Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Merkel und Präsident Macron nach dem gemeinsamen Treffen in Berlin am 18. Juni 2021

(Die Protokollierung des fremdsprachlichen Teils erfolgte anhand der Simultandolmetschung)

BK’in Merkel: Meine Damen und Herren, die letzten Male haben Sie den französischen Präsidenten hier auf dem Bildschirm gesehen und wir haben eine neue Form der Pressekonferenz gestaltet. Ich freue mich aber natürlich, dass er heute wieder hier vor Ort ist. Emmanuel Macron ist der erste auswärtige Gast, den ich hier im Bundeskanzleramt in diesem Jahr empfange - und ich würde sagen: empfangen kann. Das ist ein gutes Zeichen, weil wir erkennbar Fortschritte bei der Bekämpfung der Pandemie gemacht haben - sowohl in Frankreich als auch in Deutschland. Die Inzidenzzahlen sinken und wir haben große Fortschritte bei den Impfungen gemacht. Heute haben wir bei den Erstimpfungen die 50-Prozent-Marke erreicht.

Fast auf den Tag genau vor drei Jahren, am 19. Juni 2018, haben Emmanuel Macron und ich uns auf Schloss Meseberg getroffen und in der Erklärung von Meseberg das Versprechen Europas für Sicherheit und Wohlstand erneuert. Vieles, was wir damals verabredet hatten, ist inzwischen umgesetzt oder auf gutem Weg. Wir haben die Eurozone widerstandsfähiger gemacht. Wir sind bei Migrationsfragen vorangekommen - wenn auch nicht am Ziel dessen, was wir für Europa erreichen müssen - und haben Initiativen gestartet, die die Europäische Union auch außen- und sicherheitspolitisch handlungsfähiger machen.

Heute wollen wir uns wieder abstimmen, vor dem Rat am 24. und 25. Juni, bei dem es in ganz besonderer Weise auch um Fragen der Außenpolitik, der außenpolitischen Souveränität geht - einmal im Umgang mit Russland und zum anderen auch mit der Türkei.


Es geht aber natürlich auch darum, dass wir Erfahrungen aus der Pandemie ziehen, die uns gelehrt haben, dass wir in Europa möglichst einheitlich handeln müssen. Dazu gehört auch, dass wir unsere öffentlichen Verwaltungen schneller handlungsfähig machen müssen - zumindest für Deutschland gilt das - und die private Wirtschaft resilienter machen müssen. Wir müssen natürlich weiter wachsam sein, was die Ausbreitung von Varianten oder Mutanten anbelangt - wir sehen das an Großbritannien. Ich glaube aber, dass wir uns hier auch gemeinsam abstimmen werden.

Wie ich schon sagte, werden nächsten Donnerstag und Freitag vor allen Dingen das Thema der Beziehungen zu Russland und das Thema der Beziehungen zur Türkei auf der Tagesordnung stehen. Wir haben beide den türkischen Präsidenten Erdoğan im Rahmen des Nato-Treffens gesprochen, und wir wissen, dass wir vor großen Herausforderungen stehen. Einerseits gibt es Meinungsverschiedenheiten, andererseits sind wir aufeinander angewiesen, wenn wir bestimmte Fragen gemeinsam gestalten wollen: Das ist die Migrationsfrage, das ist die Frage der Zukunft Libyens, das ist die Frage der Zukunft Syriens.

Gerade beim G7-Gipfel war auch das Thema des Verhältnisses zu Russland eine große Frage. Russland ist eine große Herausforderung für uns, Russland ist aber auch der große kontinentale Nachbar der Europäischen Union. Wir müssen zwar feststellen, dass wir alle hybriden Angriffen ausgesetzt sind; aber wir haben auf der anderen Seite, wenn wir Sicherheit und Stabilität in der Europäischen Union wollen, auch ein großes Interesse daran, mit Russland im Gespräch zu bleiben - so schwer es auch ist. Ich glaube, wenn der US-Präsident Joe Biden sich mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin trifft und man in einem sehr offenen Dialog ist, so ist es allemal gerechtfertigt, dass auch wir von der europäischen Seite dies tun. Denn nur über Gespräche wird man die gegenseitigen Positionen abklopfen können, und gerade auch mit Blick auf die Ukraine wissen wir ja, dass nur Gespräche im Minsker Format überhaupt eine Chance bieten, millimeterweise vielleicht voranzukommen, auch wenn das sehr schwer ist.

