Rede von Bundeskanzlerin Merkel anlässlich des digitalen Kongresses der CDU/CSU-Bundestagsfraktion "Für eine zukunftsgerichtete transatlantische Partnerschaft" am 5. Mai 2021 (Videokonferenz)

Rede von Bundeskanzlerin Merkel anlässlich des digitalen Kongresses der CDU/CSU-Bundestagsfraktion "Für eine zukunftsgerichtete transatlantische Partnerschaft" am 5. Mai 2021 (Videokonferenz)

Mittwoch, 5. Mai 2021

Lieber Ralph Brinkhaus,
lieber Alexander Dobrindt,
lieber Johann Wadephul,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
meine Damen und Herren,

um es gleich vorwegzusagen: die Vereinigten Staaten von Amerika sind und bleiben der wichtigste Partner Europas – ich will das auch ganz persönlich sagen –, unser natürlicher und unverzichtbarer Partner. Wir teilen als Europäer und auch als Deutsche mit keiner anderen Region auf der Welt so viele Werte und Interessen. Wir sind Verbündete in der NATO, Partner im globalen Handel und Gleichgesinnte in den freiheitlich-demokratischen Verfassungstraditionen unserer Länder. Aus deutscher Perspektive sind wir den Vereinigten Staaten von Amerika sowohl durch die Hand der Versöhnung nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und des Nationalsozialismus als auch durch das sehr eng verbunden, was wir 1989 und 1990 an Unterstützung im Zusammenhang mit der Deutschen Einheit erfahren haben.

Nun hat sich unsere Partnerschaft in den letzten Jahren als nicht ganz so vital erwiesen, wie sie hätte sein können. Für mich aber steht fest – und stand auch in den etwas schwierigeren Jahren fest –, dass wir nur in enger Zusammenarbeit als verlässliche Partner Antworten auf gemeinsame Aufgaben und Zukunftsfragen finden können.

Jetzt schauen wir nach vorne. Das Kongressmotto „Das transatlantische Band wieder stärken ‑ Für eine zukunftsgerichtete und umfassende Partnerschaft“ verdeutlicht ja auch, dass die CDU/CSU-Bundestagsfraktion das genauso sieht. Das ist ein Auftrag, der sich an alle richtet, die in der Politik tätig sind, natürlich auch an die Bundesregierung. Denn so viel ein geeintes Europa auch zu bewegen vermag, gemeinsam mit den USA können wir Globalisierung weitaus wirkungsvoller mitgestalten. Wir sind sehr viel stärker, wenn wir eine gemeinsame Position haben.

Ich glaube, wir sind uns alle einig, dass es an großen Herausforderungen gewiss nicht mangelt. Ich will hier nur die Pandemie nennen, auch die große Aufgabe des Klimawandels und sicherlich auch die veränderte Kräftekonstellation durch die wirtschaftliche und politische Stärke Chinas und das zum Teil sehr aggressive Auftreten Russlands.

Insofern ist es sehr gut zu wissen, dass Präsident Biden – er hat das ja seit seinem Amtsantritt immer wieder deutlich gemacht – und seine Regierung für eine enge transatlantische Partnerschaft stehen. Sie verstehen darüber hinaus eine regel- und wertegebundene Weltordnung als Fundament für ein friedliches, faires und gedeihliches Miteinander der Nationen. In den ersten 100 Tagen hat die US-Regierung in diesem Zusammenhang schon wegweisende Entscheidungen getroffen. Ich will das an einigen Beispielen deutlich machen.

Das ist einmal der US-Klimagipfel, der vor zwei Wochen stattgefunden hat. Hier haben die Vereinigten Staaten von Amerika ehrgeizige Ziele verkündet. – Natürlich hat die Europäische Union diese auch. – Ich glaube, das war ein ganz wichtiges Signal für die 26. Vertragsstaatenkonferenz im Herbst in Glasgow. Wir haben im Zuge der Rückkehr der Vereinigten Staaten von Amerika zum Pariser Abkommen ja erlebt, dass auch eine ganze Reihe von Staaten ihre nationalen Ziele verstärkt hat. Wir in Deutschland sind im Augenblick dabei – wir haben das heute innerhalb der Bundesregierung besprochen –, das Bundesverfassungsgerichtsurteil sehr schnell umzusetzen. Das heißt, wir werden unsere Anstrengungen bis zum Jahr 2030 noch einmal verstärken und unser Reduktionsziel auf 65 Prozent anheben. Wir werden auch alles daransetzen, bereits 2045 das Ziel der Klimaneutralität zu erreichen. Dazu müssen wir natürlich noch zusätzliche Maßnahmen durchsetzen und umsetzen.

