Rede des Kanzlers bei Pharmaunternehmen Roche
Der Pharmasektor ist nicht nur für die Gesundheitsversorgung wichtig, er hat auch eine große Bedeutung für den Wirtschaftsstandort Deutschland. Das betonte Bundeskanzler Scholz bei seiner Teilnahme an der Grundsteinlegung für ein neues Diagnostik-Produktionszentrum von Roche in Bayern.
„Wo früher Kohle abgebaut wurde, wird heute Zukunft aufgebaut“, sagte Bundeskanzler Olaf Scholz bei seinem Besuch des Pharmaunternehmens Roche im bayrischen Penzberg. Für das neue Diagnostik-Produktionszentrum wird das Werksgelände um 1,5 Hektar erweitert. In der neuen Anlage wird der Konzern unter anderem chemische Stoffe für diagnostische Tests entwickeln und herstellen.
„Als einzige große Volkswirtschaft Europas investieren wir seit mehreren Jahren mehr als drei Prozent unseres Bruttoinlandsprodukts in Forschung und Entwicklung. Das ist entscheidend für unsere Zukunft als Industrieland“, betonte Scholz. „Wir sind die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt, auch weil wir so viel Geld in Forschung und Entwicklung stecken.“
Neben der Besichtung des Diagnostik-Labors sprach der Bundeskanzler mit Mitarbeitenden vor Ort. 2028 soll der Betrieb in dem neuen Gebäude aufgenommen werden. Mit einer Investitionssumme von rund 600 Millionen Euro ist der Neubau in Penzberg die bislang größte Einzelinvestition des Unternehmens in Deutschland.
Das wichtigste in Kürze:
- Standort Deutschland: „Nationale und internationale Unternehmen haben mehr als 7 Milliarden Euro in den Pharmastandort Deutschland angekündigt“, sagte der Kanzler. Das habe es in dieser Dimension so über Jahre hinweg nicht gegeben.
- Konkreter Aktionsplan: Mit der Nationalen Pharmastrategie der Bundesregierung wurde ein Aktionsplan aufgestellt, um Deutschland als Forschungs- und Produktionsstandort der Pharmabranche wieder attraktiver zu machen. Sie setzt ein wichtiges Signal und ein Bekenntnis für innovative Rahmenbedingungen in Deutschland. Mit dem Medizinforschungsgesetz werden wesentliche Eckpunkte der Strategie bereits umgesetzt. „Wir haben damit den Weg durch den Dschungel der Zulassungs- und Überwachungsbehörden gelichtet“, so der Kanzler.
- Neue Arbeitsplätze: Die Pharma- und Biotech-Branche hat in Deutschland seit vergangenem Jahr deutlich über 10.000 Arbeitsplätze neu geschaffen. „95 Milliarden Euro Bruttowertschöpfung hat sie in den vergangenen Jahren erwirtschaftet – Tendenz: steigend“, sagte Kanzler Scholz.
Lesen Sie hier die Mitschrift der Rede:
Sehr geehrter Herr Schinecker,
sehr geehrter Herr Ministerpräsident Söder,
meine Damen und Herren!
Vor dem Werksgelände draußen steht eine große Doppelhelix, eine Struktur, die aussieht, wie eine in sich gedrehte Leiter, acht Meter hoch. Wir sind eben daran vorbeigefahren. Diese DNA-Struktur ist der Bauplan für das Leben. Hier bei Roche ist das natürlich allen klar – schließlich ist unsere DNA ein wichtiger Bestandteil für vieles, das Sie hier entwickeln: bessere Diagnosen, wirksamere Medizin, ein gesünderes Leben – und damit auch ein besseres Leben.
Die Forscherin Rosalind Franklin machte die elegante Struktur der DNA erstmals sichtbar, auch wenn den Nobelpreis für diese Entdeckung später drei männliche Kollegen bekommen haben. Die moderne Biotechnologieindustrie fußt letztlich auf diesem wissenschaftlichen Durchbruch. Schon heute ist Biotech ein ganz wichtiger Teil des Forschungs- und Industriestandorts Deutschlands – und ein wachsender dazu.
