Kanzler im Interview mit dem „East African“
Im Gespräch mit dem „East African“ betont Bundeskanzler Scholz: „Wir können die wichtigsten Herausforderungen unserer Zeit nur effektiv meistern, wenn wir enger mit unseren afrikanischen Partnern zusammenarbeiten.“ Außerdem spricht er darüber, welche Rolle Afrika besonders bei der Erzeugung grüner Energie spielt.
- Interview mit Bundeskanzler Olaf Scholz
- East African
Herr Bundeskanzler, welche Außenpolitik verfolgen Sie in Bezug auf Äthiopien und Kenia?
Bundeskanzler Olaf Scholz: Äthiopien und Kenia sind beide langjährige Partner Deutschlands in Afrika. Ostafrika ist eine der am schnellsten wachsenden Regionen weltweit und wir wollen zu Stabilität und Wohlstand in der Region beitragen. Zunehmende globale Herausforderungen wie der Klimawandel betreffen Ostafrika bereits heute stark, vor allem in Form extremer Dürren. Wir möchten diese Herausforderungen gemeinsam angehen. Wir wollen bei Fragen, die sowohl die Zukunft Ostafrikas als auch die Europas tangieren, Partner sein. Ebenso unterstützen wir die von Afrika getragenen Bemühungen, Frieden und Sicherheit zu schaffen und zu erhalten, da die von militärischen Konflikten betroffenen Menschen Frieden, wirtschaftliches Wachstum und Wohlstand verdienen. Erst dann können sie die globalen Herausforderungen angehen, mit denen wir alle in den kommenden Jahrzehnten konfrontiert sein werden.
Sie sind zu Besuch in zwei Ländern, in denen vor Kurzem auch Vertreterinnen und Vertreter anderer Weltmächte zu Gast waren. Worin besteht Deutschlands Interesse an der Region?
Scholz: Wir können die wichtigsten Herausforderungen unserer Zeit – und dazu gehört auch, die Regeln festzulegen, die unsere globale Ordnung bestimmen – nur effektiv meistern, wenn wir enger mit unseren afrikanischen Partnern zusammenarbeiten. Sowohl Kenia als auch Äthiopien sind in dieser Hinsicht wichtig, weil sie einschlägige internationale Organisationen beherbergen.
Kenia ist ein Vorreiter in Sachen Klima, da es 90 Prozent seines Stroms aus Erneuerbaren Energien erzeugt und sich ehrgeizige Klimaziele gesetzt hat. Es ist ebenso führend bei der Aufrechterhaltung der internationalen Ordnung auf Grundlage der Charta der Vereinten Nationen und des Völkerrechts, was für unsere beiden Kontinente besonders wichtig ist. Nairobi beherbergt den einzigen Sitz der Vereinten Nationen in Afrika und engagiert sich sehr für Frieden in der Region.
Äthiopien verfügt über ein enormes Potenzial, insbesondere in der Landwirtschaft. Wenn es dem Land gelingt, den Frieden im Inneren zu konsolidieren, wird es mehr und mehr in der Lage sein, so zur regionalen Sicherheit beizutragen, wie es das vor dem schrecklichen Bürgerkrieg getan hat. Addis Abeba ist der Sitz der Afrikanischen Union, mit der Deutschland eng zusammenarbeitet.
Deutschland hat vor Kurzem seine afrikapolitischen Leitlinien vorgestellt, die der gestiegenen Bedeutung dieses Kontinents in der Welt Rechnung tragen sollen. Welche neuen Perspektiven wird Ihre Reise den beiden Ländern eröffnen?
Scholz: Aus vielerlei Gründen spielt Afrika in der Welt eine zunehmend wichtige Rolle. Seine Bevölkerung ist jung, dynamisch und wächst. Die Länder Afrikas sind gut aufgestellt, um eine wichtige Rolle bei der Erzeugung grüner Energie zu spielen, die für Produktionsprozesse weltweit von entscheidender Bedeutung sein wird. Afrika muss auch bei der Friedenskonsolidierung und -sicherung in der Region eine führende Rolle übernehmen sowie dabei, zu bestimmen, wie frei und unabhängig die Menschen in Zukunft leben werden. Deutschland möchte, dass die Afrikanische Union Teil der G20 wird, und dass afrikanische Länder stärker im VN-Sicherheitsrat vertreten sind.
Wie können wir Exporte nach Deutschland und unseren bilateralen Handel steigern?