Es geht jetzt auch um die Bewältigung der Pandemie. Die Vereinigten Staaten von Amerika sind in die Weltgesundheitsorganisation zurückgekehrt und haben ihren Beitrag zu der internationalen Impfinitiative COVAX in Form von finanziellen Mitteln geleistet. In Bezug auf COVAX ist Deutschland im Augenblick übrigens der größte Geldgeber. Aber die Vereinigten Staaten von Amerika beteiligen sich auch in erheblichem Maße. Zurzeit exportiert Amerika so gut wie noch keinen Impfstoff. Die amerikanische Impfaktion wird aber in absehbarer Zeit beendet sein. Ich denke, dann werden die Vereinigten Staaten von Amerika und Europa sehr eng zusammenarbeiten, um die Welt mit Impfstoffen zu versorgen. Das wird noch eine über mehrere Jahre dauernde Aufgabe sein, die ein gutes Feld einer transatlantischen Kooperation sein könnte. Vielleicht können wir schon am 21. Mai in Rom auf dem Global Health Summit im Rahmen der G20 unter der italienischen Präsidentschaft Signale setzen.

Die neue Administration von Präsident Biden hat ein klares Bekenntnis zur NATO und zur europäischen Sicherheit abgelegt. Wir haben beim Europäischen Rat im März eine Videoschaltung mit dem Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika gehabt, bei der Präsident Biden eine engere Zusammenarbeit zwischen den USA und Europa angekündigt hat. Ein wichtiges Signal ist auch, dass die USA das New START-Abkommen mit Russland verlängert haben. Wir hoffen natürlich, dass dies auch Raum für weitere Schritte zur Abrüstungs- und Rüstungskontrolle schaffen wird.

Noch einmal zurück zur europäisch-amerikanischen und auch militärischen Sicherheitskooperation: Die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik ist etwas, das als eine starke Säule die Partnerschaft in der NATO ergänzen kann. In diesem Zusammenhang will ich noch einmal ganz deutlich sagen: Eine gute transatlantische Partnerschaft bedeutet auch Verlässlichkeit der Partner untereinander. Wir haben uns in Wales zu dem Ziel bekannt, dass wir zwei Prozent unseres Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung ausgeben wollen. Deutschland fühlt sich diesem Ziel auch weiterhin verpflichtet. Ich will noch einmal daran erinnern, dass dieses Zwei-Prozent-Ziel, das ja schon von Anfang der 2000er Jahre stammt, mit Blick auf die russische Aggression im Zusammenhang mit der Annexion der Krim und der Situation in der Ostukraine wieder erneuert wurde. Das heißt, es ist also auch ein relativ neu bestätigtes und bekräftigtes Ziel, das sehr viel mit der Verteidigung auch mit Blick in Richtung Russland zu tun hat.

Sehr unterstützenswert ist, dass sich die USA gemeinsam mit der Europäischen Union wieder zum iranischen Nuklearprogramm bekennen. Es werden alle Versuche unternommen, um den Iran wieder zu einer Rückkehr zu den Verpflichtungen aus diesem Abkommen zu ermutigen.

Natürlich arbeiten wir auch gemeinsam daran – das bedeutet, dass Regel- und Werteorientierung das gemeinsame Fundament unserer Außenpolitik ist –, dass wir Menschenrechte einklagen, wo immer das nötig ist. Das ist von großer Bedeutung. Das gilt mit Blick auf Russland, das gilt mit Blick auf China und auch mit Blick auf viele andere Länder der Erde. Ich begrüße in diesem Zusammenhang ausdrücklich, dass Präsident Biden zu einem Gipfel der Staaten einladen will, die sich demokratischen Werten verpflichtet fühlen.

