Chemie-Spitzengespräch am 27. September 2023

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Die chemische Industrie ist eine der wichtigsten Branchen der deutschen Volkswirtschaft. Deutschland ist Europas größte Chemienation und steht gemessen am Umsatz weltweit an vierter Stelle hinter den USA, Japan und China. Die chemische Industrie ist Basis vieler industrieller Wertschö pfungsketten in Deutschland, ist Impulsgeberin für Innovationen und essentiell  für eine erfolgreiche Transformation der Industrie.

Die chemische Industrie unterliegt auch selbst einem notwendigen Transformationsprozess. Zugleich steht die Branche angesichts des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine, einer schwachen Nachfrage und hohen Energie- und Rohstoffpreisen aktuell vor sehr großen Herausforderungen und zunehmend unter internationalem Wettbewerbsdruck.

Politik, Industrie und Sozialpartner verfolgen das gemeinsame Ziel einer wettbewerbsfähigen, erfolgreichen und an den Zielen der nachhaltigen Entwicklung orientierten chemischen Industrie in Deutschland. Leitbild ist auch künftig ein Mix aus global erfolgreichen großen und vielen mittleren und kleinen Unternehmen im Bereich der Grundstoff- und Spezialchemie. Eine gute Infrastruktur, leistungsfähige Chemieparks und Verbundstandorte, sehr gut ausgebildete Fachkräfte, exzellente Grundlagen- aber auch angewandte Forschung sowie ein dynamisches Start-up Ökosystem sind entscheidende Erfolgsparameter.

Bei dem Spitzengespräch mit der Chemieindustrie haben sich die Unternehmen, die Sozialpartner und die Politik zu den notwendigen Rahmenbedingungen für mehr Planungssicherheit für nachhaltiges Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit verständigt.

1. Wettbewerbsfähige Energie- und Rohstoffversorgung

Grundlage für eine erfolgreiche Transformation der deutschen Industrie ist eine sichere Energieversorgung zu wettbewerbsfähigen Kosten. Das gilt im besonderen Maße für die chemische Industrie, die überwiegend energieintensiv ist und einem starken internationalen Wettbewerb ausgesetzt ist. Der beschleunigte Ausbau der Erneuerbaren Energien, besser ausgebaute Energienetze und ein effizientes Strommarktdesign sind dafür wichtige Voraussetzungen. Folgende Punkte sind für die Bundesregierung prioritär:

  • Der Ausbau des Wasserstoffnetzes wird beschleunigt.
  • Durch die Erweiterung von Eigenverbrauchsprivilegien erleichtert die Bundesregierung Unternehmen die Nutzung von eigenen Stromversorgungsanlagen.
  • Auf EU-Ebene setzt sich die Bundesregierung für ein effizientes Strommarktdesign ein.
  • Die Bundesregierung ist sich der Bedeutung wettbewerbsfähiger Strom- und Energiepreise auch für die chemische Industrie bewusst. Sie befindet sich in Gesprächen mit dem Parlament über Vorschläge, wie die Stromversorgung so ausgestaltet werden kann, dass Strompreise stabilisiert werden können und damit Planungssicherheit verbessert werden kann.


2. Abbau bürokratischer Hürden

Grundlage für Investitionen der Industrie sind verlässliche Rahmenbedingungen, schnelle Planungs- und Genehmigungsverfahren und regulatorische Anforderungen, bei denen Aufwand und Nutzen in einem ausgewogenen Verhältnis stehen.

Die Bundesregierung verfolgt verschiedene Maßnahmen, um die Bürokratiebelastung für die Wirtschaft zu reduzieren. Noch in diesem Jahr soll ein Entwurf für ein weiteres Bürokratieentlastungsgesetz vorgelegt werden. Ein entsprechendes Eckpunktepapier wurde am 30. August 2023 im Kabinett beschlossen.

Aktuell befindet sich die Novelle des BImSchG im parlamentarischen Verfahren. Hierin sind zahlreiche Maßnahmen zur Verfahrensbeschleunigung vorgesehen. Hierunter fallen unter anderem die Stärkung der Rolle des Projektmanagers, eine Beschränkung der Verlängerungsmöglichkeiten für Genehmigungsfristen und die Erleichterung der Möglichkeiten zur Nachreichung von Unterlagen. In die Novelle des BImSchG sollen zudem weitere Maßnahmen zur Digitalisierung immissionsschutzrechtlicher Genehmigungsverfahren aufgenommen werden. Als ein Beispiel sollen Genehmigungsverfahren für Elektrolyseure deutlich vereinfacht werden, indem kein Erörterungstermin mehr stattfinden muss.

