Pressestatements von Bundeskanzler Scholz und Premierminister Modi bei den 6. deutsch-indischen Regierungskonsultationen am 2. Mai 2022

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(Die Protokollierung des fremdsprachlichen Teils erfolgte anhand der Simultandolmetschung.)


BK Scholz: Lieber Herr Premierminister Modi, nach unserem herzlichen Gespräch und dem gemeinsamen Austausch im Plenum mit unseren Ministerinnen und Ministern jetzt noch einmal an dieser Stelle ein ganz herzliches Willkommen in Berlin!

Es freut mich außerordentlich, dass die ersten Regierungskonsultationen der neuen Bundesregierung mit der indischen Regierung stattfinden. Ich sehe das als Zeichen der besonderen Qualität unserer Beziehungen.

Nicht weniger freut mich, dass Sie Ihre erste Auslandsreise nach längerer Pause zu uns nach Deutschland führt und bald womöglich schon wieder. Ich habe Sie ja als Gast zum G7-Gipfel Ende Juni nach Elmau eingeladen. Hoffentlich dürfen wir Sie also sehr bald erneut in Deutschland begrüßen. Wir stehen bereit, die enge Zusammenarbeit über globale Fragen mit Indien fortzusetzen und ‑ darauf kommt es an ‑ auch auszuweiten.

Die globalen Fragen haben uns auch bei den 6. deutsch-indischen Regierungskonsultationen beschäftigt. Mit diesen Konsultationen vertiefen wir unsere Beziehungen weiter. Indien ist für Deutschland ein zentraler Partner in Asien: wirtschaftlich, sicherheitspolitisch, klimapolitisch. Mehr als 1800 deutsche Unternehmen haben das Potenzial Indiens erkannt. Sie sind dort aktiv und haben hunderttausende Arbeitsplätze geschaffen. Unsere Unternehmen wissen die Standortvorteile Indiens zu schätzen: ein großer Markt, hohes Wachstumspotenzial und eine beeindruckende Innovationsfähigkeit.

Auch der Hochschul- und Wissenschaftsbereich ist ein guter Indikator für die immer engere Verflechtung. Mehr als 17 000 indische Studierende nehmen Angebote deutscher Hochschulen wahr. Sie sind uns ‑ auch über das Studium hinaus ‑ in Deutschland sehr willkommen.

Unsere Konsultationen finden ‑ das weiß jeder ‑ in einer dramatischen weltpolitischen Lage statt. Russland hat mit seinem Angriff auf die Ukraine grundlegende Prinzipien des Völkerrechts infrage gestellt. Der Krieg und die brutalen Übergriffe auf die Zivilbevölkerung in der Ukraine zeigen, wie ungehemmt Russland die Grundsätze der Charta der Vereinten Nationen verletzt. Deshalb ist für mich sehr wichtig, noch einmal an den russischen Präsidenten zu appellieren: Stoppen Sie diesen Krieg. Beenden Sie das sinnlose Töten. Ziehen Sie Ihre Truppen aus der Ukraine ab.

Die Bedeutung einer regelbasierten Ordnung in der Welt macht dieser Krieg uns allen noch einmal ausdrücklich klar. Wir sind uns einig, dass Grenzen nicht mit Gewalt verschoben werden dürfen, dass die Unverletzbarkeit von Grenzen und die Integrität und Souveränität der Nationen außer Frage stehen muss. Worum es geht ‑ darüber haben wir beide uns sehr sorgfältig unterhalten ‑ ist, dass wir miteinander eine bessere Zukunft erreichen. Aber eben nicht, indem wir Kriege gegeneinander führen, sondern indem wir wirtschaftliche Entwicklung und gemeinsame Entwicklung möglich machen.

Klar ist: Der Indopazifik gehört zu den dynamischsten Regionen weltweit und sieht sich gleichzeitig einer Reihe von Konflikten und Herausforderungen gegenüber. Deutschland wird dort deshalb sein vielfältiges Engagement aufrechterhalten und, wo möglich, intensivieren. Indien gehört dabei zu unseren sehr, sehr wichtigen Partnern.

Die Welt kann sich nur gut entwickeln, wenn wir uns darüber klar sind, dass die künftigen Beziehungen in der Welt von vielen starken Nationen geprägt werden - nicht nur von denjenigen, die wir heute kennen, sondern von vielen weiteren. Der Aufstieg Asiens ist mit dem Wiederaufstieg vieler, vieler Länder verbunden. Indien gehört zu denjenigen, die in der Perspektive von größter Bedeutung sind. Nicht nur, weil es über kurz oder lang das Land mit der größten Bevölkerung sein wird, sondern weil sich das wirtschaftlich auch am Anteil an der Weltwirtschaft niederschlagen wird. Das bedeutet aber, dass wir diese globale Zusammenarbeit so entwickeln müssen, dass sie nicht nur von vielen geprägt wird, sondern dass sie auch eine gute Zusammenarbeit ist, also multilateral.

