Pressekonferenz von Bundeskanzler Scholz nach dem NATO Gipfel am 30. Juni 2022 in Madrid

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BK Scholz: … (Eine Aufzeichnung über den Beginn der Pressekonferenz liegt nicht vor.) Deutschland wird die Ratifizierung des Beitritts noch in dieser Woche beginnen und sehr schnell abschließen. Wir stehen bereit, beiden Staaten schon jetzt Beistand zuzusichern, solange der Prozess der Aufnahme formal noch nicht ganz abgeschlossen ist.

Die Bedeutung der Nato für unsere Sicherheit, für die Sicherheit Europas und den Frieden in der Welt ist so groß wie lange nicht. Der russische Überfall hat die Friedensordnung der letzten Jahrzehnte zertrümmert. Vieles, was wir in der Welt lange Zeit als gegeben angenommen haben, steht in Frage: die Sicherheit unserer Grenzen, der Respekt vor und die Geltung des Völkerrechts, friedliche Mechanismen, um Konflikte zu lösen, ein zivilisierter Umgang miteinander. In dieser Welt braucht es gute und enge Freunde, so habe ich es vor zwei Tagen zum Abschluss des G7-Gipfels in Elmau gesagt. Das gilt ganz besonders hier bei der Nato. 30, bald 32, Staaten, die nach dem Motto „Einer für alle, alle für einen“ eng zusammenstehen und die Leib und Leben riskieren würden, um einander zu Hilfe zu eilen, das ist die Nato. Das war auch hier in Madrid bei den Arbeitssitzungen und allen Begegnungen zu spüren. Das ist ein gutes Gefühl. Es ist auch die wahre Stärke unserer Allianz, dass wir auf dem Boden gemeinsamer Werte und Prinzipen für unsere Freiheit einstehen, aus freien Stücken und voller Überzeugung.

Die weltpolitische Lage hat sich durch Russlands Überfall auf die Ukraine verändert, und die Nato zieht daraus die richtigen Schlüsse, das neue strategische Konzept. Die Grundaufgabe der Nato bleibt gleich, die Verteidigung des Bündnisgebietes und die gegenseitige Beistandsgarantie. Neu ist der wieder veränderte Blick auf Moskau. Durch seine aggressive Politik stellt Russland wieder eine Bedrohung für Europa, für die Allianz dar. Es bedroht die internationale Ordnung. Die Nato stärkt deshalb ihre Verteidigungsfähigkeit insbesondere mit Blick auf die Sicherheit ihrer Mitglieder entlang der Ostflanke. Als Nato erhöhen wir unsere Präsenz im Baltikum, in Polen, Rumänien, der Slowakei und Tschechien. Wir werden in Zukunft die neue Streitkräftestruktur, deren Kräfte der Nato-Generalsekretär auf 300 000 Mann für die ersten Stunden und Tage einer Krise beziffert hat, glaubwürdig und substanziell unterstützen. Wir haben mit unserer Ankündigung, eine Kampfbrigade exklusiv für die Verteidigung des Bündnisgebietes in Litauen bereitzuhalten, in der Allianz den Maßstab gesetzt. Wir werden mit dem Angebot der Bereitstellung eines regionalen Marinekommandos für den Ostseeraum im maritimen Bereich Führungsverantwortung übernehmen können. Die Bundeswehr wird zusätzlich und in hoher Einsatzbereitschaft im Kern eine gepanzerte Division in der Größenordnung von 15 000 Soldatinnen und Soldaten zur Verteidigung Nordosteuropas, über 60 Flugzeuge und bis zu 20 Marineeinheiten dauerhaft vorhalten.

