Pressekonferenz von Bundeskanzler Scholz und Ministerpräsident Rutte nach den 4. deutsch-niederländischen Regierungskonsultationen am 27. März 2023

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(Die Protokollierung des fremdsprachlichen Teils erfolgte anhand der Simultandolmetschung)

MP Rutte: Guten Abend! Herzlichen Dank, dass Sie sich hier für die niederländisch-deutschen Regierungskonsultationen eingefunden haben. Vor allem möchte ich Herrn Olaf Scholz und seine deutschen Kolleginnen und Kollegen, das deutsche Kabinett, begrüßen und Ihnen dafür danken, dass sie sich hier eingefunden haben. Das sind eigentlich immer gute Gespräche, die wir miteinander führen.

 Wir haben gerade miteinander unter vier Augen gesprochen. Die Delegation hat miteinander gesprochen und wir setzen das gleich im Plenum fort mit fast 20 Ministerinnen und Ministern von niederländischer und deutscher Seite. Warum machen wir das? Wir tun das, weil unsere Länder sehr viel mehr teilen als nur eine gemeinsame Grenze. Wir arbeiten in vielen Bereichen zusammen. Ein Tag wie der heutige ermöglicht es auch festzustellen, wo diese Zusammenarbeit steht und wie wir damit weitermachen können.

Der Ort, an dem wir uns jetzt befinden, passt perfekt dazu, nämlich das Kunstdepot des Museums Boijmans van Beuningen. Das Museum wird renoviert und dieses Depot ist das größte Museumsdepot weltweit, das für die Öffentlichkeit zugänglich ist. Überall in diesem Gebäude können Sie durch Glasfenster in die Depots blicken. Man sieht, wie die Kunst ins Depot kommt, wie die Restauratoren arbeiten und wie die Objekte für ihren weiteren Weg vorbereitet werden. Das heißt also, das Depot ist ein Gebäude, in dem gearbeitet wird. Das ist genau das, was wir heute auch machen.

Wir sprachen hier natürlich zuerst über den schrecklichen russischen Aggressionskrieg gegen die Ukraine. Wir werden die Ukraine auch weiter gegen die russische Aggression verteidigen. Darin sind wir uns vollkommen einig. Wir sind uns vollkommen einig, die Ukraine mit Waffen und Munition zu unterstützen, aber auch darin, die anderen Themen aufzugreifen, wie zum Beispiel die schrecklichen Entführungen der ukrainischen Kinder seitens Russlands. Auch da arbeiten unsere beiden Länder und die Außenminister miteinander. Das machen wir zum Beispiel über die Uno und die OSZE. Wichtig ist auch, dass wir gemeinsam helfen, so viele Informationen wie möglich dazu zu bekommen, nicht nur über die Kindesentführungen, sondern über den russischen Aggressionskrieg gegen die Ukraine, sodass die Verantwortlichen vor Gericht gebracht werden können.

Wir begrüßen daher, dass das internationale Zentrum für die Verfolgung von Aggressionsverbrechen nach Den Haag kommt, und wir prüfen die Gründung eines Tribunals, sodass Russland für dieses Verbrechen auch verfolgt werden kann. Das sind alles Schritte, auch in Bezug auf die Rechenschaftspflicht, in unserer Antwort auf die russische Aggression. Ich freue mich, dass wir, Deutschland und Niederlande, wirklich gemeinsam daran arbeiten. Gemeinsam senden wir weiterhin eine klare europäische Botschaft aus. Wir unterstützen die Ukraine in allen Bereichen, und das tun wir, solange es nötig ist.

Außerdem bauen wir an mehreren Themen weiter, die in der vorigen Woche am Donnerstag und Freitag im Europäischen Rat in Brüssel besprochen wurden, so zum Beispiel Wettbewerbsfähigkeit. Wir werden beim Abendessen weiter darüber sprechen und dabei die Fragen erörtern: Wie halten wir unsere Wirtschaft und Industrie wettbewerbsfähig, auch angesichts unserer grünen Ambitionen? Wie sorgen wir in diesen Zeiten der geopolitischen Spannungen dafür, bei wichtigen Rohstoffen weniger abhängig von Drittländern zu sein? Wie sorgen wir dafür, dass wir hier in Europa ein „Level Playing Field“, ein gleiches Spielfeld, behalten? Wie sorgen wir dafür, dass wir unseren Binnenmarkt als Basis stärken und unnötigen regulatorischen Druck auf Unternehmen vermeiden? Das ist ein Kampf, den Olaf Scholz in Europa und in Deutschland führt. Ich hoffe, das in den Niederlanden zu machen.