Es gibt also viel zu besprechen. Ich freue mich auf die Diskussionen und auf den Austausch und heiße dich noch einmal ganz herzlich willkommen, lieber Emmanuel. Herr Präsident, Sie haben das Wort!

P Macron: Vielen Dank, Frau Bundeskanzlerin, liebe Angela! Meine Damen und Herren! Ich freue mich in der Tat, ca. ein Jahr nach meinem letzten Besuch in Meseberg wieder nach Deutschland zu kommen. Wir waren durch die Pandemie getrennt worden, aber unser Austausch war auch in dieser Zeit ganz regelmäßig, wie die Frau Bundeskanzlerin es bereits erwähnt hat. Es gab verschiedene deutsch-französische Verteidigungs- und Sicherheitsräte, vor Kurzem einen deutsch-französischen Ministerrat, und es gab auch mehrere Technologiedialoge, die zu starten wir im letzten Sommer in Brégançon gemeinsam beschlossen hatten.

Gemeinsam haben wir weiter daran gearbeitet, Ergebnisse zu erzielen. Letztes Jahr in Meseberg - Sie haben eben daran erinnert - haben wir wichtige Entscheidungen für die wirtschaftliche Erholung in Europa getroffen und die Einrichtung eines Dialogs für Wohlstand und Schutz in Europa beschlossen. Dann folgte der europäische Wiederaufbauplan, und auch im Bereich der Verteidigung und Technologie ist eine wichtige Dynamik entstanden.

Diese deutsch-französische Zusammenarbeit haben wir auch beim G7- und Nato-Gipfel, die wir gerade erst absolviert haben, wieder gesehen. Gemeinsam wollen wir eine europäische Linie definieren, die kohärent und verantwortungsbewusst ist, was unsere Themen und unsere Werte angeht. Wir wollen das eingliedern in die Zusammenarbeit mit unseren Verbündeten und den großen Wirtschaftsmächten und Demokratien, mit denen wir zusammenarbeiten - aber auch mit den europäischen Präferenzen, die wir eben haben.

Wie die Kanzlerin eben gesagt hat, werden wir heute Abend über die Vorbereitung des nächsten Europäischen Rats in der nächsten Woche sprechen. Dabei steht viel auf der Tagesordnung. Ich bin mit allem einverstanden, was hier bezüglich der Türkei und auch Russlands gesagt worden ist. Wir werden natürlich noch einmal auf unser Verhältnis zur Türkei bezüglich der Bedingungen eingehen, die wir im letzten März gestellt haben. Vor allem geht es hierbei natürlich auch um die Interessen von Mitgliedstaaten der Europäischen Union wie Griechenland und Zypern und unsere strategische Position im östlichen Mittelmeer, in Syrien, in Libyen oder auch in der Kaukasusregion.

Wir werden natürlich auch auf Russland eingehen und uns mit unseren Nachbarn eine gemeinsame Herangehensweise dafür überlegen, auch wirklich solidarisch auf Provokationen zu antworten, aber vor allem auch aufzuzeigen, wie eine anspruchsvolle Zusammenarbeit aussehen kann. In der Tat gibt es regelmäßige Provokationen und auch neue Konflikte. Aber ich glaube, wir sind uns beide bewusst, dass es die Notwendigkeit gibt, gemeinsame Regeln für ein Verhältnis mit Russland zu finden.

Wir werden auch über das Verhältnis zwischen der Europäischen Union und den Drittstaaten im Mittelmeer sprechen, um vor allem das Migrationsthema effektiv zu bearbeiten, um die Dramen auf dem Mittelmeer zu verhindern, aber gleichzeitig auch eine umfassende Herangehensweise an dieses so wichtige Thema, das uns seit Jahren beschäftigt, zu entwickeln, also einen gemeinschaftlichen Ansatz. Dabei geht es um Verantwortungsbewusstsein und Solidarität, und zwar von allen Mitgliedstaaten, egal ob sie ein Erstaufnahmeland sind oder nicht, auch als Zweitdestination, wie das bei Deutschland und Frankreich ganz stark der Fall ist. Alle Staaten müssen hier eine bestimmte Form der Solidarität zeigen.

