Im Wortlaut
(Die Protokollierung des fremdsprachlichen Teils erfolgte anhand der Simultandolmetschung.)
- Mitschrift Pressekonferenz
- Montag, 12. Februar 2024
BK Scholz: Sehr geehrter Herr Ministerpräsident, lieber Donald, ich freue mich sehr, heute Nachmittag hier mit dir zusammen zu sein. Es ist mir ganz wichtig, dass wir dieses Treffen miteinander haben.
Polen und Deutschland sind Nachbarn, Partner und Freunde. Unsere Staaten haben eine schmerzvolle und wechselvolle Geschichte: Der furchtbare Überfall Deutschlands auf Polen und die Zerstörung Warschaus jähren sich in diesem Jahr zum 85. Mal. Unermesslich ist das Leid, das wir Deutsche im Zweiten Weltkrieg über unsere polnischen Nachbarn gebracht haben. Dieser Krieg war ein deutsches Verbrechen. Wir wissen um unsere schwere Schuld, und wir wissen um den Auftrag, der aus ihr erwächst für unsere gemeinsame, friedliche Zukunft.
Die Verantwortung vor unserer Geschichte kennt keinen Schlussstrich. Sie bleibt uns Mahnung in der Gegenwart und Auftrag für die Zukunft. Und dieser Verantwortung wollen wir uns stellen. Sie erstreckt sich für uns auch auf die Verteidigung von Frieden und Freiheit in Europa. Uns eint heute der Wunsch nach Frieden, einem gerechten Frieden, nach Stabilität und nach Sicherheit in Europa - heute, da unser Frieden durch den russischen Krieg gegen die Ukraine sehr bedroht ist, mehr denn je. Daran arbeiten Deutschland und Polen gemeinsam als Partner in der Europäischen Union und als Alliierte in der Nato.
Wir sind uns einig: Unsere Solidarität und unser gemeinsames Handeln sind unverzichtbar, ganz besonders in einer Zeit, in der Russlands Imperialismus unsere gemeinsame Sicherheit in Europa bedroht. Deshalb stehen wir füreinander ein - in der EU und in der Nato. Das heißt - und das ist mir ganz wichtig: Die Sicherheit Polens ist auch unsere Sicherheit. Dafür fühlen wir uns verantwortlich.
Das Schutzversprechen der Nato gilt uneingeschränkt: alle für einen, einer für alle. Und lassen Sie mich aus aktuellem Anlass klar sagen: Jegliche Relativierung der Beistandsgarantie der Nato ist unverantwortlich und gefährlich - und ist einzig und allein im Sinne Russlands. Niemand darf mit Europas Sicherheit spielen oder "dealen". Deutschland leistet einen ganz wesentlichen Beitrag zu Europas Sicherheit, besonders auch durch Präsenz und Engagement entlang der gesamten Nato-Ostflanke.
Die Zusammenarbeit für die Verteidigung des Nordatlantischen Bündnisses und für die Sicherheit in Europa werden wir weiter verstärken. Das berührt ganz unmittelbar auch die Unterstützung der Ukraine. Fast genau zwei Jahre ist es her, dass Russland die Ukraine überfallen hat. Seither führt es einen erbarmungslosen Krieg mit hunderttausenden Toten und Verletzten. Die Ukrainerinnen und Ukrainer verteidigen ihr Land unermüdlich und heldenhaft.
Deutschland und Polen gehören zu den größten Unterstützern der Ukraine gegen den imperialistischen Aggressor - politisch, militärisch und finanziell. Und wir wollen in Zukunft noch enger zusammenarbeiten, gerade auch mit Blick auf Wiederaufbau und nötige Reformen in der Ukraine.
Auch auf europäischer Ebene unterstützen wir die Ukraine. Im Europäischen Rat haben wir gerade Finanzhilfen von 50 Milliarden Euro bis 2027 für die Ukraine vereinbart und damit ein ganz wichtiges Zeichen gesetzt. Wir hoffen, dass der US-Kongress seinerseits die nötigen Mittel bewilligt.
Lieber Donald, du kommst gerade aus Paris. Die enge Zusammenarbeit unserer drei Länder - Deutschland, Polen und Frankreich - ist uns allen sehr wichtig. Deshalb schlage ich auch vor, das Weimarer Dreieck auf Ebene der Staats- und Regierungschefs mit neuem Schwung zu versehen, um neue Impulse für die Europäische Union zu entwickeln. Unsere Außenministerinnen und Außenminister haben sich dazu ja schon heute in Paris ausgetauscht. Unser gemeinsames Ziel ist es, dass die Erweiterung der Europäischen Union um weitere Mitglieder bald Realität wird. Aus dieser Erweiterung muss die Europäische Union gestärkt hervorgehen. Hierzu bedarf es - auch in der EU selbst - Reformen, damit wir handlungsfähig bleiben können.
