Pressekonferenz von Bundeskanzler Scholz und dem Bundeskanzler der Republik Österreich Nehammer am 18. August 2023 in Salzburg

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BK Nehammer: Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Bundeskanzler, lieber Olaf! Ich freue mich sehr, dass du heute das erste Mal offiziell als Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland hier in Österreich zu Gast bist. Das ist für uns in Österreich deshalb besonders, weil es seit über zehn Jahren das erste Mal ist, dass ein Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland wieder in Österreich ist.

Warum ist das für uns so wichtig? Weil wir nicht nur Nachbarn sind, sondern weil wir Nachbarn sind, die im Bereich Kultur und in der Frage der wirtschaftlichen Beziehungen eng miteinander verbunden und verwoben sind. Wenn man unsere Grenzregionen anschaut, sind das in Wahrheit keine Grenzregionen mehr, sondern die Menschen haben in ihren Lebenswirklichkeiten - sei es als Wirtschaftstreibende, sei es in Bezug auf Familiengründungen - diese Grenzen schon längst überschritten, überwunden. So sind wir da ein Stück weit zusammengewachsen.

Für mich als Bundeskanzler der Republik Österreich ist die Partnerschaft mit der Bundesrepublik Deutschland aber auch ganz besonders wichtig, weil wir sehr oft Verbündete in Bezug auf die Frage sind, wie wir europäische Politik gestalten wollen, wie wir die Europäische Union weiterentwickeln wollen, natürlich immer auch mit Rücksicht darauf, dass es dann auch zu unterschiedlichen Interessen kommen kann. Ich freue mich sehr darüber - natürlich nicht nur ich alleine, sondern auch die österreichische Tourismuswirtschaft -, dass Deutschland neben den exzellenten Wirtschaftsbeziehungen und Fragen der Industrie und des Unternehmerinnen- und Unternehmertums ein ganz wichtiger Partner ist, eines der stärksten Länder für Österreich, wenn es um den Tourismus geht. Daher haben wir viele Anknüpfungspunkte, die uns vereinen.

Politisch-inhaltlich haben wir gemeinsam große Herausforderungen zu stemmen. Das ist auf der einen Seite natürlich der dramatische Krieg in der Ukraine, der Überfall der Russischen Föderation auf dieses Land und die damit verbundenen Folgen, die wir gemeinsam zu stemmen haben, aber genauso die sehr schwierigen und heraufordernden Fragen wie die irreguläre Migration. Wenn es darum geht, auch hier neue Wege zu gehen, sind wir in dieser Frage Partner. Der Bundeskanzler und ich sind einer Meinung, dass wir, wenn wir tatsächlich einen effizienten Außengrenzschutz haben wollen, in der Lage sein müssen, rasch diejenigen, die nicht bleiben dürfen, wieder in ihre Herkunftsländer zurückzubringen. Aber das bedeutet eben auch, dass man stabile und tragfähige Beziehungen mit den Herkunftsländern auf- und ausbaut und Perspektiven schafft. Dabei stehen Deutschland und Österreich Seite an Seite. Denn nur, wenn wir einen glaubhaften Außengrenzschutz haben, wenn wir schnelle und rasche Asylverfahren haben, wenn wir in geordneter Zeit für Ordnung und Sicherheit innerhalb der Europäischen Union sorgen können, gewinnen wir auch das Vertrauen der Menschen in das europäische Projekt.

Natürlich ist das Thema Schengen erörtert worden. Auch hier habe ich die Gelegenheit genutzt, dem Bundeskanzler nochmals unsere österreichische Sicht darzustellen, die besondere Herausforderung, vor der sich Österreich befindet. Auch da sind wir in einer Schicksalsgemeinschaft. Im letzten Jahr wurden in Österreich 122 000 Asylanträge gestellt. Von diesen 122 000 Asylantragstellenden waren über 75 Prozent nicht registriert, obwohl sie ein EU-Land durchschritten haben. In Österreich gehen in diesem Jahr durch eine Vielzahl von Maßnahmen gerade die Asylantragszahlen zurück. Gleichzeitig sehen wir, dass sie in der Bundesrepublik Deutschland wieder steigen. Wir sind eben innerhalb der Europäischen Union eine solidarische Gemeinschaft, und daher ist das Österreich nicht gleichgültig. Ganz im Gegenteil. Wenn wir weiter an dem Schutz der Außengrenzen arbeiten und diesen weiterentwickeln wollen, braucht es eine gemeinsame Vorgehensweise. Dabei kann sich die Bundesrepublik Deutschland auf Österreich verlassen. Wir werden Deutschland zur Seite stehen, wenn es darum geht, die Maßnahmen vonseiten der EU-Kommission weiterhin vorzutreiben.

