Vom Wunsch nach einem klaren Himmel

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Interview mit Oksana und Aleona aus Kiew Vom Wunsch nach einem klaren Himmel

Nach ihrer Flucht aus der Ukraine leben die Schwägerinnen Oksana (39) und Aleona (38) mit ihren Kindern Ksenia (15), Wladic (11) und Katja (3) seit Anfang März in Berlin. Sie erzählen von Flucht und Krieg, wie sie in Deutschland aufgenommen wurden und was sie sich für die Zukunft wünschen.

6 Min. Lesedauer

Geflüchtete Familie in Berlin

Seit Anfang März in Berlin: die Schwägerinnen Oksana und Aleona mit ihren Kindern Ksenia, Wladic und Katja.

Foto: Ute Ackermann-Koutalakis

Oksana, Aleona, Ksenia, Katja und Wladic lebten in Kiew – bis Russland die Ukraine angriff und die Stadt bombardierte. Ihre Flucht führte sie über Polen nach Berlin. Hier berichten Sie über Tage der Ungewissheit und über ihren neuen Alltag in Deutschland. 

Oksana:  Die ersten Tage, als die Explosionen begannen, waren schrecklich. Wir konnten hören, dass der Krieg begonnen hatte. Wir verbrachten acht Nächte in einem Luftschutzkeller mit der ganzen Familie. Wir sind selten rausgegangen. Ksenia, meine Tochter, hatte große Angst. Es war noch kein Frühling wie jetzt und es war sehr kalt. Die Kinder schliefen auf dem Boden, auf Zement, angelehnt an einige alte Türen. Wir lagen oft einfach nur da.

Von Krieg und Flucht

Aleona: Der Krieg war plötzlich sehr real. Wir waren verängstigt. Wir konnten es einfach nicht verstehen: Wie konnte das sein? Wie konnte das im 21. Jahrhundert noch passieren, was jetzt plötzlich auf unseren Straßen stattfand? Wir waren so verstört, dass wir nichts essen konnten.

Oksana: Es war schrecklich, von allen Seiten bombardiert zu werden. Es war zu schrecklich, um in Kiew zu bleiben. Wir mussten etwas unternehmen. Wir entschieden uns, zu gehen. Wir nahmen nur das Notwendigste mit: Dokumente und Medikamente. Wir waren sehr besorgt und weinten viel, weil wir unsere Ehemänner zurücklassen mussten. Später wurde uns aber klar, dass wir die richtige Entscheidung getroffen hatten, die Stadt zu verlassen.

Aleona: Oksana kam zu uns und zusammen gingen wir sofort zum Bahnhof. Der Bahnhof war voll mit sehr vielen Menschen, mit Hunden und Katzen. Wir stiegen in einen kostenlosen Zug, um nach Lemberg zu gelangen – ohne Licht und ohne Toilette. Wir haben sehr lange nicht geschlafen, weil es einfach sehr, sehr viele Menschen gab, die alle vor diesen Bomben geflohen sind.

Oksana: Für die Kinder war es am schwierigsten. Jedes der Kinder litt unter viel Stress. Jedes erlebte es auf seine eigene Art: Katjuscha, unsere Kleine, schlief die ganze Zeit.

Aleona: Wir brauchten fünf Tage, um nach Berlin kommen, mit den Kindern war es sehr kompliziert. In der Nähe der Grenze wurden wir von einem Gemüsetransporter mitgenommen, ohne Sitze oder irgendetwas. Die Kinder saßen auf unseren Taschen. Katjuschka schlief auf meinem kleinen Koffer. Der Fahrer brachte uns nach Warschau. Dort gab es keinen Bus mehr nach Berlin. Es waren zu viele Menschen. Ein sehr guter Mensch namens Peter hat uns mit zu sich genommen. Bei ihm konnten wir für die Nacht bleiben. Er kaufte uns Bustickets für den nächsten Tag nach Berlin.

Von der Ankunft in Berlin: Sicherheit in der Fremde

Aleona: In Berlin warteten unsere Gastgeberinnen auf uns und Elena, meine Schwägerin. Sie lebt schon seit zehn Jahren in Deutschland. Endlich waren wir nach dieser langen Reise irgendwo angekommen. Wir setzten uns zu einem schönen Abendessen. Der Tisch war schon gedeckt bei unserer Ankunft. Wir hatten das Gefühl, jetzt sicher zu sein.

Oksana: Das Wichtigste ist, dass wir in gute Familien gekommen sind. Auch jetzt helfen uns die Familien immer noch. In den ersten Wochen haben wir uns in zwei Wohnungen nebeneinander aufgeteilt. Ich und Xenia in der einen Wohnung und Aleona mit Wladic und Katjuschka in der anderen. Wir hatten ein eigenes Zimmer und Bad, die Küche haben wir uns geteilt. Wir haben Zeiten verabredet, wann wir kochen können. Alles war sehr gut, aber trotzdem ist alles anders als zuhause: Wie verhält man sich in einer anderen Familie? Was kann man tun, was nicht? Es ist eine andere Kultur. In Deutschland hat man vier Mülltonnen, das Essen ist ganz anders. Wir mussten lernen, das alles zu verstehen.

