Pressekonferenz von Bundeskanzler Scholz und dem Präsidenten der Ukraine, Selensky am 14. Februar 2022 in Kiew

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P Selensky: Sehr geehrter Herr Scholz, ich freue mich, Sie heute in Kiew zu Ihrem ersten Besuch in der Ukraine zu sehen. Deutschland ist ein wichtiger Partner der Ukraine bei der Unterstützung unserer EU-bezogenen Wünsche. Dazu ist es ein sehr wichtiger Partner, mit dem wir die Zusammenarbeit in allen Bereichen vertiefen möchten.

Heute waren im Rahmen unseres Gesprächs mit dem Herrn Bundeskanzler nach Brüssel die Fragen der Sicherheit und der friedlichen Prozesse das wichtigste Thema unserer Verhandlungen. Gerade in der Ukraine wird die Kunst der Architektur der europäischen Sicherheit gelöst. Wir haben über zentrale Ansätze in Hinsicht auf diesen wichtigen Prozess gesprochen. Die Architektur soll mit konkreten juristischen Garantien gefüllt werden, um die Ukraine schützen zu können. Wir teilen die Vision, dass die Eskalation an der russisch-ukrainischen Grenze eine präzedenzlose Herausforderung ist. Die Position unserer Partner und die Unterstützung der Ukraine sowie der Beitrag zur Stärkung der Ukraine sind ein Gewinn für die ganze Europäische Union.

Ich wiederhole, dass die Ukraine ein wichtiger Verbündeter der EU ist, und sie ist sehr wichtig für die Sicherheit in Europa. Deswegen ist heute eine verstärkte Unterstützung der Ukraine vonseiten unserer Partner ‑ eine Unterstützung der Sicherheit, der Wirtschaft und der Energie ‑ unheimlich wichtig. Gerade darüber haben wir heute mit Herrn Scholz gesprochen. Der Herr Bundeskanzler hat betont, dass Deutschland die Souveränität und Integrität der Ukraine sowie die international anerkannten Grenze der Ukraine und die Zusammenarbeit im Rahmen der Krim-Plattform, um die Annexion der Krim zu stoppen, unterstützt.

Wir haben über die letzten Schritte für die friedliche Lösung gesprochen, und wir haben zwei Verhandlungsrunden der politischen Berater im Rahmen des Normandie-Formats in Paris und in Berlin durchgeführt. Ich möchte den Beitrag von Deutschland und des Herrn Bundeskanzler hervorheben. Wir teilen unsere Ansätze zur friedlichen Lösung. Wir gehen davon aus, dass auch das Gipfeltreffen von Leadern der G4 stattfinden wird.

Morgen wird Herr Scholz in Moskau sein. Er wird die deutsche Position und auch die Position der transatlantischen Gemeinschaft vertreten, bei der die territoriale Integrität der Ukraine sehr wichtig ist. Für uns ist es sehr wichtig, dass der Bundeskanzler, bevor er nach Russland fliegt, Kiew besucht hat. Wir wissen diese Solidarität zu schätzen. Nur mit gemeinsamen Anstrengungen können wir einen Weg finden, um unser gemeinsames Haus zu verteidigen.

Wir haben über die Sanktionen gegen die Aggression gesprochen. Meine Position ist klar und bekannt. Ich gehe davon aus, dass die Anwendung von präventiven Signalen sehr wichtig ist. Für die Ukraine ist die Erwerbung von Waffen und Technik sehr wichtig. Ich habe auch darüber gesprochen.

Deutschland ist einer der prioritären Handelspartner in Europa. Wir stimmen zu, dass, strategisch gesehen, eines der zentralen Elemente für die Stabilität der Ukraine auch die deutschen Investitionen werden sollten. Diese sollten steigen. Deswegen würde ich vorschlagen: Wir werden noch weiter miteinander sprechen. Ich werde vorschlagen, das fünfte ukrainisch-deutsche Wirtschaftsforum durchzuführen. Das ist auch für die Vertiefung unserer Zusammenarbeit wichtig. Unserer Meinung nach ist auch die Organisation der deutsch-ukrainischen Regierungskonsultationen sehr wichtig. Dies wird eine neue Stufe in den Beziehungen unserer Staaten eröffnen.