Es ist einiges gelungen. Es gibt zum ersten Mal Pilotprojekte an der Außengrenze in Rumänien und Bulgarien. Es gibt ein Abkommen der Europäischen Union mit Tunesien, das aus meiner Sicht zukunftsweisend ist. Wir sind zum ersten Mal in die Lage versetzt worden, dass wir eben nicht nur darüber sprechen, dass wir in der Migrationspolitik an sich Fortschritte erzielen, sondern diese auch tatsächlich umsetzen.

Ein Punkt, bei dem Deutschland für Österreich ein wichtiger Partner ist und vor allem in Zukunft noch viel mehr sein wird, ist die Frage der Energieversorgungssicherheit. Das ist für Österreich ein ganz besonderer Moment, denn exakt vor einem Jahr war die Welt noch eine ganz andere. Da war unsere größte Angst: Werden wir genug Gas zur Verfügung haben? Werden wir das Leben, die industrielle und wirtschaftliche Weiterentwicklung so sehen, wie wir sie jetzt gerade erleben, oder kommt sie zum Stillstand, weil zu wenig Energie vorhanden ist? Wir haben in Österreich im Verhältnis zur Bundesrepublik Deutschland sehr große Gasspeicher, sodass wir einen ganzen Jahresverbrauch der Republik einspeichern können. Wir haben uns damals zum Ziel gesetzt, einen Füllstand von 90 Prozent zu erreichen. Das ist gelungen, aber erst im November des letzten Jahres.

Ich darf Ihnen mitteilen, dass wir bereits jetzt im August in der Lage sind, sagen zu dürfen, dass 90 Prozent der Gasspeicher in Österreich gefüllt sind. Das heißt, dass die Versorgungssicherheit für den Winter gewährleitet ist. Damit wird aber auch ein Stück gezeigt, dass wir weiter daran arbeiten, unabhängiger von russischem Gas zu werden. Sie wissen, das ist in Österreich eine große Herausforderung. Wir waren im letzten Jahr noch in einem hohen Ausmaß - bis zu 80 Prozent - abhängig. Dann hat Gazprom offensichtlich mit Auftrag des russischen Präsidenten gegenüber Österreich sein Unbehagen gezeigt, indem die Gaslieferungen mehrfach unterschritten worden sind, und zwar dramatisch. Statt der zugesagten Menge von 100 Prozent wurden nunmehr 30 Prozent geliefert. An anderen Tagen wurde eine Überlieferung durchgeführt. Das heißt, das brachte große Probleme für unseren, noch in teilstaatlicher Hand befindlichen Mineralölkonzern mit sich. All das ist passiert. Österreich hat sich weder erpressen noch einschüchtern lassen, sondern ist weiter klar an der Seite der Europäischen Union gestanden, wenn es um die Frage der Sanktionen und die Solidarität mit der Ukraine ging. Das war eben möglich, weil wir alle gemeinsam und auch mit der Unterstützung der Bundesrepublik daran gearbeitet haben, Gasalternativen aufzustellen. Diese wurden mittlerweile gefunden. Wir arbeiten an der Konnektivität zwischen Österreich und Deutschland, um davon zu profitieren, dass in sehr kurzer Zeit die Flüssiggasterminals errichtet worden sind, die in weiterer Folge für die österreichische Versorgungssicherheit eine nicht unwesentliche Rolle spielen werden.