Als logistische Drehscheibe in Europa leisten wir darüber hinaus einen strategisch wichtigen Beitrag für die kollektive Verteidigungsfähigkeit der Nato. Bereits heute haben wir in Abstimmung mit der Nato unsere Präsenz an der Ostflanke unter anderem durch Beiträge zur Luftraumüberwachung in Polen und Rumänien mit Eurofightern sowie zum Nato-Verband in der Slowakei mit derzeit 500 Soldatinnen und Soldaten und der Hochwertfähigkeit Patriot geografisch ausgeweitet. Für Deutschland heißt das, das wir unseren Beitrag zu Land, zur See und in der Luft weiter ausbauen werden. Wir bieten an, in Rostock ein maritimes Regionalkommando für die Ostsee aufzubauen.

Die Streitkräftestruktur der Allianz wird ebenfalls an die neue Lage angepasst. Ich habe zugesagt, dass die Bundeswehr künftig für Nordosteuropa unter anderem eine gepanzerte Division unterhält. Als logistische Drehscheibe in Europa leisten wir außerdem einen strategisch wichtigen Beitrag für die kollektive Verteidigungsfähigkeit.

In den Diskussionen wurden diese substantiellen deutschen Beiträge von zahlreichen Partnern ausdrücklich gewürdigt, ebenso übrigens wie das kürzlich beschlossene Sondervermögen. Es wurde von vielen Kollegen als entscheidender Auslöser für die substanzielle Erhöhung ihrer eigenen Verteidigungsausgaben bezeichnet.

Natürlich hat uns hier in Madrid auch das Thema der Ukraine sehr beschäftigt. Präsident Selensky war zugeschaltet und hat wie auch bei seinen Beiträgen beim EU-Gipfel und beim G7-Gipfel die Lage seines Landes beschrieben. Neben der individuellen Unterstützung, die mehr als vier Dutzend Länder der Ukraine leisten, unterstützt die Nato die Ukraine im nicht letalen Bereich im Rahmen der bestehenden Nato-Ukraine-Kooperation ganz praktisch.

Am Rande dieses Treffens gab es auch genügend Zeit für bilaterale Begegnungen. Besonders interessant war vielleicht, dass erstmals auf einem solchen Gipfel die Asien-Pazifik-Partner Japan, Korea, Australien und Neuseeland vertreten waren.

Mir bleibt noch, unserem spanischen Gastgeber Pedro Sanchez zu danken. Es war ein hervorragend organisierter Gipfel, der einmal mehr deutlich gemacht hat, welch wichtiger Verbündeter Spanien für uns alle ist.

Auch das möchte ich noch sagen: Am Rande dieses Gipfels gab es auch Gelegenheit, in einem anderen internationalen Problem Fortschritte zu erreichen. Es geht um eine Frage, die den Westbalkan betrifft, der mich, wie Sie wissen, besonders beschäftigt. Hier in Madrid habe ich mich mehrfach mit dem Präsidenten Nordmazedoniens, Stevo Pendarovski, und auch mit dem bulgarischen Präsidenten getroffen. Mit führenden Politikern der Region habe ich gestern und heute telefoniert. Wir sind einer Lösung des Konflikts nun deutlich näher gerückt. Die französische Ratspräsidentschaft hat einen neuen Vorschlag gemacht, der auf die Empfindlichkeiten beider Seiten eingeht. Sie wollen ihn nun in den nächsten Tagen prüfen. Ich habe die Hoffnung, dass wir damit Hürden auf Nordmazedoniens Weg in die EU aus dem Weg räumen konnten.

Soweit von mir. Natürlich freue ich mich jetzt auf Ihre vielen Fragen.

Frage: Herr Bundeskanzler, Sie haben gesagt, dass Deutschland die Ukraine so lange unterstützen wolle, wie sie das für ihre Verteidigung brauche. Sie haben auch den Vorschlag eines Marshallplans gemacht.

Was ist, abgesehen davon, dass wir kein militärisches Füllhorn zu sein scheinen, Ihre Botschaft an die deutsche Bevölkerung, dass sie sich aus Solidarität mit der Ukraine im Kampf um Freiheit und Demokratie auf eigene Wohlstandseinbußen einstellen sollte?

