Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Merkel und Ministerpräsident Morawiecki zum Besuch des Ministerpräsidenten in Deutschland am 25. November 2021

(Die Protokollierung des fremdsprachlichen Teils erfolgte anhand der Simultandolmetschung.)

BK’in Merkel: Meine Damen und Herren, ich freue mich, dass als sicherlich einer der letzten Besucher der geschäftsführenden Bundesregierung und aus aktuellem Anlass der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki heute bei uns ist und wir uns über die sehr angespannte Lage an der Grenze von Polen zu Belarus ausgetauscht haben.

Ich habe dem polnischen Premierminister seitens Deutschlands meine volle Solidarität ausgesprochen. Unser Innenminister Horst Seehofer war jüngst auch in Warschau. Wir sind der gemeinsamen Überzeugung, dass die Lage dadurch hervorgerufen wurde, dass Belarus - auch im Sinne einer hybriden Attacke - Migranten nach Belarus gelockt hat und dadurch jetzt auch eine Destabilisierung, eine Schwächung nicht nur Polens, sondern der gesamten Europäischen Union erreichen möchte. Deshalb gilt einerseits die volle Solidarität zu Polen. Auf der anderen Seite ist natürlich ganz klar auszudrücken, dass es sich hierbei um ein Thema zwischen der Europäischen Union und Belarus handelt und dass deshalb natürlich alles, was bilateral geschieht, auch eng abgestimmt werden muss. So war es auch bei meinen Telefonaten mit Lukaschenko. Ich habe mich darüber auch mit dem polnischen Ministerpräsidenten ausgetauscht.

Wir haben ein Interesse daran, weil es um Menschen geht und dass diese in Belarus menschenwürdig versorgt werden. Wir haben natürlich auch über die humanitäre Situation auf der polnischen Seite gesprochen. Aber zuallererst, und darüber habe ich auch mit der Internationalen Organisation für Migration und mit dem UNHCR gesprochen, geht es darum, die Menschen in Belarus menschenwürdig zu versorgen und womöglich auch wieder in ihre Heimat zurückzuführen. Wir wissen gerade in Bezug auf die Kurden, dass Menschen auch mit vollkommen falschen Versprechen nach Belarus gelenkt wurden.

Wir haben allerdings auch über die Frage gesprochen, inwieweit wir es hierbei auch mit einer Verbindung zu Russland zu tun haben. Wir wissen, dass Lukaschenko und Präsident Putin ein sehr enges Verhältnis haben. Ich habe deshalb auch mit dem russischen Präsidenten über diese Situation gesprochen und glaube, dass auch von dort klar gesagt werden muss, dass Menschen nicht sozusagen zu hybriden Zwecken missbraucht werden dürfen.

Wir haben parallel darüber gesprochen, dass uns auch andere Dinge Anlass zur Sorge geben, nämlich die Situation in der Ukraine und auch die Konzentration von Truppen. Ich habe es sehr bedauert, dass der russische Präsident nicht bereit ist - auch nicht der russische Außenminister -, zum Ende meiner Amtszeit noch einmal ein hochrangiges politisches Treffen im Normandie-Format durchzuführen. Das wäre ein gutes Signal dafür gewesen, dass alle Seiten an einer Lösung des Ukraine-Themas interessiert sind. Dazu ist es leider nicht gekommen. Insofern müssen wir auch europäische Einigkeit zeigen, natürlich genauso wie im Umgang mit der Frage von Belarus, was die Frage angeht, welche zusätzlichen Sanktionen eingebracht werden können, wenn wir keinerlei Fortschritte sehen.

Für mich ist das ein Ansatz - das habe ich auch deutlich gemacht -, der einerseits heißt, dass wir uns unter uns Europäern einig sein müssen, und zweitens heißt, dass wir deutlich machen müssen, dass wir im Falle von weiteren Verschärfungen der Situation auch weitere Sanktionen einführen können. Drittens sollte die Tür zum Dialog aus meiner Sicht auch immer offen bleiben; denn Sanktionen sind das eine, aber auf der anderen Seite sollte man sich auch immer wieder offen für Dialog zeigen, um Probleme auch durch Gespräche zu lösen. Alles gehört zusammen.

Es war für mich sehr wichtig, die aktuelle Sicht der polnischen Regierung zu hören; denn Polen steht unter einem erheblichen täglichen Druck. Dort sind viele, viele Soldaten im Einsatz, die versuchen, die Außengrenze zu schützen. Insofern werden wir auch weiterhin sehr eng mit Polen zusammenarbeiten. Es ist auch gut, dass der Premierminister gleich auch noch einmal den designierten Bundeskanzler Olaf Scholz besuchen wird.

