Pressekonferenz von Bundeskanzler Scholz im Anschluss an die Videokonferenz der Staats- und Regierungschefs der G7 am 24. Februar 2023 in Berlin

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BK Scholz: Heute, am 24. Februar, jährt sich zum ersten Mal der russische Überfall auf die Ukraine - ein Krieg, der eine Zeitenwende bedeutet. Die Ukraine befindet sich seit einem Jahr in einem mutigen, entschlossenen Abwehrkampf gegen den brutalen russischen Angriffskrieg.

Ich möchte hier und heute die Gelegenheit nutzen, den Ukrainerinnen und Ukrainern zu danken für ihre Hingabe, ihre Opferbereitschaft, ihren Mut und ihren unbeugsamen Durchhaltewillen. Deutschland, Europa, alle in der Welt, die für internationale Regeln einstehen, sind der Ukraine sehr dankbar. Das ist heute noch einmal ganz deutlich geworden, als wir uns auf Einladung von Japans Premierminister Fumio Kishida im Kreise der G7-Staats- und -Regierungschefs zu einer Videokonferenz zusammengefunden haben.

Dem ukrainischen Staatspräsidenten Wolodymyr Selensky haben wir abermals versichert, dass wir die Ukraine unterstützen werden, solange das nötig ist - politisch, humanitär, finanziell und auch mit Waffenlieferungen. 39 Milliarden US-Dollar beziehungsweise 37 Milliarden Euro an direkter Finanzhilfe haben die G7-Mitglieder zur Unterstützung der Ukraine auf den Weg gebracht. Deutschland nimmt hier eine führende Rolle ein: Seit Kriegsbeginn belaufen sich die bilateralen Unterstützungsleistungen der Bundesregierung an die Ukraine auf über 14 Milliarden Euro. Diese finanzielle Unterstützung ist überlebenswichtig für die Ukraine; denn der Staat muss auch im Krieg in der Lage bleiben, seine Soldatinnen und Soldaten zu bezahlen und die staatlichen Leistungen zu gewährleisten.

Wir sind uns im G7-Kreis einig, dass der Internationale Währungsfonds ein Unterstützungsprogramm für die Ukraine auf den Weg bringen sollte. Und obwohl der Krieg unvermindert tobt, denken wir schon jetzt an den Wiederaufbau dieses schwer zerstörten Landes. Im Herbst hatte ich gemeinsam mit der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen nach Berlin eingeladen zu einer internationalen Konferenz. Der Wiederaufbau der Ukraine wird eine Generationenaufgabe. Unser Ziel ist es, kluge Verfahren zu entwickeln, um eine dauerhafte Unterstützung des Wiederaufbaus durch internationale Finanzinstitutionen und privates Kapitel zu schaffen.

Neben finanzieller Unterstützung benötigt die Ukraine angesichts der brutalen russischen Aggression weiterhin Waffen, um sich und ihre Bürgerinnen und Bürger zu verteidigen. Auch das organisieren wir. Eine enge Abstimmung mit unseren Partnern ist wichtig, um eine solide und längerfristige militärische Unterstützung der Ukraine sicherzustellen. Deutschland schultert einen großen Anteil an der militärischen Unterstützung, an den Waffenlieferungen. Wir haben schweres Gerät geliefert, etwa Gepard-Flugabwehrpanzer, Panzerhaubitzen oder Mehrfachraketenwerfer. Ein Schwerpunkt unserer Militärhilfe liegt bei den Luftverteidigungssystemen, etwa der IRIS-T.

Wir haben zudem entschieden, 40 Schützenpanzer Marder und 14 moderne Kampfpanzer vom Typ Leopard 2 A6 in diesem Frühjahr zu übergeben, und werden das auch noch weiter fokussieren. Deutschland wird gemeinsam mit Dänemark und den Niederlanden der Ukraine Leopard-1-A5-Kampfpanzer aus Industriebeständen liefern. Und wir unterstützen die Ausbildung ukrainischer Soldatinnen und Soldaten an diesen Geräten.

Dieser Krieg ist Putins Krieg. Russland hat es in der Hand, diesen Krieg, der bereits zehntausende Tote gekostet und unendliches Leid gebracht hat, sofort zu beenden, indem es die Kämpfe einstellt und Truppen zurückzieht.

Die Ukrainerinnen und Ukrainer zahlen den höchsten Preis für Russlands Unrecht und Brutalität. Doch die ganze Welt leidet unter der russischen Aggression. Die Preise für Energie, für Dünger, für Nahrungsmittel sind massiv gestiegen - weltweit. Es sind die Ärmsten der Welt, die am stärksten leiden.

Das zeigt uns: Es geht bei diesem Krieg um grundsätzliche Fragen. Wir dürfen nicht zulassen, dass militärische Skrupellosigkeit gewinnt, dass Grenzen souveräner Staaten gewaltsam verschoben werden und dass sich das Recht des Stärkeren durchsetzt.