Den Kampf gegen „Permitting“ gibt es zwar, aber die wichtigen Verfahren, wie zum Beispiel die Vergrünung der Wirtschaft, müssen beschleunigt werden. Auch die grüne Energieproduktion muss beschleunigt werden. Diese Diskussion ist eigentlich unter allen Mitgliedstaaten aktuell. Deshalb ist es so wichtig, an den Vorschlägen der Europäischen Kommission zusammenzuarbeiten.

An der grünen Wende arbeiten wir seit Jahren zusammen. Wir haben auch Klimakabinette abgehalten, weil das wirklich die einzige Möglichkeit ist, Nachhaltigkeit als Lösung beizubehalten. Natürlich muss die Wettbewerbssituation aufrechterhalten bleiben, und wir wollen den Klimawandel bekämpfen.

Die Niederlande und Deutschland arbeiten als Nachbarn, aber auch als Länder der Nordsee bei Windrädern und Wasserstoff zusammen. Wie sorgen wir dafür, dass wir gemeinsam daran arbeiten, ein grüner Motor Europas zu werden? Im April wird in Oostende, also in Belgien, ein gemeinsamer sogenannter Windgipfel stattfinden - das ist die Fortsetzung des Windgipfels in Dänemark -, da werden wir diese Themen weiter besprechen.

Natürlich werden wir noch viel mehr Themen besprechen. Unsere Kolleginnen und Kollegen sprechen gerade jetzt miteinander. Danach werden wir unter der Führung von Olaf Scholz und mir über viele Themen sprechen, über Sicherheit, Verteidigung, Handel, gemeinsame Infrastruktur. Das zeigt eigentlich, dass die Zusammenarbeit in einer tiefen Freundschaft wurzelt, die es schon seit langem gibt. Gleichzeitig ist es auch sehr praktisch, dass wir auf allen Gebieten, wo wir gemeinsam Probleme lösen können, das auch tun. Ich muss sagen: Ich freue mich wirklich, dass wir das heute machen, an diesem wirklich schönen und besonderen Ort hier in Rotterdam.

Ich danke noch einmal Olaf Scholz und seinen Kolleginnen und Kollegen für ihre Anwesenheit und dass sie hergekommen sind. Wir haben gerade erst angefangen und sprechen dann beim Abendessen weiter. Bitte sehr, Olaf, Du hast das Wort!

BK Scholz: Sehr geehrter Herr Ministerpräsident, lieber Mark! Erst einmal möchte ich mich ganz herzlich bei dir für den freundlichen Empfang hier in Rotterdam bedanken. Die vierten deutsch-niederländischen Regierungskonsultationen haben mich hierhergeführt. Wie du weißt, ist es für mich und für einen Hamburger ganz besonders, eine befreundete Hafenstadt zu besuchen.

Deutschland und die Niederlande sind enge Partner und gute Freunde - zumindest, solange wir nicht gegeneinander Fußball spielen, danach wieder. Unsere bilateralen Beziehungen könnten gar nicht enger sein, als sie schon sind. Unsere Wirtschaft, unsere Gesellschaft, ja selbst unsere Streitkräfte sind zum Nutzen unserer beiden Länder miteinander verflochten.

Im Zentrum unserer Gespräche stehen heute die Themen Sicherheit und Verteidigung, die Stärkung Europas und die Zukunftsfähigkeit unserer Wirtschaft und Gesellschaft.         Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine ist eine Zeitenwende. So habe ich das genannt. Es ist gut, dass wir eng abgestimmt handeln und im Gleichklang agieren. Wir stehen an der Seite der Ukraine, die wir politisch, finanziell, aber auch mit Waffenlieferungen und ganz besonders mit der militärischen Ausbildung unterstützen, die unsere beiden Länder leisten. Deutschland und die Niederlande haben gemeinsam Panzerhaubitzen und Munition geliefert und bereiten gerade zusammen mit Dänemark die Lieferung von Leopard-1-Kampfpanzern vor, um die Ukraine auch auf diese Weise neben all den anderen zu unterstützen, die wir liefern – auch den sehr modernen, die wir gerade jetzt ausgeliefert haben.