Die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Polen und Deutschland sind eine Erfolgsgeschichte. Wir haben viel Austausch und zuverlässige Wertschöpfungsketten, was sich nicht zuletzt in einem Handelsvolumen von knapp 170 Milliarden Euro ausdrückt.
An dieser Stelle möchte ich Polen auch Danke sagen. Nachdem die Energielieferungen aus Russland weggefallen sind, musste Deutschland in Rekordzeit Alternativen schaffen. Polen hat uns dabei unterstützt, sodass wir unsere Energieversorgungssicherheit aufrechterhalten konnten. Dafür danke ich ausdrücklich.
Mit der Energiewende und dem Kampf für mehr Klimaschutz - national und europaweit - dürfen wir nicht nachlassen. Unter anderem im Rahmen des Polnisch-Deutschen Energiewendeforums werden wir hier viele Fragen gemeinsam vorantreiben.
Wie Sie alle sehen, haben wir gleich beim Abendessen noch eine ganze Reihe an Themen, die wir miteinander besprechen werden.
Lieber Donald Tusk, ich freue mich auf die künftige, weitere Zusammenarbeit!
MP Tusk: Herr Bundeskanzler, lieber Olaf, lieber Freund, ich bedanke mich ganz herzlich für die Einladung heute nach Berlin. Das war wirklich kein Zufall, dass es so schnell, wie es nur möglich war, nicht nur in Brüssel, sondern auch hier in der Hauptstadt Deutschlands, zu diesem Treffen gekommen ist, um sowohl über die bilaterale Zusammenarbeit zwischen Polen und Deutschland als auch darüber zu reden, wie wir das Weimarer Dreieck neu stärken können. Darüber haben wir heute auch, wie du das erwähnt hast, in Paris gesprochen.
Ich bedanke mich auch dafür, dass du heute im ersten Teil schon so offen mit mir über dieses wichtige Bedürfnis gesprochen hast: die Sicherheit unserer beiden Vaterländer, unserer beiden Staaten, des ganzen Europas sowie unserer Alliierten und Nachbarn. Ich meine hier vor allem die Ukraine.
Die Geschichte hat sich sehr grausam erwiesen. Das war für viele überraschend. Vor ein paar Jahren hätte niemand gedacht, dass Polen und Deutschland so eng militärisch zusammenarbeiten würden, um die Ukraine vor der russischen Aggression zu verteidigen. Viele Jahre lang hat man nicht nur in der Europäischen Union bei den Beziehungen zwischen Europa und Russland an "wishful thinking", an Illusionen und triviale Interessen gedacht. Man hat nämlich das gewählt, statt an geopolitische Vernunft zu denken.
Aber die Schlüsselbedeutung für die Zukunft Europas hat, dass wir aus diesen beiden tragischen Geschichten, die du erwähnt hast, die Geschichte des Zweiten Weltkrieges und auch die Geschichte der letzten Jahre, eine gute Lehre ziehen. Das erste Gebot - und hier haben die Anführer in Polen und Deutschland wirklich das gute Recht, das zu sagen - soll sein, uns um die Einigkeit Europas in Konfrontation gegen Russland zu kümmern, und das in jeder Dimension, weil die Sicherheit wirklich viele Dimensionen hat. Das ist die direkte Unterstützung der Ukraine in diesem Krieg. Das ist der Wiederaufbau der militärischen Kräfte Europas. Das ist die gemeinsame Energiepolitik, und das ist auch die Nahrungsmittelsicherheit.
Wir haben heute Bemerkungen ausgetauscht. Überall, wo das möglich ist, wollen wir eine gemeinsame Stellungnahme erarbeiten.
Aber schon nach diesem ersten Teil ist eine Sache klar: Polen und Deutschland müssen als Staaten, die heute am meisten in der Hilfe für die Ukraine engagiert sind, auch gemeinsam die Verantwortung dafür tragen, dass diese Politik fortgesetzt wird und die ganze Europäische Union mobilisiert wird, damit unsere Sicherheits- und Verteidigungspotenziale verbessert werden.
