Pressekonferenz von Bundeskanzler Scholz, IWF-Direktorin Georgieva, WTO-Generaldirektorin Okonjo-Iweala, World Bank Managing Director of Development Policy and Partnerships Pangestu, ILO-Generaldirektor Houngbo und OECD-Generalsekretär Cormann zum Treffen des Bundeskanzlers mit Vertretern von internationalen Finanz- und Wirtschaftsorganisationen am 29. November 2022

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Im Wortlaut Pressekonferenz von Bundeskanzler Scholz, IWF-Direktorin Georgieva, WTO-Generaldirektorin Okonjo-Iweala, World Bank Managing Director of Development Policy and Partnerships Pangestu, ILO-Generaldirektor Houngbo und OECD-Generalsekretär Cormann zum Treffen des Bundeskanzlers mit Vertretern von internationalen Finanz- und Wirtschaftsorganisationen am 29. November 2022

in Berlin

  • Mitschrift Pressekonferenz
  • Dienstag, 29. November 2022

(Die Protokollierung des fremdsprachlichen Teils erfolgte anhand der Simultandolmetschung)


BK Scholz: Meine Damen und Herren, ich habe schon mehrfach über die Zeitenwende gesprochen, die mit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine verbunden ist, aber auch, wie wichtig gerade im Hinblick auf diese Entwicklung der Multilateralismus, die Zusammenarbeit der Staaten der Welt, ist. In der aktuellen Zeit, in der wir heute leben, steht dieser Multilateralismus vor sehr großen Herausforderungen. Vor diesem Hintergrund ist eine enge Zusammenarbeit zwischen den internationalen Organisationen, den nationalen Regierungen und innerhalb der Europäischen Union von größter Bedeutung.

 Ich bin daher sehr froh, dass ich mich heute mit den Vorsitzenden von IWF, Weltbank, WTO, OECD und ILO austauschen konnte. Wir haben heute darüber gesprochen, wie wir in der sehr komplexen Krisenlage möglichst wirksam und nachhaltig gemeinsam agieren können und natürlich auch darüber, wie das mit den Aufgaben zusammenhängt, die die internationalen Organisationen haben.

Ein paar Punkte sind sehr wichtig. Wir müssen uns mit den geopolitischen und ökonomischen Herausforderungen auseinandersetzen, vor denen wir stehen. Immer noch sind die Auswirkungen der Pandemie zu spüren. Natürlich hat der russische Angriffskrieg Konsequenzen, nicht nur für die Bürgerinnen und Bürger der Ukraine und für Europa, sondern für die ganze Welt. Wir merken das an steigenden Preisen, an Fragen der Energiesicherheit. Wir merken das im Hinblick auf die Ernährungssicherheit, auch bei wirtschaftlichen Ausblicken und wirtschaftlichen Wachstumsperspektiven.

Wichtig ist aber auch, dass wir in dieser Situation nicht in alte Fehler zurückfallen. Es ist ganz klar, dass wir Schwierigkeiten haben, was Lieferketten betrifft. Aber Deglobalisierung, Decoupling und Protektionismus sind keine Lösung. Darüber sind wir uns auch alle einig, und wir haben gerade diese Frage sehr sorgfältig und sehr ausführlich diskutiert.

Was wir brauchen, ist eine smarte Globalisierung, in der wir die Resilienzen stärken, in der wir Abhängigkeiten reduzieren und in der wir auch deshalb vorankommen, weil wir mehr Staaten der Welt ermöglichen, an dem globalen Austausch teilzuhaben, in dem wir Handelsbeziehungen diversifizieren. Dafür brauchen wir natürlich faire und gute Bedingungen für den Handel, damit das globale Wachstum und eine Verbesserung der Lebensverhältnisse Hand in Hand gehen können. Deshalb ist es auch wichtig, die WTO zu stärken, weil sie unverändert dafürsteht, dass wir diese Möglichkeiten der Globalisierung in fairer Weise miteinander nutzen.

Klar ist auch, dass wir das nur schaffen können, wenn wir dafür Sorge tragen, dass wir die andere große Herausforderung unserer Menschheit nicht vergessen, nämlich den globalen Klimawandel, den wir aufhalten müssen. Auch das kann nur gemeinsam funktionieren. Zuletzt hat sich das ja noch einmal deutlich bei der Zusammenkunft der COP27 in Scharm el-Scheich gezeigt, wo es eben wichtig war, dass wir miteinander noch einmal unsere weltweiten Zielsetzungen verfolgen.