Wir haben auch darüber gesprochen, wie wir im Rahmen der Nato unsere eigene Sicherheit stärken. Der Nato-Gipfel in Vilnius im Juli wird dabei eine weitere wichtige Wegmarke sein. Dort werden wir über die Frage von Abschreckung genauso sprechen wie über die Steigerung unserer Verteidigungsfähigkeit und darüber, dass der Beitritt von Finnland und Schweden für die Sicherheit des euroatlantischen Raums ein großer Gewinn sein wird. Ich hoffe, dass wir beide Länder dann in der Nato begrüßen können.

Gerade in unsicheren Zeiten wie diesen bin ich froh darüber, wie eng unsere Länder auch militärisch zusammenarbeiten.                   Die weitreichende gegenseitige Integration unserer Streitkräfte ist einzigartig in Europa. In drei Tagen werden wir die vollständige Integration aller drei niederländischen Heeresbrigaden in Strukturen der Bundeswehr abschließen. Das ist ein Meilenstein und ein Ansporn, die gegenseitige Verschränkung unserer militärischen Strukturen und unsere Rüstungskooperation fortzusetzen und auch weiter zu intensivieren.

Mark und ich haben uns auch intensiv darüber ausgetauscht, wie die Europäische Union zu einem Akteur werden kann, der geopolitisch noch handlungsfähiger ist, als wir das heute wahrnehmen können. Wir sind uns einig: Die Europäische Union soll nach außen und nach innen stärker werden. Dafür braucht es mehr Entscheidungen mit qualifizierter Mehrheit. Nur so kann eine Europäische Union mit weiteren Mitgliedern handlungsfähig bleiben.

Ein weiteres Thema unseres Austauschs war natürlich auch die Frage der Migration, gerade der Fluchtmigration. Steigende Ankunftszahlen verdeutlichen die Notwendigkeit eines solidarischen und krisenfesten Asylsystems in Europa. Dafür gilt es, die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems rasch abzuschließen.

Auch der Kampf gegen den Klimawandel hat uns beschäftigt. Entschlossen gehen wir den Weg zur Klimaneutralität und bewahren gleichzeitig unsere industrielle Basis als Grundlage für den Wohlstand unserer Länder. Die EU-Kommission hat mit dem Industrieplan für den „Green Deal“ eine Grundlage für die weitere Diskussion vorgelegt.

Die Transformation muss finanziert werden. Deshalb ist es auch zentral, dass wir die Kapitalmarktunion weiter vertiefen. Das ist ganz wichtig, denn wenn wir unsere Kräfte bündeln, auch die privatwirtschaftlichen Kräfte, dann führt das dazu, dass wir auch mehr Wachstum generieren und schaffen können. Der Binnenmarkt ist dafür von zentraler Bedeutung.

Was wir auch brauchen, ist ein flexibleres und zielgerichtetes Reglement im Bereich der EU-Beihilfe. Deutschland und die Niederlande wollen noch enger in den Bereichen Energie, Industrie, Innovation und Infrastruktur kooperieren. Darüber werden wir gleich mit den Ministerinnen und Ministern unserer Regierungen detailliert sprechen.

Ich möchte mich bei der Gelegenheit für die Hilfe bedanken, die wir im vergangenen Jahr durch die Niederlande erfahren haben.       In Reaktion auf den russischen Überfall auf die Ukraine haben wir unsere Gasversorgung vollständig von Ost nach West umgestellt. All dies wäre ohne die umfangreiche Unterstützung unserer niederländischen Freunde nicht möglich gewesen. Ich sage deshalb auch an dieser Stelle: Danke für die Solidarität!

Ein weiterer wichtiger Schritt zur Stärkung unserer Energiesicherheit ist die erste Einigung, die wir heute in unseren Gesprächen zur Übernahme der deutschen TenneT-Tochter gefunden haben. Dabei ist wichtig, dass das auch künftig mit einer engen Zusammenarbeit im Bereich des Netzes verbunden ist.

Wir wollen außerdem unsere Zusammenarbeit in Bezug auf Offshore-Wind in der Nordsee und beim Aufbau der Wasserstoffinfrastruktur ausbauen.