BK Scholz: Wir haben der Ukraine die Solidarität gegeben, die sie braucht, und wir werden das auch weiterhin so tun. Dabei weiß ich mich im Einklang mit der deutschen Bevölkerung. Von Anfang an habe ich gesagt: Vieles von dem, was wir jetzt entscheiden - dazu zählen natürlich auch die Sanktionen, die wir zusammen mit unseren Freunden und Verbündeten gegen Russland festgesetzt haben -, hat auch Rückwirkungen auf uns. - Wir haben versucht, sie so zu kalibrieren, dass sie vor allem Russland und die Entwicklungsfähigkeit seiner eigenen Wirtschaft treffen, um Putin davon abzubringen, diesen furchtbaren Krieg immer weiter fortzusetzen.

Aber immer war klar und ist klar, dass es auch bei uns Konsequenzen geben wird. Schon in meiner Rede vor dem Deutschen Bundestag nach dem Kriegsausbruch habe ich gesagt, dass wir uns deshalb auf eine schwierige Situation einstellen, was Energielieferungen betrifft, und deshalb dazu beitragen werden, dass wir uns unabhängiger machen können. Wir haben die notwendigen Entscheidungen getroffen, was Kohle und Öl betrifft, und wir werden auch die notwendigen Vorbereitungen treffen, um eine größere Unabhängigkeit bei Gasimporten zu erreichen. Deshalb werden jetzt im Schnellverfahren viele, viele Pipelines und LNG-Terminals, Flüssiggasterminals, an den norddeutschen Küsten gebaut.

Die Konsequenz ist schon so, dass sich natürlich alle Schwierigkeiten in den Lieferungen auch bei uns niederschlagen werden. Dessen sind sich die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes bewusst.

Frage: Herr Bundeskanzler, ich habe eine Frage zu Kaliningrad. Es gibt Berichte darüber, dass die Bundesregierung Vermittlungsbemühungen anstrebt, um den Transitverkehr zwischen Russland und Kaliningrad zu ermöglichen.

Fürchten Sie, dass ansonsten eine Eskalation droht?

Wie begegnen Sie Kritikern gerade auch im Baltikum, die sagen: „Wenn wir jetzt da zurückrudern, dann ist das ein Zeichen der Schwäche gegenüber Russland“?

Ganz kurz, weil ja gerade ein neuer offener Brief kursiert, in dem die Bundesregierung aufgerufen wird, ihre Waffenlieferungen zu überdenken: Fühlen Sie sich in Ihrem Kurs bestätigt, weiterhin schweres Gerät auch nach Russland zu liefern, auch dadurch, dass die russische Regierung beziehungsweise das russische Militär offenbar entschieden hat, die Schlangeninsel zu räumen, die unter Artilleriebeschuss der Ukrainer stand?

BK Scholz: Was die Frage Kaliningrads betrifft, ist es eine Sache der Europäischen Union, die notwendigen Rahmenbedingungen und Regeln festzusetzen. Diese sind natürlich immer im Lichte der Tatsache festzusetzen, dass es hier um den Verkehr zwischen zwei Teilen Russlands geht. Ich denke, dass sich gegenwärtig alle Beteiligten sehr darum bemühen, eine Deeskalationsdynamik zu etablieren. Das ist jedenfalls meine Beobachtung.