Noch einmal herzlich willkommen!

MP Morawiecki: Vielen herzlichen Dank! Danke, Frau Bundeskanzlerin! Sehr geehrte Damen und Herren, die deutsch-polnischen Beziehungen sind mit Sicherheit fundamental für die Einheit der Europäischen Union und für die Qualität der Antworten, die wir auf jene Krisen liefern, von denen wir geschüttelt werden und die jetzt an der Peripherie der EU stattfinden, um die Ukraine herum, in Moldawien, auch an anderen Orten und ebenfalls im Westbalkan. Von dieser Qualität der Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Polen hängt sehr viel ab. Ich glaube, davon hängt auch ab, wie wir weiter zusammenarbeiten können, um die Stabilität, den Wohlstand und den Frieden in diesem Teil der Welt zu sichern.

Ich glaube, man muss sich das große Bild ansehen, das sich aus diesen verschiedenen Puzzleteilen der verschiedenen Krisen ergibt, die rund um uns herum stattfinden. Ein Teil der Fäden wird im Kreml in den Händen des russischen Anführers gehalten. Wir beide sind heute auf einige dieser Krisen eingegangen.

Die erste Krise ist die Situation an der polnisch-belarussischen Grenze. Wir verteidigen hier die Außengrenze der Europäischen Union. Wir verteidigen somit auch Deutschland vor einer großen Welle von Migranten. Lukaschenko hat versucht, diese Grenze zu testen. Er hat - in Anführungsstrichen gesagt - einige Tausend Migranten eingeladen. Er hat sie aber als lebendige Schutzschilde missbraucht, als Element seiner Politik, um eine politische Krise zu kreieren und über diese Grenze die EU zu destabilisieren. Wir haben diese Welle angehalten. Unsere diplomatischen Aktionen im Nahen und Mittleren Osten - gemeinsam mit der Frau Bundeskanzlerin, Frau von der Leyen und anderen Politikern - haben dazu geführt, dass diese Flüge aus den Ländern des Mittleren und Nahen Ostens gestoppt werden konnten. Dieser Fluchtweg ist jetzt gestoppt worden. Aber wir fürchten, dass der nächste Weg dazu führt, dass man die Migranten wieder einlädt und sie zur Ausreise aus Afghanistan ermutigt. Das wird womöglich einer der weiteren Schritte auf diesem Schachbrett sein, das von Putin und Lukaschenko ausgespielt wird.

Von der Kontinuität unserer bilateralen Beziehungen hängt sehr viel ab. Ich werde mich deshalb im Anschluss gleich mit dem wahrscheinlichen Bundeskanzler in spe, Herrn Olaf Scholz, treffen, um unsere guten Beziehungen auf vielen Gebieten weiter fortzusetzen.

Außer Belarus haben wir noch über das Thema Ukraine gesprochen. Um die Ukraine herum sehen wir die wachsenden Spannungen und die zunehmend russische Präsenz an den Grenzen. Wir sehen auch diese Energieschlinge, die sich immer enger um die Ukraine schließt. Dieser Staat ist ja weitgehend abhängig von der Zufuhr von Erdöl, Erdgas und Kohle. Es gibt das Risiko, dass vielleicht ein Blackout eintreten könnte. Davor wollen wir warnen.

Auch gegenüber Moldawien hat es hier Erpressungsversuche gegeben. Viele Politiker und Journalisten haben darüber gesprochen. Das will ich jetzt nicht wiederholen.

Auf jeden Fall ist der nächste wirklich sensible Teil Europas der Westbalkan, die Westbalkanländer. Sie sind uns ein Anliegen. Wir haben beide sehr viel dafür getan, damit diese Integration zügiger vorgenommen werden kann. Hier gibt es leider keine Übereinstimmung mit allen Ländern, insbesondere in Westeuropa. Jetzt heißt es, weiter daran zu arbeiten.

Auch die Fake News, die es gibt, und die Cyberattacken, die stattfinden, sowie verschiedene Angriffe mit Propagandaparolen, die auch eine solche Situation herbeiführen, sollen dafür sorgen, dass wirksame Aktivitäten aufseiten der EU gelähmt werden. Was ist unsere Antwort darauf?

