Pressekonferenz von Bundeskanzler Scholz und dem Ministerpräsidenten des Staates Israel Lapid am 12. September 2022 in Berlin

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BK Scholz: Sehr geehrter Herr Premierminister Lapid, lieber Jair, willkommen in Berlin! Ich freue mich über deinen Besuch bei uns und über das vertrauensvolle Gespräch, das wir eben schon miteinander geführt haben. Seit unserem letzten Treffen Anfang März in Jerusalem hat sich Einiges verändert ‑ nicht zuletzt dein Wechsel ins Amt des Ministerpräsidenten.

Wir erleben in diesen Tagen ja einen wunderbaren Reigen deutsch-israelischer Begegnungen. Vor gerade einmal einer Woche war Präsident Herzog auf Deutschlandbesuch ‑ jetzt du. Diese Dichte an Begegnungen zeigt: Wir sind enge Verbündete, strategische Partner, wir sind Freunde. Das sagen zu können, ist für einen deutschen Bundeskanzler alles andere als eine Selbstverständlichkeit ‑ es ist ein kostbares Geschenk, für das wir sehr dankbar sind.

Das Menschheitsverbrechen der Shoah werden wir nie vergessen. Das Gedenken an den millionenfachen Mord an den Jüdinnen und Juden Europas ist eine immerwährende Verpflichtung für uns. Es ist unsere Verantwortung, Lehren aus der Vergangenheit zu ziehen und uns jeder Form von Antisemitismus entgegenzustellen. Wir sind dankbar, dass es hier in Deutschland wieder eine lebendige jüdische Gemeinschaft gibt. Es ist mir und der gesamten Bundesregierung ein zentrales Anliegen, jüdisches Leben zu stärken und zu fördern.

Bei meinem Besuch in Israel im März vereinbarten der damalige Premierminister Bennett und ich einen strategischen Dialog zwischen unseren Ländern. Es ist gut, dass wir seitdem weitere Schritte zum Ausbau unserer strategischen Partnerschaft unternehmen konnten. Vor ein paar Tagen haben sich unsere Spitzenbeamten in Jerusalem für den ersten interministeriellen strategischen Dialog getroffen. Wir bauen unsere Freundschaft und Partnerschaft weiter aus.

Am Sonntag erst haben unsere Länder ein Memorandum of Understanding zur Gründung eines deutsch-israelischen Jugendwerks unterzeichnet. Das Jugendwerk soll den Austausch zwischen den jungen Menschen aus unseren beiden Ländern intensivieren ‑ eine Investition in die guten Beziehungen zwischen Deutschland und Israel.

Meine Damen und Herren, der russische Überfall auf die Ukraine hat uns eben natürlich auch beschäftigt. Wir sind uns einig, dass dieser eklatante Bruch des Völkerrechts inakzeptabel ist. Das Töten in der Ukraine muss ein Ende haben. Deutschland, Europa, Israel: Wir alle stehen eng an der Seite der Ukraine in dieser schweren Zeit.

Die Folgen des russischen Angriffskriegs schlagen sich auch massiv in steigenden Energie- und Nahrungsmittelpreisen nieder, überall. Mit gemeinsamen Anstrengungen versuchen wir, die Auswirkungen dieser Kriegsfolgen zu dämpfen. Meine Regierung hat gerade umfangreiche Hilfen vereinbart, damit die Bürgerinnen und Bürger heil durch diese Zeit kommen. In der Europäischen Union diskutieren wir ebenfalls über gemeinsame Beschlüsse, um die Energiepreise weiter zu verringern.

Die russische Aggression hat eine Zeitenwende eingeleitet, auch für unsere Verteidigung. Ich habe ein Sondervermögen auf den Weg gebracht, das 100 Milliarden Euro umfasst ‑ für Investitionen in die Sicherheit Deutschlands und unserer Nachbarn. Dabei wollen wir auch sehr gerne mit Israel zusammenarbeiten, etwa im Bereich der Luftverteidigung, wo Israel mit dem Arrow-3-System über ein sehr leistungsfähiges Angebot verfügt.

