Pressekonferenz von Bundeskanzler Scholz zum Besuch bei Siemens Energy am 3. August 2022 in Mülheim an der Ruhr

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Dr. Bruch: Meine Damen und Herren, von meiner Seite einen guten Morgen! Lieber Herr Bundeskanzler, herzlich willkommen in Mülheim, im Herzen des Ruhrgebiets! Danke für Ihre Zeit.

Ich möchte die Gelegenheit nutzen, mich an dieser Stelle noch einmal bei Ihnen, Herr Bundeskanzler, und auch bei Bundesminister Habeck für die viele Unterstützung zu bedanken, die wir in den letzten Wochen bekommen haben, und zwar für etwas, was eigentlich eine Routinemaßnahme ist, wie man ehrlicherweise sagen muss. Das Objekt der Begierde sehen Sie hier zu meiner Rechten. Im Prinzip ist das ein normaler Vorgang, bei dem eine Turbine zur Instandhaltung von einem Standort zu einem Wartungsstandort in Kanada gebracht wird. In der gleichen Zeit liegt eine exakt baugleiche Turbine schon im Lager in Russland, die dann eingebaut werden soll. Das heißt, dass die Turbine, die jetzt zurückkommen sollte, dafür vorgesehen war, im September 2022 eingebaut zu werden.

Ich will Ihnen vielleicht noch einmal darstellen, wie das funktioniert, weil so viel an dieser einen Turbine hängt. Es ist nicht nur eine Turbine, sondern in Portowaja stehen sechs solcher Turbinen und zusätzlich zwei kleinere. Man braucht fünf dieser Turbinen, damit 100 Prozent der Leistung erzeugt werden. Davon läuft heute eine. Deswegen sind wir bei 20 Prozent.

Wir können es aus technischer Sicht nicht nachvollziehen. Uns liegen keine anderen Informationen darüber vor, warum keine Betriebsbereitschaft da sein sollte. Trotzdem haben wir natürlich ein hohes Interesse daran, mit Unterstützung der Bundesregierung auch diese Ersatzturbine wieder nach Russland zu bekommen.

Was fehlt dafür? Aus unserer Sicht sind alle Papiere ‑ Zollpapiere, Transportpapiere ‑, soweit wir sie vorbereiten können, vorbereitet. Wir brauchen aber Beiträge des Kunden dafür, also der Gazprom. Diese stehen im Moment aus, sodass wir diese Turbine, obwohl wir sie seit über einer Woche hier haben, nicht transportieren können. Das wollen wir lösen, weil wir natürlich hauptsächlich einfach an der Technik selbst interessiert sind und weniger an den politischen Diskussionen. Aber das ist das, was wir im Moment sehen. Das sind die Rand- und Rahmenbedingungen der Installation in Portowaja. Deswegen tun wir alles, um schnellstmöglich eine Auslieferung hinzubekommen. Technisch können wir es aus unserer Sicht, wie gesagt, nicht nachvollziehen, warum an dieser einen Turbine die jetzige Liefersituation hängt.

Herr Bundeskanzler, noch einmal ganz herzlich willkommen hier in Mülheim! Vielen Dank für Ihre Zeit.

BK Scholz: Schönen Dank. Schönen Dank für die Einladung. Schönen Dank, dass ich dieses beeindruckende Stück Technik hier bewundern kann, das auch zeigt, zu welcher Ingenieursleistung Siemens fähig ist, und auch ein gutes Beispiel für die Leistungsfähigkeit unserer Industrie hier in Deutschland ist.

Mir ist wichtig, klarzumachen, dass diese Turbine jederzeit einsetzbar ist und dass sie genutzt werden kann. Ihrem Weitertransport nach Russland steht nichts entgegen, außer dass die russischen Abnehmer noch mitteilen müssen, dass sie die Turbine haben wollen, und die notwendigen Auskünfte für den Zolltransport nach Russland geben. Alle anderen Genehmigungen liegen vor. Das gilt für die Genehmigung aus Deutschland, und das gilt für die Genehmigungen aus der Europäischen Union, aus dem Vereinigten Königreich, aus Kanada. Es gibt keine Probleme.