Wir haben auch über die Herausforderungen gesprochen, die mit Nord Stream 2 zu tun haben. Da gibt es einige Unterschiede in unserer Bewertung. Ich habe betont, dass unsere Position nach wie vor bleibt: Nord Stream 2 eine Herausforderung für uns und für die ganze Region. Wir verstehen, dass dies eine geopolitische Waffe ist. Gerade deswegen braucht die Ukraine Energiegarantien. Ich habe vorgeschlagen, einen konkreten strategischen Dialog im Energiebereich einzuleiten, in dem Energiegarantien vorgestellt werden. Wichtig ist, dass Deutschland auch weiterhin als ein Garant des Gastransits auftritt.

Der Herr Kanzler hat gesagt, dass er die grüne Transformation, die Dekarbonisierung und die Entwicklung der erneuerbaren Energien in der Ukraine unterstützen wird. Unser Staat ist bereit, gute Perspektiven für die gemeinsame Entwicklung der grünen Energie anzubieten.

Wir rechnen mit der Unterstützung der Mitgliedschaft der Ukraine in der EU. Das könnte ein wichtiges Signal für uns und für viele Staaten sein. Ich danke Ihnen!

BK Scholz: Vielen Dank für den freundlichen Empfang, lieber Wolodymyr Selensky! Wir haben uns jetzt fast zwei Stunden lang zu zweit unterhalten. Das war wichtig und gut so. Es ist nicht das erste Gespräch, das wir miteinander führen; wir hatten in Brüssel schon die Gelegenheit, uns intensiv miteinander auszutauschen. Aber es ist gut, dass wir das hier vor Ort machen können. Deshalb freue ich mich ganz besonders, dass ich heute erstmals als Bundeskanzler hier in Kiew sein kann.

Es sind sehr ernste Zeiten, in denen ich die Ukraine besuche. Eine Botschaft ist mir ganz wichtig: Deutschland steht ganz eng an Ihrer Seite.

Mein Land ist von der Demokratiebewegung in der Ukraine beeindruckt und unterstützt sie auf dem europäischen Pfad, den die Ukraine seit 2014 verfolgt. Es ist mir ein großes Anliegen, die mutigen Frauen und Männer des Maidan, die für diesen Weg gekämpft und ihr Leben gelassen haben, gleich noch mit einem Besuch des Denkmals der Himmlischen Hundertschaft zu würdigen.

Deutschland unterstützt die Ukraine seit vielen Jahren mit Rat und Tat; darüber ist schon berichtet worden. Kein Land der Welt hat die Ukraine in den vergangenen acht Jahren finanziell so kräftig unterstützt wie die Bundesrepublik. Mit mehr als zwei Milliarden US-Dollar haben wir die ukrainische Wirtschaft widerstandsfähiger gegenüber ausländischer Einflussnahme gemacht und für ihre Selbstständigkeit und Resilienz gesorgt. Ich kann Ihnen versichern, dass wir diese Unterstützung mit gleicher Entschlossenheit fortsetzen werden. Deshalb freue ich mich, Ihnen heute die beschleunigte Auszahlung von 150 Millionen Euro aus dem laufenden Kredit sowie einen neuen ungebundenen Finanzkredit in Höhe von weiteren 150 Millionen Euro ankündigen zu können. Das ist im Übrigen in die Finanzhilfen der EU-Kommission in Höhe von weiteren 1,2 Milliarden Euro eingebettet. Knapp ein Viertel davon stammt aus Deutschland.

Zwischen unseren Ländern bestehen starke wirtschaftliche Beziehungen. Ich sage Ihnen klar zu: Wir halten an diesem Engagement in der Ukraine fest, auch dadurch, dass wir deutsche Unternehmen zu weiteren Investitionen ermutigen.