Ein weiteres wichtiges Thema unseres Gesprächs war der Nahost-Friedensprozess. Unsere grundsätzliche Haltung ist bekannt: Eine nachhaltige Lösung kann nur in einer Zweistaatenlösung liegen. Diese Lösung müssen beide Seiten miteinander aushandeln. Um erneute Eskalationen zu vermeiden, ist es wichtig, dass es zu spürbaren Fortschritten in diesem zugegebenermaßen schwierigen Prozess und zur Verbesserung der Lebensbedingungen der Palästinenser kommt. Alle Seiten sind aufgerufen, von einseitigen Maßnahmen Abstand zu nehmen. Die Forderung an die palästinensische Führung ist klar: Sie muss ihrer Verantwortung für den Aufbau eines friedlichen und demokratischen Palästinas endlich nachkommen. Natürlich wünsche ich auch von Israel, dass nicht einseitig Fakten geschaffen werden.

Das dritte Thema war Deutschlands Nuklearabkommen mit dem Iran. Wir sind uns mit Israel einig: Der Iran darf keine Atomwaffen erlangen. Dafür ist nach unserer Überzeugung eine funktionierende internationale Vereinbarung zur Beschränkung und Kontrolle des iranischen Nuklearprogramms der richtige Weg. Ich bedaure, dass der Iran bisher nicht zu einer positiven Antwort auf die Vorschläge des europäischen Koordinators gelangt ist.

Meine Damen und Herren, die bilateralen Wirtschaftsbeziehungen zwischen unseren Ländern haben Potenzial. Beispielsweise können Israel und Deutschland eng zusammenarbeiten bei der Entwicklung und Gewinnung erneuerbarer Energien.

Herr Premierminister, lieber Jair, schön, dass du heute hier im Bundeskanzleramt zu Gast bist! Ich schätze das politische Geschick, mit dem du Israel in der Welt vertrittst. Israel ist bei dir in guten Händen.

Im Anschluss an diese Pressekonferenz werden wir heute noch die Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz besuchen. Dieser Ort mahnt uns in besonderer Weise, die Erinnerung an die Opfer der Shoah und die Grauen dieses Menschheitsverbrechens aufrechtzuerhalten. Mit Scham und Demut begegnen wir den Opfern. Wir werden sie niemals vergessen.

Aus den Menschheitsverbrechen der Shoah ergibt sich die historische Verantwortung Deutschlands für den Staat Israel. Sehr geehrter Herr Premierminister, lieber Jair, du kannst dich darauf verlassen: Deutschland steht fest an der Seite des Staates Israel ‑ als enger Freund und Partner.

MP Lapid: Lieber Freund Bundeskanzler Scholz, meine Damen und Herren! Ich bin der Sohn von Tommy Lapid, einem Holocaustüberlebenden aus dem Budapester Ghetto und der Enkel von Béla Lampel, der in einem Konzentrationslager ermordet wurde. Ich stehe heute hier auf deutschem Boden als Premierminister des jüdischen Staates.

Heute im Laufe des Tages werden der Bundeskanzler und ich zum Haus der Wannsee-Konferenz reisen, wo eben die berühmte Wannsee-Konferenz stattgefunden hat, in der die „Endlösung der Judenfrage“ geplant wurde. Das Ergebnis dieser Konferenz war, dass die Todeslager gebaut wurden. Wir werden uns dort mit Holocaustüberlebenden und ihren Enkeln treffen, die aus Israel dafür angereist sind. Das ist ein Moment des großen Sieges für sie: Sie haben überlebt, sie haben ein unabhängiges, starkes Land aufgebaut, und sie kommen nun hierher zurück mit erhobenem Haupt, als freie Menschen. Ich kann mir vorstellen, dass das für sie eine schwierige Begegnung ist, und ich freue mich sehr über ihren moralischen Mut und ihre Bereitschaft, dies zu tun.

Die engen Verbindungen zwischen unseren Ländern, Herr Bundeskanzler, zeigen, dass die Menschheit immer die Wahl hat: Das Böse kann durch Freundschaft ersetzt werden, Brutalität kann ersetzt werden durch menschliche Freundlichkeit und die Bereitschaft zusammenzuarbeiten. Herr Bundeskanzler, Sie stehen für die richtige Wahl. Heute haben unsere beiden Länder ein wichtiges Memorandum of Understanding, eine Absichtserklärung zum Jugendaustausch unterzeichnet. Damit werden die letzten Details unserer strategischen Partnerschaft, der Vereinbarungen zwischen Deutschland und Israel, noch vertieft.