Wir haben heute auch über das Bedürfnis gesprochen, unsere Zusammenarbeit - bilateral und in Europa - auch in Bezug auf die Luftabwehr zu intensivieren. Wir möchten hier ganz realistisch und praktisch vorgehen. Gemeinsam als Europa möchten wir im Rahmen der Zusammenarbeit zwischen Polen und Deutschland so schnell wie möglich - das heißt, nicht in 5, 10 oder 15 Jahren, sondern in den nächsten Dutzend Monaten - viel bessere Möglichkeiten schaffen, um ein viel größeres Potenzial für die Luftabwehr und bessere Produktionskapazitäten für Munition zu schaffen, nicht nur, um die Ukraine dabei zu unterstützen - das hat für uns eine Priorität -, sondern auch, um uns in Europa entsprechende Verteidigungspotenziale zu geben. Wir werden dafür in allen Hauptstädten der Welt plädieren.
Wenn wir daran glauben, dass die Europäische Union nicht nur die Macht im Sinne der Wirtschaft und der Wissenschaft, sondern auch im Sinne der militärischen Kräfte sein kann, dann wird es gut sein. Das war nicht unsere Wahl. Wir wollten keine Konfrontation, aber das ist heute die Notwendigkeit.
Die Europäische Union ist achtmal so groß wie die russische Wirtschaft. Wir haben eine sechsmal so große Bevölkerung wie Russland, also müssen wir auch im militärischen Sinne nicht schwächer sein. Deswegen sind die Erhöhung der Produktion in diesem Bereich und die Intensivierung unserer Zusammenarbeit Prioritäten, die außerhalb der Diskussion stehen. Ich freue mich, dass ich heute in Paris und auch jetzt hier in Deutschland eine eindeutige Erklärung der Bereitschaft für die weitere Zusammenarbeit in diesem Bereich gehört habe.
Wir sprechen heute weiter über bilaterale Fragen, zum Beispiel die Grenzschutzmaßnahmen oder illegale Migrationen. Als wir hier zu euch gefahren sind, haben wir auch Schlepper mit protestierenden Landwirten gesehen. Das sehen wir heute sehr häufig in Europa. Gestern hatte ich mit meinen Wählern ein Treffen in Polen, und wir haben genauso diese Schlepper und Landwirte gesehen. Diese Argumente dürfen wir nicht außer Acht lassen. Ich muss hier niemanden davon überzeugen.
Du, Olaf, bist auch sehr in Klimafragen engagiert. Umwelt hat für uns alle eine Priorität. Wir können aber nicht behaupten, dass die Argumente der Landwirte ohne Begründung sind. Ich werde heute auch während unseres Abendessens argumentieren, damit wir gemeinsam eine Lösung für eine bessere Flexibilität finden können.
Wir müssen eine Lösung zu „Green Deal“ und zu Nahrungsmittelimporten aus der Ukraine finden - wir werden eine Lösung finden -, in der wir sowohl die ukrainischen als auch unsere ambitionierten Ziele im Umweltschutzbereich berücksichtigen und Interessen aller Landwirte in Polen, Deutschland und Europa schützen. Das scheint möglich zu sein, wenn wir genug guten Willen zeigen. Ich bin überzeugt, dass wir hier eine gute Lösung finden können. Wir stehen noch vor weiteren Gesprächen.
Damit möchte ich Schluss machen. Ich möchte jetzt aber noch einmal betonen, dass es uns die Geschichte nicht vergeben wird, wenn wir das heute nicht machen. Und symbolisch: Polen und Deutschland können hier ein gutes Beispiel geben. Es wäre kein gutes Zeichen, wenn wir ein solidarisches, gutes, vereinigtes Europa nicht aufbauen könnten, ein Europa, das nicht imstande wäre, der aggressiven Politik unserer Nachbarn Stirn zu halten. Ich denke, wir haben alle Lehren aus der Geschichte gezogen, und wir wissen, was zu tun ist. Vielen Dank.
Frage: Ich möchte nach den Worten des ehemaligen US-Präsidenten Trump fragen, er würde Russland wirklich ermuntern, alles zu tun in Bezug auf Länder, die nicht zwei Prozent des BIP für die Verteidigungsziele zahlen. Was passiert, wenn Donald Trump die Wahlen gewinnt? Bleibt Europa dann ganz alleine?
Herr Bundeskanzler, Ihr Land hatte dieses Kriterium letztes Jahr nicht erfüllt. Wenn Deutschland also von Russland angegriffen wird, werden die Vereinigten Staaten nicht darauf reagieren.