Man sieht also an all diesen Dingen, lieber Mark, dass die Palette unserer gemeinsamen Themen lang ist. Danke für die Unterstützung, auch die politische Unterstützung, für die Gastfreundschaft und für die Einladung in dieses beeindruckende Museumsgebäude. Es ist im Übrigen ein ganz wichtiges Gebäude. Ich habe mich schon immer gefragt: Wer guckt sich eigentlich die Werke, die man nie sieht, an? Dass man hinter die Kulissen gucken und sehen kann, wie gearbeitet wird, ist etwas ganz Besonderes und schafft, wie ich finde, einen ganz offenen und unbefangenen Zugang zu Kunst und Kultur, was wir als offene humanistische Gesellschaften unbedingt brauchen. In diesem Sinne werden wir, glaube ich, von diesem Ort auch für unseren weiteren Austausch beflügelt werden, den wir heute haben werden.

Frage: Ich möchte eine Frage zum Thema TenneT stellen, das der Bundeskanzler eben angesprochen hat. Können Sie ein bisschen ausführen, wie die genauen Vereinbarungen aussehen, die Sie eben erwähnt haben?

Offenbar gibt es ja Meinungsverschiedenheiten, was den Preis angeht. Herr Ministerpräsident, sind 30 Milliarden Euro nicht zu viel, wenn man den riesigen Investitionsbedarf aniseht?

Herr Bundeskanzler, wären Sie, wenn man sich nicht über den Preis einigt, damit einverstanden, auf eine Komplettübernahme zu verzichten und eine Teilübernahme anzustreben?

Eine zusätzliche Frage zur Verteidigung: Wären die Niederlande bereit und daran interessiert, einem deutsch-norwegische Waffenprojekt und auch Unterseeprojekten beizutreten?

MP Rutte: Ich beginne mit der Frage zu TenneT. Gemeinsam mit TenneT und Deutschland prüfen wir, ob und unter welchen Bedingungen es möglich wäre, zu einem Verkauf an den deutschen Staat zu gelangen. Gerade wegen des großen Kapitalbedarfs bei TenneT, aber auch wegen der Tatsache, dass man auf deutscher Seite - und das verstehe ich sehr gut - danach strebt, mehr Einfluss auf die Beschleunigung der Energiewende zu bekommen. Für das niederländische Kabinett gilt, dass wir das verstehen und mitdenken. Natürlich überlegen wir uns, wie wir das so machen können, dass TenneT Niederlande - das ist sehr wichtig - seine Aktivitäten fortsetzen kann.

Zweitens: Wie sorgen wir dafür, dass alle Synergievorteile, die es durch die Zusammenarbeit jetzt gibt, beibehalten werden können? - Ich glaube, dass das geht, auch wenn TenneT Deutschland getrennt wäre.

Natürlich suchen wir einen marktkonformen Preis. Ich will jetzt nicht darüber spekulieren, wie hoch er sein soll, aber ich schließe auch nicht aus, dass Olaf Scholz und ich noch einmal miteinander darüber sprechen werden.

Zur norwegisch-deutschen Zusammenarbeit: All diese Kooperationsverbände prüfen wir immer und überlegen uns, ob es sinnvoll und nützlich ist, sich ihnen anzuschließen oder dabei mitzumachen. Es gibt viele solcher Verbände. Eine vollständige Integration unserer Heere, der Landmacht von Deutschland und den Niederlanden, ja, wir stehen dem offen gegenüber.

BK Scholz: Schönen Dank für die Frage. Ich habe den Ausführungen des Ministerpräsidenten wenig hinzuzufügen. Das findet jetzt sehr professionell statt, muss es auch. Die Teams, die daran arbeiten, tun dies mit großem Know-how, wie es zu geschehen hat, wenn solche großen ökonomischen Transaktionen im Raum stehen.

Wichtig ist das, was der Ministerpräsident, was Mark hier auch gesagt hat. Wir wollen erstens sicherstellen, dass die sehr guten Synergieeffekte, die sich mit den Niederlanden durch die Kooperation mit der deutschen TenneT ergeben haben, nicht verloren gehen, sondern eher noch verstärkt werden. Das ist ja sehr gut möglich.