Das ist auch eine Zukunftsfrage, weil Deutschland für Österreich ein wichtiger Partner ist und sein wird, wenn es darum geht, dass wir grünen Wasserstoff tatsächlich in das Herz Europas bringen. Österreich liegt in der Mitte des europäischen Kontinents. Wir haben keine Häfen. Das heißt, wir sind darauf angewiesen, dass eine Pipeline-Infrastruktur auch dann für den grünen Wasserstoff zur Verfügung steht. Hier gibt es viele zukünftige gemeinsame Projekte und auch ein ganz konkretes, dass wir nämlich gemeinsam mit Italien den Südkorridor entwickeln, um von Afrika über Italien nach Österreich und in weiterer Folge auch nach Deutschland grünen Wasserstoff zu liefern.

Das sind die Themen, die uns für die Zukunft mit dem Ziel bewegen, unabhängiger von fossiler Energie zu werden, Versorgungssicherheit für die Menschen herzustellen und weiter daran zu arbeiten, dass die gute Partnerschaft und Freundschaft zwischen unseren beiden Nationen innerhalb der Europäischen Union weiterentwickelt wird.

BK Scholz: Auch von meiner Seite, lieber Karl, sehr geehrter Herr Bundeskanzler, vielen Dank für den herzlichen Empfang heute hier in Salzburg! Österreich ist für uns nicht nur Nachbar, sondern Freund und Partner. Unsere Länder sind aufs Engste miteinander verbunden. Ich kann es gar nicht viel sorgfältiger schildern, als du es bereits gemacht hast: Der kulturelle und gesellschaftliche Austausch mit Österreich ist so intensiv und vielfältig wie mit kaum einem anderen Land. Unsere Verbundenheit wird auch daran deutlich, dass wir für unsere gemeinsamen Werte eintreten: Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und eine internationale Ordnung auf der Grundlage des Völkerrechts.

Ich habe mit dem Bundeskanzler soeben ein sehr gutes und vertrauensvolles Gespräch unter vier Augen geführt, das wir im Anschluss mit unseren Delegationen fortsetzen wollen. Ein Schwerpunkt unserer heutigen Fragen lag natürlich auf dem Thema Sicherheit. Der russische Überfall auf die Ukraine stellt uns alle vor große, neue Herausforderungen. Russland bedroht mit seinem brutalen, völkerrechtswidrigen Angriffskrieg nicht nur die Ukraine, sondern gefährdet auch die gesamte europäische Sicherheitsarchitektur. Auf diese neue geopolitische Realität müssen wir uns letztlich alle einstellen und die nötigen Konsequenzen ziehen.

Deutschland hat wichtige Weichenstellungen getroffen, um unser Land und unsere Verbündeten besser verteidigen zu können. Angesichts dieser neuen Realitäten begrüße ich auch, dass Österreich im Juli unserer gemeinsamen europäischen Luftverteidigungsinitiative European Skyshield Initiative beigetreten ist.

Dieser Krieg in Europa fordert uns alle dazu auf, unser Selbstverständnis kritisch zu prüfen und mitunter auch zu unbequemen Entscheidungen bereit zu sein. Entgegen einem jahrzehntelangen Grundsatz deutscher Politik liefern wir jetzt Waffen in ein Kriegsgebiet, damit sich die Ukraine gegen die russische Aggression verteidigen kann. Deutschland ist fest entschlossen, gemeinsam mit seinen Partnern und Verbündeten die Ukraine politisch, finanziell, aber auch militärisch zu unterstützen, solange das nötig ist. Dabei ist jede Unterstützung unserer Partner sehr willkommen.

Wir haben uns auch über die Vertiefung unserer bilateralen Zusammenarbeit und unsere Zusammenarbeit mit anderen europäischen Partnern unterhalten. Dabei ging es zum Beispiel um den Korridor, mit dem wir Gas- und Wasserstofflieferungen aus dem Süden möglich machen wollen. Das ist wichtig und reiht sich in all die Fragen ein, die wir miteinander zu diskutieren haben, wenn es darum geht, wie wir eigentlich sicherstellen, dass die Energieversorgung der Zukunft gewährleistet ist. Das Wirtschaftssystem wird in Zukunft im Wesentlichen Strom und Wasserstoff benötigen, wo heute Kohle, Öl und Gas ihre Aufgaben erfüllen. Natürlich geht es auch immer und jeden Tag darum, dass wir sicherstellen, dass wir nicht von Gaslieferungen aus Russland abhängig sind, sodass wir unsere Verbindungen rechtzeitig und schnell so ausbauen, dass wir mit jeder Situation gemeinsam gut umgehen können.