Wir haben in Jerusalem einen strategischen Dialog zwischen unseren Teams vereinbart und abgehalten. Diese Partnerschaft hat wirtschaftliche und sicherheitspolitische Vorteile. Das ist ein ganz praktischer Ausdruck des deutschen Bekenntnisses zu Israels Sicherheit als demokratischer freier Staat ‑ ein Bekenntnis, das Sie noch einmal bekräftigt haben, als Sie Bundeskanzler geworden sind. Israel seinerseits wird eine Rolle einnehmen beim Aufbau der neuen Verteidigungskapazitäten Deutschlands, insbesondere in der Luftverteidigung, wie Sie bereits angesprochen haben. Einige werden vielleicht sagen, dass die militärische Partnerschaft zwischen Deutschland und Israel eine Ironie der Geschichte ist, aber ich denke, das ist Ausdruck der Tatsache, dass wir die notwendigen Lehren aus der Vergangenheit gezogen haben. Allein mit Worten kann man das Böse nicht aufhalten. Liberale Demokratien müssen bereit sein und in der Lage sein, sich zu verteidigen. Manchmal muss man die Freiheit gewaltsam verteidigen.

Unsere Partnerschaft erfordert es auch, dass wir zusammenhalten, dass wir zusammenarbeiten gegenüber der Bedrohung, dass Iran ein nuklearer Staat werden könnte. Deutschland ist Teil der E3-Staaten, und da hat Deutschland auch Verantwortung übernommen. Es ist an der Zeit, dass wir die gescheiterten Verhandlungen mit Iran hinter uns lassen. Wir müssen gemeinsam verhindern, dass Iran Nuklearwaffen erhält. Wir haben die Notwendigkeit besprochen, dass wir eine neue Strategie brauchen, um das iranische Problem anzugehen. Ein nuklear bewaffneter Iran würde den Nahen Osten destabilisieren und ein Wettrüsten auslösen. Das wäre eine Bedrohung für die gesamte Welt. Eine Rückkehr zum Nuklearabkommen unter den aktuellen Bedingungen wäre ein Fehler, ein großer Fehler. Die Aufhebung von Sanktionen und das Pumpen von Milliarden von Dollars in den Iran würde zu neuen terroristischen Wellen führen ‑ nicht nur im Nahen Osten, sondern auch in ganz Europa.

Es gibt eine andere Möglichkeit, eine bessere Möglichkeit für den Nahen Osten, nämlich der Weg der Abraham Accords, einer gemeinsamen Vision für die Region ‑ nicht des Terrorismus, des Krieges und des Extremismus, sondern des Friedens, der Zusammenarbeit und der Toleranz. Wir reichen die Hand für Frieden mit all unseren Nachbarn, und das werden wir auch immer tun.

Herr Bundeskanzler, mein Freund, vielen Dank für das herzliche Willkommen, das Sie mir hier in Berlin gewährt haben. Wir gedenken der Vergangenheit und schauen in die Zukunft ‑ für eine gemeinsame Vision der Zukunft.

Ich danke Ihnen!

Frage: Herr Bundeskanzler, Sie haben am Samstag mit Großbritannien und Frankreich verkündet, dass das Nuklearabkommen mit dem Iran nicht in naher Zukunft unterzeichnet werde. Was ist die Alternative, was ist Ihr Plan B für dieses Nuklearabkommen?

(Die zweite, an den Ministerpräsidenten gerichtete Frage wurde nicht zusammenhängend gedolmetscht.)

BK Scholz: Wir sind uns alle völlig einig, dass es darum geht, dass der Iran keine Nuklearbomben bekommt und dass er auch nicht die Raketen besitzt, um sie zu transportieren. Das ist das, was wir als großes Ziel miteinander verfolgen. Die E3, der europäische Vermittler, haben Vorschläge gemacht und es gibt jetzt eigentlich keinen Anlass für den Iran, diesen Vorschlägen nicht zuzustimmen. Man muss aber zur Kenntnis nehmen, dass das nicht der Fall ist. Insofern wird das in der nächsten Zeit sicherlich auch nicht passieren, obwohl es eine Zeitlang danach aussah.

Wir bleiben geduldig, aber wir bleiben auch klar: Es muss verhindert werden, dass der Iran Atomwaffen einsetzen kann. Das wäre eine Gefahr für die ganze Region und für viele Regionen darüber hinaus.