Wenn sich alle gemeinsam zusammentun und auch jeweils national etwas unternehmen, um den menschengemachten Klimawandel aufzuhalten, dann sollte das Ergebnis aber nicht sein, dass wir neue Handelsbarrieren aufziehen. Deshalb werbe ich so sehr dafür, dass wir einen kooperativen internationalen Klimaclub bilden, dessen Ziel es eben ist, dass wir ambitioniert zusammenarbeiten, aber einander eben nicht von den Handlungsmöglichkeiten und den Austauschmöglichkeiten ausschließen, die die globale Ökonomie heute bietet.

Wir werden auch viele Länder bei ihren eigenen Entwicklungsmöglichkeiten unterstützen, etwa mit „Just Energy Transition Partnerships“, die dafür wichtig sind.

Uns war es auch wichtig, dass in Scharm el-Scheich über einen Fonds für klimabedingte Verluste und Schäden gesprochen wurde. Auch das gehört ja zu den Herausforderungen, vor denen wir heute stehen.

Wir müssen sehr viel dafür tun, dass wir faire Arbeitsbedingungen in der Welt haben. Auch das gehört zu der nachhaltigen Entwicklung, für die wir uns einsetzen. Deshalb ist der „Global Accelerator on Jobs and Social Protection for Just Transitions“ so wichtig. Wir werden diesen unterstützen.

Das alles setzt voraus, dass wir eng zusammenarbeiten und auch die notwendigen Finanzmittel mobilisieren - eine Aufgabe, die auch etwas mit einer globalen Kooperation zu tun hat. Deshalb will ich hier noch einmal auf die globalen Schuldeninitiativen der G20 des Pariser Clubs zu sprechen kommen, die alle weiter wichtig bleiben, damit die Entwicklungsbedingungen der Länder auch erhalten bleiben und neu fundiert werden können.

Alles zusammengefasst: Wir können den großen Herausforderungen nur gemeinsam begegnen. Die internationalen Organisationen, insbesondere die, die hier versammelt sind, sind dafür von allergrößter Bedeutung. Ich freue mich unverändert über die gute Zusammenarbeit Deutschlands mit diesen Organisationen und habe allen hier versichert, dass es dabei bleiben wird. Die Maßnahmen, die Sie unternehmen, sind wichtig für eine gerechtere und bessere Welt. Deshalb ist das Treffen heute so bedeutend.

Georgieva: Herzlichen Dank. Herr Bundeskanzler, wir sind sehr dankbar, dass Sie uns eingeladen haben, um gemeinsam über dieses schwierige Umfeld zu sprechen, in dem wir heute leben.

In unseren letzten globalen Berichten haben wir vorhergesagt, dass das Wachstum sehr stark abnehmen wird: 3,2 Prozent für dieses Jahr, 2,7 Prozent für nächstes Jahr. Das führt dazu, dass 2023 das dritte Jahr in Folge mit langsamem Wachstum sein wird - seit 2001 nach der großen Depression und der Pandemie.

Wir haben die neuesten Daten zusammengefasst. Das zeigt, dass im nächsten Jahr leider die Vorhersagen für langsames Wachstum eintreten werden und das Wachstum unter 2 Prozent liegen wird. Das Wirtschaftsklima weist darauf hin, dass wir im vierten Quartal dieses Jahres schwächere Aktivitäten sehen werden. Das wird auch im neuen Jahr, in 2023, so weitergehen.

Ein Drittel der Weltwirtschaft wird sich im nächsten Jahr in einer Rezession befinden. Die Hälfte der Europäischen Union wird in eine Rezession schlittern, weil die EU ja so nahe an Russlands Krieg in der Ukraine ist. Der Kampf gegen diese Entwicklung ist sehr kompliziert aufgrund einer sehr störrischen Inflation. Wir gehen davon aus, dass die Inflation anhalten wird. Hoffentlich verändern sich die Zahlen in diesem Jahr. Das wird hoffentlich abnehmen. Aber wir sagen für das nächste Jahr eine globale Inflation von 6,5 Prozent voraus.

Was bedeutet das? Die Krise hat Auswirkungen auf die Bürgerinnen und Bürger auch hier in Deutschland, und sie fordert die Zentralbanken, auf Kurs zu bleiben, sodass wir die Preisstabilität wiederherstellen können und auch die ärmsten Menschen schützen können, die am stärksten von hoher Inflation betroffen sind.