Scholz: In Afrika befinden sich einige der am schnellsten wachsenden Volkswirtschaften der Welt mit einem enormen Potenzial für den Handel mit Deutschland. Deutschland stellt Technologien her, die sehr wichtig für den Übergang zu einer CO2-freien Wirtschaft sind und die die afrikanischen Länder nutzen könnten, um von den enormen erneuerbaren Energieressourcen zu profitieren, die dieser Kontinent zu bieten hat – auch für europäische Abnehmer. Wir sollten dies als eine Situation begreifen, die für beide Seiten von Vorteil ist, und den bestmöglichen Nutzen daraus ziehen. Deutschland hat 2017 den „Compact with Africa“ der G20, eine Investitionsinitiative innerhalb dieser Gruppe der wichtigsten Volkswirtschaften, ins Leben gerufen. Kenia ist herzlich eingeladen, sich hieran zu beteiligen. Auch unterstützt Deutschland nachdrücklich die Panafrikanische Freihandelszone. Dieses zukunftsweisende Projekt könnte die Einkommen in Afrika erheblich steigern und für rund 50 Millionen Menschen den Weg aus der extremen Armut bedeuten. Unsere langfristige Vision ist ein Freihandelsabkommen zwischen den beiden Kontinenten Afrika und Europa.
Äthiopien und Kenia gehören zu den afrikanischen Ländern, in denen eine sehr junge Bevölkerung von hohen Arbeitslosenzahlen betroffen ist, weswegen viele junge Menschen im Ausland ihr Glück suchen. Wird Deutschland Fachkräften aus diesen Regionen seine Türen öffnen und dabei auch das Einwanderungsrecht lockern?
Scholz: Im Jahr 2050 wird ein Drittel der Weltjugend aus Afrika kommen. Die Jugend Afrikas ist für die Entwicklung des Kontinents von zentraler Bedeutung. Gleichzeitig brauchen junge Menschen Arbeitsplätze und Zukunftsperspektiven. Europa braucht mehr und mehr gut ausgebildete und motivierte Arbeitskräfte. Hier sehe ich erhebliches Potenzial für eine Zusammenarbeit. Deutschland möchte attraktiver für Menschen werden, die bei uns arbeiten und leben wollen. Daher überarbeiten wir gerade unser Fachkräfteeinwanderungsgesetz.
Warum besuchen Sie Äthiopien gerade jetzt? Wie sollten aus Ihrer Sicht die Geschehnisse während des Krieges in Tigray aufgearbeitet werden? Unterstützt Deutschland nach wie vor eine externe Untersuchung? Wie können wir gewährleisten, dass andere Regionen in Äthiopien stabil bleiben?
Scholz: Eines meiner Ziele war es, die Afrikanische Union und ihre Kommissare zu besuchen, um unseren Austausch darüber fortzuführen, wie wir globale und regionale Herausforderungen und Chancen gemeinsam meistern und nutzen. Mein zweites Anliegen war es, den Friedensprozess in Äthiopien zu unterstützen. Uns allen ist bewusst, dass der schreckliche Krieg in Tigray Hunderttausende Menschenleben gekostet hat. In meinen Gesprächen in Äthiopien würdige ich das Friedensabkommen und seine laufende Umsetzung. Ich ermutige die Regierung und den kürzlich ernannten Chef der Verwaltung von Tigray, den eingeschlagenen Weg fortzuführen. Darüber hinaus braucht ein dauerhafter Frieden Aussöhnung, und zu einer solchen kann es nur kommen, wenn für von beiden Seiten begangene Verbrechen Rechenschaft getragen wird. Für eine Einigung hinsichtlich der Regierungsgewalt und eine friedliche Zukunft in einem geeinten Land wird es einen inklusiven nationalen Dialog geben müssen.
Kenia nimmt eine zunehmend wichtige Vermittlerrolle am Horn von Afrika und in der Region der Großen Seen ein. Wie sehen Sie dieses Engagement und welche Unterstützung könnte die internationale Staatengemeinschaft leisten?
Scholz: Ich würdige und schätze Kenias herausragendes Engagement als Vermittler bei der Lösung regionaler Konflikte und der Herbeiführung friedlicher Lösungen. Gemeinsam mit anderen Ländern, Regionalorganisationen und der Afrikanischen Union ist Kenia ein wichtiger Akteur bei der Stabilisierung einer hochvolatilen Region. Von Afrika getragene Initiativen für Frieden und Stabilität in Afrika werden in der Zukunft immer wichtiger. Die Europäische Union unterstützt viele dieser Initiativen und Einsätze und wird dies auch weiterhin tun.
Während Ihres Besuchs in Addis Abeba kamen Sie mit dem Vorsitzenden der Kommission der Afrikanischen Union, Moussa Faki, zusammen. Wie kann die Zusammenarbeit zwischen der Afrikanischen Union und der Europäischen Union gestärkt werden, und was können beide voneinander lernen?
Scholz: Die Afrikanische Union verkörpert etwas, dem sich Deutschland und die Europäische Union sehr verbunden fühlen: die Vision eines Kontinents aus eng miteinander verwobenen Gesellschaften, geprägt durch Freihandel und Freizügigkeit. Wir hoffen, dass eine regionale und kontinentale wirtschaftliche Integration die Grundlage für dauerhaften Frieden und Wohlstand in Afrika bildet – ganz so, wie es in der Europäischen Union der Fall war. Wir arbeiten eng mit der AU zusammen, um unsere Handels- und Wirtschaftsbeziehungen zu vertiefen und unsere Zusammenarbeit zu multilateralen Fragen und in internationalen Organisationen für Frieden und die Sicherheit auszubauen.