MP Lapid: Wie ich zu Hause schon gesagt habe, verurteile ich, was der Finanzminister gesagt hat. Das habe ich immer gesagt: Es gibt keinen Vergleich zwischen dem Holocaust und etwas anderem, da kann man nicht vergleichen. Ich glaube also, dass ich mich zu dem, was gesagt worden ist, sehr deutlich geäußert habe und ich habe mich gefreut zu sehen, dass der Finanzminister auch zurückgerudert ist.

Frage: Herr Premierminister, vor vier Wochen hat der palästinensische Präsident Abbas Berlin besucht. Hier im Bundeskanzleramt hat er Israel beschuldigt, 50-mal einen Holocaust begangen zu haben. Was haben Sie gefühlt, als Sie das gehört haben? Denken Sie, dass die Reaktion des Bundeskanzlers angemessen war?

Herr Bundeskanzler, welche Auswirkungen hat dieser Eklat auf die Beziehungen Deutschlands zur Palästinensischen Autonomiebehörde? Wird es Einschränkungen der Zahlungen geben? Können Sie sich überhaupt vorstellen, mit Abbas noch ein Gespräch zu führen?

MP Lapid: Das ist eine Verlängerung der Frage, die wir gerade schon gehört haben und auf die ich gerade geantwortet habe. Was Präsident Abbas gesagt hat, war abscheulich, war respektlos und schrecklich ‑ einfach nur furchtbar. Wie ich schon gesagt habe: Der Holocaust kann mit nichts verglichen werden. Diese Ausdrucksweise besorgt mich, und die findet sich nicht nur in Rede von Abbas in Deutschland, sondern auch in Schulbüchern im palästinensischen Schulsystem. Dieses schreckliche Schüren von Hass wird den Kindern beigebracht, das muss man angehen; das muss die zivilisierte Welt mit einer Stimme angehen.

Zur Reaktion des Bundeskanzlers: Er war natürlich überrascht worden, wie jeder andere auch. Ich habe ihm aber gedankt dafür, das habe ich ihm auch persönlich gesagt, dass er danach noch einmal auf das, was Präsident Abbas gesagt hatte, reagiert hat. Wir sind dankbar dafür und schätzen es sehr, dass er das so deutlich verurteilt hat.

BK Scholz: Es ist ganz klar, dass wir die palästinensische Seite auffordern, dass sie den Weg freimacht für eine demokratische Entwicklung und auch für eine gute Entwicklung, die eine Zweistaatenlösung überhaupt eröffnet. Deshalb ist es ganz zentral, dass solche Äußerungen nicht mehr getätigt werden. Wir bestehen darauf, wir haben immer darauf bestanden und wir werden das auch weiter tun.

Frage: Vielen Dank für diese Pressekonferenz! ‑ Herr Bundeskanzler, meine Frage bezieht sich auf die Energiekrise. Deutsche Bürgerinnen und Bürger sammeln Holz, um im Winter ihre Wohnungen zu heizen, ihr Haus zu heizen. Die Nutzung von Kohle in Deutschland steigt und die Europäer insgesamt bezahlen viel mehr und werden zukünftig noch mehr für Energie bezahlen. Meine Frage ist also: Könnte man sagen, dass die Länder der Welt einen großen Fehler begangen haben bei der Abhängigkeit von traditionellen Energieformen? Verlassen Sie sich zu sehr auf erneuerbare Energien? Wie wird die Lösung der internationalen Gemeinschaft für diese Krise aussehen? Die Krise hatte ja schon vor der russischen Invasion der Ukraine begonnen.

Ich möchte auch Herrn Lapid gern eine Frage stellen: In den letzten Tagen haben wir gesehen, dass die Palästinensische Autonomiebehörde immer weniger gegen Terror in ihren Gebieten agiert. Was wird passieren, wenn die Palästinensische Autonomiebehörde zusammenbricht und nicht mehr funktioniert?

BK Scholz: (auf Englisch) Ich kann Ihnen etwas dazu sagen, was wir tun. Wir haben natürlich den Konflikt mit Russland, und darüber hinaus produzieren wir mehr Strom aus erneuerbaren Energien. Wir werden bei der Stromproduktion bis Ende des Jahrzehnts von 600 Terawattstunden auf 800 Terawattstunden kommen und 80 Prozent davon aus erneuerbaren Energien ‑ offshore, onshore, Solarenergie usw. Wir werden das weiter ausbauen, denn wir wollen ein erfolgreiches Industrieland mit null Emissionen werden. Das bedeutet letztendlich, dass wir unsere Wirtschaft elektrifizieren müssen und Wasserstoff nutzen müssen. Diesen Weg gehen wir, und viele andere Länder gehen ihn auch.

