Rede von Bundeskanzler Scholz anlässlich des 13. Maschinenbau-Gipfels am 11. Oktober 2022 in Berlin

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Sehr geehrter Herr Haeusgen,
meine sehr geehrten Damen und Herren,

ich kann es ganz kurz machen: Ich bin mit Ihrer Rede zu 99 Prozent einverstanden.

Ich will es mir dann aber doch nicht so einfach machen, sondern ein bisschen über das reden, was uns miteinander umtreibt. Das ist natürlich zuallererst der russische Angriffskrieg auf die Ukraine. Und das sind die schweren Folgen, die dieser Krieg für uns alle hat – natürlich zuallererst für die Ukrainerinnen und Ukrainer. Jeden Tag sehen wir die Bilder mit den gewaltigen Zerstörungen, gerade jetzt noch einmal nach den Raketenangriffen. Wir haben dabei festgestellt, dass das in der Tat Konsequenzen nicht nur für die Ukraine hat, sondern für die ganze Welt und auch für Europa und für unser eigenes Land. Die Konsequenzen sind für alle gut erkennbar.

Für mich ist sehr, sehr klar, dass Putin seine Handlungsmöglichkeiten auch nutzt. Er hat Hunger als Waffe genutzt und die ukrainischen Häfen blockiert. Es hat lange, lange Bemühungen gekostet, dazu beizutragen, dass das Getreide wieder aus der Ukraine – und übrigens auch aus Russland – in die Welt exportiert werden kann. Bei der Gelegenheit haben wir festgestellt, wie hoch nicht nur die Abhängigkeit von diesen Getreidelieferungen für viele, viele Länder der ganzen Welt ist, sondern auch die Abhängigkeit von Düngemitteln – ein Thema, das wir nicht vergessen dürfen.

Das Gleiche gilt, wenn wir über die Frage diskutieren: Was ist mit den Energielieferungen? Denn auch die nutzt der russische Präsident als Waffe. Ich war mir immer sicher, dass er das tun würde. Deshalb habe ich mir – weil der Konflikt ja schon da war, wenn auch nicht so eskaliert, wie wir das seit dem Februar mit dem Angriff Russlands auf die Ukraine gesehen haben – schon im Dezember die Frage gestellt und sie weitergegeben an alle meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter: „Was passiert eigentlich, wenn Russland kein Gas mehr liefert?“ Das war – ich glaube, das kann man hier sagen – zu einer Zeit, als die allermeisten das noch nicht für wahrscheinlich gehalten haben. Aber ich habe es für möglich gehalten.

Die bedrückende Antwort von den Verantwortlichen zu der Zeit war: Es gab dafür keine Pläne, keine Vorstellungen, keine Untersuchungen, was das eigentlich bedeutet. Wir haben dann aber unsere Zeit genutzt und sehr rechtzeitig angefangen, darüber nachzudenken, wie wir uns auf diesen Fall vorbereiten können. Als der furchtbare Krieg Russlands gegen die Ukraine dann begann, konnte ich nicht nur ganz danach eine Rede halten, in der es darum ging, wie wir die Bundeswehr mit dem Sondervermögen von 100 Milliarden Euro besser ausstatten, sondern auch ankündigen, was wir tun werden, damit wir durch diese Zeit kommen.

Zu den Maßnahmen gehört zum Beispiel, dass wir uns Infrastrukturen aufbauen, mit denen wir jederzeit in der Lage sind, Gas aus anderen Regionen der Welt zu importieren. Wir haben die Kapazitäten in den westeuropäischen Häfen in den Niederlanden und Belgien genutzt und werben dafür, dass sie ausgeweitet werden. Zum ersten Mal importieren wir auch Gas aus Frankreich. Aber wir bauen auch in kürzester Geschwindigkeit neue Importmöglichkeiten an den norddeutschen Häfen auf: in Wilhelmshaven, in Stade, in Brunsbüttel und an der Ostsee in Lubmin. Diese werden in kürzester Zeit in Betrieb gehen – in Wilhelmshaven und Brunsbüttel zur Jahreswende. Die ersten Lieferungen aus Lubmin werden möglicherweise auch um diese Zeit möglich werden.