Im „Pakt für Planungs-, Genehmigungs- und Umsetzungsbeschleunigung“ erarbeiten Bund und Länder gemeinsam weitere Verfahrensbeschleunigungen. Unter anderem soll der vorzeitige Maßnahmenbeginn im Bundes-Immissionsschutzgesetz (BImSchG) verstärkt genutzt werden können. Der Pakt wird aktuell mit den Ländern diskutiert und soll möglichst bis Ende des Jahres abgeschlossen werden. Aktuell befindet sich zudem die Novelle des BImSchG im parlamentarischen Verfahren. Zudem beschäftigt sich die Bundesregierung mit der Frage, wie grundsätzlich die Zahl und der Umfang von erforderlichen Gutachten im Genehmigungsverfahren reduziert werden kann.

Die Bundesregierung plant gemeinsam mit den Ländern eine Ende-zu-Ende Digitalisierung und teilweise Automatisierung des BImSch-Genehmigungsprozesses auch unter dem Einsatz von Künstlicher Intelligenz. Auf EU-Ebene setzt sich die Bundesregierung dafür ein, Berichtspflichten effizienter auszugestalten und den Aufwand zu reduzieren, anstatt ihn zu erhöhen.

3. Ausgewogener europäischer Regulierungsrahmen

Der Schutz von Umwelt und Gesundheit wie auch der Arbeitsschutz sind zentrale Anliegen der Bundesregierung. Die europäische Chemikalienstrategie für Nachhaltigkeit (CSS) soll den bestehenden europäischen Rahmen verbessern. Zugleich muss gewährleistet werden, dass der Hochlauf von Zukunftstechnologien für die Energiewende, die Entwicklung innovativer Materialien, Produkte und Prozesse, die Produktion von Hochtechnologiegütern und die Versorgung der Bevölkerung sowie der Industrie mit essentiellen Gütern nicht gehemmt werden. Die CSS soll daher auch Grundlage für einen zukunfts- und wettbewerbsfähigen, resilienten Chemikaliensektor sein und zu einer Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeitsposition der europäischen Chemieindustrie führen. Das gilt besonders mit Hinblick auf regulatorische Anforderungen und dem erklärten Willen Bürokratie wo immer möglich zu reduzieren.

Die Bundesregierung setzt sich dafür ein, dass der Maßstab der EU für REACH-Stoffbeschränkungen risikobasiert bleibt. Pauschale, undifferenzierte Verbote ganzer Stoffklassen sind nach Ansicht der Bundesregierung nicht vom bestehenden europäischen Rechtsrahmen gedeckt und sind nach dem aktuellen Vorschlag der deutschen und weiterer Fachbehörden auch nicht vorgesehen. Ein Totalverbot von PFAS ist insofern nicht geplant und würde von der Bundesregierung auch nicht unterstützt. Dabei soll es nach Auffassung der Bundesregierung dauerhaft bleiben, insbesondere im Rahmen der Diskussionen um die europäische Chemikalienstrategie und REACH. Um negative Auswirkungen von Stoffen auf Umwelt und Gesundheit und zunehmende Abhängigkeiten von außereuropäischen Anbietern so weit wie möglich zu vermeiden sowie zugleich die Transformationsfähigkeit der Industrie weiter zu verbessern, muss auch die Forschung nach Alternativen entschieden vorangetrieben werden.

Die Bundesregierung und die chemische Industrie bekräftigen ihr gemeinsames Engagement für ein nachhaltiges internationales Chemikalienmanagement. Angesichts der weltweiten Verflechtungen der Chemieindustrie und mit Blick auf unsere globale Verantwortung für eine nachhaltige Zukunft muss von der Weltchemikalienkonferenz ein starkes Signal für einen weltweit sicheren Umgang mit Chemikalien ausgehen. Dies trägt gleichzeitig dazu bei, weltweit faire Wettbewerbsbedingungen zu schaffen.