Die Lage, in der wir uns heute befinden, zeigt, dass wir absolut verstanden haben, dass es notwendig ist, unabhängig zu werden von fossilen Brennstoffen aus Russland. Wir sind recht erfolgreich auf diesem Weg. Wie Sie vielleicht bemerkt haben, ist es so, dass es ab Oktober keine Kohleimporte aus Russland in EU-Länder mehr geben wird, auch nicht nach Deutschland, und wir holen die Kohle dann aus anderen Ländern. Wir werden immer unabhängiger von Öllieferungen aus Russland. Das ist nicht ganz so schwierig, denn wir haben da andere Transportmöglichkeiten über Schiffe. Wir arbeiten hart daran ‑ und sind dabei auch erfolgreich ‑, unabhängig von einer Pipeline zu werden, die zwei Raffinerien in Ostdeutschland beliefert. Wir sind also auf dem richtigen Weg.

Das Gleiche gilt auch für die Gasimporte nach Deutschland und Europa. Als dieser Konflikt ausgebrochen ist bzw. kurz bevor dieser Konflikt ausgebrochen ist, habe ich im Dezember mein Team gebeten, sich auf diese Situation vorzubereiten, und wir haben bemerkt, dass wir etwas tun müssen, um Gas auch aus anderen Quellen zu beziehen als von Russland, für den Fall, dass wir eines Tages nicht mehr die Möglichkeit haben, aus Russland zu importieren. Das haben wir dann auch gemacht: Wir haben aus Norwegen und den Niederlanden mehr importiert, wir haben die LNG-Terminals in den westeuropäischen Staaten ‑ Niederlande, Belgien und Frankreich ‑ genutzt. Mit ihnen haben wir uns auf diesem Weg verständigt, auch ganz kurzfristig, und wir haben das hinbekommen.

Wir haben auch entschieden, dass wir eine Importinfrastruktur in Norddeutschland, an den norddeutschen Küsten, ausbauen werden, um Gas über Schiffe nach Deutschland zu importieren. Wenn man nicht wie bisher Pipelines nutzen kann, dann braucht man das auch. Das erste Terminal öffnet im Januar nächsten Jahres, die anderen dann im Laufe des nächsten Jahres. Wir werden dann also eine komplett modernisierte Importinfrastruktur haben, die es uns erleichtert, LNG, also Flüssigerdgas, aus anderen Quellen zu importieren, sodass wir gut aufgestellt sind und gut vorbereitet sind.

Die Lagerkapazitäten sollen genutzt werden. Wir haben einen Füllstand von über 85 Prozent der Gasspeicher erreicht; wir werden über 90 Prozent kommen. Wir haben entschieden, dass wir dieses Jahr, nächstes Jahr und Anfang 2024 Kohlekraftwerke nutzen werden, um Strom zu produzieren, damit wir noch unabhängiger werden; denn wir haben diese Kraftwerke noch. Wir werden in diesem Winter ‑ im Januar und Februar ‑ auch die Nuklearanlagen in Süddeutschland noch nutzen, falls das notwendig sein sollte.

Wir sind also gut aufgestellt, weil wir uns gleich am Anfang des Jahres vorbereitet haben und uns entschlossen haben, dass wir die richtigen Dinge tun werden, um auf diese Lage vorbereitet zu sein. Deshalb können wir dieser Lage in Bezug auf die Energieversorgung jetzt auch begegnen. Wir arbeiten jetzt daran, dass die Menschen und auch die Unternehmen diese Lage auch wirtschaftlich überleben werden. Wir haben drei große Pakete für die Energieversorgung der Bürger geschnürt, die ein Volumen von insgesamt 95 Milliarden Euro haben. Das wird Auswirkungen haben, das wird den Menschen die Lage erleichtern. Das bedeutet, dass wir auch Maßnahmen für den Privatsektor, für die Unternehmen ergreifen, und das werden wir auch weiterhin tun. Wir haben in den Strommarkt eingegriffen, sodass Übergewinne abgeschöpft werden können, wenn es aufgrund des durch Gas produzierten Stroms entsprechende Schwankungen gibt.

Wir bereiten uns also stetig weiter auf eine schwierige Lage im Winter vor. Wir alle wussten ja, dass Putin sagen könnte: Es gibt keine Gaslieferungen mehr.