Was können wir für Maßnahmen ergreifen? Der Hauptgrund, aus dem die Weltwirtschaft in so einer schlechten Lage ist, ist der russische Angriffskrieg in der Ukraine. Wenn Russland den Krieg beenden würde, dann hätten wir damit den positivsten Effekt, und das würde dazu führen, dass die Weltwirtschaft wieder auf Kurs gerät. Die Botschaft, die während des G20-Gipfels auf Bali vermittelt wurde, dass dieser Krieg aufhören muss, ist eine Botschaft, die aus wirtschaftlicher Perspektive und auch aus menschlicher Sicht natürlich eine Botschaft ist, die wir voll und ganz unterstützen.

Wir müssen auch sehen, dass alle leiden, aber Entwicklungsländer und Schwellenländer leiden am meisten, sie leiden an einem Verlangsamen der Weltwirtschaft. Die Wirtschaft in China verlangsamt sich, die Wirtschaft in den USA verlangsamt sich und die Wirtschaft der EU verlangsamt sich, und das hat Auswirkungen auf Schwellenländer und Entwicklungsländer. Sie leiden aber auch unter hohen Zinssätzen und einem starken Dollar, und das hat Auswirkungen auf viele Schwellen- und Entwicklungsländer. Sie brauchen Unterstützung, insbesondere diejenigen, die bereits unter einer hohen Schuldenlast leiden. Es gab bereits erste Ergebnisse. Das Common Framework für Tschad zum Beispiel sieht bereits einen Pfad aus den Schulden heraus, aber wir brauchen noch nachhaltige Lösungen, wie der Herr Bundeskanzler es genannt hat, für viele andere Länder; denn 60 Prozent der Staaten mit geringem Einkommen haben große Probleme.

Zweitens müssen wir die Chancen nutzen, die eine Rezession bietet. Der russische Krieg hat uns gezwungen, schneller zu handeln. Zum Thema Energiesparen: Ich sehe, dass viele Menschen hier Pullover tragen - das ist gut und richtig. Es gilt aber auch, Investitionen in eine kohlenstoffarme Wirtschaft, eine klimaresiliente Wirtschaft zu tätigen. Der Kampf gegen die Klimakrise kann wirtschaftliche Chancen bieten. Ich gratuliere Deutschland dazu, dass es diesen Weg eingeschlagen hat.

Drittens. Die Globalisierung steht vor den größten Herausforderungen seit dem Zweiten Weltkrieg. Ich habe mehr als die Hälfte meines Lebens auf der anderen Seite des Eisernen Vorhangs gelebt. Wenn Sie denken, es sei heute kalt hier: Dort, wo ich aufgewachsen bin, war es damals sehr kalt. Man muss schützen, was uns in den letzten 30 Jahren so gut gedient hat: die Integration der Weltwirtschaft, die die Leben der Menschen überall verbessert hat, aber insbesondere für 1,5 Milliarden Menschen, die aus der Armut geholt worden sind.

Ich unterstütze den Aufruf des Bundeskanzlers: Ja, wir müssen anerkennen, dass die Sicherheit der Lieferketten wichtig ist - es ist wichtig, diese zu diversifizieren, das ist eine Notwendigkeit -, aber man darf das Kind nicht mit dem Bade ausschütten. Man darf den Handel nicht aufgeben, denn dieser verbessert die Lage aller. - Ich darf nun das Wort an Ngozi Okonjo weitergeben.

Okonjo-Iweala: Herzlichen Dank. - Ich möchte fortfahren.

Das letzte Barometer der Welthandelsorganisation hat gezeigt, dass das Wachstum unter den Trends liegt, was sich mit den Vorhersagen deckt, die wir getätigt haben - in 2022 haben wir ein Handelswachstum von 3,5 Prozent, aber es fällt unter 2 Prozent im Jahr 2023. Diese Nachrichten zusammen mit den Anfälligkeiten, die wir im Bereich der Lieferketten aufgrund der Pandemie und des Kriegs in der Ukraine gesehen haben: Ich denke, all das führt dazu, dass Länder protektionistischer vorgehen, sich isolieren, nach innen schauen und schauen, wie sie ihre eigene Wirtschaft schützen können. Wir sind aber der Meinung, dass das nicht die richtige Antwort ist. Wie der Bundeskanzler gesagt hat: Sich aus dem Handel zurückzuziehen und protektionistisch zu sein, macht Dinge schwieriger und nicht leichter. Die Probleme werden nicht leichter, es wird schwieriger, sich von den Auswirkungen des Krieges zu erholen: den hohen Energiepreisen, dem Kampf gegen den Klimawandel und all den anderen Themen und Problemen, die wir auf globaler Ebene haben. Wir rufen unsere Mitglieder also dazu auf: Schauen Sie nicht nach innen, isolieren Sie sich nicht.