MP Tusk: Unabhängig davon, was der ehemalige Präsident der Vereinigten Staaten und der Kandidat für die nächsten Wahlen sagt, ist es wirklich unser gemeinsames europäisches Interesse, dass alle Mitgliedstaaten der Nato direkt und deutlich die Finanzierung der Verteidigungspotenziale erhöhen. Ich habe hieran keine Zweifel.
Polen hat seit einiger Zeit die vorgeschriebene Schwelle von zwei Prozent überschritten. Es sind heute vier Prozent geworden. Ich weiß, dass nicht jeder Staat imstande ist, ganz schnell ein Plus von zwei Prozent zu erreichen. Aber ich denke, dass die furchtbare Lehre aus der Ukraine niemanden im Zweifel lassen sollte: Das ist wirklich notwendig, und das nicht, weil Donald Trump das gesagt hat, sondern ganz objektiv. Wir müssen uns selbst darum kümmern, unsere Verteidigungspotenziale zu verbessern, und dieser europäische Teil der Nato hat hierzu eine entschlossene Position eingenommen. Ich werde alle europäischen Partner in der Nato davon zu überzeugen versuchen. Es gibt hier keine Gründe dafür, dass die Europäische Union nicht so eine militärische Kraft wie Russland hat. Wir haben wirklich sehr viele Gründe, wirklich ambitioniert daran zu denken, dass Europa jede Herausforderung - auch militärische Herausforderung - meistern kann. Das ist meine vollständige Überzeugung.
Das ist wirklich ein ganz interessanter Fall. Ich habe heute in Paris darüber gesprochen. Dieses Prinzip „Einer für alle, alle für einen“ sollte weiterhin in der Nato und in der Europäischen Union die führende Bedeutung haben. Bundeskanzler Scholz hat dieselben Worte zitiert. Keines der Nato-Mitglieder hat also die anderen davon befreit, dieses Prinzip zu befolgen und einzuhalten. Wir sollten in Europa also alle eindeutig von unseren Partnern auch auf der anderen Seite des Ozeans erwarten, dass sie dieses Prinzip einhalten. Das ist wirklich das Sein-oder-Nichtsein des ganzen Westens.
Ich bin also wirklich davon überzeugt, dass diese Worte von Donald Trump wie eine kalte Dusche für uns alle wirken sollen, insbesondere für diejenigen, die diese reale Bedrohung, mit der wir zu tun haben, nicht bemerkt haben oder sie nicht richtig wahrnehmen. Wir müssen wirklich auf die volle Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten hoffen, aber Europa muss auch in die eigene Sicherheit investieren.
BK Scholz: Ich stimme allem zu, was mein Freund hier gesagt hat, und will es gerne um ein paar Worte ergänzen. Zunächst einmal, weil das ja wichtig ist für die eigene Berichterstattung: Deutschland wird in diesem Jahr zwei Prozent der Wirtschaftsleistung für Nato-Zwecke ausgeben und wird es für alle Zeit tun. Das habe ich angekündigt, und das haben wir mit den Entscheidungen, die aufgrund meiner Rede im Deutschen Bundestag zur Zeitenwende getroffen worden sind, auch realisiert. Wir haben ein Sondervermögen von 100 Milliarden Euro auf den Weg gebracht, von dem jetzt schon 80 Prozent mit Bestellungen belegt sind, und wir haben die Grundlage dafür geschaffen, dass wir die zwei Prozent aus dem Verteidigungsbudget und diesem Vermögen jetzt erreichen und dass wir das darüber hinaus auch nach dem Auslaufen des Sondervermögens dauerhaft tun werden. Auch jetzt ist es schon so weit, dass wir unsere Bundeswehr in die Lage versetzt haben, Bestellungen für das Ende der Zwanziger- und für die Dreißigerjahre aufzugeben, immer im Hinblick darauf, dass wir diese große Menge an Mitteln einsetzen werden. Deutschland wird damit sicherlich die höchsten Verteidigungsausgaben in Europa haben. Das ist auch richtig so. Aber das ist eine erhebliche Steigerung gegenüber dem, was früher investiert worden ist.
Die gute Botschaft bei dieser Gelegenheit ist übrigens auch: Ich gehe davon aus, dass alle Mitgliedstaaten der Nato diese Kriterien in Europa erfüllen werden. Auch das ist etwas, das im Hinblick auf die militärische Stärke der Nato von allergrößter Bedeutung sein wird, weil das ja dann eine große Mobilisierung von Kräften durch sehr viele Länder ist. Vergessen wir nicht, dass Finnland schon Mitglied der Nato geworden ist und Schweden es demnächst sein wird. Die Allianz ist also auch stärker geworden.