Auch in Sicherheitsfragen engagieren wir uns seit Jahren. So haben wir ukrainische Offiziere in Deutschland ausgebildet. Wir haben verwundete ukrainische Soldaten und Zivilisten in deutschen Krankenhäusern behandelt. Gerade erst in der vergangenen Woche haben wir mit einem mobilen Feldlazarett für ukrainische Streitkräfte, das wir gemeinsam mit Estland in Tallinn übergeben haben, einen wichtigen Beitrag geleistet.

Natürlich bemühen wir uns vor allem um eine diplomatische Lösung dieser schwierigen Situation. Zusammen mit Frankreich haben wir unsere Bemühungen im Normandie-Format in den vergangenen Wochen intensiviert. Es ist ein wichtiger Beitrag im Dialogprozess, dass diese Gespräche durch zwei Beratertreffen fortgesetzt wurden, zuletzt am Donnerstag vergangener Woche in Berlin. Es ist und bleibt ein schwieriger Prozess. Ich bin aber davon überzeugt: Diese Mühe und jede Mühe lohnt sich. ‑ Präsident Selensky und ich waren uns deswegen auch darin einig, dass das Normandie-Format neben den Gesprächen zwischen den USA und Russland, im NATO-Russland Rat sowie der OSZE ein bedeutendes Format für die Gespräche mit Russland darstellt. Der Präsident hat mir in unserem Gespräch noch einmal versichert, die Gesetzentwürfe zum Sonderstatus, zur Verfassungsänderung und zum Wahlrecht für die Gespräche im Minsker Format zur Verfügung zu stellen.

Wir sind uns einig in der großen Sorge angesichts der derzeitigen Lage an der russisch-ukrainischen Grenze. Die Militäraktivitäten Russlands an der ukrainischen Grenze sind für uns nicht nachvollziehbar. Es gibt keine vernünftigen Gründe für einen solchen militärischen Aufmarsch. Diese Aktivitäten sowie der Umgang mit den russischen Forderungen nach Sicherheitsgarantien waren deshalb zu Recht auch zentrale Themen unseres heutigen Gesprächs. Ich mache hier in Kiew noch einmal deutlich, dass die Souveränität und die territoriale Unversehrtheit der Ukraine für Deutschland nicht verhandelbar sind. Wir erwarten deshalb von Russland eindeutige Schritte zur Deeskalation der gegenwärtigen Spannungen. Für die Bundesregierung ist klar, dass eine weitere militärische Aggression gegen die Ukraine schwerwiegende politische, wirtschaftliche und geostrategische Konsequenzen für Russland zur Folge hätte. Das werde ich auch morgen in Moskau unterstreichen.

Ich danke der ukrainischen Regierung ausdrücklich für ihre besonnene und zurückhaltende Reaktion auf eine sehr schwierige und auch bedrohliche Situation, der sie seit vielen Wochen mit Augenmaß begegnet. Wir möchten die Ukraine ermutigen, diese verantwortungsvolle Politik fortzusetzen. Unser gemeinsames Ziel ist die Vermeidung einer Eskalation. Dafür arbeiten wir auf allen Ebenen sehr intensiv, eng und vertrauensvoll mit unseren Partnern und Verbündeten in der Europäischen Union und der NATO zusammen.

Wichtig sind aber ebenso direkte Gespräche, die geführt werden, und das ist auch einer der zentralen Gründe meiner Reise. Wir sind für einen ernsthaften Dialog mit Russland über Fragen europäischer Sicherheit bereit. Die NATO und die USA haben Russland konkrete Vorschläge gemacht, die wir unterstützen. Wir erwarten nun von Russland eine Reaktion, eine Antwort darauf. Wir sehen auch einen großen Nutzen in Gesprächen im Rahmen der OSZE als der Plattform, auf der alle betroffenen Staaten gleichberechtigt miteinander sprechen können, um Fragen der Sicherheit auf der Basis der anerkannten Grundsätze der europäischen Sicherheit zu lösen. Wir fordern Russland auf, die bestehenden Dialogangebote zu nutzen. Dabei werden wir immer für eine enge Abstimmung mit der Ukraine eintreten.