Wir haben dazu beigetragen, dass die Gasspeicher in Deutschland gefüllt werden. Nur einmal zur Erinnerung: Sie waren ziemlich leer. Auch das hätte ein Zeichen sein können, das den einen oder die andere gewarnt hätte. Sie waren ziemlich leer, weil die russischen Eigentümer sich sehr viel Mühe gegeben haben, zum Beispiel Polen mit Gas zu beliefern – aber nicht aus Russland, sondern aus den deutschen Speichern. Wir haben gleichzeitig dazu beigetragen, dass das jetzt anders ist, und sind bei knapp 95 Prozent – ein Ziel, das wir uns vor einiger Zeit gesetzt hatten.

Wir haben entschieden, dass wir die Kohlekraftwerke wieder laufen lassen – auch eine sehr weitreichende Entscheidung, die zu unserer Versorgungssicherheit beigetragen hat. Es wird in kurzer Zeit so sein, dass etwa fünf Kraftwerke neu in Betrieb gehen  und wir damit unsere Energiesicherheit erhöhen können. Wir arbeiten daran, dass das noch weitergeht.

Das Gleiche gilt für die Frage: „Was machen wir eigentlich in den Unternehmen möglich?“ Sie kennen das Thema. Es heißt fuel switch. Und viele von Ihnen haben davon Gebrauch gemacht und tatsächlich entschieden, noch vorhandene Anlagen, bei denen man Öl nutzen kann, oder Anlagen, bei denen man Kohle nutzen kann, wieder in Betrieb zu nehmen und überhaupt die Energieversorgung umzustellen. Und die Gesetze, die das begleiten, sind so verändert worden, dass Sie auf weniger bürokratische Hürden stoßen. Und nicht zuletzt – auch das gehört dazu – haben wir dafür gesorgt und werden wir dafür sorgen, dass die süddeutschen Atomkraftwerke weiterlaufen können.

Alle diese Maßnahmen zusammen haben dazu beigetragen, dass wir nicht „durch“ sind – in dem Sinne, dass wir keine Probleme mehr haben –, aber dass wir doch so weit sind, dass wir hoffen dürfen, sicher durch diesen Winter zu kommen. Das ist eine ganz andere Situation als vor einem Jahr. Und wenn ich Ihre Äußerungen aufgreifen darf: Wir haben es angepackt und sind deshalb so weit gekommen.

Klar ist, dass wir dabei nicht stehenbleiben dürfen. Denn das ist ja auch klar: Wenn die etwa 150 Milliarden Kubikmeter Gas, die Russland heute über Pipelines für Europa zur Verfügung stellt bzw. vor einiger Zeit zur Verfügung gestellt hat, nicht mehr zur Verfügung stehen, wird es darauf ankommen, anderswo neue und zusätzliche Kapazitäten zu attrahieren, sie an uns heranzuholen. Das wird nicht gehen ohne neue Quellen, die erschlossen werden, und neue Gasexplorationen, die in der ganzen Welt stattfinden. Wir sind bereit, das mit vielen zu verhandeln. Wir sind auch bereit, neue und auch langfristige Lieferverträge über Gas abzuschließen, damit das klappt. Die ersten sind abgeschlossen – mit den USA, mit Ländern aus der arabischen Halbinsel – und es werden weitere folgen. Wir sind sehr daran interessiert, dass auch Afrika und der Süden Amerikas ihre Möglichkeiten nutzen können, damit alle zusammen einen Beitrag dazu leisten können, dass wir auf den Weltmärkten genügend Gas haben. Damit Angebot und Nachfrage ausgeglichen sind. Und damit die Preise wieder runtergehen.

Die Preise sind ja jetzt viel zu hoch für jede wirtschaftliche Produktion. Sie können nicht da bleiben, wo sie sind. Deshalb ist es ganz, ganz wichtig, dass wir uns bei allem, was wir hierzulande machen, darüber klar sind: Die allererste Aufgabe muss es sein, dass wir dafür Sorge tragen, dass die Preise für fossile Rohstoffe, für Gas, für Öl und für Kohle, wieder runtergehen; dass sie nicht bleiben, wo sie sind; und dass sie auf ein erträgliches Maß sinken. Auch das ist eine Politik, die wir in Deutschland und Europa vorantreiben müssen.