Der Rat wird uns auch ermöglichen, über die Wiedereröffnung unserer Gesellschaften und unserer Volkswirtschaften nach der Pandemie zu diskutieren. Natürlich muss man weiterhin wachsam bleiben. Hierbei braucht es natürlich auch viel Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Frankreich und allen europäischen Ländern. Wir haben jetzt, nach dieser Krise, die Überzeugung, dass wir reaktiver sind, und zwar bei Krisen sowohl im staatlichen als auch im privaten Bereich, und auch eine stärkere Resilienz unserer Volkswirtschaften erreicht haben. Wir werden natürlich auch auf den Wiederaufbauplan eingehen. Die letzten Tage haben gezeigt, dass es um die konkrete Umsetzung dessen geht, was wir vor einem Jahr beschlossen haben.

Abschließend wird uns der heutige Abend auch ermöglichen, verschiedene bilaterale Themen anzusprechen. Wir haben am Ende des letzten Sommers beschlossen, verschiedene produktive Investitionen gemeinsam zu tätigen. Wir haben mit einer neuen strategischen bilateralen Tätigkeit begonnen, gemeinsam mit unseren Ministern, in die wir auch die Europäische Kommission und die Unternehmen der verschiedenen Industriezweige eng eingebunden haben. Es geht hierbei um gemeinsame Projekte im Bereich der Mikroelektronik, der Raumfahrt, der Mobilität, des Wasserstoffs und der Cloud. Das ermöglicht es uns, gemeinsame Finanzierungsprojekte in Europa zu strukturieren und uns natürlich für Forschung und Technologien in unseren beiden Ländern einzusetzen.

In den letzten Wochen ist es uns auch gelungen, bedeutende Fortschritte bei den gemeinsamen Projekten zu erreichen, vor allem, was FCAS angeht. Das sind alles Projekte, die 2017 begonnen worden sind. Es gibt auch Fortschritte, was unseren gemeinsamen Kampfpanzer der Zukunft angeht.

Wir haben also viel Arbeit vor uns und auch den gemeinsamen Willen, weiterhin zu zeigen, dass das deutsch-französische Tandem handelt, natürlich unter Respektierung und Berücksichtigung aller europäischen Nachbarn. Vielen Dank, liebe Angela, dass du uns die Ehre erwiesen hast, uns nach Berlin einzuladen. Vielen Dank!

Frage: Herr Präsident, Frau Bundeskanzlerin, ich habe eine Frage zur europäischen Verteidigung. Frankreich hat sich ja sehr für die autonome Strategie der Europäischen Union und die Souveränität eingesetzt. Jetzt sind die USA wieder auf den Plan getreten. Joe Biden will ja auch die Nato wieder stärken, also diese Achse Washington-Berlin, die sich dabei schon abzeichnet. Fühlt sich Frankreich da nicht vielleicht etwas isoliert?

Ich habe noch eine Frage zur Zukunft des Stabilitätspakts. Der ist ja bis 2023 ausgesetzt. Frankreich setzt sich für die Reform ein. Die Partei der Bundeskanzlerin will, dass er wieder so eingesetzt wird, wie er vorher in Kraft war.

BK’in Merkel: Ich glaube erst einmal, dass wir alle miteinander froh sein können, dass der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika wieder ein Klima der Kooperation geschaffen hat, in dem jeder natürlich auch seine Rolle spielen muss. Kooperation bedeutet ja nicht, dass wir nicht jeweils Verantwortung tragen.

Ich denke überhaupt nicht daran, dass es jetzt irgendeine Washington-Berlin- oder Washington-Paris-Beziehung gibt, sondern in der Nato gibt es europäische Verbündete. Wir haben eine bestimmte Aufgabe, die auch identisch mit der europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik ist, die sich aber in die Strategie der Nato einfügt. Aus den Gesprächen von G7 und der Nato ist vollkommen klar, dass sich die Vereinigten Staaten von Amerika als eine pazifische und eine atlantische Nation begreifen und angesichts der Stärke Chinas natürlich auch sehr viel stärker im Pazifik gefordert sind, als das vielleicht noch vor 20 Jahren der Fall war. Das bedeutet für uns Europäer, dass wir auch bestimmte Aufgaben und Verantwortungen selbst übernehmen und uns stärker einbringen müssen, deshalb ja auch die Steigerung der Verteidigungsausgaben und die Steigerung der Fähigkeiten. Projekte, die das unterstreichen, sind zum Beispiel FCAS oder auch der Panzer der Zukunft.