Weil wir so früh reagiert haben und uns so früh auf diese Lage vorbereitet haben, sind wir jetzt vielleicht nicht in einer gemütlichen Lage, aber durchaus in einer Lage, in der wir stabil sind. Und wir werden weiter daran arbeiten.

Um auf Ihren ersten Punkt zurückzukommen: Deutschland wird eines der erfolgreichsten Industrieländer sein. Auch 2045 werden wir das weiter sein. Aber dann werden wir komplett CO₂-neutral wirtschaften. Wir werden uns auf erneuerbare Energien verlassen und auf alle Chancen und Möglichkeiten, die in diesen Technologien liegen.

MP Lapid: Ich glaube, die richtige Antwort für die Situation ist: Die Sicherheit von Israel ist abhängig von niemandem. Wir sind nur für uns selber zuständig.

Natürlich haben wir große Sorge vor Terror, gerade in Dschenin und Nablus, wo dieser gerade gestiegen ist. Wir werden natürlich etwas gegen den Terror machen, wie wir das schon immer gemacht haben. So wird es auch bleiben.

Frage: Herr Bundeskanzler, die Ukraine hat mehrfach eindringlich um die Lieferung von Leopard-2-Kampfpanzern aus Deutschland gebeten. Sie haben immer argumentiert, Deutschland unternehme keine Alleingänge. Werden Sie angesichts der veränderten militärischen Lage und der Erfolge bei der Gegenoffensive auf die westlichen Verbündeten zugehen und dafür werben, dass die NATO-Staaten auch Kampfpanzer westlicher Bauart an die Ukraine liefern? Und sind Sie dann bereit, aus Deutschland Leopard-2-Panzer an die Ukraine zu liefern?

(auf Englisch): Herr Premierminister, Sie und der Bundeskanzler haben beide über die Zusammenarbeit im Bereich der Luftabwehr gesprochen. Können Sie da etwas spezifischer werden? Können Sie bestätigen, dass Deutschland das Arrow-3-System anschaffen wird? Können Sie etwas über die finanzielle Dimension dieses möglichen Geschäfts sagen?

BK Scholz: Wir haben die Ukraine sehr umfassend zusammen mit unseren Verbündeten mit Waffen unterstützt. Wir haben auch sehr effiziente Waffen geliefert, die gerade jetzt in dem gegenwärtigen Gefecht den Unterschied machen. Die Waffen, die wir geliefert haben ‑ unsere Flakpanzer Gepard, die Panzerhaubitze 2000, der Mehrfachraketenwerfer Mars ‑, tragen tatsächlich dazu bei, dass es jetzt in dem östlichen Gefecht möglich ist, die Ergebnisse so zu verändern, wie wir das gegenwärtig sehen.

Wie ich es schon bei vielen anderen Gelegenheiten gesagt habe: Wir werden diesen Weg weitergehen und die Ukraine so lange unterstützen, wie das notwendig ist. Wir haben auch bei verschiedenen Gelegenheiten sehr angeboten ‑ ich zum Beispiel erneut bei der Rede, die ich an der Karls-Universität in Prag gehalten habe ‑, dass wir bereit sind, wenn es um die langfristige Sicherheit der Ukraine geht, gerade im Bereich Artillerie und Luftverteidigung, unseren Beitrag zu leisten, der ebenso effizient ist.

Wir haben gerade entschieden ‑ das haben Sie auch mitbekommen ‑, dieses Engagement weiter auszudehnen. Über die Luftverteidigung, die mit dem System Iris-T verbunden ist, das wir liefern werden, haben wir uns vorgenommen, weitere dieser Systeme zu bestellen. Sie wissen, die hat die Bundeswehr noch gar nicht; die werden gegenwärtig in andere Länder der Welt verkauft. In dem Gesamtsystem, zu dem dann auch die Kooperation mit Israel gehört, gehört irgendwann auch dieses System in Deutschland sicher dazu.

Ansonsten bleibt es bei der Haltung, die die deutsche Regierung von Anfang an eingenommen hat und die auch für die Zukunft unsere Haltung sein wird, nämlich dass es keine deutschen Alleingänge gibt.

MP Lapid: Zur ersten Frage, ob ich etwas mehr zu dem Arrow-3-System sagen kann.

Ganz kurz gesagt: Nein, das kann ich nicht.