Zweitens wollen wir, dass der Netzausbau in Deutschland mit der Geschwindigkeit vorangeht, die wir dazu benötigen. Vielleicht kann man das hier sagen: Die jetzt geplanten Netzübertragungskapazitäten müssen schneller fertig werden, als sie heute gedacht sind, damit wir unser Ziel erreichen können, 2030 80 Prozent des Stroms in Deutschland mit erneuerbaren Energien beliefern zu können. - Das bedeutet, dass Milliarden Euro, und zwar zig Milliarden Euro, in das Stromnetz investiert werden müssen. Gerade erst haben die Netzbetreiber ihre Vorstellungen für das Zielnetz 2045 veröffentlicht, wenn wir eine komplett CO2-neutrale und deshalb auch viel elektrifiziertere Industrie und Mobilität haben werden, als es heute der Fall ist, also auch noch mehr Strom benötigen, als wir gegenwärtig produzieren und diesen dann mehr oder weniger komplett aus erneuerbaren Energien. Das sind wirklich große, milliardenschwere Investitionen, die jetzt gestemmt werden müssen. Das geht nur, wenn das in einem guten ökonomischen Umfeld aufgestellt ist und wenn das jetzt auch mit rechtlichen und ökonomischen Aktivitäten unterlegt wird. Deshalb sind wir sehr froh über die Zusammenarbeit in diesem Bereich.

Frage: Sie sprachen über die Ukraine. Die Ukraine hat noch eine große Bitte auf dem Tisch zu liegen, und zwar die Lieferung von Kampfflugzeugen. Russland scheint immer einen Schritt weiterzugehen. Verschiedene Länder liefern schon Flugzeuge. Das Vereinigte Königreich hat auch angeboten, Piloten zu schulen. Auch darüber haben Sie heute vielleicht gesprochen.

Jetzt frage ich mich: Was ist eigentlich die Antwort an Selensky? Inwiefern werden die Niederlande und Deutschland dabei gemeinsam vorgehen?

MP Rutte: Leider muss ich dabei immer vorsichtig sein. Denn erst, wenn es Beschlüsse gibt, kann man etwas darüber sagen. Auch in der Vergangenheit, als wir beschlossen hatten, bestimmte Waffensysteme zu liefern, haben wir erst im Nachhinein darüber gesprochen, weil wir keine Spekulationen im Vorfeld haben wollen.

Für die Niederlande gilt - das habe ich schon gesagt -: Wir schließen nichts aus. Es gibt keine Tabus. Wir sprechen intensiv mit unseren Partnern. Aber es gibt noch keine Beschlüsse oder Entscheidungen über Schulungen und über Kampfflugzeuge. Dieses Thema muss natürlich immer auch mit Partnern, mit Deutschland und auch anderen, besprochen werden. Aber es gibt noch keine Entscheidungen. Diese Gespräche laufen zurzeit. Wie sie ausgehen, darüber kann man erst dann etwas sagen, wenn es so weit ist.

BK Scholz: Schönen Dank für die Frage. Wie Sie wissen ist Deutschland in Kontinentaleuropa der größte Unterstützer der Ukraine, finanziell und humanitär, aber eben auch mit Waffen. Wir haben sehr wirksame und sehr weit reichende Waffen geliefert, mit der Panzerhaubitze, die wir gemeinsam geliefert haben, mit Mehrfachraketenwerfern, mit den verschiedenen Schützen- und Kampfpanzern, zuletzt dem Leoparden, mit der notwendigen Ausstattung für Luftverteidigung, indem wir zum Beispiel den Flakpanzer Gepard und schultergestützte Systeme geliefert haben, indem wir mit IRIS-T eines der modernsten und vielleicht das modernste Luftverteidigungssystem, das gegenwärtig verfügbar ist, zur Verfügung gestellt haben, mit Patriot-Raketen. Wenn man sich umschaut, dann sieht man, dass die Antwort auf die Frage, was von all dem, was wir jetzt schon getan haben, gebraucht wird, ist: Vor allem mehr.

Das ist das, was wir jetzt zur Verfügung stellen. Wir bemühen uns, zusammen mit unseren europäischen Partnern zum Beispiel die Munitionsproduktion so auszuweiten, dass wir diese ganzen Waffen auch regelmäßig bestücken können. Wir bemühen uns, dafür zu sorgen, dass es überall Reparatureinrichtungen gibt, in Polen, in der Slowakei, in Rumänien, damit die im Krieg ja stark genutzten Waffen auch tatsächlich schnell repariert werden können. Auch das gehört zu der Arbeit, die wir gegenwärtig leisten, neben einer sehr umfassenden Ausbildung ukrainischer Soldatinnen und Soldaten. Darauf konzentrieren wir uns und nicht auf Debatten, die nicht anstehen.