Insofern sehe ich hier überhaupt keine Gegensätze. Aber ich sehe die absolute Notwendigkeit - das wird, denke ich, von den Vereinigten Staaten von Amerika auch erwartet -, dass wir kohärent handeln, dass wir sagen, welche Aufgabenblöcke wir übernehmen können und welche Beiträge wir leisten können. Dafür müssen wir uns sicherlich noch besser vorbereiten, als wir heute vorbereitet sind.

Zum Stabilitätspakt: Wir alle sind uns darüber einig, dass der Stabilitätspakt angesichts der außergewöhnlichen Situation zurzeit ausgesetzt ist. Wir sind uns auch darüber einig, dass wir über die Jahre nicht beliebig viele Schulden machen können, sondern dass wir vor allen Dingen auch Kraft für Investitionen brauchen. Darüber, über die Rückkehr zum Stabilitätspakt und über die Frage, wie darüber diskutiert wird, wird man in den nächsten Jahren sprechen.

Jetzt geht es erst einmal darum, möglichst schnell wieder das wirtschaftliche Vorpandemieniveau zu erreichen. Der „recovery“-Plan, für dessen Entstehung Frankreich und Deutschland bei einem zweiten Treffen in Meseberg auch eine wichtige Weiche gestellt haben, ermöglicht es uns, in die Zukunft zu investieren. Aber Emmanuel Macron hat eben all die Gebiete aufgezählt: Wasserstoff, Quantencomputing, Cloudcomputing, Weltraumforschung, Batteriezellen, Chips. Wenn man sich auch einmal die Summen amerikanischer Investitionen anschaut, dann sieht man, dass das alles Investitionen sind, die wir in Europa mit Sicherheit nur zusammen stemmen können. Das Instrument der IPCEI, also der Important Projects of Common European Interest, ist das Mittel der Wahl, wofür Frankreich und Deutschland auch sehr viele Vorarbeiten geleistet haben, zum Beispiel bei der Batteriezellenproduktion und auch im Bereich des Wasserstoffs. Das werden wir auch weiterhin so tun.

P Macron: Zum Thema der europäischen Verteidigung und der strategischen Autonomie der Europäischen Union: Ich sehe zumindest, dass es jetzt im gemeinsamen Wortschatz der Europäer angekommen ist. Ich stelle auch fest, dass Präsident Biden selbst öffentlich und auch bei unserem Treffen im Rahmen des Nato-Gipfels anerkannt hat - ich denke, dass das auch ein Grund zur Freude ist -, dass er die Europäische Union auch politisch respektiert und mit uns als Partner zusammenarbeiten will. Es ist uns also gelungen, zu zeigen, dass eine europäische Verteidigung und eine strategische Autonomie der Europäischen Union kein alternatives Projekt zum atlantischen Bündnis sind, sondern dass es eine Komponente dessen ist. Dadurch erkennen die Europäer nämlich an, dass sie einen Teil der Investitionen und natürlich auch einen Teil für ihre gemeinsame Sicherheit vor allem in der Nachbarschaft leisten müssen.

Ich teile also das, was die Bundeskanzlerin eben gesagt hat. Wir müssen uns über dieses amerikanische Engagement freuen. Denn es gelingt uns, eine strategische Arbeit abzuschließen, die wir im Dezember 2019 mit dem neuen Nato-Konzept begonnen haben. Dass wir jetzt einen Partner haben, der erstens engagiert ist und zweitens Interesse an multilateraler Kooperation hat, konnten wir auch beim G7-Gipfel sehen. Ich denke also, das amerikanische Engagement sollte man als etwas Positives sehen. Natürlich geht es auch darum, dass den Europäern bewusst wird, dass ihr Schicksal auch von ihnen selbst abhängt. Dieses Gleichgewicht wird uns stärker machen.