Leider sehe ich auch nach einem Jahr Krieg und Blutvergießen keinerlei Bemühen Russlands, diesen verbrecherischen Krieg zu beenden. Im Gegenteil: Putin setzt weiter auf unverantwortliches nukleares Gebaren und stellt jetzt auch noch den letzten Abrüstungsvertrag zu strategischen Kernwaffen, den New-START-Vertrag mit den USA, infrage. Das ist bedrückend. Aber wir dürfen uns davon nicht entmutigen lassen. Wir müssen den Druck aufrechterhalten, damit Russland auf den Boden des Völkerrechts zurückkehrt und sich endlich an den Verhandlungstisch setzt.

Dazu gehört selbstverständlich auch wirtschaftlicher Druck. Wir sind uns einig in der G7, dass wir unsere Sanktionen weiterhin eng koordinieren und dabei Schlupflöcher schließen. Wir haben uns heute zu weiteren gemeinsamen Maßnahmen bekannt. Wir wollen diese innerhalb der EU mit dem zehnten Sanktionspaket umsetzen und die notwendigen Schritte ergreifen.

Und auch international sind wir bemüht, deutlich zu machen, dass Russland mit seiner Aggression gegen die Ukraine in der Welt alleine steht. Heute Abend werde ich zum Staatsbesuch nach Indien aufbrechen, das aktuell die Präsidentschaft der G20, also der Gruppe der 20 einflussreichsten und wirtschaftlich stärksten Industrie- und Schwellenländer unseres Planeten, innehat. Mit Premierminister Modi bin ich seit Monaten im engen Austausch, und ich werde dort noch einmal für unseren Standpunkt, unsere Sichtweise auf diesen Konflikt werben.

Heute, an diesem traurigen ersten Jahrestag des Krieges, sind unsere Gedanken bei den Bürgerinnen und Bürger der Ukraine, den Menschen in Kiew, in Cherson, in Charkiw und anderswo. Die Ukraine kann sich weiter auf uns verlassen: Deutschland steht eng an ihrer Seite. Wir nutzen unsere internationalen Möglichkeiten, unseren Einfluss, damit die Unterstützung der Ukraine ungebrochen bleibt.

Vielen Dank!

Frage: Herr Bundeskanzler, wenn Sie sich die letzten zwölf Monate anschauen, inwiefern haben sie die deutsche Politik geprägt?

Wenn Sie zurückgucken, was hätten Sie vielleicht in den zwölf Monaten anders gemacht?

BK Scholz: Russlands Angriffskrieg ist eine Zeitenwende - ich habe das gleich nach dem Beginn des Kriegs so im Deutschen Bundestag formuliert -, und die hat Konsequenzen, zum Beispiel, dass wir mit einem jahrzehntelangen Tabu gebrochen haben, keine Waffen in Kriegsgebiete zu liefern. Wir tun das jetzt, sind mittlerweile auf dem europäischen Kontinent, wie an vielen Stellen auch andere jetzt festgestellt haben, vorne dabei, vorne weg, machen das in großem Umfang und werden das auch weiterhin so handhaben.

Wir haben uns entschieden, dass wir unsere Landesverteidigung stärken, dauerhaft zwei Prozent der Wirtschaftsleistung für die Bundeswehr ausgeben und, um den Spurwechsel zu ermöglichen, ein Sondervermögen von 100 Milliarden Euro auflegen. Das ist aus meiner Sicht etwas, was unser Land verändert hat, genauso wie die in Europa, in Deutschland und übrigens, wie ich gesagt habe, in der ganzen Welt spürbaren Konsequenzen dieses Kriegs. Wir haben viel dafür unternommen, dass wir nicht eine Wirtschaftskrise erleben, dass das soziale Miteinander weiter funktioniert, dass wir die Bürgerinnen und Bürgern unterstützen, die plötzlich wegen des Kriegs und wegen des russischen Angriffs auf die Ukraine mit hohen Energiepreisen und Preissteigerungen konfrontiert sind. Selbstverständlich ist es so, dass wir auch alles dafür getan haben, dass unsere Energieversorgungssicherheit gewährleistet bleibt.

Dass uns das gelungen ist, ist, glaube ich, schon etwas ganz, ganz Besonderes. Man muss sich nur noch einmal rekapitulieren, was alles im letzten Jahr vorhergesagt wurde, was uns geschehen würde. Deshalb ist das für mich ein Beweis, dass wir ein wirtschaftlich starkes Land, eine gefestigte Demokratie und ein Land mit einem guten sozialen Miteinander, mit einem starken Sozialstaat sind. Vielleicht ist das auch etwas, dessen wir uns nach diesem einem Jahr noch einmal neu vergewissern sollten. Das ist das Fundament unserer Möglichkeiten.