Erstens. Auf dieser Eskalationsleiter müssen weitere Schritte in der Hoffnung geplant werden, dass wir die Leiter nicht herauf-, sondern heruntergehen. Es sind weitere Sanktionen zu planen, darunter Handelssanktionen. Polen grenzt ja an Belarus. Der Warenaustausch findet die ganze Zeit statt. Aber wir signalisieren die ganze Zeit, dass dieser Warenaustausch vielleicht gestoppt werden könnte, wenn es zu einer Eskalation dieses Konflikts kommt, wenn die Migranten in den Händen von Lukaschenko und Putin weiterhin als ein politisches Instrument missbraucht werden. Wir gehen gemäß dem Grundsatz vor: Über uns kann nichts ohne uns passieren. Wir möchten natürlich, was die Entscheidungsfindung angeht, nicht nur mit einbezogen werden, sondern wir möchten ein Teil dieser Entscheidungsfindung sein.

Ein dritter Punkt ist die Solidarität. Jede dieser Krisen, denen wir uns stellen müssen, betrifft Staaten in einem sehr unterschiedlichen Ausmaß. Hierbei ist Solidarität sehr wichtig. Wir haben unsere Solidarität gegenüber den südlichen, den mediterranen Ländern wie Griechenland und Bulgarien gezeigt, was die Migrantenwellen in der Vergangenheit angeht.

Was die transatlantische Zusammenarbeit angeht, ist Ziel Russlands beziehungsweise Moskaus, aber auch anderer Hauptstädte, dass diese transatlantische Zusammenarbeit geschwächt wird. Die Frau Bundeskanzlerin und Polen arbeiten daran, dass es diese Einheit im Bündnis gibt. Das ist wichtig, damit Wohlstand, Frieden und Stabilität gewährleistet werden können.

Ein weiterer Punkt ist eine gemeinsame gute Energiepolitik. Schauen wir uns doch an, was heute passiert, nämlich diese Gaserpressungen seitens Russlands, unterstützt von Nord Stream 2, aber auch erhöhte Energiepreise in ganz Europa. Das betrifft die normalen Bürger; das betrifft die Deutschen genauso wie die Polen. Dies trägt dazu bei, dass die Inflation steigt und dass die Volkswirtschaften in der gesamten Europäischen Union darunter leiden. Das ist auch sehr wichtig.

Der gemeinsame Nenner, die gemeinsame Antwort auf all diese Probleme, auf all diese Krisen, die in Europa plötzlich in den letzten Monaten, insbesondere in den letzten Wochen da sind, ist die Einheit der Europäischen Union. Das ist auch das Einsehen, was die eigentlichen Prioritäten sind. Es stehen also noch große Risiken vor uns. Wir sollten uns auf diese großen Risiken konzentrieren und keine Ersatzthemen suchen.

Frage: Die Frau Bundeskanzlerin hat gesagt, dass es keine Bereitschaft gibt, ein Treffen im Normandie-Format abzuhalten. Herr Morawiecki hat gesagt, dass es einige Sachen seitens Russlands gibt: Energiekrise, Propagandakrieg und die Konzentration von Truppen an der Grenze zur Ukraine. Haben die EU-Staaten konkrete Ideen, die wirklich von allen Staaten akzeptiert werden können? Der estnische Premierminister hat dazu aufgerufen, dass deutliche Signale an Russland gesendet werden sollen, dass ein hoher Preis zu zahlen sein wird.

In zwei Wochen findet der nächste EU-Gipfel statt. Können bis dahin Maßnahmen vereinbart werden? Gibt es die Möglichkeit von Sanktionen auch gegen Russland?

BK’in Merkel: Die Hauptaufgabe besteht erst einmal darin, das Problem Belarus und der Migranten zu lösen. Auf der einen Seite gibt es das, was Polen macht - der Schutz der Außengrenze -, und auf der anderen Seite gibt es unsere gemeinsamen Aktivitäten, um auch der Welt deutlich zu machen, was da abläuft. Hier stehen jetzt vor allen Dingen weitere Sanktionen gegen Lukaschenko auf dem Programm, wenn keine Fortschritte sichtbar sind und die Entwicklungen immer so weitergehen. Wir haben natürlich noch nicht die Entspannung, die ich mir vorstelle und die sich Polen vorstellt.