Jetzt zum Stabilitätspakt: Sie haben es richtig gesagt. Bis 2023 ist der Stabilitätspakt ausgesetzt. Das zeigt, dass wir angesichts einer außergewöhnlichen Krise gemeinschaftlich, alle Institutionen kollektiv, unsere Verantwortung übernommen und schnell reagiert haben, indem wir erst einmal natürlich Haushaltstexte ausgesetzt haben, die nicht mehr anwendbar waren, und dann, um auch die EZB-Entscheidung zu treffen, die getroffen werden musste. Das war in Krisen nicht immer der Fall. Aber die Reaktion war wirklich angepasst. Sie ist auch schnell erfolgt und hat es ganz Europa ermöglicht, durchzuhalten.

Die Priorität ist jetzt nicht eine Debatte über den Stabilitätspakt, sondern die Priorität ist, den Wiederaufbauplan, den wir vor einem Jahr gemeinsam beschlossen haben, umzusetzen und die richtigen Investitionen zu tätigen, die es uns ermöglichen werden, zukünftiges Wachstum zu schaffen.

Wir müssen das Ziel vor Augen haben, auf den Weg von vor der Krise zurückzukommen. In den ersten Monaten 2022 werden sich die Zahlen wahrscheinlich bestätigen und werden wir wieder Wachstumszahlen erreichen. Aber wir müssen natürlich wieder auf den Wachstumspfad zurückkehren, den wir vor der Krise hatten. Das bedeutet Investitionen und eine Politik des Angebots und der Schaffung von Arbeitsplätzen. Das ist die Priorität.

Frage: Ich habe eine Frage sowohl an die Bundeskanzlerin als auch an den Präsidenten, und zwar zum Thema Corona. Sie haben jetzt, Frau Bundeskanzlerin, auch die Deltavariante erwähnt. Sie breitet sich in Europa aus. In Portugal gibt es bereits wieder Ausgangssperren. Man hat den Eindruck, als ob die Fehler, die 2020 in Europa gemacht wurden, sich möglicherweise wiederholen. Es gibt nämlich keine abgestimmte europäische Haltung, wie man zum Beispiel mit Einreisenden aus Großbritannien umgeht. Deswegen hätte ich ganz gern gewusst, was Ihre Ziele für den EU-Rat sind. Was genau soll entschieden werden? Können die Europäer gemeinsam handeln?

Eine Frage, die damit verbunden ist: Ist es wirklich eine gute Idee, dass das Endspiel der Europameisterschaft in Großbritannien stattfindet?

BK’in Merkel: Über das Endspiel kann ich mich angesichts des morgigen zweiten Gruppenspiels der deutschen Mannschaft jetzt noch nicht äußern.

Ich habe begonnen zu sprechen. Aber vielleicht möchtest Du, Emmanuel, mit der Antwort beginnen, weil Frankreich gewonnen hat?

P Macron: Ich möchte sagen: Wir haben uns auch nach dem letzten Spiel ausgetauscht. Es ist richtig: Frankreich hat die Nationalmannschaft in diesem ersten Gruppenspiel geschlagen. Aber das ist eine Mannschaft, vor der wir den größten Respekt haben. Wir haben schon oft genug verloren, um am Beginn dieses Wettbewerbs konzentriert und bescheiden zu bleiben. Wir sind hier also sehr wachsam und wir arbeiten natürlich zusammen, damit die Bedingungen so gut wie möglich sind. Alle Teams und Spieler leben ja in diesen Bubbles, in diesen Blasen. Sie wurden im Vorfeld getestet und isoliert, auch die gesamten Mitarbeiter. Für unsere Teams sind also alle Vorkehrungen getroffen. Die Frage, die sich bis zum Endspiel stellen wird, betrifft natürlich die Fans und die ganzen Rahmenbedingungen.

Deutschland und Frankreich haben bezüglich Großbritannien aufgrund des Auftretens der indischen Variante relativ strenge Regelungen verabschiedet. Ich glaube, wir haben ungefähr das gleiche Verhältnis der sogenannten Deltavariante. Man sagt jetzt nicht mehr diesen früheren Begriff. Diese Deltavariante macht in unseren Ländern circa 6 Prozent aus. Das ist also unter Kontrolle.