Die Europäische Union wird absehbar größer werden. Das ist etwas, worauf wir uns nicht nur in den Mitgliedstaaten vorbereiten und worauf sich die künftigen Mitgliedstaaten vorbereiten müssen, sondern wir werden uns auch beitrittsfähig machen müssen. Deshalb ist es wichtig, dass wir einen Gesprächsprozess über die Frage begonnen haben: Welche Konsequenzen hat das eigentlich etwa für die Entscheidungsstrukturen, die wir in Europa haben, damit wir mit mehr Mitgliedsländern gemeinsam bedeutsam in einer Welt bleiben können, die dann zehn Milliarden Einwohner hat und bei der es darauf ankommt, dass wir als Europäische Union in den Punkten, in denen das notwendig ist, als Union handeln können?

Dazu gehört natürlich auch die Frage der Beitrittsperspektive der Westbalkanstaaten, um die wir uns sehr bemüht haben. Ich bin sehr dankbar, dass wir dabei eng miteinander zusammenarbeiten. Das ist etwas, das uns miteinander am Herzen liegt. Auch dafür bin ich sehr, sehr dankbar.

Frage: Eine Frage an Herrn Kanzler Nehammer. Angeblich soll heute Ihr Vorgänger, Bundeskanzler Sebastian Kurz, wegen Falschaussage vor dem Untersuchungsausschuss angeklagt werden. Was bedeutet das für die Partei? Was bedeutet das für das Ansehen Österreichs im Ausland?

BK Nehammer: Zum einen soll es so sein, wie Sie sagen. Es gibt noch keine offizielle Information dazu. Wenn es denn so ist, dann besteht jetzt endlich die Möglichkeit der Aufklärung. Das ist für alle betroffenen Personen die Gelegenheit, diese Aufklärung anzustreben und zu leisten.

Frage: Ich habe eine Frage an den deutschen Bundeskanzler. Wann sollen Rumänien und Bulgarien Mitglied im Schengen-Raum werden? Die deutsche Wirtschaft ist mehr als bereit und möchte es sehr gern. Wann wird es so weit sein?

Meine zweite Frage betrifft den Umgang mit Ungarn im Hinblick auf die Migrations- und Flüchtlingspolitik. Bundeskanzler Nehammer hat schon die 122 000 Asylbewerber erwähnt, die hier erstmals in den Schengen-Raum eingetreten sind. 75 Prozent, das war die Zahl. Dann war noch jene ungute Geschichte: Ende Mai hat Orbán 700 Schlepper aus der Haft entlassen. - Das alles ist ja ein sehr unsolidarischer Umgang. Haben Sie darüber geredet? Wie kann man innerhalb der EU gucken, dass man solidarisch agiert?

BK Scholz: Deutschland steht für eine weitere Entwicklung der Europäischen Union. Dazu gehört natürlich auch, dass die Mitgliedsländer der Europäischen Union dem Schengen-Raum beitreten können. Was ganz konkret Bulgarien und Rumänien betrifft, sind wir so weit, zuzustimmen. Andere haben noch Fragen, wie wir wissen. Aber die deutsche Haltung in dieser Frage ist klar. Das habe ich auch den Freunden in Rumänien und Bulgarien immer versichern können.

Was die Frage der Asylmigration betrifft, ist es aus meiner Sicht ein ganz großer Fortschritt, dass wir uns bei den Innenministern, aber auch im Europäischen Rat auf eine Linie verständigt haben, die im Ergebnis zu einem neuen Solidaritätsmechanismus führt, der insbesondere die Frage aufgreift, die Sie gerade angesprochen haben. Tatsächlich ist ein großer Teil der Flüchtlinge, die nach Österreich oder nach Deutschland kommen - das gilt auch für manche andere Länder -, gar nicht registriert, obwohl diese Flüchtlinge offensichtlich vorher in einem anderen europäischen Land gewesen sind und dort hätten registriert werden und ihr Asylverfahren betreiben müssen.