Für mich bedeutet das aber auch – und das ist sehr wichtig –, dass wir uns klar darüber sind, dass das nicht mit einseitigen Handlungen seitens Deutschlands oder gar der ganzen Europäischen Union gelingen wird. Wir müssen schon ein Miteinander von denjenigen organisieren, die Nachfrager sind. Das gilt für Europa genauso wie zum Beispiel für Japan und Korea. Auch dort sind die Preise an den Märkten viel höher, als sie erträglich sind. Das gilt aber auch für diejenigen, die Gas produzieren – um uns zum Beispiel auf diesen Rohstoff zu konzentrieren. Es ist ganz, ganz wichtig, dass wir dieses Gespräch organisieren.

Deshalb habe ich mir auch vorgenommen, in allen internationalen Gesprächen die wechselseitige Verantwortung zum Thema zu machen; sie auch zum Thema zu machen, wenn wir uns heute zum Beispiel im Rahmen der G7 unterhalten; und sie auch in der Europäischen Union zum Thema zu machen. Wir brauchen einen verhandelten Prozess, in dem die Preise wieder auf ein vernünftiges Maß sinken. Das ist die Aufgabe koordinierter Politik in der Welt und – das will ich ausdrücklich sagen – das war einmal die Idee, die zum Beispiel hinter der Gründung damals der G6 und den heutigen G7 gestanden hat. Als das in den 70er-Jahren losging, als das Währungssystem von Bretton-Woods zusammengebrochen war, da haben Staatsmänner zu dieser Zeit, zum Beispiel Helmut Schmidt in Deutschland, Giscard d'Estaing, Pierre Trudeau – der Vater des heutigen Premierministers – und Gerald Ford, darüber gesprochen, wie das eigentlich gehen kann, und sie haben verstanden, dass die Welt in diesen Themen zusammenbleiben muss und dass man miteinander diskutieren muss. Mein Ziel ist, dass wir genau das jetzt wieder erreichen und dafür sorgen, dass die Preise auf ein Niveau kommen, auf dem weltwirtschaftliches Wachstum möglich ist.

Aber natürlich müssen wir die Möglichkeiten nutzen, die wir hierzulande haben, wenn es darum geht: Wie können wir eigentlich dazu beitragen, dass die Preise jetzt runtergehen, und zwar ganz unabhängig davon, wie sich die Preisentwicklung auf den Weltmärkten zeigen wird? Deshalb haben wir sehr früh gesagt: Wir wollen eine Strompreisbremse organisieren und das Marktdesign, so wie Sie das genannt haben, für den Strompreis in Deutschland und Europa ändern. Die Vorschläge, die wir in Deutschland entwickelt haben, sind ziemlich genau die gleichen, die auch in Europa diskutiert werden. Und deshalb ist es kein Zufall – wir haben ja vorher miteinander geredet –, aber ist es eben doch richtig, dass das, was in Europa jetzt zur Frage der Begrenzung von Strompreisen beschlossen wird und beschlossen worden ist, übereinstimmt mit dem, was wir machen wollen. Wir wollen diejenigen, die Strom sehr billig produzieren können – übrigens ganz besonders mit erneuerbaren Energien aus Offshore- und Onshore-Windkraft, aus Solarenergie, mit Wasserkraft, mit Kohle, mit Biogas – nicht Sondergewinne erzielen lassen, weil der Preis sich danach richtig, wie teuer es ist, Strom mit Gas zu produzieren. Das ist ja das, was uns heute die Preise auf dem Strommarkt verhagelt. Deshalb ist es richtig, dass wir sagen: Wir werden dort jeweils entsprechende Höchstgrenzen festlegen und das, was darüber geht, abschöpfen und es nutzen, um die Netzentgelte und die Strompreise für Verbraucher und Unternehmen zu senken. Auch das ist eine der Entscheidungen, die wir definitiv getroffen haben und die wir jetzt in höchster Geschwindigkeit umsetzen, damit die Strompreise wieder sinken.