Das ist auch nicht weiter verwunderlich. Denn nicht nur die Turbine ist völlig perfekt vorhanden und kann jederzeit eingebaut und eingesetzt werden, sondern es gibt auch keinerlei Gassanktionen, die der Turbinennutzung entgegenstünden. Sie erinnern sich, dass wir, als wir angefangen haben, als Reaktion auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine richtigerweise Sanktionen als Europäische Union, als G7-Staaten, als Gemeinschaft vieler Länder in der Welt zu verhängen, Gassanktionen davon ausgeschlossen haben. Es gibt also keine Gründe, aus denen diese Lieferung nicht stattfinden kann. Das zu demonstrieren, zu verstehen und zu zeigen, ist ein Grund, aus dem ich sehr dankbar dafür bin, dass ich das heute mit eigenen Augen ansehen konnte und auch für alle anderen dazu beitragen kann, dass hier nichts Mystisches zu betrachten ist. Es ist gewissermaßen klar und einfach. Die Turbine ist da. Sie kann geliefert werden. Es muss nur jemand sagen: „Ich möchte sie haben“, dann ist sie ganz schnell da. Das steht dann dem weiteren Transport des Gases durch die Pipeline nicht mehr entgegen.

Vielleicht sollte man dazusagen, dass wir erhebliche Pipelinekapazitäten verfügbar haben. Dazu gehören Nord Stream 1, die Pipeline, die aus der Ukraine kommt, und jedenfalls im Prinzip auch die Jamalpipeline durch Belarus und Polen, die Russland selbst sanktioniert hat. Aber auch diese ist ja da und funktioniert. Die Lieferverpflichtung gegenüber seinen europäischen Abnehmern, die Gazprom hat, können jederzeit erfüllt werden, und zwar uneingeschränkt. Alle vorgebrachten technischen Gründe sind auf einer Faktenbasis nicht nachvollziehbar. Das, denke ich, gehört auch zur Wahrheit dazu.

Für uns heißt das aber, dass wir sehr genau verstehen müssen, dass es nicht ausreicht, alles richtig zu machen, sondern dass man sich in der schwierigen Situation, die mit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine verbunden ist, immer darüber klar sein muss, dass es jederzeit irgendwelche vorgeschobenen, vorgebrachten Gründe geben kann, die dazu führen, dass irgendetwas nicht funktioniert. Technische Gründe haben dem Gasexport auch in andere Länder Europas angeblich schon entgegengestanden. Auch dort waren sie genauso wenig nachvollziehbar.

Für uns aber bedeutet das, dass wir uns darauf einstellen müssen, dass selbst dann, wenn es mit dem Transport jetzt funktionieren sollte, wenn der Gastransport durch die Nord-Stream-1-Pipeline wieder gut funktionieren sollte, es unverändert so sein wird, dass es jederzeit neu losgehen kann. Darauf haben wir uns sehr früh vorbereitet, und wir haben sehr früh die notwendigen Entscheidungen getroffen. Bereits im Dezember des vergangenen Jahres habe ich das Wirtschaftsministerium und die Verantwortlichen bei mir im Kanzleramt darum gebeten, sich mit der Frage zu beschäftigen, was passiert, wenn wir kein Gas mehr bekommen. Als dann im Februar der Krieg begann, waren wir in der Lage, alle notwendigen Entscheidungen schnell auf den Weg zu bringen, die eine komplette Kehrtwende gegenüber den bisherigen Umgangsweisen mit der Gasversorgung aus Russland bedeutet haben.

Die erste Entscheidung war: Wir machen uns unabhängig, sodass wir, jedenfalls was die Infrastrukturen betrifft, jederzeit in der Lage sind, Gas auch anderswo zu bestellen und von anderswo zu importieren, nicht nur über die westeuropäischen Häfen in den Niederlanden, in Belgien und Frankreich, oder auch aus Großbritannien, sondern eben auch über eigene Flüssiggasterminals an den norddeutschen Küsten. Wir haben Sondergesetze beschlossen, die uns jetzt in die Lage versetzen werden, dass die ersten Terminals wahrscheinlich zum Beginn des nächsten Jahres zu laufen anfangen werden, einige etwas später, sodass wir, was die Infrastruktur betrifft, relativ schnell Importkapazitäten haben werden, die uns in die Lage versetzen, jederzeit, wenn auch möglicherweise zu hohen Preisen, Gas von anderswo zu bestellen und auch zu importieren. Das geschieht gerade mit großem Tempo.