Es ist auch wichtig anzuerkennen, dass der Protektionismus, die Fragmentierung und eine Entkopplung große Störungen und Unterbrechungen hervorrufen. Wenn wir uns in zwei Handelsblöcke aufbrechen, dann kostet das; es führt zu einem Verlust an globalem Bruttoinlandsprodukt von 5 Prozent - das ist massiv, und für Entwicklungs- und Schwellenländer wäre es im zweistelligen Bereich und wären die Kosten noch viel höher. Das möchten wir also nicht tun.

Stattdessen müssen wir, wie der Bundeskanzler gesagt hat, eine smarte Globalisierung vornehmen. Wir sollten uns nicht fragmentieren und entkoppeln. Wir nennen das bei der Welthandelsorganisation „reglobalization“. Wir sollten uns diversifizieren und die Produktion global ausweiten. Wir sollten aber nicht nur über „reshoring“ - denn das bringt seine eigenen Risiken mit sich - oder über „friendshoring“ reden - jemand, der heute ein Freund ist, wird morgen vielleicht schon kein Freund mehr sein -, sondern vielmehr über die Frage: Wie diversifizieren wir global mit den Ländern, die das richtige Geschäftsklima haben? Wir sind der Meinung, dass wir das tun können, und wir tun das auch bereits - Unternehmen gehen bereits nach Marokko, Laos, Kambodscha, Vietnam, Bangladesch. Das sollten wir fortsetzen, und wir sollten das auf grüne Art und Weise - wir brauchen grüne Partnerschaften - und auf inklusive Art und Weise tun. Wir sollten Länder integrieren, die bislang nicht in die globalen Wertschöpfungsketten integriert waren. Das wird uns auch helfen, gegen die Inflation zu kämpfen. Dazu rufen wir auf, das ermutigen wir. Das wird nicht leicht sein, aber schlussendlich glauben wir, dass das die intelligenteste Art und Weise ist, Risiken zu begegnen und resilienter zu werden.

Pangestu: Ich möchte Bundeskanzler Scholz für diese Konferenz zu diesem Zeitpunkt danken. Multilaterale Zusammenarbeit ist so viel wichtiger als je zuvor. Ich stimme zu: Das Ergebnis der G20 ist ein positives Signal für den Multilateralismus, und ich stimme allem zu, was über die Globalisierung gesagt wurde. Wir müssen die Globalisierung neugestalten. Das ist wichtig. Denn ein fragmentiertes Handelssystem führt dazu, dass Entwicklungsländer leiden. Wir glauben, dass der Handel eine wichtige Rolle bei der Entwicklung spielt.

Wir haben seit 2020 so viele verschiedene Krisen. Wir haben auch eine Entwicklungskrise. Wir sehen eine Umkehr von Zugewinnen in der Entwicklung. Die Faktoren, die diese Krise anfeuern, sind globale Themen, etwa Pandemien, Lebensmittelunsicherheit, Klimawandel, Kriege, und sie schadet den Ärmsten der Armen am meisten. Die Krisen in der Entwicklung der Entwicklungsländer wurden durch den Krieg in der Ukraine verschärft, mit großen wirtschaftlichen Folgen. Die Weltbank als Teil der multilateralen Zusammenarbeit reagiert auf diese Krisen mit einem Krisenpaket. Wir finanzieren globales Wissen. Wir unterstützen die Ukraine. Wir haben 17,8 Milliarden an Nothilfe gewährt. Dazu zählen Kredite, Garantien und Zuschüsse. 11,4 Milliarden wurden durch Weltbankprojekte und „trust funds“ bereits ausgezahlt.

Der Wiederaufbau muss nun parallel laufen. Darauf konzentrieren wir uns. Wir müssen auch in Energieinfrastruktur, Straßen und Krankenhäuser investieren, damit die Ukraine im Winter warm bleibt.