Deshalb auch diese klaren Worte: Es gehört zu den Grundlagen der Nato, dass wir füreinander einstehen, dass wir jeden Zentimeter des Territoriums eines Nato-Mitglieds verteidigen. Wir in Deutschland bekennen uns dazu gegenüber all unseren Freunden in der Nato, den baltischen Staaten, Polen und vielen anderen Ländern, die eine Grenze haben, die beschützt werden muss. Alle können sich darauf verlassen, und das wird auch so sein.
Wir gehen davon aus, dass das im Rahmen der Nato und der transatlantischen Partnerschaft auch das Verhältnis der USA zu den anderen Nato-Mitgliedsstaaten bestimmen wird. Das ist die Grundlage des Bündnisses; da bin ich mir sehr einig mit dem amerikanischen Präsidenten, der das ja jetzt bei dieser Gelegenheit auch noch einmal sehr klar bekundet hat.
Frage: Herr Bundeskanzler, ich hätte gerne konkret nach einem Punkt gefragt, nachdem Sie die Zusammenarbeit zwischen beiden Staaten jetzt gelobt haben: Ist Deutschland bereit, dass sich Polen an den Rüstungsprojekten beteiligt, die Deutschland mit Frankreich begonnen hat, also dem FCAS-Kampfjetprojekt und dem Panzer?
Habe ich es eben richtig verstanden, dass Polen auch bereit ist, dem europäischen Luftverteidigungssystem beizutreten?
Herr Ministerpräsident, ich habe eine Frage an Sie. Es gibt den Vorwurf, dass sich die Tonlage zwar entscheidend verändert habe, seitdem Sie Ministerpräsident in Polen sind, aber Sie zumindest in einigen Politikfeldern die PiS-Politik fortsetzen, also in der Atompolitik und der Klimapolitik. Sie lehnen auch die Abschaffung der Einstimmigkeit in der EU ab; dies nur als Beispiele. Was sagen Sie zu diesem Vorwurf, dass sich inhaltlich eigentlich noch gar nicht so viel an Ihrer Politik geändert hat?
BK Scholz: Ich kann jedenfalls berichten, dass die Zusammenarbeit zwischen uns beiden und unseren Ländern sehr gut ist und ich auch davon ausgehe, dass wir alle Perspektiven suchen werden, das weiterzuentwickeln. Der polnische Ministerpräsident hat das eben sehr ausführlich erläutert. Dem habe ich eigentlich nichts hinzuzufügen.
Ich glaube nicht, dass es jetzt Sinn ergibt, hier in dieser Pressekonferenz über ganz konkrete einzelne Vorhaben der Rüstungsentwicklung und Verteidigungsentwicklung zu sprechen. Aber dass wir das immer gerne eng mit Polen zusammen machen wollen, gilt für viele, viele Vorhaben, und das weiß die polnische Regierung auch.
MP Tusk: Alles hat sich in der polnischen Politik verändert. Es geht hierbei um fundamentale Fragen wie die Rechtsstaatlichkeit und die Stärke der Position Polens in der Europäischen Union und auch um Themen, die meinem Herzen sehr nahe sind, die Menschenrechte, die Rechte der Minderheiten.
Wenn es jetzt um die Kernkraftwerke geht, wird Polen Entscheidungen entsprechend dem eigenen Energieinteresse treffen. Wir sind, wie Sie wissen, entschlossen, uns für den Umweltschutz einzusetzen. Aber Polen ist wirklich in einer sehr schwierigen Situation. Das ist aus objektiven Gründen für uns eine sehr große Herausforderung. Wenn wir wirklich effektiv den Pfad der größten CO2-Emissionen in der Energieproduktion und -versorgung verlassen sollen, dann müssen wir an einer Alternative arbeiten, und die Kernenergie ist für Polen so eine Alternative. Ich weiß nicht, woher diese Erwartung nach der Wahl in Polen kommt, dass ich als Ministerpräsident jetzt eine negative Einstellung zu der Kernenergie haben würde. Ich habe mit der Arbeit daran als Ministerpräsident schon 2011 angefangen. Wir müssen also Lösungen und Methoden finden, um die Energienotwendigkeiten und den Energiebedarf Polens zu decken, autonom, aber auch auf eine Art und Weise, bei der wir von der Energieseite her wirklich in Sicherheit sind.