Die zweite Entscheidung, die wir getroffen haben, war, dass wir dafür Sorge tragen, dass die Speicher in Deutschland gefüllt sind. Dieses Thema hat mich sehr umgetrieben, und wir haben es gelöst, und zwar mit einem Gesetz, das wir auf den Weg gebracht haben und das Speicherverpflichtungen vorgesehen hat. Denn es war doch bemerkenswert, dass teilweise sogar aus diesen Speichern in andere Länder geliefert wurde, zum Beispiel nach Polen, statt die Möglichkeiten der nach Polen führenden Gaspipeline zu nutzen. Das musste man richtig verstehen, und wir haben es richtig verstanden, indem wir die Entscheidung getroffen haben. Es gibt Gesetze und Verordnungen, die vorschreiben, dass die Speicher gefüllt werden müssen. Dort, wo die Betreiber der Speicher dies nicht tun, tun wir es mit unseren eigenen Möglichkeiten über die dafür Verantwortlichen. Das geschieht gegenwärtig. Sie wissen, dass wir die Anforderungen noch einmal verschärft haben, sodass wir jetzt einen Füllstand der Speicher haben, wie er in den vergangenen Jahren zu diesem Zeitpunkt nicht existiert hat und wie er ohne dieses Gesetz nicht wäre.

Die dritte Entscheidung, die wir getroffen haben, ist die, dass wir gesagt haben: Wir wollen Gas sparen, insbesondere bei der Stromproduktion, und werden deshalb Kohlekraftwerke wieder in Betrieb nehmen, die schon vom Netz gegangen waren. Das erste, das haben Sie gerade gemeldet, ist jetzt wieder marktbereit und liefert Strom für das Netz. Wir werden weitere sehen, die das auch tun. Das alles dient der Vorbereitung auf eine schwierige Zeit.

Die vierte Maßnahme, die wir zur Vorbereitung auf schwierige Zeiten treffen, ist die, dass wir dafür Sorge tragen, dass wir alle da, wo es geht, Gas sparen. Ich bekomme aus vielen Unternehmen in Deutschland jetzt jeden Tag Rückmeldungen, wie Entscheidungen zur Reduktion des eigenen Gasverbrauchs getroffen werden. Darunter sind auch Entscheidungen, die wahrscheinlich auch nach der gegenwärtigen schwierigen Situation Bestand haben werden, weil es in vielen Fällen auch einfach Geld spart, wenn man etwas klüger und anders damit umgeht. Jedenfalls werden viele solcher Entscheidungen überall getroffen. Ich merke auch von vielen Bürgerinnen und Bürgern, dass sie sich selbst bereits vorbereiten. Wir haben mit einigen Maßnahmen, die wir angekündigt und vorbereitet haben, auch unseren Beitrag dafür geleistet, dass wir so viel Sicherheit schaffen, indem wir auch selbst alle miteinander sparen, was möglich ist, ohne dass es zu erheblichen Beeinträchtigungen unserer Lebensqualität und unserer Wirtschaftsentwicklung kommt.

