Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Merkel nach der Videokonferenz des Europäischen Rates am 25.02.2021 in Berlin

BK’in Merkel: Guten Abend! Wir haben gerade eben die Videokonferenz des ersten Tags des Europäischen Rates beendet. Morgen wird es noch mit Fragen der Sicherheits- und Verteidigungspolitik weitergehen, und morgen früh wird auch Jens Stoltenberg dabei sein.

Der heutige Teil war aber sicherlich der, der uns alle besonders bewegt, denn wir haben über die Fragen der Coronapandemie gesprochen. Das ist natürlich etwas, was noch alle Mitgliedstaaten sehr stark umtreibt - mit unterschiedlichen Situationen. Besonders schwer betroffen sind die Tschechische Republik und die Slowakei; aber auch Ungarn hat darüber berichtet, dass es eine schwierige Situation mit einer dritten Welle erwartet. Alle sind sehr beeinflusst von der britischen Mutante, aber auch von anderen Mutationen, und die Länder, die jetzt sehr hohe Inzidenzen hatten und sehr schwierige Situationen durchlebt haben - wie zum Beispiel Irland oder Portugal -, sind äußerst vorsichtig, was die Öffnungsstrategien anbelangt.

Wir haben uns heute zuerst über das unterhalten, was uns allen Hoffnung gibt, nämlich über die Impfaktion und die Impfstoffproduktion. Es ist so, dass die Impfaktion langsam angelaufen ist, aber ich habe darauf hingewiesen, dass wir schon in wenigen Wochen logistisch alles vorbereiten müssen, um die zur Verfügung gestellten Impfstoffe auch wirklich zu verimpfen.

Die Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat darüber berichtet, was die Firmen zugesagt haben, und sie hat uns dann noch einmal darauf hingewiesen, dass wir uns darauf einstellen müssen - das war auch allgemeine Meinung -, dass wir durch die Mutationen vielleicht über längere Zeit, also über viele Jahre, in der Lage sein müssen, immer wieder Impfungen mit Anti-Corona-Impfstoff durchzuführen, so wie wir das ja auch von der Grippeimpfung kennen.

In diesem Zusammenhang hat die Kommission jetzt eine Taskforce unter Leitung des Kommissars Breton gebildet und will den sogenannten HERA-Inkubator schaffen, also eine Einheit, die sowohl Ausschreibungen für Produktionsanlagen als auch Forschung in Richtung der Mutationen machen kann. Die Kommission wird in den nächsten Monaten das entsprechende institutionelle Modell entwickeln. Alle Staats- und Regierungschefs haben diese Aktivität unterstützt. Kurzfristig geht es jetzt aber erst einmal um etwas Ähnliches wie bei unserem nationalen Impfstab beziehungsweise der Impfstoff-Taskforce, die wir gebildet haben, nämlich um die Frage - und wir werden diesbezüglich auch sehr eng mit der europäischen Ebene zusammenarbeiten -: Wie können wir Produktionskapazitäten entlang der gesamten Lieferkette auch möglichst autark innerhalb der Europäischen Union schaffen, um Impfstoffe produzieren zu können?

Wir haben dann in einem zweiten Punkt darüber gesprochen, wie die Situation der heutigen Impfstoffverfügbarkeit aussieht, und hier will ich noch einmal darauf hinweisen - ich habe das an anderer Stelle schon gesagt -: Die Vereinigten Staaten von Amerika exportieren keine Impfstoffe und Großbritannien zumindest sehr wenig, während die europäischen Produktionsanlagen Impfstoffe nicht nur für die Europäische Union produzieren, sondern auch für andere Teile der Welt - für Lateinamerika, für Singapur, für Kanada und für andere Staaten auf der Welt. Das ist auch okay, solange sich die Firmen an die versprochenen Verträge halten, die die Europäische Kommission mit den Firmen verabschiedet hat.