Wir werden bestimmt in vielen Bereichen assertiv bleiben. Die Tatsache, dass Polen so lange, wie ich Ministerpräsidenten sein werde, an der europäische Zusammenarbeit orientiert und darauf fokussiert sein wird, stimmt. Ich muss wirklich niemanden davon überzeugen, dass ich mich sehr stark dafür einsetze, dass wir gute Beziehungen zwischen Polen und Deutschland haben. Das muss ich auch niemandem in Polen erklären. Aber das ändert nichts daran, dass wir manchmal unterschiedliche Positionen oder unterschiedliche Interessen haben und dass wir uns dafür einsetzen. Das Vertrauen, die Freundschaft, und ich denke, wir können auch persönlich über das gegenseitige Vertrauen und die Freundschaft sprechen, bedeuten, dass wir wirklich ganz offen oder ohne etwas zu verfälschen darüber reden, wo wir Differenzen sehen und was wir gegenseitig von uns erwarten. Deswegen kann niemand von mir erwarten, dass ich ein einfacher Partner sein werde. Aber man muss wirklich nicht nach einfachen Lösungen, nach einfachen Partnern suchen. Das sind einfach die Zeiten und die Herausforderungen, mit denen wir es zu tun haben. Aber ich bin ein berechenbarer Partner. Wir werden bestimmt darauf fokussiert sein, solidarisch und einheitlich in Europa zu handeln; damit können Sie bestimmt rechnen.
Frage: Jetzt hat das Format des Weimarer Dreiecks wieder neu angefangen. Welche Maßnahmen haben Sie im Rahmen der Zusammenarbeit zu treffen vor? Welche Zeitplanung haben Sie dafür?
Sind in der nächsten Zeit auch breite Regierungskonsultationen geplant? Seit vielen Jahren hat es diese Konsultationen nicht gegeben.
Da die Europäische Union auch ihre Verteidigungsausgaben erhöhen soll, werden Sie vielleicht daran denken, Schuldverschreibungen auszugeben, um die Investitionen in die Rüstungsindustrie damit zu finanzieren?
BK Scholz: Das Weimarer Dreieck ist eine gute Form der Zusammenarbeit. Wir haben schon besprochen, dass wir es wiederbeleben und sehr engagiert vorantreiben wollen. Ich glaube, dass eine gute Zusammenarbeit zwischen Polen, Frankreich und Deutschland auch für Europa insgesamt gut ist. Deshalb werden wir aus diesem Format herausholen, was herauszuholen ist.
Ansonsten gibt es natürlich viele Gespräche über die Frage, wie wir die Zukunft Europas organisieren können und wie wir sicherstellen können, dass der Beitrag aller Mitgliedsstaaten größer wird, was die Verteidigung Europas, aber auch die Unterstützung der Ukraine betrifft. Das ist aber eine laufende Debatte, bei der es erst einmal darum geht, dass wir uns gemeinsam darauf verpflichten, dass wir das Notwendige an Unterstützung für die Ukraine mobilisieren.
MP Tusk: Ich bin kein professioneller Diplomat. Erlauben Sie mir daher, ganz ehrlich zu sein. Ich sage es ganz direkt: Das Weimarer Dreieck wird keinen tieferen Sinn haben, wenn es nur darum geht, Routinetreffen und Zeremonien zu veranstalten. Wir beide sind ganz praktische Menschen. Aus unserer Sicht hat das Weimarer Dreieck also nur dann Sinn, wenn wir uns gegenseitig ernstnehmen und wenn wir alle zu dritt ganz realistische, konkrete Probleme zu lösen versuchen.
Für mich ist es selbstverständlich, dass das Weimarer Dreieck, also Warschau, Berlin und Paris, den europäischen Änderungen wirklich einen positiven Ton geben kann. Ich bin hierbei ganz entschlossen. Wenn wir also die Sicherheit, die Investitionen in die Rüstungsindustrie und gemeinsame Maßnahmen auch in der Ukraine zusammen als wichtig behandeln, können wir die Position und die Möglichkeit Europas vergrößern, auch wenn wir an größte Herausforderungen und Probleme denken. Aber wir werden unsere Zeit bestimmt nicht damit vergeuden, rein offizielle Treffen ohne Mehrwert zu organisieren.