Das Gleiche gilt für die Frage von Gas- und Wärmepreisen. Auch das ist ein zentrales Thema. Da haben wir das Problem, das ich eben diskutiert habe, nämlich dass die weltweiten Preise viel, viel zu hoch sind. Wir müssen, damit wir die Phase, bis sie wieder sinken, für unsere Wirtschaft und für die Bürgerinnen und Bürger erträglich gestalten, alles dafür tun, dass sie wieder sinken. Das ist die Idee hinter dem Abwehrschirm von 200 Milliarden Euro. Und das ist die Idee hinter der Gaspreisbremse. Wir haben sehr bewusst entschieden, dass wir jetzt nicht irgendwo an einem grünen Tisch diese Gaspreisbremse konstruieren, indem wir uns überlegen: Wie soll das gemacht werden und wie wäre es am perfektesten? Wir haben vielmehr eine Kommission zusammengesetzt, in der Unternehmensvertreter, die Expertise in diesem Bereich haben, Verbandsvertreter, Gewerkschafter, Verbraucherschützer, Mietervertreter, unglaublich viele Professorinnen und Professoren zusammengekommen sind und diese Frage diskutiert haben. Die haben dann ein bisschen gemerkt, wie das so ist, wenn politische Konsense geschmiedet werden. Es schreibt sich so einfach „keine Nachtsitzung“ – doch, es gibt Nachtsitzungen. Man kommt um sie nicht herum. Die haben also stundenlang diskutiert und einen Vorschlag gemacht, von dem ich schon finde, dass er wirklich eine sehr, sehr gute Grundlage dafür ist, das zu erreichen, was wir wollen: dass die Gaspreise sinken, dass sie bezahlbar bleiben für die Unternehmen, dass sie bezahlbar bleiben für die Bürgerinnen und Bürger, dass niemand Angst haben muss vor seiner Rechnung.

Selbstverständlich gehört dazu, dass wir all die Probleme mit in den Blick nehmen und lösen, die jetzt für alle auftauchen – zum Beispiel das, was Sie eben gesagt haben: Was ist mit Unternehmen, die keine neuen Verträge bekommen? Es muss so sein, dass alle sich sicher sein können, dass sie ihre Produktionstätigkeit fortsetzen können – zu Preisen, die nicht auf das Niveau vor dem Krieg Russlands gegen die Ukraine sinken, aber doch so sehr gesenkt sind, dass Produktion möglich ist, dass Beschäftigung möglich ist und dass die Bürgerinnen und Bürger ihre Rechnungen bezahlen können.

Klar ist aber auch, dass wir das alles richtigerweise jetzt nur machen, wenn wir gleichzeitig so viel Energie sparen, wie es möglich ist. Und wenn jeder bei jeder Entscheidung vor Ort seine Intelligenz und Kreativität nutzt, das jetzt zu machen. Denn Millionen solcher Einzelentscheidungen führen dazu, dass wir unsere Einsparziele erreichen und den Gaskonsum um 20 Prozent senken.

Es ist aber auch wichtig, dass wir das langfristige Ziel nicht aus dem Blick verlieren, dass wir aus der Nutzung fossiler Ressourcen aussteigen wollen, dass wir aus der Abhängigkeit von anderen Ländern aussteigen wollen und dass wir deshalb alles dafür tun, dass wir es schaffen, den Ausbau der erneuerbaren Energien als unverzichtbare Ressource für diese Aufgabe voranzubringen.

Das will ich sagen: Manchmal, und Sie, die hier anwesenden Frauen und Männer, verstehen ja alle noch viel mehr davon als ich und viele andere, muss man auch genau rechnen und sich mit den Zahlen beschäftigen, um die es dabei geht. Wenn Deutschland CO2-neutral wirtschaften will, dann wird es um Elektrifizierung gehen. Dann brauchen wir nicht nur Strom, der anders produziert wird, sondern auch viel mehr in diesem Land. Deshalb ist unser Ziel, dass wir die Stromproduktion zum Ende des Jahrzehnts von heute 600 auf 800 Terawattstunden ausweiten, dass 80 Prozent davon aus erneuerbaren Energien stammen und dass sich das in den Dreißigerjahren noch einmal verdoppelt.

