Krisenmanagement. Dennoch ist uns klar, dass der Krieg immer noch weitergeht. Natürlich ergeben sich damit auch Veränderungen. Wir sind bereit, jegliche Vorschläge zu besprechen, aber nur auf der Plattform, die wir anbieten.

Was den bewaffneten Kampf anbetrifft: Es gibt das Risiko, dass, wenn der Gegenangriff nicht ausreichend erfolgreich ist, dann einige Staaten eventuell darüber nachdenken. Aber ich denke, die Hilfe dieser Staaten war bisher auch nicht so umfangreich. Dessen ungeachtet glauben wir alle an einen Erfolg und denken nicht an andere Sachen. Wir glauben daran, dass der Erfolg unser sein wird. Wir sind motiviert. Ich denke, dass wir für diesen Erfolg fast bereit sind.

BK Scholz: Schönen Dank für die Frage. In der Tat, wir werden die Ukraine unterstützen. Das muss überall und in der ganzen Welt auch gesagt werden: Die Ukraine ist zu einem Frieden bereit. Allerdings verlangt die Ukraine schon zu Recht und mit unserer völligen Unterstützung, dass das nicht bedeuten kann, einfach den Krieg einzufrieren und dass von russischer Seite ein Diktatfrieden formuliert wird. Es handelt sich um einen imperialistischen Angriff auf ukrainisches Territorium. Der Frieden und die Sicherheit in Europa sind von der Idee bedroht, dass ein mächtiges Land ein weniger mächtiges Land angreifen und sich einfach einen Teil seines Territoriums einverleiben kann.

Die Pläne des russischen Präsidenten sind auch offensichtlich. Man muss seine Schriften lesen, seine öffentlichen Reden hören. Er denkt eigentlich, dass Belarus und die Ukraine - oder möglichst viele Teile davon - von ihm zu Russland gemacht werden müssen. Der Angriff auf die Ukraine ist Teil dieses imperialistischen Konzepts. Das ist wiederum etwas, was in der Welt sehr genau verstanden wird.

Wir haben erfolgreiche Abstimmungen bei den Vereinten Nationen über die Verurteilung der russischen Aggression gehabt. Aber auch viele der Staaten, die sich enthalten haben, die nicht mit abgestimmt haben, verurteilen die russische Aggression. Sie sind manchmal in unmittelbarer Nachbarschaft und halten sich zurück. Sie sind manchmal weit weg, sehen die Folgen und halten sich zurück. Aber an der Tatsache, dass das nicht funktionieren kann, dass mit Gewalt Grenzen verschoben werden, gibt es in der Welt nur wenig Zweifel. Deshalb glaube ich auch, dass ausgehend von dem Vorschlag des Präsidenten, was die Möglichkeit eines Friedens betrifft, sich alle Diskussionen darum drehen müssen, dass diese Möglichkeit verstanden wird und immer klar ist: Russland muss Truppen zurückziehen. Ohne das wird es nicht gehen.

Diese Botschaft versuche ich übrigens auch in meinen Gesprächen mit den Ländern der Welt zu vertreten und zu unterstreichen. Ich glaube, dass das ganz bedeutend ist. Da kommt Deutschland, Europa, den USA eine große Rolle zu. Wir müssen den Länden im Süden Amerikas, in Afrika und Asien sagen: Es gibt keine Doppelstandards. Die Probleme, die in ihren Ländern existieren, berühren uns gleichermaßen. Angriffe eines mächtigen Landes auf ein Nachbarland sind auch dann ein Problem für uns, wenn das weit weg von uns selber ist. Wir kümmern uns auch um die Auswirkungen, die der russische Angriff für die ganze Welt hat. Denn Nahrungsmittelunsicherheit, steigende Preise sind Probleme, mit denen viele Länder zu kämpfen haben. Aber die Ursache dafür liegt in Moskau. Das ist das, was wir versuchen zu sagen. Deshalb bin ich ganz sicher, dass es gut ist, wenn sich auch andere Länder um einen Frieden bemühen, dass sie aber auch immer klar im Blick haben: Das geht nicht gegen die Ukraine. Und das bedeutet, Russland muss Truppen zurückziehen.