Vielleicht zum Schluss noch einmal ganz klar: Im Falle einer militärischen Eskalation sind wir zu sehr weitreichenden und effektiven Sanktionen in Abstimmung mit unseren Verbündeten bereit. ‑ Um es klar zu sagen: Wenn Russland die territoriale Integrität der Ukraine erneut verletzen sollte, wissen wir, was zu tun ist.

Frage: Herr Präsident, zunächst meine Frage an Sie: Ich möchte Ihre Meinung über die heutige Erklärung von Wadym Prystaiko, dem Botschafter der Ukraine in Großbritannien, hören, dass die Ukraine die Möglichkeit bewerten kann, dass die Ukraine kein NATO-Mitglied wird. Wir wollen, dass Sie etwas darüber sagen.

Eine Frage an Herrn Bundeskanzler: Deutschland ist mit den USA in der NATO und unterstützt mit der NATO die Ukraine. Ist Deutschland bereit, die Frage der NATO auszuschließen?

P Selensky: Vielen Dank für Ihre Frage. Wenn ich darf, werde ich beginnen. Ich beginne zunächst am Ende. Ich kann nicht alle Punkte auf jedes i setzen. Denn leider hängt nicht alles von der Ukraine ab. Der Wunsch der Ukraine in Bezug auf die EU-Mitgliedschaft, auf die Stärkung der Grenzen, auf die NATO, auf unsere Ambitionen, auf unsere Ansprüche ‑ Sie wissen all das ‑, das ist ein Wunsch unseres Staates. Es geht ein Krieg im Osten, und es ist klar: Wir wollen eine NATO-Mitgliedschaft. Das wäre eine Gewährleistung unserer Integrität und unserer Sicherheit, und das steht auch in der Verfassung unseres Landes. Aber wenn wir die Punkte auf jedes i setzen sollten, dann wäre es leicht, auf diese Frage zu antworten.

Was nun die heutige Erklärung unseres Botschafters angeht, so haben Sie recht. Die Antwort des Außenministers wurde bereits gesagt. Haben wir alle Botschafter Prystaiko richtig verstanden, oder haben wir ihn falsch verstanden? Schauen Sie, man sollte verstehen, was die Details bei dem sind, was er gesagt hat. Ich denke, heute haben viele Journalisten und viele politisch Verantwortliche in der Ukraine wirklich ein bisschen darauf angespielt, dass die Ukraine vielleicht kein Risiko eingehen sollte. Vielleicht sollte sie nicht so viel über die Mitgliedschaft in der NATO sprechen. Denn das hat mit der Reaktion der Russischen Föderation zu tun. Ich denke, wir sollten offen sein.

Aber auf jeden Fall hängt das Ganze, hängt die Entscheidung von uns ab. Der Weg ist aber eine Frage. Wie lange kann die Ukraine diesen Weg gehen? Mit wem soll sie diesen Weg zurücklegen? Wer ist unser Partner? Wer unterstützt uns auf diesem Wege? Vielleicht ist die Frage der offenen Tür für uns sozusagen doch eine Geschichte oder ein Traum. Niemand weiß, wann wir unser Ziel erreichen können.

Also: Ich glaube, dass wir uns auf den Weg bewegen sollten, den wir gewählt haben, und auf diesem Weg ist es wichtig, dass unsere Armee stark ist. Wohin dieser Weg führt und wann er dorthin führt, werden wir sehen.

BK Scholz: Wir haben jetzt eine sehr ernste Herausforderung gemeinsam zu bewältigen: Das ist die bedrohliche Situation an der ukrainischen Grenze. Da stehen sehr, sehr viele Soldaten Russlands und viel militärisches Gerät. Wir sehen das auch von der See aus und wir sehen das im Hinblick auf die Übungen, die in Belarus durchgeführt werden. Wenn wir das alles zusammen betrachten, dann gibt es jetzt eine zentrale Herausforderung, und die besteht darin, diese Situation zu deeskalieren und dafür zu sorgen, dass sich die Truppen wieder aus Belarus zurückziehen und die Übung dort beendet wird, ohne dass es zu einem Krieg gegen die Ukraine kommt. Das Gleiche gilt für die Grenze der Ukraine mit Russland. Deshalb ist das die herausragende Aufgabe, die wir jetzt haben.