Die etwas längere Antwort lautet ‑ und das beantwortet ja auch die Frage nach dem finanziellen Aspekt einer möglichen zukünftigen Zusammenarbeit hier: Das hängt zusammen mit unserem absoluten Bekenntnis zur Sicherheit Deutschlands und Europas. Es hängt damit zusammen, dass liberale Demokratien die Möglichkeit haben müssen, sich zu verteidigen, und mit dem Verständnis, dass wir Teil dieser Bemühungen sind. Deswegen müssen wir uns eng mit unseren europäischen Freunden abstimmen. Deutschland ist einer der engsten Freunde, die wir in Europa haben. Wir haben das Thema mit der deutschen Regierung besprochen, und wir haben auch heute darüber gesprochen.

Ich hoffe, das war jetzt vage genug.

Frage: Herr Bundeskanzler, ich wollte fragen: Sie haben sich jetzt mehrmals für den Abbas-Skandal entschuldigt. Sie werden sich heute mit fünf Holocaust-Überlebenden treffen. Können Sie uns sagen, was Sie heute anders gemacht hätten, wäre Abbas jetzt neben Ihnen, hätte er jetzt die Worte benutzt, die er damals benutzt hat? Was wäre Ihre direkte Reaktion?

Premierminister Lapid, der Kanzler hat noch einmal die Zweistaatenlösung erwähnt. Vor vier Wochen stand hier Abbas und hat gesprochen. Sehen Sie in ihn überhaupt einen Partner für Frieden? Abbas ist eigentlich auf eine gewisse Weise ein Holocaust-Leugner. Dann haben wir auch noch die Terrororganisation Hamas.

Eine weitere Frage ist: Glauben Sie, dass Deutschland noch einmal einen Besuch von Abbas bekommen sollte oder möchte? Was glauben Sie? Wie ist Ihre Haltung dazu?

BK Scholz: Schönen Dank. Sie kennen die sehr scharfe, sehr klare Aussage, die ich zu den Äußerungen von Herrn Abbas gemacht habe. Sie sind unakzeptabel. Jede Relativierung des Holocaust ist eine Relativierung, die wir nicht hinnehmen werden, und sie ist auch ein Verbrechen gegenüber den Opfern der Shoah, die so viel Leid erfahren haben, den Millionen getöteten europäischen Juden. Das war ein exzeptionelles einzigartiges Verbrechen, und das darf niemals relativiert werden. Das werden wir an keiner Stelle akzeptieren. Genau das habe ich gesagt, und das kann ich jederzeit sagen.

Ich bin sehr froh, dass wir heute die Gelegenheit haben, mit Überlebenden zu diskutieren, weil uns das immer wieder daran erinnert, dass der Auftrag bleibt, gegen Antisemitismus mit aller Härte vorzugehen, hierzulande, aber auch weltweit. Sie wissen: Es gibt eine gemeinsame Initiative Deutschlands und Israels in den Vereinten Nationen zu diesem Thema. Das bedeutet natürlich auch, dass wir das niemandem durchgehen lassen, an keiner Stelle, und das gilt auch für Herrn Abbas.

MP Lapid: Ich werde jetzt hier gerade auf deutscher Erde stehen und über das, was Abbas sagte, was ich vorhin in Englisch sagte, wie er gerade ‑ ‑ ‑ Ich werde jetzt auch auf Hebräisch sagen, dass ich hier nicht unbedingt über das verhandeln werde, was Abbas sagt oder (akustisch unverständlich). Das Problem ist in den Lehrbüchern, die sie haben, ihr Erziehungssystem. Das sind natürlich einseitige, üble Sachen, die dort gegen uns geschrieben werden. Wir müssen etwas dagegen tun, und das werden wir auch weiterhin machen. Das ist nicht nur unsere Aufgabe, sondern die wahre moralische Wahrheit steht auf unserer Seite. Es ist so!

Frage: Herr Premierminister, ich möchte noch einmal zur Energiefrage zurückkommen. Israel wird Europa zukünftig mit Erdgas beliefern. Ich würde gerne wissen, ob Sie mit dem Bundeskanzler über weitere Erhöhungen der Lieferungen gesprochen haben. Wie viel könnten Sie noch liefern?

Herr Bundeskanzler, was erhoffen Sie sich von Israel? Könnte es einer der wichtigen Lieferanten von LNG oder Erdgas für Europa sein?