Es ist auch etwas im Hinblick auf einen freien und fairen Handel in Bewegung gekommen. Wir wollen versuchen, möglichst schnell die noch offenen Fragen zur Reform der Welthandelsorganisation zu klären. Ein ermutigendes Zeichen ist auch, dass man jetzt Gespräche bezüglich der Sanktionen im Zusammenhang mit Airbus und Boeing führt. Es finden also wieder mehr Gespräche statt, um Probleme zu lösen.

Die Nachricht in Bezug auf die transatlantische Zusammenarbeit heißt also: „back in business“, wenn man das so sagen will. Das ist aber etwas ganz anderes als „business as usual“. Denn es hat sich in den vergangenen Jahren ein tiefgreifender Wandel vollzogen, der auch etwas mit dem Blick der Vereinigten Staaten von Amerika auf ihre Rolle in der Welt zu tun hat. Es gab so etwas wie einen Automatismus, demnach die Vereinigten Staaten von Amerika immer da, wo Krisensituationen entstanden, sofort eingriffen, vor allen Dingen auch militärisch. Das wird es so nicht mehr geben. Deshalb erwarten die Vereinigten Staaten von Amerika mehr Engagement von ihren Partnern. Dies ist dann eben auch eine Aufgabe, die die Europäische Union – Deutschland natürlich auch – zu bewältigen hat, wenn es um die eigene Sicherheit geht, wenn es um die Stabilität in unserem Umfeld und um allgemein gültige Werte in der Welt geht.

Ich denke, dass wir sehr selbstbewusst und offen diese Herausforderung und diese Aufforderung annehmen können. Deutschland hat an verschiedenen Stellen bewiesen, dass es ein verlässlicher Partner ist. Ich denke da zum Beispiel an unser Engagement in Afghanistan – ein Engagement innerhalb der NATO, bei dem Deutschland auch eigene Verantwortung im Norden des Landes übernommen hat. Deutschland wird sich auch an anderer Stelle dieser Verantwortung stellen.

Eine weitere Entwicklung, die wir im Auge behalten müssen, ist die Hinwendung der Vereinigten Staaten zu Asien. Auch das ist keine ganz neue Entwicklung. Präsident Obama hatte bereits von einem asiatischen Jahrhundert gesprochen. Wir sollten nicht den Fehler machen und das als eine Abwendung von Europa verstehen. Das ist vielmehr eine Antwort auf veränderte geopolitische Kräfteverhältnisse gerade auch im Asien-Pazifik-Raum. Es ist gut, dass die Bundesregierung eine Strategie auch für diesen Raum entwickelt hat. Das hat natürlich auch sehr viel zu tun mit dem Erstarken Chinas hin zu einer wirtschaftlichen und auch politischen Größe in der Welt. Die Vereinigten Staaten von Amerika waren immer schon ein atlantischer und ein pazifischer Akteur. Deshalb ist es mehr als selbstverständlich, dass auf dieses Erstarken Chinas auch eine Reaktion erfolgt.

In einer solchen Situation können wir Europäer auch aufgrund unseres Bündnisses und unserer Wertegemeinschaft natürlich keine neutralen Beobachter sein, sondern wir bleiben auch bei diesen Herausforderungen Verbündete – wenngleich gemeinsame Werte noch nicht automatisch eine Interessengleichheit darstellen. Außenpolitik ist immer eine Kombination aus Werten und eigenen Interessen. Und die europäischen Interessen sorgsam zu formulieren, ist sicherlich auch eine Aufgabe in unserer transatlantischen Partnerschaft und Freundschaft.

Wir haben als Europäer kein Interesse an einer erneuten Teilung der Welt in zwei Sphären. Präsident Biden hat jüngst betont, dass auch er das nicht hat. Gemeinsame Regeln müssen aber eingehalten werden; und das gilt für alle Länder – das gilt für Russland, für China und für alle anderen Länder, mit denen wir zusammenarbeiten.