Die Frage von Mitgliedschaften in Bündnissen steht ja praktisch gar nicht an. Deshalb ist es schon etwas eigenwillig zu beobachten, dass die russische Regierung etwas, das praktisch nicht auf der Tagesordnung steht, zum Gegenstand großer politischer Problematiken macht. Das ist doch die Herausforderung, vor der wir tatsächlich stehen: Dass etwas, um das es jetzt gar nicht geht, zum Thema gemacht wird. Klar, die Grundprinzipien von Helsinki, darunter das Prinzip der freien Bündniswahl, stehen nicht zur Disposition, und das ist auch etwas, was für uns ganz wichtig ist. Es gibt keine Interessensphären in Europa, über die andere Staaten beschließen können.

Aber trotzdem sollten wir hier die Realität betrachten, und die heißt eben: Es gibt einen Konflikt, den wir deeskalieren wollen. Das ist die Aufgabe der Stunde. Dazu dient das Normandie-Format, dazu dienen die Minsker Vereinbarungen, dazu dienen die Gespräche zwischen den USA und Russland, dazu dienen die Gespräche im Rahmen des NATO-Russland-Rates, dazu dienen die Gesprächsformate, die die OSZE bietet, und das ist die Aufgabe der Stunde.

Frage: Herr Präsident, Bundeskanzler Scholz hat gesagt, man werde wissen, was zu tun ist, sollte es eine Verletzung der territorialen Integrität der Ukraine geben, aber er hat nicht gesagt, was dann genau getan wird. Sind Sie mit dieser strategischen Ambiguität, wie der Bundeskanzler es nennt, zufrieden, oder sind Sie der Meinung, es müsste nun klar gesagt werden, wie Sanktionen aussehen können und ob diese Sanktionen auch Nord Stream 2 beinhalten sollten?

Herr Bundeskanzler, der Präsident hat eben gesagt, die NATO-Mitgliedschaft sei vielleicht ein Traum, und er hat von einer sehr langen Perspektive gesprochen. Sie haben eben auch gesagt, das stehe nicht auf der Tagesordnung. Ist das etwas, von dem Sie glauben, dass das Präsident Putin überzeugen könnte? Ist es eine Botschaft, die Sie nach Moskau mitnehmen, dass anerkannt wird, dass die NATO-Mitgliedschaft der Ukraine auf mittlere oder längere Perspektive nicht ansteht?

P Selensky: Zunächst zur NATO-Mitgliedschaft: Wir haben diese Frage heute angesprochen und es gab auch Zitate unseres Botschafters. Von uns gibt es aber kein Signal, dass die NATO-Mitgliedschaft nicht auf der Tagesordnung steht. Diese Frage ist also nicht aktuell. Dieses Signal kommt nicht von uns, sondern von den Leadern anderer Staaten.

Nun zur Sanktionspolitik. Ich glaube, darüber haben nicht nur wir mit Herrn Scholz gesprochen. Ich habe keine Antwort darauf, welche Sanktionen ergriffen werden, wenn es zur Eskalation kommt. Ich möchte aber sagen, dass diese Antwort nicht nur der Herr Bundeskanzler gegeben hat. In diesen letzten Monaten habe ich keine konkrete Antwort bekommen. Deswegen kann ich Ihnen keine weiteren Informationen gewähren.

BK Scholz: Es ist in der Tat so, dass wir sehr intensiv daran arbeiten, ein Sanktionspaket vorzubereiten. Wir sind jederzeit handlungsfähig; das ist sehr sorgfältig besprochen mit unseren Freunden in den Vereinigten Staaten, dem amerikanischen Präsidenten und seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Im Rahmen der Europäischen Union diskutieren wir sehr intensiv, und wir sind zu jedem Tag in der Lage, die notwendigen Entscheidungen zu treffen. Ich glaube, das hat sich auch herumgesprochen, weil sowohl ich als auch viele andere in allen Gesprächen, die wir bisher geführt haben, in Richtung Russland immer klar gemacht haben, dass das so sein wird.