Das Neue, das wir jetzt miteinander vereinbaren wollen und worüber die Verhandlungen mit dem Parlament jetzt begonnen haben, um noch vor Abschluss dieser Legislaturperiode zu einem Ergebnis zu kommen, ist, dass es einen Solidaritätsmechanismus geben soll, der erstens eine Verständigung darüber beinhaltet, dass alle Flüchtlinge registriert werden. Wenn das der Fall ist und damit auch Asylverfahren in den Ländern, in denen sie zuallererst auftreten, betrieben werden müssen, funktioniert das fairerweise nur dann, wenn es auch einen solidarischen Mechanismus gibt, der Länder wie Österreich und Deutschland einbindet, sodass sie von denen, die ankommen, auch weiterhin einen ihrer Größenordnung entsprechenden Anteil übernehmen, aber eben anders als heute nicht mehr so viele ohne Registrierung. Das ist eigentlich der Kern der so aufgeregt diskutierten Reform und greift gewissermaßen das Thema an, das Sie angesprochen haben. Denn wir müssen ja dafür sorgen, dass unsere Regeln miteinander gelten. Das geht aber nur solidarisch. Insofern bin ich sicher, dass wir einen großen Fortschritt in Europa erreicht haben, den wir gemeinsam haben bewirken können und der für uns bedeutend ist.

Das gilt auch für viele andere Fragen, die in diesem Bereich eine Rolle spielen. Der Bundeskanzler hat auch angesprochen, dass wir die Länder, die Außengrenzen haben, dabei unterstützen, die Aufgaben wahrnehmen zu können, die dort anfallen, und dass wir einen Weg einschlagen, der letztendlich einen Fortschritt bei der eigentlichen Herausforderung mit sich bringt. Das können nur Migrationspartnerschaften sein, also Lösungen, die bedeuten, dass wir mit Ländern der Herkunft und des Transits vereinbaren, dass es möglich ist, zum Zwecke der Arbeit, zum Zwecke eines Studiums oder zu anderen von uns akzeptierten Zwecken in unsere Länder zu kommen - das entspricht auch unseren Bedürfnissen; Deutschland braucht Millionen zusätzlicher Arbeitskräfte, um den eigenen Wohlstand aufrechtzuerhalten; das ist bei Österreich nicht anders -, dass wir im Gegenzug dafür mit diesen Ländern aber auch vereinbaren, dass sie diejenigen, die sich zu Unrecht auf Fluchtgründe berufen und denen deshalb von unseren Institutionen und Gerichten kein Schutz gewährt wird, auch wieder zurücknehmen. Daran hapert es ja. Wenn es sich aber herumspräche, dass es einen legalen Weg zum Beispiel für eine Arbeitsmigration gibt, nicht für alle, aber doch für einen Teil der Interessierten, der genau zu unseren Anforderungen passt, dass es aber keinen Sinn macht, sich, wenn man keine Fluchtgründe hat, die unseren Regeln entsprechen, auf einen langen Weg zu machen, um dann irgendwo in Europa anzukommen, die Entscheidung zu bekommen, dass man wieder zurückgehen muss, und dann wieder zurückzugehen, dann würde das wahrscheinlich dazu führen, dass sich weniger auf diesen irregulären Weg machen und mehr ihre Hoffnung auf den regulären Weg setzen. Genau das ist unsere gemeinsame Politik.

BK Nehammer: Ich möchte noch etwas ergänzen, weil es dazu passt. Österreich hat mit Marokko genau solch einen Weg gewählt. Wir haben über Jahre das große Problem gehabt, dass Marokkaner, die in Österreich straffällig wurden, nicht zurückgebracht werden konnten, weil die Anerkennungsverfahren unendlich lange gedauert haben und damit auch die Effizienz des Rechtsstaates auch in den Augen der Bevölkerung ständig gelitten hat. Jetzt ist es uns durch Verhandlungen auf Augenhöhe gelungen, ein Abkommen zu erreichen, das auf der einen Seite einen geordneten Zuzug in den Arbeitsmarkt zulässt, der aber kontrolliert stattfindet, kontrolliert von den österreichischen Behörden, und das auf der anderen Seite dafür sorgt, dass diejenigen, die nicht bleiben dürfen, diejenigen, die straffällig geworden sind, sehr rasch und effizient zurückgenommen werden. Das läuft seit einigen Monaten, und es läuft sehr gut.