Nach dem heutigen Treffen habe ich aber keine Zweifel daran, dass unsere Partner sowohl in Paris als auch in Berlin ganz konkret über konkrete Fragen sprechen wollen. Ich will mit dem Bundeskanzler und dem französischen Präsidenten Lösungen finden, die uns hier ein Sicherheitsgefühl geben, auch den europäischen Landwirten. Auch wenn wir einen unterschiedlichen Ansatz zur Finanzierung der Verteidigungspotenziale haben, werden wir Lösungen finden, um die Waffenhilfe für die Ukraine zu finanzieren. Unsere drei Hauptstädte werden das Zeichen geben, dass Europa bestimmt nicht nachgeben wird. In der Frage der Ukraine werden wir nicht lockerlassen. So etwas wie eine Ermüdung durch die Ukraine wird es in Europa nicht geben. Wir werden bestimmt nicht lockerlassen. Das Weimarer Dreieck kann hierbei wirklich eine positive und führende Rolle spielen, nicht im Sinne von Anführern, sondern im Sinne der Ermunterung, etwas zu tun.
Über die Schuldverschreibungen, Obligationen möchte ich hier nicht viel reden. Das ist nicht unsere Schwäche. Ich meine hierbei die Europäische Union, aber auch die einzelnen Mitgliedsstaaten, die wirtschaftliche oder finanzielle Situation. Wir verlieren die Konfrontation gegen Russland in diesem Bereich nicht. Bestimmt werden nicht Gelder darüber entscheiden, dass wir diese Konfrontation verlieren. Die Fragen, wie man die Verteidigungsmöglichkeiten finanziert, sind sehr wichtig. Wir wollen sie lösen. Das will ich ganz entschlossen noch einmal betonen. Es gibt keinen Grund, dass die größte technische, zivilisatorische und auch wirtschaftliche Macht, die Europäische Union, wenn wir alles zusammenrechnen, nicht im Stande sein sollte, sich selbst zu verteidigen, wenn sie durch einen aggressiven Nachbarn bedroht ist. Geld ist nicht das größte Problem. Es geht um mehr Entschlossenheit, damit das Vermögen, der Reichtum Europas dafür genutzt wird, unsere Sicherheit zu verbessern. Das müssen alle Anführer verstehen.
Frage: Herr Ministerpräsident, Herr Bundeskanzler, ich möchte an das anknüpfen, was Sie eben zu den Äußerungen von Donald Trump gesagt haben. Die Abhängigkeit Europas von den USA ist im Bereich der nuklearen Abschreckung besonders groß. Der französische Präsident hat den EU-Partnern schon vor vier Jahren den Vorschlag gemacht, in Gespräche über eine gemeinsame europäische nukleare Abschreckung einzutreten. Ist die Perspektive, dass Donald Trump US-Präsident werden könnte, nicht ein Anlass, auf dieses Gesprächsangebot einzugehen?
Eine Frage an Sie, Herr Ministerpräsident, zu den bilateralen Beziehungen: Ihre Vorgängerregierung hat von der deutschen Regierung Reparationen in Höhe von 1,3 Billionen Euro für die von Nazideutschland in Polen angerichteten Kriegsschäden gefordert. Bleiben Sie bei dieser Forderung, oder stellen Sie sich eine andere Art der Kompensation für diese Kriegsschäden vor?
BK Scholz: Wir haben eine funktionierende Nato, eine sehr gute transatlantische Partnerschaft. Dazu gehört auch das, was wir an nuklearer Zusammenarbeit entwickelt haben. Wie Sie wissen, hat Deutschland gerade entschieden, für die nukleare Teilhabe F-35-Kampfjets aus den USA zu bestellen und sie für das, was darum herum notwendig ist, durch Eurofighter zu begleiten. Es ist auch dabei, die eigene Verteidigungsfähigkeit etwa in dem Bereich der Luftverteidigung und den Möglichkeiten, die damit zusammenhängen, weiterzuentwickeln. Aber das ist das, was wir als Vereinbarung haben. Die französischen und britischen Potenziale gehören in das Gesamtkonzept der Nato.
Ich bin mir sicher, dass die Nato auch noch für lange Zeit unsere gemeinsame Verteidigungsbasis sein wird. Dieses Projekt ist unverändert auf Jahrzehnte angelegt und gründet auf der Wertegemeinschaft, die die europäischen Länder, die USA und Kanada als Demokratien, als Rechtsstaaten, als soziale Marktwirtschaften miteinander haben. Das bleibt und ist immer die Grundlage auch für unsere militärische Zusammenarbeit über den Atlantik hinweg.