Beim zweiten Punkt geht es um die Ukraine, und da tun wir natürlich alles, um zu verhindern, dass es zu weiteren Aggressionen kommt. Das ist jetzt erst einmal die erste Aufgabe. Das heißt natürlich, dass klar ist, dass jede Aggressivität beziehungsweise jede weitere Aggressivität gegen die Souveränität der Ukraine einen hohen Preis hätte; das ist vollkommen klar. Auf der anderen Seite heißt das aber eben auch, Russland immer wieder deutlich zu machen, dass das so ist, und auch Gesprächsangebote zu machen.

Das ist für mich die Agenda, die wir beherzigen sollten, und dann will ich mich nicht an Spekulationen beteiligen - „Was wäre, wenn…?“. Ich möchte vielmehr alles tun, damit sichergestellt wird, dass es zu keinen weiteren Aggressionen kommt; denn wir haben ja mit dem Donbass schon eine Situation, in der die Ukraine eben nicht ihre territoriale Souveränität leben kann. Das ist schlimm genug, und da stehen wir an der Seite der Ukraine.

MP Morawiecki: Meine Antwort auf diese Frage ist die folgende: Die Europäische Union ist ja eine gewaltige internationale wirtschaftliche Organisation, wir sind 27 Staaten mit einer einheitlichen Wirtschaftspolitik, wir haben ein gewaltiges Potenzial, und wir haben auch ein Potenzial in der Beantwortung von Herausforderungen, die hier von außerhalb der EU kreiert werden. Ich nenne hier einmal die großen Gaspreisschwankungen, die Einfluss nehmen auf die Situation der einzelnen Haushalte in den Ländern, auch in Deutschland und Polen, und auch die Klimapolitik, die dazu führte, dass ein Teil der Arbeitsplätze abgebaut wird. In all diesen Bereichen könnten wir als ein großes Wirtschaftsgefüge Lösungen ausarbeiten, die dem entgegenwirken und vielleicht einen Teil dieser Dinge ausgleichen können. Wie Sie in Ihrer Frage mit Recht gesagt haben: Diese Krisen sind zusammengekommen und haben sich hier kumuliert. Das ist die Antwort auf die Frage nach der Energiekrise.

Zur Krise an der Grenze mit Belarus: Entweder, man geht hier mit unseren Instrumenten, unseren Antworten auf diesen staatsgesteuerten Terror, auf diese erzwungenen Maßnahmen, bei denen Migranten als lebendige Schilde einzusetzen, auf dieser Eskalationsleiter nach oben, oder aber man deeskaliert, wenn es hier zum Teil diese Demarkationsbedingungen gibt, die ausverhandelt werden können. Letzteres wäre ein optimistischeres Szenario und immer noch möglich.

Darüber hinaus kommt es auf die Zusammenarbeit mit jenen Staaten an, die die Herkunftsländer von neuen Migranten sind. Diese Zusammenarbeit sollte unser Ziel sein und weiterverfolgt werden. Das passiert auch. Wir haben über diplomatische Kanäle im Nahen Osten Aktionen gestartet; das hat sich als erfolgreich erwiesen. Wir arbeiten mit den zentralasiatischen Staaten zusammen, zum Beispiel mit Usbekistan. Das zeigt sich als wirksam. Auch die Zusammenarbeit mit anderen Staaten, die sehr wichtig sind, um diese Krise beizulegen, die sich aber nicht in unmittelbarer Nähe befinden - zum Beispiel die Vereinigten Staaten von Amerika -, ist ein sehr wichtiges Element unserer Aktivitäten.

Wir möchten eine Situation schaffen, in der unser Gegner in diesem politischen Spiel, in dieser Auseinandersetzung, versteht, dass wir nicht machtlos und ruhig zuschauen werden bei dem, was auf der anderen Seite der Grenze passiert, und wir werden uns diesen Erpressungen nicht fügen.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, in Deutschland wurde heute die Grenze von 100 000 Toten im Zusammenhang mit der Coronapandemie überschritten. Was sagen Sie zu diesem Sachverhalt und was sagen Sie zu der lauter werdenden Forderung von Ministerpräsidenten, die für den 9. Dezember geplante Konferenz mit der Bundesregierung vorzuziehen?

BK’in Merkel: Es ist natürlich ein sehr trauriger Tag, an dem wir 100 000 Opfer der Coronapandemie beklagen müssen. Leider kommen im Augenblick auch wieder mehr als 300 Tote pro Tag dazu. Das korreliert natürlich ganz eindeutig mit der Zahl der auftretenden Infektionen. Wir wissen, wie viele Menschen dann im Durchschnitt anschließend diese Krankheit nicht überleben.