Das bedeutet für uns auch ‑ auch das ist ganz, ganz wichtig ‑, dass wir dafür Sorge tragen, dass das, was einige von uns verbindet, nämlich die Demokratie und der Rechtsstaat, eine Angelegenheit ist, in der wir uns immer erkennen, und zwar nicht bezogen auf wenige Länder, sondern global. Deshalb ist die Zusammenarbeit so wichtig. Darum freue ich mich, dass ich zum Beispiel mit Indonesien, Indien und gleichermaßen mit Ländern Afrikas Partner für unseren G7-Prozess habe. Wir müssen die Demokratie als ein Anliegen der Menschheit begreifen, das uns verbindet und für das wir Verantwortung tragen.

Angesichts der Bedeutung, die Indien wirtschaftlich und auch im Hinblick auf seine Bevölkerungsentwicklung haben wird, ist auch klar, dass Indien ein Schlüsselland im Hinblick auf den globalen Klimaschutz ist. Das ist wichtig für die Zusammenarbeit, die wir in diesem Bereich entfalten. Deshalb bin ich sehr froh darüber, dass wir eine ganze Reihe von Vereinbarungen haben abschließen können, insbesondere diejenige, die wir eben haben unterzeichnen können. Es geht um Klimaschutz. Das ist von größter Bedeutung.

Wie wichtig das ist, sieht man an der Entwicklung, die die gegenwärtige Hitzewelle in Indien mit sich führt. Das ist ein Hinweis darauf, dass der Klimawandel und die Bemühung, ihn aufzuhalten, ein großes globales Thema ist, in dem wir eng zusammenarbeiten müssen. Dazu brauchen wir Koordination in dieser und in vielen anderen Fragen. Dazu sind unsere Regierungskonsultationen von so großer Bedeutung.

Wir werden bei der Umsetzung der Maßnahmen und Projekte dieser Partnerschaften in den nächsten Jahren sehr viele Mittel zur Verfügung stellen, insgesamt zehn Milliarden. Deshalb ist es gut, dass wir mit den Vereinbarungen, die die Ministerinnen und Minister heute getroffen haben, auch unseren Beitrag zu guter Kooperation in den Bereichen von Agrarökologie, von Waldschutz und Aufforstung oder etwa im Bereich der erneuerbaren Energien leisten, wo die Solarpartnerschaft eine zentrale Rolle spielt, aber selbstverständlich auch die Frage der Zusammenarbeit bei grünem Wasserstoff. Es freut mich besonders, Herr Premierminister, dass auch Ihre Anregung zu intensiver Zusammenarbeit bei grünem Wasserstoff schon heute mit der Gründung einer Taskforce im Rahmen des Deutsch-Indischen Energieforums einen wichtigen Schritt vorankommt.

Ein weiterer Erfolg unserer Gespräche ist die Verständigung auf eine Migrations- und Mobilitätspartnerschaft, mit der wir das große Potenzial von Migration und Fachkräften zum gegenseitigen Vorteil nutzen können. Es ist das erste Abkommen dieser Art für unser Land.

All das zeigt: Unsere Beziehungen sind nicht nur breit und intensiv, sondern auch von großem Vertrauen geprägt.

Lieber Premierminister, vielen Dank, dass Sie heute nach Berlin gekommen sind, und für Ihr persönliches Engagement, das den erfolgreichen Verlauf unserer Gespräche heute ermöglicht hat! Ich freue mich schon jetzt auf die nächsten Regierungskonsultationen in zwei Jahren, dann in Neu-Delhi.

PM Modi: Herr Bundeskanzler, liebe Freunde und Freundinnen, guten Tag! Namaskār! Erlauben Sie mir zunächst, dem Bundeskanzler, Herrn Scholz, für die freundliche und herzliche Begrüßung von mir und meiner Delegation zu danken. Es stimmt, mein erster Auslandsbesuch in diesem Jahr führt mich nach Deutschland. Mein erstes Telefongespräch, das ich in diesem Jahr mit einem Regierungschef eines anderen Landes geführt habe, fand ebenfalls mit meinem Freund Bundeskanzler Scholz statt.

Die Regierungskonsultationen zwischen Indien und Deutschland sind nun auch die ersten Regierungskonsultationen, die diese neue Regierung in diesem Jahr führen wird. All das belegt, welche Priorität diese wichtige Partnerschaft für die Politik beider Regierungen hat. Wir sind demokratische Staaten, Indien und Deutschland, und teilen infolge dessen eine ganze Reihe gemeinsamer Werte. Unsere bilateralen Beziehungen haben im Verlaufe der letzten Jahre deutliche Fortschritte auf der Grundlage dieser gemeinsamen Werte und Interessen zu verzeichnen gehabt.