Die fünfte Maßnahme, die dazugehört, ist die, dass wir sehr früh entschieden haben, dass es auch Entlastungen für die Bürgerinnen und Bürger geben muss. Zwei Pakete von insgesamt 30 Milliarden Euro sind bereits auf den Weg gebracht worden. Viele der Maßnahmen wirken bereits. Einige kommen jetzt, und zwar gerade jetzt, da die Preise steigen. Dazu zählt zum Beispiel, dass wir über 20 Milliarden Euro an Belastungen vom Strompreis heruntergenommen haben, indem seit Mitte dieses Jahres die EEG-Umlage nicht mehr erhoben wird mit der Folge, dass der Strompreis entsprechend entlastet ist. Dazu zählten die populär diskutierten Maßnahmen mit dem Neuneuroticket und dem Rabatt an den Tankstellen, den wir möglich gemacht haben. Dazu zählt, dass wir wirtschaftliche Entlastungen auf den Weg gebracht haben, indem wir den Arbeitnehmerpauschbetrag und den Grundfreibetrag für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer angehoben haben. Wir haben dazu beigetragen, dass es Zahlungen an Familien mit wenig Geld gibt: 20 Euro mehr jeden Monat seit Juli. Das Gleiche gilt für eine Eimalzahlung in Höhe von 100 Euro für alle Kinder. Wir zahlen den Grundsicherungsempfängern 200 Euro. Im nächsten Monat werden alle Bürgerinnen und Bürger, die bei ihrem Arbeitseinkommen auf der Lohnabrechnung nachschauen, sehen, dass es eine Entscheidung gegeben hat, mit einer Energiepreispauschale dazu beizutragen, dass es eine steuerliche Entlastung gibt, die wirksam wird, also quasi zur richtigen Zeit, wenn man diese Maßnahmen mit im Blick hat. Das alles soll dabei helfen, dass wir durch die schwierige Situation kommen.

Wir werden weitere Maßnahmen ergreifen, gerade da, wo es im Geldbeutel knapp ist, weil viele Bürgerinnen und Bürger ja keine Rücklagen haben aufbauen können. Deshalb haben wir entschieden, das Wohngeld substanziell auszubauen und zu verbessern und auch die Reform der Grundsicherung zum 1. Januar 2023 auf den Weg zu bringen. Das sind zwei Maßnahmen, die durch diese schwierige Situation helfen sollen und die wir auf alle Fälle wichtig finden, damit alle eine Möglichkeit haben, die schwierige Zeit durchzustehen.

Jetzt ist ein Moment, in dem wir als Land zusammenstehen müssen. Aber es ist auch ein Moment, in dem wir zeigen können, wozu wir in der Lage sind. Dass wir so früh und so rechtzeitig, beginnend mit Dezember des vergangenen Jahres, mit den Vorbereitungen Anfang dieses Jahres und mit den Entscheidungen seit dem Kriegsausbruch, vorgegangen sind und so früh gehandelt haben, hilft uns jetzt in dieser schwierigen Situation.

Hier, an einem Ort, an dem wir eine wirklich große technologische Leistung bewundern dürfen, können wir nur sagen: Unseren Beitrag dazu, dass die Energielieferungen, die Gaslieferungen nach Europa ungehindert stattfinden können, werden wir gern leisten. Es gibt keine technischen Gründe, die dem entgegenstehen. Das kann man hier vor Ort ganz genau besichtigen. Diese Turbine funktioniert.

Frage: Es klingt alles wunderbar, wie Sie das erklären. Aber Herr Schröder hat heute die Schuld noch nach Deutschland geschoben. Ihr Parteigenosse hat gesagt, es liege jetzt an Deutschland. Jetzt haben wir gerade gehört, das klingt hier anders. Aber ist es nicht besonders perfide, dass der Kanzler, der uns in diese politische Abhängigkeit geführt hat ‑ ‑ ‑ Herr Habeck sagt das ja auch. Über Jahrzehnte hat die SPD uns mit dem russischen Gas in diese politische Abhängigkeit geführt. Das, was Sie gerade erzählen, klingt ja ganz anders.

Was sagen Sie denn zu diesen Vorwürfen?

BK Scholz: Zunächst einmal: Deutschland hat über viele, viele Jahrzehnte Gas aus Russland importiert mit sehr vielen, sehr unterschiedlichen Regierungen, auch in den letzten 16 Jahren der Regierungen von Frau Merkel, an denen die SPD in der Tat auch häufiger beteiligt war. In diesen letzten 16 Jahren hat sich an dieser Importstruktur nichts geändert.