Deshalb bin ich ja von der großen Ernsthaftigkeit der Situation überzeugt und habe deshalb auch das Gespräch mit den zukünftigen Koalitionsparteien gesucht. Ich werde daraus natürlich nicht berichten, aber eines ist klar: Die Lage ist deshalb so ernst, weil wir nach wie vor in einem exponentiellen Wachstum sind und weil die Fälle, die wir heute erkranken sehen, im Grunde die Intensivpatienten von in zehn oder 14 Tagen sind. Deshalb ist die Tatsache, dass wir aufpassen müssen, dass wir keine Überlastung unserer Krankenhäuser bekommen, ein ganz wesentlicher Punkt, und hier zählt jeder Tag.

Deshalb habe ich gestern sehr aufmerksam gehört, dass der designierte Bundeskanzler Olaf Scholz einen Krisenstab einrichten wird. Ich habe ihm heute auch deutlich gemacht, dass wir das in dieser Übergangsphase auch gemeinsam bewerkstelligen können und uns eben auch immer alle notwendigen Maßnahmen anschauen. Heute findet eine Vorbereitungskonferenz auch für die MPK am 9. Dezember statt. Inwieweit neue Termine gefunden werden, hängt auch von den Bundesländern ab; dazu möchte ich heute nichts sagen.

Ich weiß nur: Wir brauchen mehr Beschränkungen von Kontakten. Viele Länder haben jetzt ja auch zusätzliche Maßnahmen eingeführt. Wir müssen die Situation jeden Tag sehr aufmerksam beobachten, und ich freue mich, dass ich dazu auch in engem Kontakt mit Olaf Scholz bin. Wir werden auch das Expertenwissen mit einfließen lassen.

Frage: Ich habe eine Frage an Sie beide. Es geht um das gestrige Gespräch zwischen Putin und Michel. Laut Auskunft des Büros des Pressesprechers hatte Putin darum gebeten, eine Intervention in Bezug auf Polen vorzunehmen, damit Polen keine Schritte zur Eskalation unternehme. Er sagte auch, Sanktionen gegen Belarus würden sich als erfolglos erweisen. Mit Blick auf die Ostukraine verwies er darauf, dass das Verhalten der Ukraine für Spannungen sorge. Wie sehen Sie dieses Narrativ? Sollte dieses Narrativ nicht darauf Einfluss nehmen, dass man vielleicht Schritte gegen Nord Stream 2 unternimmt?

BK’in Merkel: Nord Stream 2 ist eine andere und auch zwischen Polen und Deutschland durchaus kontrovers diskutierte Sache. Sie wissen, dass wir mit den Vereinigten Staaten auch ein gemeinsames Papier gemacht haben, weil es uns genauso wie Polen nicht nur insgesamt um die Energiesicherheit, sondern auch um die Sicherheit der Ukraine als Transitland geht. Dafür wird sich Deutschland auch weiterhin einsetzen.

Was das Gespräch gestern von Charles Michel mit Präsident Putin anbelangt, so hat, denke ich, der russische Präsident das zum Ausdruck gebracht, was er auch in allen anderen Telefonaten - mit dem französischen Präsidenten, dem italienischen Ministerpräsidenten, mit mir -zum Ausdruck gebracht hat. Da kann ich nur sagen: Aus den Worten und dem Besuch von Mateusz Morawiecki heute bin ich überzeugt, dass Polen alles daransetzt, eben keine zusätzlichen Eskalationen hervorzurufen, sondern im Gegenteil wirklich die Ruhe zu bewahren.

Jetzt ist es an der belarussischen Seite, für eine Situation zu sorgen, in der man solche Sorgen gar nicht haben muss. Deshalb muss dieser Einsatz von Migranten zum Zwecke des Verletzens der Außengrenze der Europäischen Union unterbunden werden. Daran muss man arbeiten. Daran arbeiten wir, aber wir erwarten eben auch, dass das von der belarussischen Seite, unterstützt von der russischen Seite, getan wird.

MP Morawiecki: Ja, wir wissen natürlich darum. Ich pflege enge Kontakte zu Charles Michel. Wir tauschen uns oft aus. Man sollte diese Worte vielleicht so kommentieren: Erstens. Auch wir wünschen uns keine Eskalation. Aber wenn wir dazu gezwungen werden, dann müssen die Staaten auch über Verteidigungsinstrumente verfügen. Wir müssen uns verteidigen können. Ich wäre mir nicht so sicher, dass die Sanktionen, die gegen Belarus eingesetzt werden würden, erfolglos wären. Denn ein Großteil des Exports und ein Großteil des Handels zwischen der EU und Belarus verläuft in Richtung der EU, auch ein Großteil der Industrieproduktion. Das würde das Regime sehr deutlich treffen. Das muss man im Hinterkopf behalten als ein potenzielles Instrument.