Wir haben des Weiteren über die Länder gesprochen, die sich aus eigener Kraft gar keine Impfstoffe leisten können. Dazu ist ja die COVAX-Fazilität das geeignete Instrument. Dort wird durch Gavi Impfstoff bestellt. Deutschland hat als einer der größten Zahler neulich beim G7-Gipfel noch einmal zusätzliche zwei Milliarden Euro eingezahlt. Wir sind sehr froh, dass heute auch die ersten Lieferungen nach Afrika beginnen konnten - heute nach Ghana, und dann kommt Côte d’Ivoire. Afrika wird jetzt also Schritt für Schritt mit Impfstoffen versorgt.

Dennoch hat der französische Präsident Emmanuel Macron den Vorschlag gemacht, aus der G7 heraus - das haben wir heute auch in der Gruppe der Mitgliedstaaten der Europäischen Union diskutiert - noch einmal zusätzliche Impfdosen abzugeben, um gerade auch das medizinische Personal in Afrika impfen zu können. Wir werden darüber auch in Deutschland sprechen, wobei der genaue Zeitpunkt noch nicht feststeht, an dem wir das machen werden.

Ein Punkt, der heute eine Rolle gespielt hat, waren die Grenzkontrollmaßnahmen und die Sicherung des freien Warenverkehrs. Ich habe für Deutschland erklärt, dass wir uns in bestimmten Fällen, und da sind wir nicht die Einzigen, auch gezwungen sehen, bestimmte Beschränkungen einzuführen, wenn es entweder Hochinzidenzgebiete oder Mutationsgebiete gibt, dass wir aber auch alles daransetzen, den freien Warenverkehr möglich zu machen und auch die Pendler arbeiten zu lassen. Aber das erfordert dann natürlich zusätzliche Sicherheiten, zum Beispiel Tests und Ähnliches.

Wir haben über das Thema der zusätzlich zur Verfügung stehenden Selbsttests gesprochen. Die europäische Agentur ECDC hat ja bereits Bewertungen der Antigenschnelltests vorgenommen, und ich habe darum gebeten, dass wir auch qualitative Bewertungen der Selbsttests durch die ECDC bekommen; denn hierüber haben wir noch sehr wenig Wissen. Die ersten drei Tests sind zugelassen. Die Hersteller geben eine ähnliche Qualität wie bei den Antigenschnelltests an, aber dazu, ob das auch wirklich den Erfahrungen entspricht, gibt es verschiedene Studien, und wir brauchen noch mehr Evidenz.

Ein letzter Punkt, der noch wichtig war, war der digitale Impfnachweis. Alle sind sich einig, dass wir so etwas brauchen. Die technischen Vorarbeiten sind durch die Kommission gemacht worden. Die ermöglichen dann, dass auch zusammen mit den Mitgliedstaaten bereits im Januar - das muss jetzt umgesetzt werden - ein Gateway, also sozusagen ein Zugang und eine Kompatibilität der verschiedenen nationalen digitalen Impfausweise, entstehen kann. Wir haben uns ja in Deutschland dazu entschieden, einen solchen nationalen Impfausweis zu entwickeln. Die Grunddaten dessen, was dieser Impfausweis enthalten muss, sind durch die Europäische Kommission und die Mitgliedstaaten definiert worden. Es ist jetzt durch das Bundesgesundheitsministerium eine Vergabe erfolgt (Hinweis 26.2.2021: Das Endvergabeverfahren läuft noch), und die Europäische Kommission wird etwa drei Monate brauchen, um die entsprechenden technischen Voraussetzungen zu schaffen. Das wird in etwa auch die Dauer sein, die der Bundesgesundheitsminister Jens Spahn für die Entwicklung eines solchen Projekts angibt, sodass dann in absehbarer Zeit sehr viele Mitgliedstaaten - ich würde sagen, alle - einen national digitalen Impfausweis entwickelt haben werden. Diese Impfausweise werden über das Gateway der europäischen Ebene dann miteinander kompatibel sein, damit das Reisen mit mehr Informationen innerhalb der Europäischen Union möglich sein wird und das dann vielleicht auch der Grundstock für Einreisen aus Drittstaaten in die Europäische Union sein wird.