Ich selbst habe mich sehr früh, und übrigens auch von manchen dafür sehr heftig kritisiert, dafür eingesetzt, dass wir unsere Infrastrukturen ausbauen und dafür Sorge tragen, dass es Flüssiggasterminals an den norddeutschen Küsten gibt. Das habe ich schon getan, als ich noch Bürgermeister in Hamburg war, und das habe ich als Finanzminister und Vizekanzler fortgesetzt, zur Empörung mancher. Gut wäre es gewesen, wenn wir den Bau dieser Flüssiggasterminals bereits damals gestartet hätten. Denn dann wären sie jetzt bereits fertig, und wir könnten sie ohne Sondergesetze in Betrieb nehmen.

Die Informationen sind aber sehr eindeutig. Es gibt keine technischen Gründe für die Reduktion der Gaslieferung durch Nord Stream 1. Es gibt funktionierende Turbinen. Hier steht eine. Der Austausch dieser Turbinen kann weiter im klassischen Routinerhythmus stattfinden, wie das in den letzten Jahren auch immer der Fall war. Es müsste nur Gazprom als derjenige, der sie zu bekommen hat, sagen „Ich möchte die Turbine auch haben“. Da es keine rechtlichen Gründe gibt, die dem Export aus Deutschland, aus Europa entgegenstehen, wäre es schön, es gäbe auch keine rechtlichen Einwände mehr, die dem Import nach Russland entgegenstehen.

Wir können ja schlecht sagen, wir fahren sie irgendwo in den Hafen, zum Beispiel von Sankt Petersburg, laden sie auf der Kaikante ab und sagen „Da ist das Teil“, sondern es wäre schon gut, wenn das auf geordnete Weise funktionierte und man sagt: An der Stelle hätten wir sie gerne. Da soll sie auf den Lastwagen, und dann geht es an den Bestimmungsort. Es gibt keine Gründe, die dagegen sprechen.

Frage: Man hat nicht nur den Eindruck, dass diese Turbine ein Stück Technik ist, sondern inzwischen auch ein großes Politikum. Herr Habeck hat mehrfach gesagt, er glaube, dass die Russen die Turbine gar nicht zurückhaben wollen. Ist das auch Ihr Eindruck?

Zweitens. Machen Sie nun die Turbine zur Chefsache?

BK Scholz: Das ist eine Sache von Ingenieuren und Ingenieurinnen, vielen Arbeiterinnen und Arbeitern, die dafür sorgen, dass diese Turbine gebaut wurde und dass sie stets gewartet und gepflegt wird. Sie alle sagen: Das Ding ist perfekt. Sein Einbau kann sofort durchgeführt werden.

Um diese Debatte zu entmystifizieren, habe ich mir gedacht, dass es vielleicht ganz sinnvoll wäre, wenn wir – ich und Sie ‑ sie uns einmal gemeinsam anschauen, damit man sieht: Es gibt sie wirklich; sie steht hier; sie ist einsatzbereit. Es ist übrigens in der Welt, in der wir heute leben, etwas ganz Einfaches, sie zu transportieren. Es muss nur einer sagen: Bitte schickt sie los!

Zusatzfrage: Glauben Sie, dass die Russen sie zurückhaben wollen?

BK Scholz: Spekulationen in dieser Sache machen keinen Sinn. Klarheit, Festigkeit ist erforderlich, dass wir uns nämlich nicht von diesen Spekulationen abhängig machen. Deshalb habe ich schon sehr früh entschieden, dass wir alle notwendigen Entscheidungen treffen, um mit jeder Entwicklung der Situation umgehen zu können. Denn es wäre ganz falsch, wenn wir einfach nur hoffen, dass sich andere an die Verträge, an die Vereinbarungen halten, die sie lange geschlossen haben, sondern wir müssen davon ausgehen, dass das nicht mehr so sicher ist.

Russland hat über Jahrzehnte noch aus den Zeiten des Kalten Krieges die Botschaft übersandt: Egal, was los ist: Es wird immer geliefert. Deshalb spricht so wenig dafür, jetzt die Turbine nicht in Empfang zu nehmen und die Gaslieferung durch Nord Stream 1 oder die anderen Pipelines, die aktiv im Betrieb sein könnten – zum Beispiel durch Polen oder durch die Ukraine, die besser genutzt werden könnten – nicht durchzuführen. Es ist, glaube ich, für Russlands Zukunft auch eine schwierige Botschaft, wenn in der Welt Zweifel entstehen, dass man sich auf die Vereinbarungen, die das Land abgeschlossen hat, sicher verlassen kann.