Frage: Herr Bundeskanzler, erlauben Sie eine innenpolitische Frage, weil uns das alle doch sehr beschäftigt hat.

MP Rutte: Ich werde die natürlich beantworten.

BK Scholz: Ja, danke!

Frage: Sie bekommen auch noch Ihren Teil der Frage, Herr Premierminister! - Herr Bundeskanzler, es hat uns sehr beschäftigt: Sie haben jetzt 20 Stunden im Koalitionsausschuss verhandelt, aber die Ampel hatte eigentlich gesagt, dass es keine Nachtsitzungen mehr geben sollte. Was bedeutet dieser Sinneswandel denn jetzt, was sagt das über den Zustand der Koalition? Vielleicht verraten Sie uns auch noch, ob Sie eigentlich durchgearbeitet haben oder ob Sie die Möglichkeit hatten, zwischendurch wenigstens einmal die Augen zuzumachen?

Herr Ministerpräsident, Sie haben ja auch eine komplizierte Koalition, und ich habe gehört, dass auch Sie morgen mit Ihren Koalitionspartnern ein schwieriges Gespräch haben werden. Können Sie uns vielleicht erzählen, ob Sie darüber mit dem Bundeskanzler geplaudert haben und ob sie für ihn vielleicht auch ein bisschen Rat haben, wie man sich in einer solchen Situation verhalten sollte?

BK Scholz: Schönen Dank für diese Frage! Nein, ich habe nicht schlafen können, und es geht mir, wie man sieht, ganz gut. Ich freue mich auf den netten Abend, den wir zusammen haben werden, dann werde ich zurückkehren und morgen geht es weiter mit den Koalitionsgesprächen. Das ist ja doch auch ein sehr netter Punkt der Unterbrechung - zum einen, weil er lange vorbereitet war und wir zu Freunden fahren, aber zum anderen waren viele der Ministerinnen und Minister, die mich begleiten, ja auch bei den Gesprächen in der Koalition dabei. Das heißt, ich bin nicht der Einzige, der in dieser Zeit so intensiv daran gearbeitet hat, die Modernisierung in Deutschland voranzubringen.

Das ist ja das, worum es geht: Wir wollen sehr klare, konkrete Festlegungen treffen, die es möglich machen, dass wir das notwendige Tempo erreichen. Dabei geht es um die Fragen, die wir eben diskutiert haben: Wie schaffen wir es, dass wir unsere Stromübertragungsnetze schnell und zügig ausbauen und am Ende irgendwann hunderte Milliarden Euro - nicht jedes Jahr, aber doch über die ganze Strecke - für ein viel leistungsfähigeres Netz investiert haben werden, als es heute existiert? Wie schaffen wir es, dass der Ausbau der erneuerbaren Energien vorankommt und 80 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Quellen kommen? Wie schaffen wir es, dass das auch für viele andere Dinge geht? Wie können wir unsere Verkehrsinfrastruktur ausbauen? Das sind alles Fragen, die zu einem modernen Land dazugehören, und die gemeinsame Überzeugung der Regierung ist, dass die gesetzlichen Regeln, die wir über die letzten Jahrzehnte allmählich zusammengeschraubt haben, nicht zu der Geschwindigkeit passen, die wir heute benötigen. Deshalb müssen wir das ändern, damit wir Tempo machen und damit wir die neue Deutschlandgeschwindigkeit, wie ich bei der Eröffnung des LNG-Terminals in Wilhelmshaven gesagt habe, jetzt auch auf viele andere Bereiche der Modernisierung unserer Volkswirtschaft übertragen.

Wie gesagt, das ist eine nette Zwischenzeit, die wir jetzt hier bei unseren Freunden in den Niederlanden haben. Im Hinblick auf Ihre Frage möchte ich noch sagen: Ich habe schon an vielen nächtlichen Koalitionssitzungen teilgenommen. Bei der Bildung der Regierung und auch früherer Regierungen ging es oft durch die Nacht, und ich habe das auch in den Koalitionsausschüssen der früheren Regierung gemacht. Ich erinnere mich gerade: Bei einem ähnlichen Thema wie dem, das wir hier jetzt verhandelt haben, nämlich dem Klimaschutzprogramm, das die alte Regierung erarbeitet hatte, waren wir, glaube ich, erst am nächsten Tag vor der Presse. Ich weiß gar nicht, ob es am späten Vormittag oder doch erst um 13, 14 Uhr war, das habe ich schon vergessen; aber das hatte jedenfalls früher begonnen, wenn ich es richtig im Kopf habe, und hat noch länger gedauert. Insofern gehört das dazu, und ich finde, es ist dann auch eine gemeinsame Erfahrung, wenn man eng miteinander zusammen ist. Davon erzählt man sich dann auch lange.