Das waren die Themen, über die wir heute gesprochen haben. Es war eine gute Diskussion. Wenn ich daran denke, dass wir uns vor vielen Monaten überhaupt noch nicht mit der Coronapandemie beschäftigt haben, dann hat es hier erhebliche Fortschritte gegeben, die natürlich auch zu mehr Kohärenz der Mitgliedstaaten führen.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, Sie haben die Schnelltests angesprochen. Können Sie sich vorstellen, dass mit sehr vielen Schnelltests relativ bald Gaststätten, Hotels, die Gastronomie und Kultureinrichtungen geöffnet werden können, und zwar - das wäre wichtig - ohne Rücksicht auf die Inzidenzen? Würden Sie sich also von dem Wert 35 verabschieden, weil man den kaum absehbar schnell erreichen kann?

BK’in Merkel: Ich bin der Meinung, dass wir jetzt schauen müssen, und das muss sehr gründlich gemacht werden, ob wir uns durch ein vermehrtes Testen auch mit diesen Selbsttests einen Puffer erarbeiten können, sodass wir hinsichtlich der Inzidenz auf einen etwas höheren Wert als 35 gehen können. Das setzt aber voraus, dass wir erst einmal ein breites Testen einführen. Das hat für mich drei Komponenten, zum einen Tests in Schulen und Kindertagesstätten, zweitens auch vermehrte Tests in Betrieben - dort wird ja zum Teil schon getestet - und drittens Angebote für ein Testen der Bevölkerung in Testzentren.

Dann brauchen wir genaue Angaben über die Wirksamkeit der Selbsttests im Vergleich zu den Antigenschnelltests.

Dann braucht man sicherlich Klarheit darüber, ob mit einem solchen vermehrten Testen dann wirklich der Anstieg der Infektionen gestoppt werden kann. Das wissen wir ja nicht. Wir sind im Augenblick sozusagen leider bei einem leichten Ansteigen. Manchmal ist es auch ein etwas größeres Ansteigen, aber wir können das noch nicht genau absehen. Es spricht sehr, sehr vieles dafür, dass das der Einfluss der britischen Mutation ist. Deshalb müssen wir erst einmal den Puffer sozusagen erforschen oder Erfahrungen sammeln, ob dieser Puffer wirklich wirkt. Aus diesem Grund kann es nicht so sein, dass wir erst die Öffnung definieren und anschließend einmal gucken, ob uns das Testen hilft. Das wäre aus meiner Sicht zu gefährlich.

Das heißt, man wird weder generell auf Inzidenzen verzichten können noch kann man sofort öffnen, sondern jetzt muss erst einmal dieses vermehrte Testen eingeführt werden, das uns in der Tat auch durch diese Selbsttests und durch die Verfügbarkeit der Antigenschnelltests auf dem Markt in hoher Stückzahl eine neue Option bietet. Dann muss geschaut werden, welche Wirkung das hat. Dann kann man überlegen, ob wir damit etwas mehr Freiheit zum Öffnen haben - aber nicht unter Verzicht auf jegliche Inzidenz.