Frage: Putin hat angeboten, doch die Pipeline Nord Stream 2 zu nutzen. Bürgermeister aus Ostdeutschland schlagen das auch schon vor. Ist es für Sie vorstellbar, dass Nord Stream 2 genutzt wird, um über diesen oder die nächsten Winter zu kommen?

BK Scholz: Wir haben den Genehmigungsprozess aus guten Gründen beendet. Ich glaube, wir sollten uns auch immer mal wieder ein bisschen besinnen und die Wirklichkeit betrachten. Es gibt genügend Kapazitäten in Bezug auf Nord Stream 1. Es gibt überhaupt keinen Mangel an Möglichkeiten, alle Verträge, die Russland geschlossen hat, für ganz Europa mit Hilfe dieser Pipeline und der auch noch im Betrieb befindlichen Ukraine-Pipeline zu erfüllen.

Wir dürfen nicht vergessen: Es gibt ja sogar eine Pipeline, die existiert und seit Jahrzehnten in Betrieb war. Diese geht durch Belarus und Polen. Russland selbst hat entschieden, diese Pipeline zu sanktionieren, „whatever this means“. Deshalb sage ich ausdrücklich: Das hat alles keinen vernünftigen Sinn. Trotzdem müssen wir uns mit dieser Situation auseinandersetzen und deshalb also ein Beitrag zur Offenheit, Klarheit und Transparenz. Die Maschine ist hier für alle gewissermaßen nicht zum Anfassen, aber zum Anschauen da. Jeder kann mit seiner Kamera so genau auf sie halten, wie er möchte, um zu verstehen: Die ist wirklich vorhanden und funktioniert.

Das Zweite ist, dass wir uns immer klarmachen: Egal, was los ist. Wir müssen damit rechnen, dass Verträge möglicherweise nicht beachtet werden. Darauf haben wir uns sehr, sehr sorgfältig vorbereitet und werden das auch weiter tun.

Frage: Wir sind im Ruhrgebiet. Das ist mit Steinkohlekraftwerken gepflastert, bei denen in der Regel ein Block in der Reserve oder derzeit nicht im Betrieb ist. Im Rheinland sieht es bei den Braunkohlekraftwerken genauso aus. Wenn wir hier auf das Ruhrgebiet schauen, haben offensichtlich bestimmte Betreiber gar nicht so viel Lust, die wieder in Betrieb zu nehmen. Wenn ich Sie aber richtig verstehe, muss man davon ausgehen, dass es aus mangelndem russischen Willen nicht mehr als 20 Prozent Gas geben wird, vielleicht sogar nichts. Werden Sie im Zweifel die Betreiber gesetzlich zwingen, alle möglichen Reserven wieder ans Netz zu bringen, was die Kohlekraftwerke angeht, um Gas und auch Strom zu ersetzen?

BK Scholz: Wir haben zunächst einmal dazu beigetragen, dass diese Kraftwerke wieder ans Netz gehen können und sie ihren Strom, den sie produzieren, dem Markt anbieten können, und zwar vorrangig vor Gaskraftwerken. Genau das ist auch die Zielsetzung, die wir damit verbinden. Wir haben jetzt mit der Industrie einen sehr intensiven Gesprächsfaden, was die Inbetriebnahme dieser Kraftwerke betrifft. Wir gehen davon aus, dass sehr viele davon wieder ihren Betrieb aufnehmen werden und sind aktuell dabei, das gemeinsam mit den Unternehmen zu identifizieren. Das wäre auch ein wichtiger Beitrag.