Zu der Bitte von Herrn Putin an Herrn Michel, er möge Einfluss auf uns nehmen: Das könnte man in solchen Kategorien sehen wie es in der russischen Politik oft der Fall ist, nämlich völlig umgekehrt: eine herzliche Bitte, dass man Einfluss nehmen möge auf die Situation in Belarus. Natürlich möchten wir diesen Konflikt, diese künstlich hervorgerufene politische Krise mit dem Einsatz von Migranten sehr gern zu einem Ende bringen. Es ist, denke ich, klar für alle, in Polen, in der Europäischen Union, für alle Menschen guten Willens, dass dies in unserem Interesse liegt. Das würden wir alle uns wünschen.

Frage: Ich habe eine Frage sowohl an die Bundeskanzlerin als auch den Ministerpräsidenten und würde gern noch einmal auf die beiden Gespräche, die Sie mit Herrn Lukaschenko hatten, zurückkommen. Das hat in Osteuropa und auch in Polen Irritationen ausgelöst. Fürchten Sie nicht, dass Sie Herrn Lukaschenko damit aufgewertet haben, weil Sie direkt mit ihm gesprochen haben, oder - das ist der Aspekt für den polnischen Ministerpräsidenten - hat es nicht doch dazu beigetragen, dass die Lage zumindest teilweise nicht weiter eskaliert ist?

BK’in Merkel: Schauen Sie, wir haben uns über das Gespräch ausgetauscht, und Sie können davon ausgehen - das habe ich jedenfalls versichert -, dass wir im Hinblick auf den Charakter der Krise, in der wir sind, im Hinblick auf die Frage, wie sie zu lösen ist, die gleichen Meinungen haben. Ich habe zum Beispiel auch mit Frau Tichanowskaja gesprochen, wo gerade die Sorge war, ob man Herrn Lukaschenko nicht aufwertet. Ich glaube, wenn es um die Frage der humanitären Betreuung auch der Migranten geht, um den Zugang von UNHCR, um den Zugang der Internationalen Organisation für Migration, dann ist er der Ansprechpartner.

Das ändert aber nichts daran, dass ich glaube, dass die Legitimität der Wahlen in Belarus natürlich nicht existiert, und dass unsere Aktionen, die wir gemacht haben, um auch auf diesem Gebiet Sanktionen gegen Belarus einzuführen und Ähnliches, in totaler europäischer Gemeinschaft gemacht wurden. Insofern ist das eine Facette, das Problem, um das es geht, zu lösen, was natürlich auch nicht so einfach geht. Darüber habe ich mir auch keine Illusionen gemacht. Aber es dient der gleichen Zielrichtung, nämlich den Versuch sozusagen der Unterdrucksetzung der Europäischen Union zu stoppen und wieder zu normalen diplomatischen Gepflogenheiten zu kommen.

MP Morawiecki: Es ist etwas sehr Wichtiges, dass die gesamte Gemeinschaft der freien demokratischen Staaten, insbesondere die EU, sich dessen bewusst ist, dass diese internationale Krise künstlich hervorgerufen wurde, eine von einigen Krisen, die jetzt zur gleichen Zeit stattfinden. Deshalb ist die Internationalisierung dieser Krise eines unsere Ziele. Die Gespräche, die von Herrn Charles Michel oder von Frau von der Leyen geführt werden, sind durchaus angebracht. Wir haben Herrn Michel mitgeteilt, dass wir bei der nächsten EU-Ratssitzung ohne Zweifel eine ganze Reihe von Aspekten ansprechen möchten, von denen wir heute gesprochen haben, unter anderem die Frage, wie wir gegen das Regime Lukaschenkos vorgehen sollen, gegen Belarus. Zum einen haben wir eine Bevölkerung, die unschuldig ist und unter politischem Druck steht. Wir haben in Belarus politische Gefangene, politische Morde. Wir appellieren und rufen dazu auf, diese Gefangenen freizulassen. Auf der anderen Seite zeigt die Realpolitik, dass es dort einen Diktator gibt, der diesen Teil Europas destabilisieren möchte. Ich glaube, dass die Aktivitäten von Herrn Borrell und auch Charles Michel dort durchaus angebracht sind.