17.000 Einwohnerinnen und Einwohner hat Penzberg. Fast 8.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus Deutschland und aus mehr als 80 Ländern der Welt arbeiten bei Roche. Allein schon diese Zahlen zeigen die Dimension und die Bedeutung dieses Standorts für die Region, für Bayern und für ganz Deutschland.
Noch etwas wird hier bei Roche in Penzberg ganz deutlich: dass wir uns vor Veränderungen nicht zu fürchten brauchen. Ja, im Gegenteil: Veränderungen gehören dazu, wenn wir als Land und als Volkswirtschaft auch in 10, 20 Jahren eine starke Industrie und gute Arbeitsplätze haben wollen.
Penzberg ist eine alte Bergarbeiterstadt; der Bergbau ist Teil ihrer DNA. Noch bei den Bauarbeiten ist das sehr deutlich geworden: Wir stehen hier sozusagen über den alten Kohlestollen. Aber auf diesen Stollen ist etwas Neues entstanden. Wo früher Kohle abgebaut wurde, wird heute Zukunft aufgebaut.
Das machen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Produktion, die hier die Antikörper herstellen. Das machen die Forscherinnen und Forscher aus der ganzen Welt, die hier an neuen Molekülen forschen. Sie waren es, die Frauen und Männer von Roche, die in nur 38 Tagen PCR-Tests für das Covid-19-Virus entwickelt und dann die ganze Welt damit versorgt haben. Sie haben Leben gerettet – nicht weil sie alles gemacht haben wie immer, sondern weil sie ihr ganzes Wissen und Können genutzt haben. Sie haben auf eine völlig neue Situation schnell und richtig reagiert. Das kann Deutschland.
Das können wir in Deutschland – große Weltkonzerne wie Roche, genauso wie die unzähligen Mittelständler im ganzen Land, die hochflexibel sind, oder die Familienunternehmen. Sie investieren mehr als die weltweite Konkurrenz in Ausbildung und Forschung.
Das können wir in Deutschland, weil wir Frauen und Männer haben wie Sie hier bei Roche, die dieses Unternehmen und diesen Standort groß gemacht haben. Sie entwickeln ihn mit Ihren Ideen und Ihrem Können ständig weiter. Dafür sage ich Ihnen an dieser Stelle: Vielen herzlichen Dank!
Deutschland hat das Zeug dazu, zur Weltspitze in der Medizinforschung und der Biotechnologie zu gehören – und genau da gehört Deutschland hin. Allerdings – das wissen wir – passiert das nicht von alleine.
Als ich mein Amt als Bundeskanzler vor drei Jahren angetreten habe, da hatte ich wegen der Pandemie regelmäßig mit vielen Pharmaunternehmen zu tun. Alle CEOs haben mir gesagt: Wir haben super Leute in Deutschland. Aber wenn ich ein neues Werk bauen will, wenn ich Forschungsdaten brauche, wenn ich ein neues Medikament entwickeln und zulassen will, dann dauert das hier alles viel zu lange. Da ist Deutschland echt umständlich. – Zig Zulassungsbehörden, superkomplizierter Datenschutz, Vorgaben aus Brüssel, aus dem Bund, von den Ländern, lange Fristen. Sie alle wissen, was ich meine. Für mich war völlig klar: So kann das nicht weitergehen. Ich werde nicht zuschauen, wie die Pharmaforschung ins Ausland abwandert, weil wir hier zu kompliziert und zu behäbig geworden sind.
Wir haben uns zusammengesetzt, immer wieder, und haben alles als Pharmastrategie gebündelt. Ende letzten Jahres haben wir sie beschlossen. Mit dem Medizinforschungsgesetz haben wir Tempo gemacht – ein Tempo, das wir weiterhin brauchen und wollen. Wir haben damit den Weg durch den Dschungel der Zulassungs- und Überwachungsbehörden gelichtet.