Übrigens gilt das auch im Hinblick auf die Braunkohlekraftwerke, die in den nächsten beiden Jahren vom Netz gehen sollen. Auch dort macht es zum gegenwärtigen Zeitpunkt keinen Sinn, wenn das jetzt passieren würde, weil wir uns ja gemeinsam durch die Zeit durchkämpfen müssen, die wir jetzt in diesem Winter und vielleicht noch dem nächsten Winter vor uns haben, wo wir die Zeit brauchen, um die Importstrukturen für Gas technisch neu zu bauen. Ein großer Teil wird, wie gesagt, Anfang nächsten Jahres fertig sein, ein anderer Teil etwas später. Aber dann werden wir technisch in der Lage sein, alles Gas, das wir benötigen, auch aus anderen Quellen nach Deutschland zu importieren. Das wird die Sicherheit unseres Landes dramatisch erhöhen.

Frage: Ich hätte eine Frage zum Thema „Gespräche mit Gazprom“. Gibt es aktuell überhaupt Gespräche? Gibt es konstruktive Gespräche? Wie kann man diese derzeitige Situation mit dem Vertragspartner überhaupt bezeichnen?

Die zweite Frage: Herr Bruch, wie lange können Sie diese Turbine hier eigentlich lagern, ohne dass sie noch einmal neu gewartet werden muss? ‑ Danke schön.

BK Scholz: Herr Bruch beantwortet Ihnen beide Fragen.

Dr. Bruch: Es gibt nach wie vor einen Dialog mit Gazprom. Es gibt nach wie vor noch die Klärung der Thematiken, was denn nun eigentlich fehlt oder nicht fehlt. Es gibt einen Dialog, aber keine Einigkeit.

Die Maschine ist nicht in Betrieb und wird nicht verschlissen. Das ist nicht das Problem. Sie kann hier unbeschadet stehen. Aber wir wollen sie natürlich deswegen so schnell wie möglich auf den Standort kriegen, weil der Austausch ansteht. Ich hatte ja eben gesagt, dass sie für September 2022 zum Austausch geplant war. Das wollen wir auch umsetzen. Es gibt ein genau baugleiches Ersatzteil, das da ist, das man jetzt schon einbauen könnte. Das macht die Gazprom aber üblicherweise nur dann, wenn sie sieht, dass das nächste Ersatzteil schon wieder im Zulauf ist. Das ist jetzt die Diskussion, die wir führen. Im Moment haben wir aus unserer Sicht alles vorbereitet, was geht, und versuchen, das der Gazprom auch tagtäglich klarzumachen.

Frage: Herr Bundeskanzler, Sie haben betont, wie wichtig es ist, jetzt Gas in der Stromerzeugung einzusparen. Was signalisieren Sie dann europäischen Nachbarstaaten, die Deutschland dringend darum bitten, die letzten Atomkraftwerke länger am Netz zu halten?

BK Scholz: Wir haben uns, wie Sie wissen, mehrere Stresstests vorgenommen. Einer ist schon durchgeführt. Wir haben einen sehr, sehr strengen Stresstest, was die Situation bei der Stromproduktion in Deutschland angeht, in Auftrag gegeben, der jetzt noch nicht zu Ende ist, aber bald beendet sein wird und aus dem wir dann unsere Schlüsse ziehen.

Wie Sie wissen, ist es so, dass wir gegenwärtig unseren Beitrag dazu leisten, Länder, die Atomenergie haben, mit Strom zu versorgen, weil die Kraftwerke dort nicht laufen. Das ist natürlich in dieser angespannten Situation nicht ganz einfach, aber aus meiner Sicht ein richtiger Beitrag europäischer Solidarität, den wir von Deutschland aus leisten, damit nicht jetzt schon in einigen anderen Ländern die Mangellage durchschlägt, weil gewissermaßen nicht Ersatzstrom aus Deutschland kommt.

Was die Energieversorgung in Deutschland betrifft, sind, wie jeder weiß, die drei letzten Atomkraftwerke ausschließlich für die Stromproduktion relevant, und zwar nur für einen kleinen Teil davon. Aber trotzdem kann das Sinn machen. Denn der Ausbaustand, was die erneuerbaren Energien betrifft, ist in Deutschland in den einzelnen Bundesländern sehr unterschiedlich. Sie wissen, dass das insbesondere in Bayern mit dem Ausbau der Windenergie sehr langsam vorangegangen ist. Es ist auch so, dass der Ausbau der Stromleitungskapazitäten, des Übertragungsnetzes in den Süden nicht so schnell vorangegangen ist, wie das geplant war. Das sind Situationen, die wir neben diesen ganzen anderen Fragen des Stresstests berücksichtigen müssen.