Ich glaube, man kann sagen, dass im Zusammenhang mit Werten und Interessen unsere Beziehungen gerade auch mit China sehr vielschichtig sind. Wir haben auf der einen Seite alles Interesse daran, dass ein großes Land wie China sich gut entwickelt, dass die Menschen dort zu Wohlstand kommen und dass China in die multilaterale Ordnung eingebunden ist. Wir werden weder den Klimawandel bewältigen noch WTO-Fragen oder andere globale Fragen ohne oder gegen China lösen können. Gerade auch die chinesischen Bekenntnisse zu Klimaschutzzielen und zur CO2-Neutralität im Jahr 2060 und dem Erreichen eines Peaks vor 2030 sind ermutigende Signale im Sinne des Multilateralismus. Auf der anderen Seite gibt es erhebliche Kritik an der Menschenrechtssituation in China – ich denke da etwa an die Provinz Xinjiang und die Uiguren oder an die Situation in Hongkong.

Wir müssen bei unseren Formaten – wir hatten jüngst wieder deutsch-chinesische Regierungskonsultationen – über sämtliche, auch schwierige Fragen sprechen. Dazu gehören Menschenrechtsfragen, dazu gehören Rechtsstaatsfragen, dazu gehört auch das Thema einer guten wirtschaftlichen Kooperation und offener Märkte. Auch das chinesische Investitionsabkommen mit der EU halte ich für etwas, das trotz aller Schwierigkeiten, die jetzt sicherlich bei der Ratifizierung auftreten, doch ein sehr wichtiges Unterfangen ist, weil wir hiermit mehr Reziprozität beim Marktzugang bekommen, weil wir zur Einhaltung von Arbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation Festlegungen getroffen haben und auch zu anderem, womit der Handel zum beiderseitigen Vorteil entwickelt werden kann.

Es wird wichtig sein, dass wir uns in der transatlantischen Partnerschaft auch in Zukunft über die Dinge austauschen, die vielleicht nicht sofort zu einer gemeinsamen Bewertung führen. Dazu gehört im Augenblick auch das Thema Nord Stream 2. Wichtig ist für mich in diesem Zusammenhang, dass wir gerade auch gegenüber der Ukraine eine gemeinsame Politik verfolgen und dass die Ukraine in der Frage der Lieferung oder des Transits von Erdgas ein wichtiger Partner bleibt.

Wir sind natürlich sehr froh und schätzen es sehr, dass die US-Streitkräfte weiter in Deutschland stationiert bleiben. Wir begrüßen, dass frühere Verlegungspläne nicht weiterverfolgt werden, wissen aber auch, dass daraus Erwartungen an uns entstehen. Das habe ich ja auch schon deutlich gemacht.

Wir sollten über die politischen Kontakte hinaus die transatlantische Partnerschaft möglichst breit entwickeln. Da gibt es die Wirtschaftsbeziehungen, da gibt es auch Austauschprogramme für junge Leute. Dass die Mensch-zu-Mensch-Kontakte – People-to-people-Kontakte, wie man heute sagt – gepflegt werden, ist aus meiner Sicht ganz wichtig. Wir könnten uns überlegen, dass wir in nächster Zeit auch noch neue Impulse setzen.

Was die wirtschaftliche Kooperation anbelangt, habe ich mich schon seit langem für ein Handelsabkommen zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und der Europäischen Union eingesetzt. Wir haben mit vielen Regionen der Welt Handelsabkommen. Es wäre sehr sinnvoll, ähnlich wie mit Kanada, auch mit den Vereinigten Staaten ein solches Handelsabkommen zu entwickeln.

Insofern bleibt viel zu tun für die gemeinsame transatlantische Arbeit in einer unruhigen Welt – in einer Welt, die Partnerschaften braucht. Deshalb freue ich mich, dass wir mit der neuen Administration jetzt auch neue Möglichkeiten haben, die die Bundesregierung nutzen möchte.

Herzlichen Dank, dass Sie mir zugehört haben. Alles Gute für den weiteren Verlauf des Kongresses. Ich sehe schon die Diskussionsteilnehmer der nächsten Runde. Herzliche Grüße in das Reichstagsgebäude.

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