4. Gezielte Förderung von Innovationen

Wesentliche Stärken der deutschen Chemieindustrie sind die Fähigkeit sich auf verändernde Nachfragen einzustellen, innovative Produkte zu entwickeln und neue Märkte zu erschließen. Politik, Industrie und Sozialpartner stimmen überein, dass die Innovationskraft der deutschen Chemie gestärkt werden muss, damit Wettbewerbsfähigkeit und gute Beschäftigung erhalten werden können. Damit können auch der Umwelt- und Gesundheitsschutz verbessert, Rohstoffabhängigkeiten reduziert und neue Märkte erschlossen werden.

Zu den wichtigsten Zukunftsfeldern, die für die Transformation zu einer nachhaltigen Chemie unerlässlich sind, gehören neue Technologien für die Energieerzeugung und -speicherung, alternative Kohlenstoffquellen, kreislaufgeführte Produkte sowie die technologieoffene Betrachtung von Recycling-Verfahren und die Entwicklung neuer Werkstoffe ("Advanced Materials").

  • Die Bundesregierung erarbeitet in einem breit angelegten Stakeholder-Prozess eine Nationale Kreislaufwirtschaftsstrategie, die bestehende rohstoffpolitische Strategien und Initiativen bündelt. Die Allianz für Transformation wird diesen Prozess begleiten und dem Thema Kreislaufwirtschaft ein Spitzengespräch widmen.
  • Die Bundesregierung unterstützt über ihre Forschungs- und Innovationsförderung gezielt die Entwicklung von neuen, innovativen Materialien für das nachhaltige und ressourceneffiziente Wirtschaften.  
  • Mit der Nutzung von Reallaboren will die Bundesregierung Freiräume für Innovationen schaffen. Sie arbeitet daher an einem Reallabore-Gesetz, das in dieser Legislaturperiode beschlossen werden soll.
  • Von der im Wachstumschancengesetz vorgesehenen Ausweitung der steuerlichen Forschungsförderung und der Investitionsprämie wird auch die forschungsstarke chemische Industrie in Deutschland profitieren. Die Bundesregierung wird sich bei der EU für eine Verlängerung des Temporary Crisis and Transition Framework (TCTF) einsetzen.
  • Das Finanzierungsinstrumentarium für KMU und Start-ups in Deutschland steht auch Unternehmen der Chemie zur Verfügung. Beispielsweise hat der High-Tech Gründerfonds einen Schwerpunkt in den Bereichen Life Sciences und Chemie und der neue DeepTech & Climate Fonds i.H.v. 1 Mrd. EUR steht auch Deep-Tech Start-ups aus der Chemie offen. Mit dem Zukunftsfonds stellt die Bundesregierung bis 2030 insgesamt weitere 10 Mrd. EUR für Wachstumsfinanzierung zur Verfügung.
  • Die Bundesregierung unterstützt im Internationalen Kompetenzzentrum für Nachhaltige Chemie (International Sustainable Chemistry Collaborative Centre ISC3) mit einem Start-up-Service die Entwicklung von jungen Unternehmen mit nachhaltigen Lösungen im Chemiesektor.
  • Chemische Recyclingverfahren werden von der Bundesregierung als wichtige Ergänzung zum mechanischen Recycling unterstützt, wenn dadurch Rohstoffe effizient genutzt werden können. Investitionen und Ansiedlungen, die dieses Ziel unterstützen, werden positiv flankiert.


5. Fachkräftesicherung

Hochschulen und auch das System der dualen Berufsausbildung bilden ein bewährtes Fundament für hoch qualifizierte Fachkräfte, die auch international sehr angesehen sind. Der Bund und die Länder unterstreichen die Bedeutung der Bildung in den Bereichen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik (MINT-Fächer) in der gesamten Bildungskette für die chemische Industrie. Mit der Fachkräftestrategie der Bundesregierung und dem beschlossenen Fachkräftezuwanderungsgesetz sind wichtige Grundlagen für qualifizierte Migration beschlossen. Bund und Länder arbeiten gemeinsam daran, die Verfahren weiter zu beschleunigen.  

6. Zum weiteren Prozess

Politik, Industrie und Sozialpartner bekräftigen ihr gemeinsames Ziel eines wettbewerbsfähigen, nachhaltigen Chemie-Standort Deutschlands. Der Austausch zu den Rahmenbedingungen der chemischen Industrie soll fortgesetzt werden mit dem Ziel eines Chemie-Pakts.