Wir müssen aber noch mehr tun. Auf unserem Jahrestreffen haben wir erkannt und waren uns einig, dass wir die Finanzierung auch im Bereich der Klimakrise erhöhen müssen. Der Klimawandel ist irreversibel und hat Auswirkungen auf die Entwicklung. Das spiegelte sich auch bei G20 und COP27 wider. Es gab Empfehlungen für Mitgliedsstaaten, die Ausgaben für den Kampf gegen den Klimawandel zu erhöhen. Wir überprüfen gerade das Potenzial dafür, weitere Kredite zu geben. Wir sind auf Kurs, was die Klimafinanzierung betrifft, und haben einen „trust fund“ verkündet, SCALE, um Treibhausgasemissionen senken zu können. Das ist Bestandteil des Kampfes gegen den Klimawandel.

Wir müssen uns auf die nächste Gesundheitskrise vorbereiten. Mit der Weltgesundheitsorganisation haben wir einen Fonds aufgelegt, um die Pandemieprävention in ärmeren Ländern zu stärken. Wie bereits gesagt, schauen wir, wie wir globale Herausforderungen in unsere Vision und Mission inkorporieren und in unser Finanzierungsmodell integrieren können. Wir haben Diskussionen mit unseren Aktionären, mit unseren Shareholdern, und wir schauen uns an, wie wir diese Ziele erreichen können. Denn die Entwicklungsländer brauchen noch viel mehr Ressourcen. Die Weltbank hat den höchsten Zuwachs in unserer Geschichte erzielt. Wir müssen aber noch mehr tun. Das müssen wir mit all unseren Partnern zusammen tun. Das steht im Zentrum des Multilateralismus.

Herzlichen Dank!

Houngbo: Wir haben - das wird Sie nicht überraschen - aus unserer Perspektive über den Arbeitsmarkt gesprochen. Wir machen uns große Sorgen, dass die Erholung, die wir zu Beginn des Jahres gesehen haben, aufgrund der verschiedenen Krisen, aber insbesondere natürlich wegen des Krieges in der Ukraine nicht nachhaltig ist. Die Auswirkungen auf die Arbeitsmärkte sind sehr stark. Ich möchte hier unterstützen, was Kristalina bereits gesagt hat. Je früher wir diesen Krieg beenden, desto positiver sind die Auswirkungen auf die Arbeitsmärkte. Noch mehr als das: Wir sehen, dass wir im dritten Quartal 2022 sehr viele Arbeitsstunden im Vergleich zu der Zeit vor der Krise, Oktober und November 2019, verloren haben. Das sind in etwa 14 Millionen Arbeitsplätze. Diese Verluste geschehen eher in weniger qualifizierten Jobs als in qualifizierten Arbeitsplätzen und Jobs. Wir sehen auch, dass nach 15 Jahren des Fortschritts die informelle Wirtschaft mehr übernimmt. Auch das ist eine sehr besorgniserregende Entwicklung.

Das Einkommen und die Gehälter sind ein großes Problem. Wir haben über Inflation gesprochen. Sie hat Auswirkungen auf die Kaufkraft der Arbeiter, aber mehr als das. Die Zugewinne an Produktivität sinken. Das führt dazu, dass die Kluft weiterwächst. Dies führt zu Ungleichheiten. Wir müssen uns also sehr darauf konzentrieren, in das soziale Netz zu investieren. Die Dimension des sozialen Schutzes ist sehr, sehr wichtig. Das wird noch wichtiger sein als zu Zeiten von Corona. Man muss schauen, was wir in dieser globalisierten Zeit jetzt brauchen. Das Thema der sozialen Gerechtigkeit muss mehr in den Fokus kommen. Wir brauchen mehr Engagement. Das erfordert genauso viel wie der Kampf gegen den Klimawandel, die Globalisierung der Wirtschaft und die wirtschaftliche Erholung. Die soziale Komponente ist sehr wichtig. Wir müssen uns auch an die Erklärung von Philadelphia erinnern. Die Armut bleibt eine Bedrohung, egal wo sie stattfindet. Denn sie bedroht den Wohlstand überall.

Herzlichen Dank!

Cormann: Herzlichen Dank, Herr Bundeskanzler! Die Stärkung des Multilateralismus ist der Schlüssel und enorm wichtig, um die verschiedenen Herausforderungen anzugehen. Herzlichen Dank, dass Sie uns eingeladen haben! Herzlichen Dank, dass wir uns der Presse stellen dürfen, über die verschiedenen Krisen und Themen sprechen können und auch die Gelegenheit haben, diese Krisen und Herausforderungen anzugehen!