Erlauben Sie eine Zusatzfrage? – Die Schweizer Regierung hat gerade angekündigt, dass sie ein Atommüllendlager direkt an der deutschen Grenze bauen wird. Sind Sie deswegen besorgt, und suchen Sie den Kontakt mit der Schweizer Regierung?

MP Lapid: Ja, der Bundeskanzler und ich haben natürlich viel über Energie gesprochen. Wie Sie gesagt haben, gibt es eine Zusammenarbeit mit Israel. Wir können die Gasexporte nach Europa vielleicht erhöhen. Hoffentlich wird das nächstes Jahr möglich sein. Wir werden Teil der Bemühungen sein, russische Gaslieferungen nach Europa zu ersetzen. Wir können aktuell etwa zehn Prozent des russischen Gases ersetzen, das Russland letztes Jahr nach Europa exportiert hat. Das ist also nicht die Lösung, aber Teil der Lösung, und wir sind natürlich gerne Teil der Lösung dieser Energiekrise.

Selbstverständlich hat Israel noch einen weiteren Vorteil: Wir haben viele israelische Start-ups im Bereich der erneuerbaren Energien und alle möglichen alternativen Lösungen für die Energiekrise. Deutschland ist ja auch ein sehr innovatives Land, eine Supermacht und ein Partner, mit dem wir natürlich bezüglich dieser Themen zusammenarbeiten.

BK Scholz: Ich habe nicht viel zu ergänzen. Für mich ist es wichtig, dass die Produktion von Gas, das genutzt werden kann, aus Quellen, die nicht aus Russland stammen, zunimmt. Das hat erst einmal unmittelbare Auswirkungen auf den Weltmarkt. Selbst das Gas, das nicht nach Deutschland gelangt, gelangt zum Beispiel nach Europa und hat dann Folgen für das Angebot und damit auch für die Höhe der Preise.

Wir müssen ja zwei Probleme lösen. Das eine Problem ist, dass wir die technischen Infrastrukturen schaffen müssen, und zwar über Pipelineverbindungen zu den westeuropäischen Häfen, die auch ausgebaut werden, was die Pipeline, ihre Fließgeschwindigkeit, die Regasifizierungskapazitäten und Anlandungskapazitäten in diesen Häfen betrifft, über neue LNG-Terminals an den norddeutschen Küsten, aber selbstverständlich auch mit einem besser ausgebauten Netz, das uns mit den südeuropäischen Möglichkeiten und damit dann auch wieder mit Israel verbindet, soweit es nicht um LNG, das verschifft werden kann, geht. Wenn das geschieht, dann trägt das ganz allgemein dazu bei, dass wir vertretbare Preise haben, sodass wir der Situation der nächsten Jahre gefasst entgegenblicken können, und es trägt dazu bei, dass wir den Umstieg auf Strom und Wasserstoff als die wesentlichen Grundlagen der CO2-neutralen Industrie der Zukunft zusammen mit all den technologisch innovativen Unternehmen in Israel und Deutschland auch tatsächlich schaffen können.

Wir haben da auch eine große Verantwortung für die Welt, gemeinsam und zusammen mit vielen anderen, die über ähnliche Fähigkeiten verfügen. Wenn wir es nämlich schaffen, unabhängig von der Nutzung fossiler Ressourcen zu werden und gleichzeitig unseren Wohlstand zu wahren und ihn sogar auszubauen, dann sind das auch Technologien und Produktionsweisen, die für viele andere in der Welt genutzt werden können. Denn wir wollen ja, dass der Wohlstand weltweit wächst. Wir möchten, dass in Asien, in Afrika, im Süden Amerikas ein gleicher Wohlstand entsteht, wie wir ihn heute bei uns haben. Dieser Wunsch lässt sich aber nur realisieren, wenn wir das tun, ohne dass das zu einem Nachteil für Biodiversität oder das Klima wird, und genau das können wir mit unseren hochtechnologischen Fortschritten leisten, die wir gerade im Bereich der Energieerzeugung mit den Erneuerbaren erreicht haben.

Zuruf: Schweiz?

BK Scholz: Das ist eine Nachricht, die uns so erreicht hat wie Sie. Deshalb werden wir sie, wenn sie uns auch formell erreicht haben wird, auf dem ordentlichen Wege als Regierung mit allen Verantwortlichen der Schweizer Regierung zu besprechen haben.