Wenn man das sagt, dann ist ja auch schon klar, worum es eigentlich geht – nämlich um einen gigantischen Ausbau, der in einem dramatischen Tempo vor sich geht. Auch das kann man dann gerne herunterrechnen, auf Jahre – wie viel muss das pro Jahr sein? –, auf Monate – wie viel muss das pro Monat sei? –, auf Wochen – wie viel muss das pro Woche sein? –, auf Tage. Wer das tut, der setzt sich dann erst einmal hin und sagt: Oha, das ist eine ganze Menge!

Darum habe ich mir fest vorgenommen, dass wir in diesem Jahr all die notwendigen Bremsen lockern, die dem Ausbau der erneuerbaren Energien entgegenstehen. Man kann ja viele Diskussionen führen und mit vielem rechnen. Aber wenn ein Land wie Deutschland – übrigens schon unter den letzten Regierungen – entscheidet, aus der Nutzung der Nuklearenergie und aus der Nutzung der Kohleverstromung auszusteigen, und 2045 auch kein Gas außer Wasserstoff mehr nutzen möchte, jedenfalls als Heiz‑, Betriebs- und Treibstoff – als Rohstoff wird es sicherlich noch eine Rolle spielen –, dann ist es so, dass man dann auch irgendwo einsteigen muss. Wenn ich etwas an den Entscheidungen der letzten Jahre zu kritisieren habe, dann ist es nicht nur diese einseitige Abhängigkeit in vielen Bereichen und dass man zu viele Eier in einen Korb gelegt hat, um Ihr Beispiel aufzugreifen. Sondern dann ist es definitiv auch die Tatsache, dass wir ausgestiegen sind, aber nicht eingestiegen sind.

Wenn wir diese Entscheidung getroffen haben, und wir haben sie getroffen – sie steht in allen Gesetzen, sie ist der politische Konsens weit über die Regierungsparteien hinaus, sie ist das, was die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger will, und das, was wir machen müssen, um dabei zurechtzukommen –, dann muss die Wette auch aufgehen. Das heißt, wir müssen diesen Ausbau schaffen. Wir können das nicht „vielleicht“ und „eventuell“ und „möglicherweise“ machen. Dann darf man auch nicht hin und her wiegen, sondern dann muss man sich der Größe dieses Projekts völlig klar sein und muss bereit sein, alle Entscheidungen zu treffen, damit es mit diesem Ausbau auch tatsächlich klappt.

Das heißt, wir werden einen dramatischen Ausbau unserer Offshore-Windkraftkapazität brauchen. Wir werden einen dramatischen Ausbau unserer Onshore-Windkraftkapazitäten brauchen, überall in Deutschland, in jedem Bundesland. Wir brauchen einen Ausbau der Solarenergie. Und wir brauchen in großem Umfang eine Verbesserung unserer Netzinfrastrukturen.

Wir würden ja jetzt schon viel besser dastehen, wenn die von Nord nach Süd geplanten Netze in Deutschland alle schon da wären und nicht erst mit vielen Jahren Verzögerung am Ende dieses Jahrzehnts fertig werden. Deshalb brauchen wir das Tempo. Und das verspreche ich Ihnen: Wir werden das Tempo und die Ambitionen im Blick haben. Und wir werden in diesem Jahr alle Gesetze schaffen, damit Deutschland 2030 und 2040 seine Ziele auch tatsächlich erreicht und Produktion und Maschinenbau und Industrie in Deutschland weiter erfolgreich möglich sind.

Das ist übrigens auch ein Grund, den wir im Blick haben müssen, wenn wir über die Zukunft der Welt reden. Es gibt ja hierzulande den einen oder anderen, der sagt: „Warum machen wir das denn? Wenn andere weniger Kohle nutzen würden, dann würde das ja für uns schon viel mehr bringen. Schaut euch einmal die Bilanzen anderer Länder an!“ Selbst wenn es dort manchmal sehr schmutzig zugeht, muss man ehrlicherweise sagen, dass es so ist, dass die Länder in vielen Fällen, gemessen an ihrem Pro-Kopf-Verbrauch von CO2, einen viel niedrigeren als wir haben. Aber das Entscheidende ist: Wir - und das sage ich gerade auf diesem Kongress, auf Ihrer Versammlung, beim deutschen Maschinenbau –, sind doch diejenigen, die die Technologien und die Fähigkeiten entwickeln können, um bezahlbare Produkte zu erzeugen, die in der Welt der Zukunft CO2-neutrale Industrie möglich machen, wirtschaftlichen Wohlstand möglich machen. Wir können sie entwickeln. Wir können sie verkaufen und wollen sie auch in alle Welt verkaufen. Und indem wir das tun, leisten wir unseren zentralen Beitrag zum Klimaschutz in der Welt.