Vieles ist bereits gesagt worden. Der Krieg in der Ukraine und seine Kosten haben Auswirkungen auf die Menschen in der Ukraine, aber auch weltweit. Wir sehen weniger Wachstum. Wir haben einen Zuwachs an Inflation. Das hat Auswirkungen auch auf Lebensmittelpreise und Energiepreise. Das haben wir besprochen.

Ich unterstütze das, was von Kristalina gesagt wurde. Wir wollen ein schnelles Ende dieses Krieges und einen gerechten Frieden für die Ukraine. Das wäre die beste, unmittelbarste Art und Weise, wie wir die wirtschaftlichen Prognosen verbessern können. Wir brauchen gut koordinierte Antworten, um die Auswirkungen des Krieges abfedern zu können.

Wir müssen die Inflation bekämpfen, wir müssen die Energiesicherheit durch die Diversifizierung von Energiequellen stärken, wir müssen Lebensmittelsicherheit gewährleisten und die Märkte offenhalten. Wir müssen uns auch das Thema der Schulden anschauen. Um für globales Wachstum zu sorgen, müssen wir uns auch auf die langfristigen Ziele konzentrieren. Dazu zählen der Schutz des Klimas und der Weg zu einer CO2-armen Wirtschaft. Wir brauchen also dafür den effektiven Multilateralismus. Die OECD unterstützen die deutsche Initiative zur Einrichtung eines inklusiven Klimaclubs; das haben wir auch beim G20-Gipfel auf Bali gesehen. Wir ziehen Bilanz hinsichtlich aller Maßnahmen, die von Ländern ergriffen werden, und so können wir auch ein Verständnis dafür entwickeln, welche Auswirkungen die Minderung von Treibhausgasen hat. Wir brauchen eine inklusive Plattform für den Austausch auf Augenhöhe. Ein Fokus gilt nun dem, eine umfassende Mitgliedschaft zu gewährleisten, sodass Industrienationen, Entwicklungsländer und Schwellenländer an einem Tisch sitzen können.

Herr Bundeskanzler, herzlichen Dank, dass Sie uns eingeladen haben. Danke schön für Ihr Engagement in all diesen Themen!

Frage: Herr Bundeskanzler, ich hätte eine Frage an Sie zum Thema der Energieversorgung. Es sind heute zwei Abkommen zur Versorgung Deutschlands mit Flüssiggas aus Katar unterzeichnet worden. Die Lieferungen sollen erst 2026 beginnen. Ist das nicht zu spät? Es hat ja Hoffnungen gegeben, dass sie schon 2024 beginnen könnten.

Halten Sie die Liefermenge für ausreichend, drei Prozent des deutschen Bedarfs, oder hoffen Sie darauf, dass es vielleicht noch Anschlussverträge geben könnte?

BK Scholz: Es ist sehr wichtig, dass wir jetzt unsere Energieversorgung gewährleisten. Das machen wir mit dem Ausbau unserer Importinfrastrukturen über die westeuropäischen Häfen in den Niederlanden, Belgien und Frankreich, aber eben auch durch den Bau neuer Importinfrastrukturen an der Nordseeküste und an der Ostseeküste. Dazu gehört auch, dass Stück für Stück neue Lieferverträge abgeschlossen werden – von den Unternehmen, die das bereits weltweit tun und die auch die Belieferung durch diese neuen Importinfrastrukturen übernehmen, aber eben auch mit erkennbar neuen Partnern, die sich an der Energieversorgung Deutschlands beteiligen. Deshalb bin ich sehr froh über die Vereinbarungen mit Katar, die da von den Unternehmen geschlossen worden sind, und die Möglichkeiten, die sich daraus ergeben. Es sind langfristige Verträge; das ist auch die gute Aussage für die Energieversorgungssicherheit Deutschlands. Wir werden insgesamt dafür sorgen, dass wir sehr viele unterschiedliche Länder haben, die unsere Energieversorgung über die verschiedenen Strukturen gewährleisten. Insofern bin ich sehr zuversichtlich, dass das ein weiterer wichtiger Baustein eines Hauses ist, das wir schon ziemlich weitgehend errichtet haben.