Wir sind natürlich sehr aufmerksam für alles, was eingetragen werden konnte. Das heißt, wir fordern nach wie vor einen triftigen Grund, um nach Frankreich zu kommen. Das schränkt die Ankünfte von britischen Staatsangehörigen nach Frankreich schon einmal sehr stark ein. Das ist also sehr stark eingeschränkt. Wir fordern von den Rückkehrern entweder einen PCR-Test oder eine Impfung. Das heißt, es sind wirklich sehr strenge Bedingungen für britische Staatsbürger, um nach Frankreich zu kommen. Für Deutschland gilt ja das Gleiche.

Was wir jetzt beim Europäischen Rat besprechen werden, ist die Verstärkung der Koordinierung unserer Politik. Das sind natürlich nach wie vor nationale Entscheidungen. Aber wir setzen uns dafür ein, dass es hier eine stärkere Koordination gibt. Bestimmte Mitgliedstaaten haben in der Tat schneller und weiter als wir für bestimmten Verkehr geöffnet, auch aufgrund touristischer Gründe. Das führt dazu, dass wir sehr wachsam sein müssen. Es sollte auf der Grundlage dessen, was wir vorschlagen, eine Homogenisierung der Regeln geben. Wir müssen nach wie vor sehr wachsam sein, damit wir nicht neue Varianten importieren, die wir dann bei uns erst einmal wieder kontrollieren müssten.

BK’in Merkel: Wir haben eine verbesserte Koordinierung. Aber wir haben noch keine perfekte Koordinierung. Ich erinnere mich, dass gerade auch Emmanuel Macron beim letzten Europäischen Rat schon diese unterschiedlichen Einreiseregime aus Großbritannien angesprochen hat. Ich habe dem zugestimmt. Wir haben sehr strikte, andere haben weniger strikte Regeln. Aber wir haben auch sehr viel mehr Koordinierung, als wir sie früher hatten. Die Kommission wird zum Beispiel Impfstoffempfehlungen erarbeiten, wenn Einreisende aus Drittstaaten kommen, welche Impfstoffe anerkannt werden und welche nicht.

Was die Deltavariante anbelangt, so ist natürlich die Situation jedes Mal etwas anders. Wir wissen nicht genau: Wie ist es in Ländern, die fast 50 Prozent Erstgeimpfte haben, wie jetzt bei uns? Wir werden bald 30 Prozent Zweitimpfungen erreichen. Wie wirkt sich das aus? Da haben wir keine Erfahrung. Wir wissen nicht, wie sich der Sommer auswirkt.

Man kann aber sagen, dass bei einem R-Wert von 0,7, den wir im Augenblick ungefähr haben, die Deltavariante wahrscheinlich zu aggressiv ist, als dass wir eine Konstanthaltung unserer Inzidenz haben könnten, wenn sie sich voll ausgebreitet hat. Deshalb muss man alles tun. Deutschland hat im Augenblick sehr geringe Fallzahlen. Das führt dazu, dass wir die Ausbrüche natürlich sehr viel besser verfolgen und zurzeit mit dieser Deltavariante noch gut umgehen können.

Aber ich kann nur sagen: Wir können nicht so tun, als wäre Corona vorbei. Auch wenn an einem solchen Sommerabend das Gefühl ist, da ist nichts mehr, so kann man am Beispiel von Lissabon sehen, wie schnell sich das wieder ändert. Wir haben eben immer noch einen großen Teil nichtgeimpfter Menschen, die keinen vollen Schutz haben. Deshalb, glaube ich, ist weiter Vorsicht notwendig, damit wir einen Sommer vieler Freiheiten, aber noch nicht aller Freiheiten haben. Das gilt insbesondere auch für Großereignisse.

Es ist schön, dass zum Beispiel jetzt in München wieder 14 000 Fans im Stadion sein können. Aber wenn ich vollkommen besetzte Stadien in anderen Ländern Europas sehe, dann bin ich ein bisschen skeptisch, ob das jetzt schon die richtige Antwort auf die augenblickliche Situation ist.

Herzlichen Dank.