Das ist übrigens aus meiner Sicht auch der gute Grund für den Klimaclub, über den Sie gesprochen haben. Denn es kann ja nicht funktionieren, dass jetzt die Politiker in ihren Ländern sagen: „Wir machen jetzt Klimaschutz. Liebe Industrie, habt ihr schon davon gehört? Wir beschützen euch vor dem Wettbewerb der anderen.“ Und das, was wir am Ende haben, ist dann ein riesiger Zollkrieg zwischen lauter Ländern, die so miteinander agieren. Ich halte das für falsch. Ich glaube, es muss ein Miteinander organisiert werden. Und das ist exakt die Idee hinter dem Klimaclub. Ich sage ausdrücklich: Deshalb werden wir auch den Inflation Reduction Act unserer amerikanischen Freunde noch einmal vertieft mit ihnen diskutieren. Es ist auf alle Fälle richtig, dass wir aber auch begreifen, dass das nur miteinander funktioniert und wir das diskutieren.

Für mich ist ein Thema, auf das ich zu sprechen komme, das Sie, Herr Haeusgen, auch benannt haben und das mich sehr umtreibt, die Diskussion über De-coupling. Ich bekenne mich zur Globalisierung. Ich glaube, dass sie der Welt – ich sage ausdrücklich: der Welt – großen Wohlstand gebracht hat. Milliarden Menschen in aller Welt sind in ihren Ländern zu einer Mittelschicht aufgestiegen und haben bessere Lebensperspektiven gewonnen, von denen sie niemals zu träumen gewagt haben. Das ist alles in den letzten 30, 40 Jahren passiert. Aber dadurch hat sich die Welt auch verändert. Das merken wir jetzt übrigens auch. Denn das Wunder, das wir in den letzten 30, 40 Jahren auch hierzulande und in Europa und in Nordamerika erlebt haben – Wachstum, hohe Beschäftigung, geringe Inflation –, hat ja etwas mit dem wirtschaftlichen Beitrag vieler Länder des globalen Südens zu tun. Was wir begreifen müssen, ist, dass da eine Veränderung eingetreten ist, die nicht gering ist. Denn der wachsende Wohlstand, die Entwicklung der Infrastrukturen, die Herausbildung von Wissenschaftsstrukturen, von Ausbildungsmöglichkeiten und von Schulen – all das, was passiert, hat dazu beigetragen, dass diese Länder jetzt auch Nachfrage haben, nach Gas zum Beispiel. Dass Gas eine Transformationsmöglichkeit für den Weg in die klimaneutrale Welt ist, haben nicht nur Deutschland und nicht nur die EU beschlossen, sondern auch die USA, auch Indien, auch China und noch viele, viele andere mehr. Konjunkturprogramme nach der Corona-Pandemie haben viele dieser Länder aufgelegt, ganz anders, als das früher der Fall war. Das hat auch zu der gegenwärtigen Situation mit Lieferkettenproblemen, Nachfrageüberhang und Ähnlichem beigetragen.

Deshalb, glaube ich, müssen wir ganz klar sein: Die Globalisierung war ein Erfolg. Sie hat Wohlstand für viele ermöglicht. Wir müssen sie verteidigen. De-coupling ist die falsche Antwort. Die richtige Antwort ist die, die Sie hier auch gegeben haben: Diversifizierung. Wir müssen uns nicht von einigen Ländern abkoppeln, müssen Geschäfte mit Einzelnen – ich sage ausdrücklich: auch Geschäfte mit China – weiter machen. Aber wir müssen dafür Sorge tragen, dass wir auch mit der übrigen Welt Handel treiben und das übrige Asien mit in den Blick nehmen, Afrika in den Blick nehmen, den Süden Amerikas in den Blick nehmen. Das ist die Chance, die wir haben.