Deshalb sollte niemand an der Entschlossenheit und an der Vorbereitetheit der EU und der NATO ‑ von Deutschland und den USA zum Beispiel ‑ zweifeln im Hinblick auf das, was zu tun ist, wenn es zu einer militärischen Aggression gegen die Ukraine kommt. Wir werden dann handeln und es werden sehr weitreichende Maßnahmen sein, die erheblichen Einfluss auf die ökonomischen Entwicklungsmöglichkeiten Russlands hätten.

Jetzt geht es aber darum, genau das zu verhindern, indem wir dafür Sorge tragen, dass es zu einer Deeskalation der Situation kommt. Deshalb war auch unser Gespräch heute noch einmal sehr wertvoll. Wir sind schon in die Details und in die einzelnen Fragen hineingegangen, etwa wenn ich sage, dass die entsprechenden Gesetzentwürfe vorgelegt werden, die wir für die Fortsetzung des Minsker Prozesses brauchen ‑ ein guter Vorgang, der dazu beiträgt, dass es keine Vorwände geben kann bei der notwendigen Strategie, aus der jetzt verfahrenen Situation herauszukommen. Da leistet die Ukraine einen ganz wichtigen Beitrag, für den ich sehr, sehr dankbar bin.

Deshalb noch einmal: Wir haben uns da entsprechend vorbereitet und sind entschieden.

Frage: Herr Präsident, die Botschaft hat erklärt, dass ihre Vertretungen aus Kiew in die westlichen Städte übersiedeln werden. 30 Charterflüge mit berühmten Politikern, Oppositionspolitikern oder ihren Angehörigen haben die Ukraine verlassen. Frage: Wo ist Ihre Familie heute? Was ist Ihre Einstellung zu solchen Übersiedlungen von Diplomaten?

P Selensky: Ich beginne mit dem angenehmen Teil: Meine Familie ist immer bei mir. Ohne Pathos: Sie ist immer mit der Ukraine. Meine Ehefrau ist nicht nur Ehefrau. Sie soll mit ihrem Beispiel zeigen, wie sich die Familien verhalten sollen. Das ist keine Pflicht für alle anderen Familien, die Sie erwähnt haben. Ich glaube aber, es ist grundsätzlich und wichtig für den Staat und die Gesellschaft, die Ukraine zu unterstützen, denn wir sind Ukrainer. Wir sind Bürger der Ukraine. Ich glaube, wir leben politisch, diplomatisch und unternehmerisch in einer großen Zeit.

Gestern waren es 30 Charterflüge. Das heißt, wir sind ein reiches Land. Herr Scholz sagt: Wir sollen in die Ukraine investieren. - Schauen Sie mal: 30 Charterflugzeuge. Die Hauptsache ist, dass sie nicht leer waren, dass sie etwas mitgenommen haben. Den Bürgern, die dableiben, möchte ich danken. In erster Linie möchte ich auf diesem Wege noch einmal den Diplomaten danken. Das ist ein sehr wichtiger Zeitpunkt. Dieser Weg geht nicht in Richtung der Europäischen Union. Das ist ein Weg in die Zukunft. Es ist wichtig zu sehen, wer mit dir auf diesem Weg ist.

Ein großer Fehler ist, dass einige Botschaften in die westliche Ukraine umziehen. Es gibt keine westliche Ukraine. Es gibt eine einzige Ukraine. Man darf nicht sagen: Ich fliehe vor der Eskalation auf unseren guten Straßen fünf Stunden weiter. ‑ Das ist nicht nur eine formelle Sache. Aber das ist ihre Wahl. Ich würde mich auf unser Management, auf das Management unseres Staates, auf die Menschen konzentrieren, die heute zum Teil im Ausland sind. Sie wissen, was einige Abgeordnete des Parlaments für Menschen sind. Ich glaube, dass das eine Herausforderung ist. Ich glaube, wir sollten ihnen ein Signal geben (akustisch unverständlich) Ich persönlich möchte Sie bitten, dass Sie im Laufe von 24 Stunden doch in die Ukraine zurückkehren.

