Pressestatements von Bundeskanzler Scholz, der DGB-Vorsitzenden Fahimi und dem BDA-Präsidenten Dulger zur Konzertierten Aktion am 4. Juli 2022

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BK Scholz: Einen schönen guten Tag! Wir kommen gerade von der ersten Sitzung der Konzertierten Aktion. Das ist sicherlich ein komplizierter Name, aber es handelt sich um eine sehr, sehr wichtige Sache. Worum geht es? ‑ Die Preise für Energie und viele andere wichtige Güter des täglichen Lebens steigen aufgrund des Ukrainekriegs und der Folgen der Pandemie massiv an. Jeder spürt das beim Einkauf, bei der Heizkostenabrechnung und beim Tanken. Eine solche Krise gab es schon einmal in den 60er- und 70er-Jahren, und wie damals möchte ich mich darüber, was jetzt zu tun ist, mit Gewerkschaften und Unternehmen, mit Wissenschaft und Politik eng abstimmen. Dafür treffen wir uns nun in regelmäßigen Abständen. Denn wir als Land werden nur dann gut durch diese Krise kommen, wenn wir uns unterhaken und wenn wir uns gemeinsam auf Lösungen einigen.

Klar ist: Die Bundesregierung hat bereits zwei umfangreiche Pakete geschnürt, um die Bürgerinnen und Bürger finanziell spürbar zu entlasten. 30 Milliarden Euro geben wir in diesem Jahr aus. Vieles davon wird in diesen Tagen wirksam. Dazu gehören zum Beispiel die Anhebung des Grundfreibetrags bei der Steuer, die Arbeitnehmerpauschale, 200-Euro-Einmalzahlungen für die Grundsicherung, der höhere Heizkostenzuschuss für Wohngeldempfänger, 100 Euro pro Kind, die gezahlt werden, 20 Euro jeden Monat für Kinder in ärmeren Verhältnissen, 300 Euro Energiegeld. Ab heute wird man auch allmählich spüren können, dass die EEG-Umlage auf den Strompreis seit Freitag weggefallen ist. Pro Jahr entlastet das eine vierköpfige Familie um 300 Euro. Insgesamt geht es um etwa 20 Milliarden Euro, die heute auf den Stromrechnungen lasten. Deshalb ist das eine Entlastung für viele, für Familien, für Unternehmen, und das ist richtig so.

Die prominentesten Maßnahmen sind viel diskutiert worden. Aber sie gibt es eben auch, nämlich die dreimonatige Entlastung beim Tanken und das Neuneuroticket im öffentlichen Verkehr.

Aber eines ist ganz klar: Die aktuelle Krise wird nicht in wenigen Monaten vorübergehen. Ich habe schon sehr früh von einer Zeitenwende gesprochen, um die es jetzt geht. Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine hat alles geändert. Gleichzeitig sind die Lieferketten durch die Pandemie nach wie vor gestört, und die generelle Unsicherheit wächst. Wir müssen uns darauf einstellen, dass sich diese Lage auf absehbare Zeit nicht ändern wird. Anders gesagt: Wir stehen vor einer historischen Herausforderung.

Unsere Gesellschaft ist stark, viel stärker als manchmal unterstellt wird. Der faire Ausgleich zwischen den Interessen in einem Geist der Gemeinsamkeit prägt unser Land. Diesen Geist gilt es zu erhalten und auch zu stärken. Heute haben wir den Auftakt zur Konzertierten Aktion gemacht, um uns gemeinsam dieser Aufgabe zu stellen, Gewerkschaften, Verbände, Bundesbank, Wissenschaft und Regierung. Es war ein guter Auftakt; das möchte ich ausdrücklich betonen. Ich bin allen sehr dankbar dafür, dass sie meine Initiative aufgegriffen haben und unterstützen. Stellvertretend möchte ich die DGB-Vorsitzende Yasmin Fahimi und Arbeitgeberpräsident Andreas Dulger nennen.

Heute ist es darum gegangen, dass wir ein gemeinsames Verständnis für die Lage entwickeln, in der sich unser Land befindet. In den nächsten Wochen wird es darum gehen, Instrumente zu entwickeln und Wege zu finden, wie wir auf diese historische Herausforderung reagieren werden.

Wichtig ist mir die Botschaft: Wir stehen zusammen, und wir wollen, dass alle Bürgerinnen und Bürger gut durch diese Zeit kommen ‑ Schülerinnen und Schüler genauso wie Rentnerinnen und Rentner, die Unternehmen genauso wie ihre Beschäftigten. Ich freue mich, wenn wir in diesem großen gemeinsamen Dialog, den wir nun miteinander führen, ausgetretene Pfade verlassen und einen Geist der Gemeinsamkeit entwickeln, der uns durch diese Zeit trägt.

In diesem Sinne war das heute ein vielversprechender Auftakt.

Nun bitte ich zunächst Frau Fahimi und dann Herrn Dulger um eine kurze Einschätzung ihrerseits.

Fahimi: Vielen Dank, und vor allem vielen Dank, Herr Bundeskanzler, dass wir in der Tat heute zusammengekommen sind, um ein gemeinsames Verständnis dafür zu entwickeln, welche Krisenfaktoren es eigentlich sind, gegen die wir jetzt akute Maßnahmen ergreifen müssen.