Frage: Ich habe eine Frage an die IWF-Chefin mit Blick auf China. Es gibt ein Wachstum der COVID-Zahlen in China, und ich hätte ganz gerne gewusst, für wie besorgniserregend Sie diese Welle halten. Das ist ja eines der ganz wenigen Länder gewesen, die sich bisher gegenüber dem Virus abgeschottet haben. Müssen Sie Ihre Wachstumsprognosen für China bei der Ausbreitung nach unten korrigieren?

Herr Bundeskanzler, die WTO-Chefin hat ja eben davor gewarnt, dass man ein „friendshoring" macht, also dass man sich beim Handel vor allem auf die Länder konzentriert, mit denen man gemeinsame Werte teilt. Das könnte man ja auch als Kritik an der deutschen oder der G7-Praxis verstehen. Würden Sie sich dieser Kritik anschließen und sagen, dass man das nicht machen darf, also sich in seinem Handel und Wirtschaftsaustausch vor allem auf die Länder zu konzentrieren, mit denen man gemeinsame Werte teilt?

Georgieva: Herzlichen Dank für Ihre Frage mit Blick auf die Wachstumsprognose für China. Da gibt es Risiken. Wir sagen 3,2 Prozent Wachstum für dieses Jahr und 4,4 Prozent für nächstes Jahr voraus. In der Tat gibt es die Möglichkeit, dass es sehr viel Unwägbarkeiten gibt, und dann müssen wir diese Vorhersagen revidieren. Man muss sich natürlich auch daran erinnern, dass 3,2 Prozent Wachstum für China dem durchschnittlichen globalen Wachstum entspricht. Das ist keine starke Wachstumsperformance.

Was führt zu dieser Verlangsamung des Wachstums? Es sind zwei Faktoren, zum einen COVID und COVID-Einschränkungen und zum anderen auch die Schwierigkeiten im Immobiliensektor. China hat fiskalischen Raum, um die Wirtschaft anzukurbeln und Druck abzuwehren, der dazu führen würde, dass sich das Wachstum weiter verlangsamen würde. China überprüft auch die Null-COVID-Politik, um gezielter auf COVID-Fälle reagieren zu können, sodass es weniger Unterbrechungen und Störungen der chinesischen Wirtschaft geben wird und weniger negative Übertragungseffekte gäbe, auch mit Blick auf Lieferketten und langsameres Wachstum in China. Wir haben das unterstützt und uns angeschaut, was China tun kann, um die Coronapolitik für China selbst und auch für seine Rolle in der Weltwirtschaft effizienter zu gestalten.

BK Scholz: Schönen Dank für die Frage an mich! Ganz kurze Antwort: Die Chefin der Welthandelsorganisation hat sich sehr klar auf meine Rede in Singapur bezogen, als wir uns vorhin unterhalten haben, und deutlich gesagt, dass sie mein klares Statement für die Globalisierung und ihre Vorteile sehr unterstützt und selbstverständlich auch versteht, dass es im Rahmen der Welt jetzt überall zu Diversifizierung kommt, aber eben nicht zu „decoupling“, nicht zu Deglobalisierung, was einen erheblichen Wachstumsverlust mit sich bringen würde, und das ist genau die Politik, die wir verfolgen.

Frage: Herr Bundeskanzler, Sie haben mit dem ukrainischen Präsidenten Selensky telefoniert. Die Ukraine wünscht sich Patriot-Abwehrsysteme. Die Bundesregierung hat diese Systeme Polen angeboten. Polen ist bereit, die Kiew zu überlassen. Wann werden wir dann deutsche Patriot-Systeme auf ukrainischem Boden sehen?

BK Scholz: Die Ukraine, der ukrainische Präsident, hat sich sehr für die sehr umfassende Unterstützung Deutschlands in finanzieller und humanitärer Hinsicht, aber eben auch, was die Waffenlieferungen betrifft, bedankt. Gerade die Artillerie und die Luftverteidigung beziehungsweise Luftabwehr, die wir zur Verfügung stellen, haben ganz erhebliche Auswirkungen auf die Fähigkeit der Ukraine, die eigene Integrität und Souveränität zu gewährleisten. Gerade haben wir noch einmal neue Liefermöglichkeiten für Gepard-Panzer auf den Weg gebracht und werden auch weiter daran arbeiten, das sehr effiziente System IRIS-T zur Verfügung zu stellen.

Unser Angebot an die polnische Regierung zum Schutz des eigenen Landes ist immer noch nicht vom Tisch und ist noch da.

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