Noch einmal: Wir leben in einer schweren Zeit. Ich glaube, sie müssen zurückkommen, denn sonst sollten wir als Staat auch Schlussfolgerungen ziehen. Glauben Sie mir, wir werden diese Schlussfolgerungen ziehen. Man darf nicht sagen: Wir sind Patrioten und dann fahren sie nach Lwiw oder nach Warschau oder nach Tschechien. Ich glaube, das ist ungerecht. Denn das sind sie Patrioten eines anderen Staates.

Genauso glaube ich, dass ein großes Problem in Bezug auf die Oligarchen ist, dass wir als Staat nicht Einfluss auf die Unternehmer nehmen können. Ich glaube aber, sie haben bereits ihre Wahl getroffen. Ich bin der Meinung, dass sie in ihre Unternehmen zurückkehren sollten zu den Menschen, die für den Staat, aber auch für sie arbeiten. Aber sie haben diese Wahl getroffen. Das sind ja keine einfachen Menschen. Wir sprechen über die Menschen aus dem Industriebusiness. Sie haben an der Privatisierung teilgenommen. Das heißt, sie haben etwas von dem Staat bekommen. Das ist meine Einstellung dazu. Die Menschen, die wir nicht brauchen, gehen weg.

Frage: Herr Selensky, gleich im Anschluss daran die Frage: Auch das Auswärtige Amt der Bundesrepublik Deutschland hat die deutschen Bürger möglichst zur Ausreise aufgefordert und hat zudem auch sein Konsulat nach Lwiw, also in den Westen der Ukraine, verlegt. Fällt Deutschland der Ukraine damit in den Rücken oder ist es angesichts der bedrohlichen Lage angemessen?

Vielleicht noch eine Frage an Sie, Herr Scholz. Die Ukraine hat ja nun mehrfach betont, dass sie sozusagen auf Waffenlieferungen aus Deutschland hofft. Sie haben mehrfach entgegnet, dass Deutschland keine Waffen in Krisengebiete liefern wird. Inwiefern prüfen Sie denn, die Ukraine jetzt in der konkreten Situation mit Rüstungsgütern unterhalb der Grenze scharfer Waffen zu unterstützen?

P Selensky: In dieser Periode gibt es wirklich viele Fragen, die wir aus verschiedenen Perspektiven sehen. Aber ich bin ein offener Mensch. Wenn jemand abtransportiert oder verlegt wurde, so weiß ich nichts davon. Ich sehe die deutsche Botschafterin in der Ukraine. Ich glaube, sie ist nicht nur da, weil Herr Scholz da ist. Wir treffen uns oft. Ich habe eigentlich keine Fragen. Das ist ihr Recht, das Recht ihres Landes. Aber wenn Sie mich fragen würden: Ich habe keine Fragen an die deutsche Botschafterin. Danke für die Unterstützung.

BK Scholz: Ich grüße die deutsche Botschafterin auch. In der Tat ein großartiges Engagement und ein Zeichen der Verbundenheit, die wir als Deutsche mit der Ukraine pflegen. Ich habe das bereits ausgeführt.

Ansonsten ist es so, dass sie in Bezug auf Krisengebiete die deutsche Gesetzgebung für den Export von Waffen kennen. In dem Rahmen – ich habe vorhin darauf Bezug genommen – haben wir ja sehr viel Hilfe geleistet. Ich will das noch einmal wiederholen, damit es nicht untergeht: Deutschland ist der größte finanzielle Unterstützer der Ukraine. Und wir werden das auch bleiben.

Was die Frage der einzelnen Möglichkeiten betrifft, so prüfen wir alles, was wir gefragt werden, immer wieder neu. Das wird auch in der Zukunft so sein. Wenn wir die Prüfungen abgeschlossen haben, können wir dazu auch etwas sagen.