MP Tusk: Noch einmal zurück zu den Worten von Donald Trump: Wir sollten nicht jede Äußerung dieser Art ganz ernst nehmen. Aber wir müssen alles dafür tun, dass die transatlantische Zusammenarbeit weiterhin das Fundament unserer Sicherheit bleibt. Es gibt keine gute Alternative zu enger und guter Zusammenarbeit in diesem Bereich zwischen europäischen Nato-Mitgliedern und den Vereinigten Staaten.
Unabhängig davon, wie sich die Situation in Washington entwickelt, ist es meiner Meinung nach unsere Pflicht, heute und auch gegenüber künftigen Generationen, sich darum zu kümmern, und zwar sehr sorgfältig, dass die transatlantischen Beziehungen in der besten Verfassung weiterbestehen. Inwieweit wir das aufrechterhalten können, das wird in der Zukunft die Garantie für unsere Sicherheit und für die Weltordnung sein.
Die nukleare Bedrohung ist bestimmt keine abstrakte Bedrohung. Nach dem Angriff auf die Ukraine hat Putin dieses Argument mehrmals verwendet. Er versucht wirklich, Druck auf den Westen, auf uns alle auszuüben. Er versucht, uns wirklich Angst einzujagen, indem er sagt, dass er nukleare Waffen einsetzen könnte. Das ist bestimmt nicht abstrakt. Darüber haben wir auch ganz kurz gesprochen.
Es genügt, auf das nukleare Potenzial Russlands in der Nähe der polnischen Grenze zu schauen. Die russischen Nuklearwaffen im Bezirk Königsberg wurden modernisiert. Warschau und Berlin sind für Iskander bestimmt erreichbar. Das sind hundert nukleare Raketen, vielleicht mehr. Sie wurden in der letzten Zeit aus irgendeinem Grund modernisiert. Aus irgendeinem Grund sind dort in der letzten Zeit noch mehr Raketen dieser Art installiert worden.
Deswegen wäre es wirklich sehr gut, alle Ideen und Projekte zu realisieren, die unsere Sicherheit in diesem Bereich stärken würden. Ich halte die Worte von Präsident Macron für sehr wichtig. Er hat gesagt, dass Frankreich bereit sei, ganz Europa seine Nuklearfähigkeiten zur Verfügung zu stellen, damit daraus ein wirklich gemeinsame Sicherheitssystem entstehen könne. Solche Signale haben wir seit einiger Zeit. Wir müssen das wirklich ernstnehmen.
Meine Vorgänger haben sich an die deutsche Regierung gewandt. In dem Dokument, das von der polnischen an die deutsche Regierung geschickt wurde, wird über eine Kompensation oder Wiedergutmachung gesprochen. Man hat auch errechnet, welche Verluste Polen durch den Angriff auf Polen 1939 erlitten hat. Ich weiß nicht, ob du dich daran erinnern kannst. Als der Oberbürgermeister von Kiew, Klitschko, einen Preis hier in Berlin bekommen hat, habe ich eine Laudatio auf ihn gehalten. Wir haben damals über eine gerechte Lösung dieses Problems gesprochen. Im formalen Sinne wurden die Reparationen schon vor vielen Jahren abgeschlossen. Aber die materielle und moralische Wiedergutmachung wurde nie realisiert. Daran bin weder ich schuld noch Bundeskanzler Scholz.
Das ist wirklich ein Thema für ein ernsthaftes Gespräch, aber nicht so wie meine Vorgänger, sondern anders. Ich werde mit Bundeskanzler Scholz nach Möglichkeiten der Zusammenarbeit suchen, die aus der Vergangenheit kein Fatum machen, das unsere gegenseitigen Beziehungen belasten würde. Wir werden Entscheidungen treffen, die für uns beide zufriedenstellend sein werden und die damit der Sicherheit der Zukunft gut dienen können.
Bundeskanzler Scholz hat vielleicht eine etwas abweichende Ansicht dazu, aber ich denke, dass Deutschland hier etwas zu tun hat. Ich möchte das nicht ganz aggressiv zum Ausdruck bringen, nicht nur, weil ich der polnische Politiker bin. Aber ich bin auch der Historiker, und ich stamme aus Danzig. Das sind die drei Gründe, die mir sagen, dass ich sehr ernsthaft über den Ausgleich der Rechnungen nachdenken muss. Aber ich möchte, dass es nicht zu negativen Emotionen führt, sondern dass es sich wirklich für die gute Zukunft der beiden Völker entwickelt.