Unsere letzten Regierungsverhandlungen haben 2019 stattgefunden. Seither haben sich enorme Veränderungen auf der Welt vollzogen. Die COVID-19-Pandemie hat eine dramatische Auswirkung auf die Weltwirtschaft gehabt. Geopolitische Ereignisse in der jüngsten Vergangenheit haben deutlich gemacht, wie fragil Frieden und Stabilität in der Welt geworden sind und wie stark die Länder voneinander abhängen.

Am Anfang der Krise in der Ukraine haben wir sofort einen Waffenstillstand gefordert und haben die Tatsache unterstrichen, dass der Dialog den einzigen Weg zur Lösung darstellt.

Wir sind der Auffassung, dass es am Ende dieses Krieges keinen Sieger geben wird. Jeder wird Verluste erleiden. Genau aus diesem Grund sprechen wir uns für den Frieden aus. Aufgrund der Unruhe und der Verwerfungen, die der Krieg in der Ukraine ausgelöst hat, schießen die Preise für Energie in astronomische Höhen. Es gibt eine Lebensmittelknappheit über die Region hinaus. Das belastet jede Familie in der Welt. Die deutlichsten Auswirkungen wird dies vor allem auf die Entwicklungsländer und die ärmsten Länder haben.

Indien ist über die humanitären Auswirkungen dieses Krieges sehr beunruhigt. Wir haben humanitäre Hilfe bereitgestellt. Wir haben der Ukraine Getreide exportiert und zugeliefert. Wir haben finanzielle Hilfe an die Ukraine und auch an andere Länder geleistet, die sich bemühen, die Ukraine zu unterstützen.

Hier bei diesen sechsten Regierungskonsultationen zwischen Indien und Deutschland haben wir der indisch-deutschen Partnerschaft eine neue Richtung gegeben. Die Partnerschaft zwischen unseren Staaten auf allen Ebenen hat dazu geführt, dass die Zusammenarbeit eine neue Richtung gewiesen bekommen hat, auch im Bereich für Energie und Umweltschutz. Ich bin zuversichtlich, dass die Entscheidungen, die heute gefällt wurden, eine positive Auswirkung auf unsere Region und die Welt insgesamt haben werden.

Heute rufen wir eine indisch-deutsche Partnerschaft zur grünen und nachhaltigen Entwicklung aus. Dadurch, dass Indien seit Glasgow sein Klimaziel verbessert hat, hat es der Welt gegenüber gezeigt, dass grünes und nachhaltiges Wachstum eine Glaubenssache geworden ist. Im Rahmen dieser neuen Partnerschaft hat sich Deutschland bereiterklärt, Indien bis 2030 10 Milliarden Euro zur Unterstützung der Pläne zum grünen Wachstum zukommen zu lassen. Ich danke der Bundesrepublik Deutschland und dem Bundeskanzler dafür.

Da wir uns durch unsere jeweiligen Stärken ergänzen, haben wir ebenfalls beschlossen, eine Taskforce zum Thema grüner Wasserstoff einzurichten. Das Ziel ist, die Infrastruktur für grünen Wasserstoff in beiden Ländern zu verbessern und auszubauen. Wir sind Länder, die schon lange durch die Entwicklungszusammenarbeit verbunden sind. Deutschland hat nun auch beschlossen, dass wir unsere Erfahrungen zusammenführen und eine Reihe von gemeinsamen Projekten mit Drittstaaten durchführen, eine sogenannte Dreieckskooperation. Auf diese Art und Weise werden wir in die Lage versetzt, auch den Entwicklungsländern in der Welt eine Alternative für Projekte im Bereich zu bieten, der transparent und nachhaltig ist.

Indien hat im Vergleich zu anderen führenden Volkswirtschaften zurzeit das höchste Wachstum zu verzeichnen. Wir sind zuversichtlich, dass Indien zu einem wichtigen Pfeiler des globalen Wiederaufschwungs werden wird.

Vor kurzem haben wir in sehr kurzer Zeit ein Handelsabkommen mit den Vereinigten Arabischen Emiraten und Australien unterzeichnen können. Wir sind entschlossen, schnelle Fortschritte auch in den Vereinbarungen mit der EU zu einem Freihandelsabkommen zu erzielen.

Ich erwähne den Austausch von Fachkräften aus Indien. Das sind Kräfte gewesen, die zum Nutzen vieler Länder in anderen Ländern aktiv gewesen sind. Deshalb ist eine umfassende Partnerschaft zum Thema Migration und Mobilität zwischen Indien und Deutschland ein wichtiger Beitrag zur Erleichterung der Mobilität und des Austauschs von Menschen aus beiden Ländern.

Noch einmal möchte ich Ihnen, Herr Bundeskanzler, sehr herzlich für diesen Gipfel und für Ihre Initiative danken. Herzlichen Dank.