Ich will auch ganz deutlich sagen, dass jetzt nicht alle Schritte auf einmal gemacht werden können. Die Bitte und die berechtigte Erwartung war, wie ich es auch gesagt habe, dass wir Pakete aus den verschiedenen Strängen, die wir haben, schnüren. Wo müssen wir was lockern: Kontaktbeschränkungen, Schulen, Hochschulen, Berufsschulen und die Bereiche Geschäfte, Restaurants, Hotels, Kunst, Kultur und Sport. Da kann man nicht immer nur einen Strang berücksichtigen, sondern muss vielleicht auch mehrere Stränge miteinander zu Paketen verbinden. Aber zwischen dem einen und dem nächsten Öffnungsschritt muss immer eine Zeitspanne liegen, in der ich überprüfe, ob ich weiter die Kontrolle über das Infektionsgeschehen behalte, was dann etwas einfacher sein kann, wenn ich auch breite Testmöglichkeiten habe. Natürlich wird das Impfen Woche für Woche dann auch mehr Einfluss haben. Das ist im Augenblick noch zu wenig.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, ich muss noch einmal nach den Grenzen fragen. In Frankreich breitet sich in der Region Moselle das in Südafrika festgestellte Virus sehr stark aus. Sind Sie dafür, dass man Moselle als Virusvariantengebiet einstuft?

Halten Sie Grenzkontrollen nach dem Vorbild Tschechien und Tirol auch an der französischen Grenze für unabwendbar?

BK’in Merkel: Grenzkontrollen stehen zurzeit nicht auf der Tagesordnung. In Tschechien und Österreich war es ja so, dass sich die jeweiligen Landesregierungen das ausdrücklich vom Bund erbeten haben. Das ist hier überhaupt nicht der Fall. Das Gegenteil ist der Fall. Die Region Moselle sucht mit dem Saarland und Rheinland-Pfalz ganz bewusst Absprachen. Die französische Seite hat ja heute auch schon bestimmte Einreisebedingungen definiert. Man kann Definitionen für Pendler machen. Der Krisenstab wird sich noch einmal damit befassen, in welcher Form dort eine Einstufung erfolgt. Grenzkontrollen stehen aber nicht auf der Tagesordnung.

Zusatzfrage: Die Einstufung?

BK’in Merkel: Das macht der Krisenstab. Dem kann und will ich nicht vorgreifen.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, Impfzertifikate sind ja auch nichts anderes als Erleichterungen für Geimpfte im nationalen Kontext. Haben Sie das ins Verhältnis gestellt zu der Frage, wie viele Menschen überhaupt schon ein Angebot bekommen haben und haben solche Erleichterungen ausgeschlossen, solange nicht genügend Menschen ein Impfangebot bekommen haben oder geimpft sind? Können Sie definieren, was „genügend“ in dem Sinne bedeutet, damit diese Menschen auch in Deutschland Erleichterungen bekommen?

Zum Drei-Monats-Zeitraum: Können Sie garantieren, das bis zu den Sommerferien solche Impfzertifikate für Reisen zur Verfügung stehen?

BK’in Merkel: Die Erwartung ist schon, dass das bis zum Sommerzeitraum fertig ist. Ich bin keine technische Programmiererin, also kann ich das auch nicht garantieren, genauso wenig wie ich Impfstofflieferungen garantieren kann. Aber die politische Vorgabe ist, dass man das in den nächsten Monaten erreicht. Ich habe ja von drei Monaten gesprochen. Deshalb glaube ich, dass alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union daran arbeiten, das in einer endlichen Zeit zu schaffen.

Alle haben heute darauf hingewiesen, dass das zurzeit bei der geringen Durchimpfung der Bevölkerung gar nicht das Thema ist. Aber man muss sich ja vorbereiten. Es geht auch nicht darum, dass der Impfpass das Einzige ist. Es wurde darüber gesprochen, dass zum Beispiel Kinder noch gar keine Zulassung zum Impfen haben. Das heißt, es kann so wie heute ein Test verlangt werden. Aber ein Impfpass kann auch eine zusätzliche Information sein. Ihn zu haben ist für die Zukunft auf jeden Fall richtig. Das heißt aber nicht, dass nur derjenige reisen darf, der einen Impfpass hat. Darüber sind überhaupt noch keine politischen Entscheidungen getroffen worden. Ich kann aber keine Entscheidungen treffen, wenn ich einen Impfpass gar nicht entwickelt habe. Deshalb glaube ich, dass es richtig ist, dass man das tut.

Danke schön und noch einen schönen Abend.