Von den ersten Tagen und dem Leben in Deutschland

Aleona: Die ersten Tage waren sehr anstrengend. Wir mussten viele Anträge für die Registrierung und Sozialhilfe stellen, die Kinder in Willkommensklassen anmelden oder zum Impfzentrum, weil unsere Impfungen in Europa nicht gültig waren. Unsere Gastgeberinnen haben mit Elena versucht, alles für uns zu organisieren, aber es war schwer. Wir konnten ja oft auch nur mit den Handyübersetzungen sprechen. Manche Dinge konnte man nicht so einfach verstehen, weil so viele Dinge auf einmal passierten. Auch für die Kinder bedeutete es sehr viel Stress. Ganz plötzlich sollten sie in eine Schule in Deutschland gehen, dabei wollten wir doch alle schnell wieder nach Hause.

Oksana: Nach drei Wochen sind wir zusammen in eine kleine Wohnung gezogen, ganz in der Nähe unserer ersten Unterkunft. Unsere neue Gastmutter hilft uns jetzt auch sehr viel und manchmal helfen wir ihr im Garten. Hier geht es uns sehr gut. Wir sind Deutschland sehr dankbar, wir haben ein bisschen Geld und auch alles, was wir brauchen.

Die Kirchengemeinde hat sehr viel organisiert. Wir lernen umsonst Deutsch im Deutschkurs der Gemeinde, für die Kleinen gibt es einen Kindergarten, und freitags treffen sich alle Ukrainer und backen Kuchen im Gemeindehaus. Wir haben schon viele neue Freunde gefunden aus ganz verschiedenen Städten der Ukraine und wir unterstützen uns gegenseitig.

Auch freuen wir uns sehr, dass unsere Kinder nicht zu Hause sitzen und im Gymnasium in den Willkommensklassen lernen können. Auch dürfen wir den öffentlichen Nahverkehr umsonst nutzen, das ist sehr hilfreich. So können wir durch Berlin reisen, um die Stadt von allen Seiten zu sehen.

Wir haben jetzt hier irgendwie einen Alltag, die Kinder gehen zur Schule oder in den Kindergarten. Manchmal gehen wir zu Besuch oder Gäste kommen zu uns. Uns geht es gut, wir hoffen aber sehr, dass wir Mitte Juni oder Mitte Juli nach Hause gehen können.

Von Heimweh und dem Frühling in Kiew

Oksana: Es war sehr schwer für uns, unsere Ehemänner in Kiew zurückzulassen, aber für die Kinder war es das Beste. Gerade kann mein Mann nicht arbeiten, aber er versucht, den älteren Menschen bei einer Ärzte-Organisation dort zu helfen.

Aleona: Ich habe einen Ehemann in Kiew, Eltern in der Region Dnipropetrowsk und einen Bruder mit seiner Frau und zwei Kindern in Nikopol. Dort ist es nicht so gefährlich wie in Kiew und Charkiw.

Es gab einige Tage, an denen wir überhaupt nicht miteinander kommunizieren konnten. Jetzt geht es ganz gut mit dem Handy. Es ist im Moment sehr schwer für mich ohne meine Familie und ohne unsere Ehemänner. Am Telefon etwas zu sagen, ist ok, um Kontakt zu halten. Wenn die Person aber neben dir ist, kann sie dich umarmen und gute Worte sagen, sie kann helfen, etwas zu tun. Auch die Kinder vermissen ihren Papa. Katjuschka sagt immer noch jeden Tag, dass sie zu Papa zu gehen möchte, Wladic zeigt es nicht so. Xenia mag Berlin sehr, will aber eigentlich nach Hause. Wir versuchen unser Bestes. Gerade heute hat mein Mann uns Fotos geschickt: Jetzt ist auch Frühling in Kiew.

Von Russland und den Wünschen für die Zukunft

Aleona: Was wir über Russland denken, das können wir mit guten und schönen Worten nicht ausdrücken.

Für die Zukunft wünsche ich mir aber, dass dieser Krieg so schnell wie möglich endet und wir alle wieder mit unseren Familien vereint werden können, um in gutem Frieden und unter klarem Himmel zusammenzuleben.

Oksana: Frieden für die ganze Welt wünsche ich mir, das ist das Wichtigste.

Über das Interview: Die Fragen haben wir den beiden Frauen auf Deutsch gestellt, geantwortet haben sie auf Ukrainisch. Die Übersetzung in die jeweils andere Sprache lieferte die Übersetzungsmaschine des Handys.