Ja, Freihandelsabkommen gehören dazu. Sie sind ja auch schon im Ratifizierungsprozess. In Deutschland geht es voran. Aber vielleicht ist der eigentlich weniger witzige Hinweis ja, dass wir sehr klar im Blick haben, dass es doch eine etwas komplizierte Idee ist, dass die EU die Kompetenz für die Freihandelsabkommen hat und dann lauter Landesparlamente, Parlamente von Nationalstaaten und manchmal Regionalregierungen zustimmen müssen, damit ein Freihandelsabkommen zustande kommt. Ich bewundere unsere kanadischen Freunde, die sich wegen des CETA-Abkommens nicht nur aufgemacht haben, einen SPD-Parteitag in Deutschland zu besuchen – mit Erfolg. Sondern die sich auch aufgemacht haben, eine belgische Regionalregierung zu besuchen und mit der zu besprechen, ob das denn möglich wäre. Das, glaube ich, ist ein Hinweis darauf, dass wir noch einmal irgendwie darüber nachdenken müssen, wie die Europäische Union ihre Freihandelsverträge machen kann, ohne dass das wirklich zu sehr daran hängt, was jetzt nun alle 27 Mitgliedsländer dazu sagen.

Ich weiß, was ich tue, wenn ich das sage. Aber wir müssen über die Frage, ob EU only als Konzept für solche Freihandelsverträge nicht doch besser ist, einmal nachdenken. Der Europäische Gerichtshof hat uns zwei Alternativen für europäische Handelsverträge gegeben, nicht nur die, die jetzt immer verfolgt wird. Ehrlicherweise, wenn man einen Vertrag mit den USA über bestimmte Fragestellungen schließt, sind der Vertragspartner dann die USA und nicht auch noch jeder einzelne Bundesstaat. Das hat natürlich zur Folge, dass, wenn man dann Streitigkeiten mit ihnen hat, man nicht Kalifornien verklagt, sondern die USA. Aber wenn sich die EU so versteht, wie sie sich versteht, sollte sie einmal überlegen, ob das nicht auch für sie ein Konzept ist, mit dem man durch diese Probleme hindurch kommt.

Ich will gerne noch etwas zu den technologischen Aufbrüchen sagen, die wir haben müssen. Da will ich Ihnen sagen, voller Bewunderung für den deutschen Maschinenbau, vor seinen Fähigkeiten, seiner langen Tradition, seiner föderalen Struktur und den vielen mittelständischen Unternehmen: Ich glaube, Sie sind auch diejenigen, die all das tun, was wir brauchen, damit wir auch in Zukunft gute Wertschöpfung haben können. Damit wir Fähigkeiten finden und entwickeln, die dazu beitragen, dass die Maschinen, die wir produzieren, auf den modernsten Ständen sind, über die wir heute diskutieren können- ob das nun künstliche Intelligenz ist, all das, was man mit machine learning und dem „Internet der Dinge“ verbindet. Ob es Quantentechnologie, Cybersecurity, Robotik, Mikroelektronik oder Biotechnologie ist. Vieles verknüpft sich mit dem Maschinenbau.

Dass wir das können, das überall einzubauen, dass Sie das können, das ist etwas, was Deutschland ausmacht und was in der ganzen Welt bewundert wird. Es ist sich eigentlich jeder einig, wie man Deutschland von außen betrachtet versteht: Das ist das Land, in dem ein Weltmarktführer mit 2000, 3000 Beschäftigten irgendwo in einem Dorf im Schwarzwald oder in einer kleinen Stadt oder einem Ort in Nordrhein-Westfalen oder in Hessen oder sonst wo in Deutschland sitzt. Das ist etwas, das unsere Kultur ausmacht. Deshalb sind Sie nicht nur ein wichtiger Beitrag für die Zukunft unseres Landes, ein wichtiger Industriezweig. Sie sind auch einer, der sehr typisch für unser Land ist und den viele mit Deutschland verbinden. Ich glaube, wir tun gut daran, wenn das auch in Zukunft so bleibt. Schönen Dank!