Frage: Herr Bundeskanzler, kurz vor dieser Pressekonferenz ist bekannt geworden, dass Deutschland jetzt 18 statt 14 Leopard-2-Kampfpanzer schickt. Es ist wahrscheinlich kein Zufall, dass die Entscheidung heute getroffen oder bekannt wurde. Welche Botschaft soll denn damit nach draußen gehen?

BK Scholz: Wir haben uns sehr darum bemüht, dass wir die Ukraine unterstützen und haben gesagt, wir werden einen Beitrag dazu leisten, dass die Kampfpanzer, die wir liefern, zusammen mit der Unterstützung anderer, dazu beitragen, dass wir auch eine entsprechend große Zahl von Panzern gemeinsam liefern können. Wir haben, was die modernen Leopard-Panzer betrifft, die wir liefern, zum Beispiel Angebote aus Portugal und - heute ganz neu - aus Schweden. Mit der weiteren Fokussierung - so habe ich das eben ausgedrückt; Sie haben die Zahl genannt - unserer Maßnahme zusammen mit den anderen Angeboten ist es so, dass wir in der Lage sind, das zustande zu bringen, was wir an Kooperation in Europa und an Unterstützung der Ukraine mit einer Einheit angekündigt haben, die die richtige Größenordnung hat.

Wir werden das im Hinblick auf Ausbildung, Nachschub, Munition und Instandhaltungsanforderungen weitermachen, genauso wie es eine Kooperation bei den Aktivitäten gibt, die viele andere Staaten jetzt noch unternehmen. Wir hoffen Stück für Stück, dass es dabei Fortschritte gibt. Man sieht ja heute, dass das gelingt und dass sich beharrliches Bemühen auszahlt.

Frage: Eine abschließende Frage: Sie haben Ihre Reise nach Indien angesprochen. Indien hat gerade den Vorsitz der G20 inne. In Bali war Indien noch eines der Länder, das sich dafür eingesetzt hatte, in einer klaren Sprache den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine klar zu benennen. Nun hat Indien den G20-Vorsitz. Gibt es Zeichen, dass Indien weniger entschlossen ist, diesen Krieg als einen solchen zu bezeichnen?

Wie zuversichtlich sind Sie, dass Europa und die USA den globalen Süden und seine Vertreter weiter an Bord halten können, um den Druck auf Putin zu erhöhen und Putin zu isolieren?

BK Scholz: Es war das Verdienst Indiens, Indonesiens – Indonesien als Präsidentschaft der G20 im letzten Jahr -, aber auch anderer Länder wie Südafrika oder Argentinien, die dazu beigetragen haben, dass wir bei dem G20-Gipfel letztes Jahr eine so klare Sprache gefunden haben. Insofern geht es darum, dass wir jetzt weiterhin dafür Sorge tragen, dass wir klar und deutlich bleiben. Eine der Voraussetzungen dafür, dass das gelingen kann, ist natürlich, dass wir ernsthaft das machen, wofür ich jetzt schon sehr, sehr lange werbe, auch unabhängig von dem aktuellen Konflikt, nämlich dass wir mit den starken Ländern Asiens, Afrikas und des Südens Amerikas - mit vielen anderen natürlich auch, aber gerade mit denen, um die es geht, wenn wir über G20 sprechen - gute Beziehungen aufbauen, die auch in den nächsten Jahrzehnten tragen und die auf Augenhöhe stattfinden. Ich finde, es ist ein ganz, ganz wichtiger Fortschritt, wenn das die internationalen Beziehungen mehr prägt und wenn viele andere mitmachen.

Ich kann Ihnen berichten, dass bei der G7-Konferenz praktisch von allen noch einmal genannt und auch angesprochen wurde, dass es ein sehr guter Schritt war, dass wir bei dem G7-Gipfel in Deutschland, in Elmau, genau das gemacht haben. Seither ist das die Politik aller im Rahmen der G7 versammelten Staaten. Das ist wirklich eine Veränderung, die, glaube ich, für eine bessere Zukunft steht und die uns auch wichtig sein muss.

Ich habe in meiner Rede bei der Münchner Sicherheitskonferenz den Vertreter der indischen Regierung zitiert, der gesagt hat: Europa - das gilt dann nicht nur für Europa, sondern auch für andere Länder des globalen Westens - muss lernen, dass Europas Probleme nicht immer die Probleme der Welt sind und dass umgekehrt die Probleme der Welt auch Europas Probleme sind. Ich finde, das ist etwas, was, glaube ich, ein guter Ansatz ist, wenn wir versuchen, die Welt als Ganze zu betrachten und eine solche Politik zu entfalten. Aus meiner Sicht ist das wirklich etwas, was dafür spricht, diese Beziehungen auch weiter so intensiv zu pflegen, wir das jetzt tun und damit nicht nachzulassen.