Deswegen auch unsere Unterstützung für das Projekt der EU mit Tunesien. Wir verhandeln gerade auch mit Ägypten. Natürlich ist es immer effizienter, wenn es die EU als Gesamtes tut, weil sie viel stärker und kräftiger im Auftreten ist, auch in der Möglichkeit, Win-win-Situationen zu schaffen, sodass für beide etwas drin ist.

Das, was der Bundeskanzler gesagt hat, möchte ich nur unterstreichen. Das Vertrauen der Menschen in den Rechtsstaat wird nur dann möglich sein und gestärkt werden, wenn der Rechtsstaat tatsächlich funktionieren und auch umsetzen kann, was die Gesetze vorsehen. Diese Kooperation ist dafür der einzig richtige Weg. Wir müssen den Druck auf die Außengrenzen reduzieren. Der Weg, der jetzt eingeschlagen worden ist, die Pilotprojekte in Rumänien, die Pilotprojekte in Bulgarien, die von der EU-Kommission finanziert werden, die Tatsache, dass zum ersten Mal offensiv darüber gesprochen wird, dass Bulgarien mit der langen Grenze zur Türkei eine unglaublich große Herausforderung bisher oft allein zu stemmen hatte, dass Polizisten bei diesem schwierigen Dienst der Grenzsicherung ermordet worden sind, all das ist für Bulgarien wichtig und in weiterer Folge natürlich auch für Rumänien, aber für Österreich genauso wie für die Bundesrepublik Deutschland. Das systemische Denken ist hierbei aus meiner Sicht das einzige, das funktionieren kann, um tatsächlich mehr Sicherheit für die Union zu gewinnen.

Zuruf: Noch einen Satz zu Ungarn?

BK Nehammer: Ja, Ungarn! Ich habe das hier immer klar gesagt. Ich bin als österreichischer Bundeskanzler nicht naiv. 80 Prozent derer, die in Österreich aufgegriffen werden und nicht registriert sind, kommen von der ungarischen Seite.

Auf der anderen Seite ist Ungarn unser Nachbar. Das heißt, wenn ich den Druck auf unsere Grenzen reduzieren will, was uns durch verschiedene Operationen, die wir gemeinsam mit der ungarischen Polizei durchgeführt haben, auch ein Stück weit gelungen ist - - - Das heißt, österreichische Polizisten versehen gerade Dienst in Ungarn. Dadurch haben wir es erreicht, diesen Druck ein Stück weit zu reduzieren. Das ist der richtige Weg. Es muss noch besser werden, aber es ist der richtige Weg, wie die Zahlen zeigen.

Aber es ändert nichts daran, dass der Außengrenzschutz auch hier eine große Frage ist und dass es eine sehr intensive Grenzbeziehung zwischen Ungarn und Serbien in Fragen der irregulären Migration gibt. Deswegen ist es auch so wichtig, dass man mit den Westbalkanstaaten verhandelt und sie in den Prozess mit einbindet. Österreich hatte zum Beispiel letztes Jahr einen rasanten Anstieg an Asylantragstellern aus Indien. Die Zahlen sind bis in die Zehntausende hinaufgestiegen. Der Grund war die Visaliberalisierung Serbiens gegenüber Indien, genauso übrigens auch wie mit Tunesien. Man konnte mit gemeinsamen Verhandlungen erreichen, dass Serbien das zurücknimmt. Dabei ist wiederum auch Ungarn wichtig. Denn Ungarn hat einen großen Einfluss in den Westbalkanstaaten und eine enge Kooperation mit Serbien. Also auch hier wieder der systemische Ansatz!