Es ist gut, dass wir in dieser Zeit zusammenkommen; denn es ist in der Tat eine Phase eines historischen Präzedenzfalls, in dem es eine gemeinsame Kraftanstrengung braucht. Die privaten Haushalte sind ebenso wie die Betriebe schwer getroffen von den unterschiedlichsten Belastungen ‑ nicht nur Kostenbelastungen, sondern auch vielen anderen Einflussfaktoren.

Es ist deswegen gut ‑ das will ich an dieser Stelle auch sagen ‑, dass mit diesem Monat in der Tat die ersten Entlastungen der Pakete der Bundesregierung jetzt auch bei den Haushalten ankommen. Ein durchschnittlicher Arbeitnehmerhaushalt wird in etwa um 1000 Euro entlastet werden. Das ist eine nennenswerte Summe. Das ist auf jeden Fall hilfreich, und es ist das, was wir begleitend und flankierend zu dem brauchen, was wir als Tarifvertragsparteien verantworten müssen.

Ich sage im gleichen Atemzug aber auch: Die Belastungen für die Privathaushalte gehen trotzdem deutlich darüber hinaus. Deswegen bedarf es weiterer Beratungen, wie wir diese Belastungen kleinhalten können.

Mit Blick auf das gemeinsame Verständnis von Krisenfaktoren will ich an dieser Stelle auch sehr deutlich sagen, dass es ‑ aus meiner Sicht jedenfalls ‑ ein klares Verständnis dafür gegeben hat, dass in der derzeitigen, aktuellen Situation die Diskussion um eine Lohn-Preis-Spirale falsch ist, dass sie einseitig ist und dass eine solche Spirale einfach faktisch nicht gegeben ist.

Wir müssen allerdings sehr deutlich und sehr dringend darüber reden, wie die Energiekosten tatsächlich gehändelt werden können ‑ für die privaten Haushalte ebenso wie für die Betriebe. Es geht um die Perspektive 2023, und es geht allem voran darum, jetzt alles zu unternehmen, um eine Rezession zu verhindern, Standorte zu stabilisieren, Wertschöpfungsketten zu erhalten und Beschäftigung zu sichern.

Dulger: Sehr geehrter Herr Bundeskanzler, meine sehr verehrten Damen und Herren, dieses Land steht vor der härtesten wirtschafts- und sozialpolitischen Krise seit der Wiedervereinigung. Deshalb müssen wir uns ehrlich die Karten legen. Vor uns liegen schwierige Jahre. Ein stetiges Wirtschaftswachstum, wie wir es vor Corona und dem Ukrainekrieg erlebt haben, ist keine Selbstverständlichkeit mehr. Vor den Unternehmen und ihren Belegschaften liegen große Herausforderungen.

Dieses heutige Treffen hat einen Beitrag dazu geleistet, den gesellschaftlichen Frieden zu wahren. Wir können diese Krise nur gemeinsam bewältigen; davon bin ich überzeugt. Wir haben eine gemeinsame Verantwortung. Deswegen haben wir Arbeitgeber die Initiative des Bundeskanzlers, in einer Konzertierten Aktion die Inflation und weitere Inflationsrisiken in den Griff zu bekommen, ausdrücklich begrüßt.

Wir haben heute über die aktuellen Treiber der Inflation und darüber gesprochen, wie wir ihnen begegnen können. Aktuell sehen wir die Inflationstreiber auf der Angebotsseite: Energiekosten, Rohstoffknappheit, fehlende Vorprodukte durch unterbrochene Lieferketten. Wir haben darüber gesprochen, wie wir diese Probleme in den Griff bekommen können. Insbesondere die Energiepreise, sei es für Unternehmen oder die Bürgerinnen und Bürger, waren ein Thema. Die Energiesteuer und Netzentgelte können gute Hebel dafür sein, das in den Griff zu bekommen. So bekommen wir schon gemeinsam eine Entlastung hin.

Löhne sind aktuell kein Inflationstreiber. Aber die Menschen spüren die Inflation. Vieles wird teurer. Wir haben daher auch darüber gesprochen, wie wir es hinbekommen, dass wir für die Beschäftigten einen Teil der Inflation auffangen. Wichtig ist uns dabei: Lohnerhöhungen verhandeln ausschließlich die Tarifparteien. Das passiert nicht im Kanzleramt. Die Politik kann aber dafür sorgen, dass von den Lohnsteigerungen, über die die Tarifpartner verhandeln, mehr im Portemonnaie bleibt. Mehr Netto vom Brutto, heißt hier die Devise. Wir haben daher eine Beseitigung der kalten Progression vorgeschlagen. Auch die Befreiung von Einmalzahlungen, von Steuern und Sozialbeiträgen kann hier eine Option sein. Aber ob und wie die Tarifpartner diese Option nutzen, liegt bei ihnen.

Die Aufgabe von uns Arbeitgebern ist es, jetzt Wirtschaft und Arbeitsmarkt stabil zu halten. Das ist an sich schon eine große Herausforderung, um nicht „eine Herkulesaufgabe“ zu sagen. In den Unternehmen wissen wir aktuell nicht, welches Feuer wir zuerst austreten sollen. Das wird in den nächsten Monaten schon schwierig genug werden. Es fehlt an Facharbeitskräften, an Material, an Personal, und Lieferketten sind abgerissen. Die Betriebe offen zu halten, wird eine Herausforderung bleiben. Deswegen ist jetzt die Zeit, gemeinsam nach Lösungen zu suchen. Deswegen freue ich mich, dass wir heute begonnen haben, dies gemeinsam anzupacken.

BK Scholz: Ich bedanke mich bei Ihnen. Schönen Dank!