Ein zweites, ganz großes Anliegen der forschenden Pharmaunternehmen waren mehr und bessere Daten für die Forschung. Der Name des entsprechenden Gesetzes ist leider etwas sperrig geraten: Gesundheitsdatennutzungsgesetz. Aber in Wahrheit macht es die Arbeit von Forscherinnen und Forschern leichter. Mit dem Forschungsdatenzentrum Gesundheit haben wir einen beachtlichen Datenschatz für die Forschung zugänglich gemacht.
Gerade für das, was Sie hier in Penzberg machen und vorhaben, braucht man Daten. Sie nutzen diese Daten mit KI. Ich habe gehört, dass hier in Penzberg rund 100 KI-Expertinnen und ‑Experten in Pharma und Diagnostik beschäftigt sind; das wird wohl stimmen. Sie setzen KI ein, wenn sie Biomarker und Medikamente entwickeln, aber auch ganz praktisch für Lagerhaltung und Produktion. Das bringt nicht nur wirtschaftlichen Erfolg. Das bringt auch einen Vorsprung für diejenigen, die dringend auf neue personalisierte und innovative Therapien angewiesen sind. Kranke schneller gesund zu machen – darum geht es. Oder wie man hier bei Roche sagt: „Doing now what patients need next.“
Man sieht den Fortschritt hier in Penzberg und auch bei den vielen anderen Spatenstichen in der Pharma- und Biotechbranche im ganzen Land. Bei einigen konnte ich dabei sein. Da geht echt etwas voran in Deutschland. Nationale und internationale Unternehmen haben mehr als 7 Milliarden Euro in den Pharmastandort Deutschland angekündigt. Das hat es in dieser Dimension so über Jahre hinweg nicht gegeben. Weil man meist nur hört, wenn Arbeitsplätze abgebaut werden, will ich hinzufügen: Die Pharma- und Biotechbranche hat seit vergangenem Jahr deutlich über 10.000 Arbeitsplätze hier in Deutschland neu geschaffen. 95 Milliarden Euro Bruttowertschöpfung hat sie in den vergangenen Jahren erwirtschaftet, Tendenz steigend. Die Pharmabranche gehört damit zu den produktivsten Wirtschaftszweigen, die wir haben. Das Wachstumspotenzial ist unverändert groß.
Das sieht man ja auch hier: Alles zusammengerechnet – wir haben die einzelnen Beträge gehört – investieren Sie mehr als 1 Milliarde Euro in den Standort hier in Penzberg und in die Zukunft. Auch dass die Fraunhofer-Gesellschaft – darüber wurde gesprochen – nebenan einen Standort aufbaut und schon jetzt mit Ihnen zusammenarbeitet, ist ein ganz wichtiges Signal: Transfer zwischen Wissenschaft und Industrie – das findet hier statt. Das ist wichtig, gerade für eine so forschungsstarke Branche wie Ihre.
Stichwort „Forschung“. Eine Bemerkung möchte ich zum Schluss gern noch machen: Als einzige große Volkswirtschaft Europas investieren wir seit mehreren Jahren mehr als 3 Prozent unseres Bruttoinlandsprodukts in Forschung und Entwicklung. Das ist entscheidend für unsere Zukunft als Industrieland. Wir sind die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt, auch weil wir so viel Geld in Forschung und Entwicklung stecken. Die Pharmaindustrie ist die forschungsintensivste Branche in Deutschland. Man könnte auch sagen: Forschung steckt in Ihrer DNA. Gut so!
Rosalind Franklin, die ich zu Anfang erwähnt habe, hat nicht mehr erlebt, was aus ihrem sensationellen Bild einer DNA-Struktur alles entstanden ist. Sie war noch keine 40 Jahre alt, als sie an Krebs gestorben ist. Heute hätte man ihre Krankheit früher diagnostizieren und damit auch besser behandeln können. Dass medizinische Durchbrüche gelingen, das verdanken wir in erster Linie Frauen und Männern wie Ihnen: Frauen und Männern, die an Therapien und Diagnostika arbeiten und forschen, von denen Patientinnen und Patienten auf der ganzen Welt profitieren. Dafür wünsche ich Ihnen weiter alles Gute und viel Erfolg und sage vor allem: Schönen Dank!