Es ist ein permanenter Prozess. Es ist wichtig, sich an EU-Regeln zu halten. Deswegen hat Österreich auch immer klar gesagt: Ja, es ist richtig, dass die Kommission dann Verfahren gegen Ungarn einleitet, wenn dort EU-Recht gebrochen wird. - Auf der anderen Seite braucht man aber auch die polizeiliche Kooperation, damit man tatsächlich Entlastungen schafft.

Frage: Ich möchte einhaken, weil Ungarn und der neue Asylmechanismus erwähnt wurden. Wie wollen Sie sicherstellen, dass sich in der Praxis tatsächlich etwas ändert und die Registrierungen von Ungarn tatsächlich vorgenommen werden? Die Frage geht an Sie beide.

BK Scholz: Zunächst einmal dadurch, dass wir diese Regeln miteinander vereinbaren und das dann von allen ernsthaft gewollt wird. Ich habe den Eindruck, dass das jetzt möglich ist. Jedenfalls ist es das, was ich aus allen Gesprächen zum Beispiel mit den Staats- und Regierungschefs, die am Mittelmeer Verantwortung tragen, mitgenommen habe. Wir sind eigentlich zuversichtlich, dass jetzt eine jahrelang nicht vorankommende Reform tatsächlich gelingt.

BK Nehammer: Es ist wie immer das Bohren dicker Bretter. Sie kennen die Position Ungarns und Polens. Dennoch gibt es einen Beschluss auf europäischer Ebene. In einer Gemeinschaft ist es einfach wichtig, sich an das Recht zu halten. Es gibt Institutionen, die Fürsorge dafür tragen, dass das so geschieht.

Gleichzeitig ist sich Österreich der Verantwortung sehr bewusst, auch in den nachbarschaftlichen Beziehungen zu Ungarn immer wieder alles zu versuchen, damit die Ungarn - in dem Fall ist auch Premierminister Orbán konkret angesprochen - ein Sicherheitspartner auch in dieser Frage werden.

Wie gesagt, bin ich nicht naiv. Das wird nicht einfach. Aber in Österreich gibt es den Spruch: Wenn es einfach wäre, dann bräuchte man uns in der politischen Verantwortung nicht.

Frage: Meine Frage geht vor allem an Bundeskanzler Olaf Scholz. Hier in der Nähe wird an der deutsch-österreichischen Grenze immer noch kontrolliert. Ich glaube, Herr Nehammer, viele Österreicher stört das. Sie müssen da nämlich durch, wenn sie nach Tirol wollen. Haben Sie darüber gesprochen, wann das ein Ende nimmt, wann das vorbei ist?

Vielleicht auch einen kleinen Gruß aus Berlin, Herr Scholz: Stimmt es, dass Sie den Gesetzentwurf von Frau Paus schon gelesen haben?

BK Scholz: Was das Erste betrifft, haben wir einen sehr pragmatischen Umgang in dieser Sache. Wir haben Verständigungen mit der Schweiz auch über gemeinsame Patrouillen jenseits der Grenzen und Zurückweisungen im Hinblick auf Einreisen nach Deutschland, die von der Schweiz vorgenommen werden, also eine enge Kooperation. Wir kooperieren mit Österreich. Da gibt es das Grenzkontrollregime, das wir haben. Die gleichen Fragen stellen sich an anderen Grenzen. Das wird mal so, mal so sein. Aber gegenwärtig ist es angesichts der Zahlen, die wir gemeinsam kennen, unverzichtbar, genauso wie Österreich seinerseits an anderen Stellen Kontrollen vornehmen muss. Das sage ich so.

Wir müssen sehen, dass wir das ganze System auf gute Füße stellen. Das ist die Reform, über die ich eben gesprochen habe. Solange das alles nicht funktioniert, werden wir uns immer einmal auf irgendeine Weise ganz pragmatisch helfen müssen, wie zum Beispiel an der deutsch-österreichischen Grenze.

Was die Fragen der Kindergrundsicherung betrifft, habe ich sehr stark dafür gesorgt, dass es einen großen Fortschritt gibt. Wie ich schon bei verschiedenen Gelegenheiten gesagt habe, sind wir mit 99 Prozent fertig. Vielleicht sind es nur 98 Prozent, je nach dem, was man zählt. Den Rest schaffen wir auch noch.