Aber für uns gibt es eine ganz klare Entscheidung: Wir werden für ganz Deutschland handeln. Wir werden alle Regionen Deutschlands bestmöglich unterstützen, damit die Energieversorgung aller Bürgerinnen und Bürger in Deutschland und aller Unternehmen so gut es geht gewährleistet werden kann. Wie ich eben berichtet habe, sind wir an dieser Frage schon sehr lange dran. Wir haben zum Beispiel sehr dafür gesorgt, dass mit Gesetzen, die wir auf den Weg gebracht haben, die Gasspeicher überall in Deutschland, auch im Süden, gefüllt werden. Wir haben uns sogar um Gasspeicher gekümmert, die in unserem Nachbarland Österreich da sind und verhandeln intensiv mit der österreichischen Regierung über eine Lösung, die es für uns möglich macht, dort zu speichern. Einen Teil davon tun wir jetzt bereits. Das ist durch all die Maßnahmen möglich geworden, die wir ergriffen haben. Wir wollen gerne weitere ergreifen.

Wir kümmern uns also darum, dass wir rechtzeitig alles tun, was notwendig ist. Seitdem ich Bundeskanzler bin, haben wir dafür gesorgt, dass die Frage „Was passiert eigentlich, wenn wir eine Gasmangellage haben?“ auf der Agenda der deutschen Politik erscheint. Ich will Ihnen gerne sagen: Als ich die eben berichtete Nachfrage im Dezember gestellt habe, konnte niemand die Frage „Was ist, wenn kein Gas geliefert wird?“ ordnungsgemäß beantworten. Das hat mich ehrlicherweise sehr nachhaltig beeindruckt und dazu beigetragen, dass ich noch mehr Tempo in die Frage hineingebracht habe, sodass wir, bevor der Krieg ausbrach, schon im Januar und Februar viele Sitzungen hatten, um die notwendigen Entscheidungen vorzubereiten. Ich habe eben von ihnen berichtet. Wir waren schon sehr früh im Gange, uns genau auf eine schwierige Situation, wie es sie jetzt gibt, vorzubereiten und nicht nur darüber zu reden, sondern wir haben wir viele weitreichende, mit Praktiken der Vergangenheit brechende Entscheidungen getroffen.

Frage: Inwiefern ist dieses Treffen heute nicht nur ein Zeichen Richtung Russland, sondern vielleicht auch als ein Zeichen Richtung Kanada, die ja diese Turbine jetzt nach Deutschland geliefert haben, auf die Sie eingewirkt haben, wo wir Verärgerung wahrnehmen? Sie haben ja erst neulich einem kanadischen Magazin ein Interview gegeben. Inwiefern ist dieses Treffen heute auch ein Zeichen Richtung Kanada?

BK Scholz: Ich bin der kanadischen Regierung und Premierminister Trudeau ausgesprochen dankbar für die große Bereitschaft, Europa zu helfen und den Export dieser gewarteten Turbine zu ermöglichen. Das hat jetzt dazu beigetragen, dass wir hier diesen Moment haben. Es ist offensichtlich, dass nichts, aber auch wirklich gar nichts dem Weitertransport dieser Turbine und ihrem Einbau in Russland entgegensteht. Sie kann jederzeit transportiert und genutzt werden. Die Reduzierung der Gaslieferung über Nord Stream 1, die Nichterfüllung der Gaslieferungsverträge hat keinerlei technische Gründe. Das ist jetzt offensichtlich. Um das klarzumachen, hat die kanadische Regierung einen wirklich großen und weitreichenden Beitrag geleistet. Ich bin sehr dankbar und werde das, wenn ich in Kürze in Kanada sein werde, noch einmal gegenüber der dortigen Öffentlichkeit zum Ausdruck bringen. Das, was Premierminister Trudeau dort gezeigt hat, war wirkliche Leadership.