MP Rutte: In den Niederlanden haben wir eine Arbeitsschutzbehörde, aber ich glaube, Politiker genießen da eine Ausnahmesituation, und das ist gut und auch unvermeidlich. In Brüssel beim Europäischen Rat - nicht letztes Mal, sondern beim vorherigen Europäischen Rat im Februar - haben wir schon bis 4 Uhr gearbeitet, und am nächsten Tag ging es für mich weiter. Im August hatten wir hier Budgetverhandlungen, die sehr lange gedauert haben. So etwas ist bei komplexen Koalitionsverhältnissen einfach unvermeidlich. Deutschland hat jetzt eine Ampelkoalition aus drei Parteien, wir haben seit 2017 vier Parteien in der Koalition; da sind solche Gespräche notwendig. In den Niederlanden geht es dabei um die gleichen Themen - die große Wende beim Klima, die Sicherheit, das Unterrichtswesen, die Frage der Infrastruktur; all diese großen gesellschaftlichen Themen - und damit verbunden um die Frage: Wie soll das gehen?

In den Niederlanden hatten wir auch noch Wahlen in den Provinzstaaten, und das führt dazu, dass man in diesem doch kleinen Land sehr unterschiedlich denkt, wenn es darum geht, wie die Menschen Teil des großen Ganzen, des gesellschaftlichen Ganzen sind. Wie Sie wissen, war ich heute Vormittag in Groningen in einem Erdbebengebiet, um über die Schäden zu sprechen, und natürlich spricht man dann auch über andere Themen, zum Beispiel über den öffentlichen Nahverkehr in der Provinz und den Zugang zu Schulen. Dann merkt man, dass die Modelle, die wir hier haben, um Gelder zu verteilen, eigentlich nicht damit rechnen, dass es auch Gebiete gibt, in denen auf einer größeren Fläche weniger Menschen wohnen, die aber auch diese wichtigen Einrichtungen nutzen wollen. Das ist natürlich nicht die einzige Antwort der Wahlergebnisse, aber es ist ein Aspekt, den wir auch prüfen müssen, und darüber werden wir morgen weiter sprechen.

Frage: Herr Bundeskanzler, Sie sprachen über Waffenlieferungen und die Hilfe an die Ukraine. Können Sie die Berichte bestätigen, dass 18 Leopard-2-Panzer, die von Deutschland versprochen wurden, geliefert werden?

Herr Ministerpräsident Rutte, eine Frage zu dem Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs, der für Wladimir Putin ausgestellt wurde: Wir haben ja gehört, dass Herr Medwedew vorgeschlagen hat, Den Haag mit Atomwaffen zu belegen. Was ist Ihre Reaktion dazu?

BK Scholz: Ihre Frage beantworte ich folgendermaßen: Ja, wir liefern wie angekündigt.

MP Rutte: Herr Medwedew hat Einiges gesagt. Auch Putin hat etwas zu taktischen Kernwaffen in Weißrussland gesagt. Wir finden es unverantwortlich, so etwas zu sagen, und auch gefährlich. Diese russische nukleare Rhetorik ist leider nicht neu, die gibt es bereits seit April vorigen Jahres. Auch die Drohung, Kernwaffen in Weißrussland zu platzieren, ist nicht neu; denn es gab ja bereits eine Verfassungsänderung in Weißrussland, um das zu ermöglichen - ich wusste nicht einmal, dass sie eine Verfassung haben.

Natürlich behalten wir die Situation gemeinsam mit unseren Nato-Verbündeten sehr scharf im Auge. Russland weiß natürlich, dass die Konsequenzen enorm wären, wenn sie diese Waffen verwenden würden. Auch der amerikanische Sicherheitsberater hat das im vorigen Jahr schon gesagt. Es ist eigentlich Rhetorik, dabei möchte ich es belassen - es ist genau das, was es ist, nämlich Rhetorik.

Vielen Herzlichen Dank!