Den Brief, den Sie angesprochen haben, kenne ich nicht. Deshalb kann ich mich auf den nicht beziehen. Aber ich will Ihnen gerne versichern, dass ich glaube, dass es richtig ist, was wir tun, dass wir Waffen an die Ukraine liefern, damit sie sich verteidigen kann, und dass wir jetzt auch genau diejenigen zur Verfügung stellen, die im Rahmen dieser Verteidigungsstrategie in der aktuellen Situation notwendig sind. Dazu zählen natürlich die Panzerhaubitzen, die wir geliefert haben. Sie wissen, dass die Verteidigungsministerin die Lieferung noch einmal ausweiten will. Dazu zählt selbstverständlich die Entscheidung, die wir getroffen haben, dass wir zusammen mit Großbritannien und den USA Mehrfachraketenwerfer zur Verfügung stellen. Dazu zählen aber auch all diejenigen Lieferungen, die wir zur Verteidigung gegen Angriffe aus der Luft zur Verfügung stellen, ob es nun der Gepard oder das moderne System IRIS-T ist, mit denen man den Luftraum großer Städte schützen kann. Diesen Kurs werden wir auch so fortsetzen.

Frage: Herr Bundeskanzler, bei den Waffenlieferungen würde ich gerne gleich anschließen. Sie haben ja immer gesagt, Deutschland liefere das, was die Verbündeten auch lieferten. Ist sich die Nato immer noch einig, keine Kampfpanzer in die Ukraine zu liefern? Es gibt ja mit Spanien ein Land, das sich offenbar dazu bereit erklärt hat.

BK Scholz: Ich wiederhole gerne, was Sie in Ihrer Frage auch wiedergegeben haben: Wir orientieren uns bei dem, was wir machen, immer an den Lieferungen der Verbündeten, insbesondere der USA, und das werden wir auch weiterhin tun.

Frage: Herr Bundeskanzler, Sie haben in den vergangenen Tagen sehr viele Gespräche geführt, unter anderem zweimal auch mit Präsident Selensky. Wie bewerten Sie denn jetzt die militärischen Aussichten der Ukraine für die kommenden Wochen und Monate in dem Bemühen, die russische Armee wieder zurückzudrängen - wir haben heute von der Schlangeninsel gehört -, und den westlichen Waffenbeitrag in diesem Zusammenhang? Wird da sozusagen genug getan? Sind die Aussichten so, dass die Ukraine in den nächsten Wochen und Monaten dieses Ziel erreichen kann?

BK Scholz: Ich empfehle allen, aber auch mir, Zurückhaltung bei der Bewertung des weiteren militärischen Geschehens. Das ist eine sehr, sehr schwierige Lage, und die ist natürlich von der unglaublichen Brutalität des russischen Angriffs geprägt, die wir ja jeden Tag wieder erneut vorgeführt bekommen. Aber für mich ist auch klar, dass zu dem, was in der Ukraine eine Rolle spielt, natürlich auch der Mut und die Tapferkeit der ukrainischen Soldatinnen und Soldaten sowie das Geschick ihrer Militärführung gehören, die ihr Land eben mit großem Einsatz verteidigen. Dabei helfen dann aber auch die Waffenlieferungen so vieler Staaten, die es der Ukraine nun ermöglicht haben, schon so lange Widerstand zu leisten. Das, was ich eingangs gesagt habe, will ich hier noch immer wiederholen: Wir werden das so lange tun, wie es notwendig ist. Aber eine Vorhersage darüber, wie lange das sein wird, kann man, glaube ich, gegenwärtig nicht seriös abgeben.

Frage: Herr Bundeskanzler, ich habe zwei Fragen. Die Nato hat ja gestern mit dem neuen strategischen Konzept einen ganz anderen Blick auf Russland geworfen. Ist damit aus Ihrer Sicht auch die Nato-Russland-Grundakte Geschichte? Die USA haben auch angekündigt, ein permanentes Hauptquartier in Polen zu etablieren, was dem ja widersprechen würde. Das ist die eine Frage.

Die andere: Sie haben eben gesagt, es gelte in dieser Phase sozusagen Beistand auch für Finnland und Schweden. Ist das nur eine politische Aussage, oder gibt es auch eine militärische Planung, weil es im Zweifel ja schnell gehen müsste?

BK Scholz: Nein, wir haben diese Aussage ja schon getätigt, als das mit den Beitrittserwägungen dieser Länder anstand. Das ist etwas, das einfach zu den solidarischen Verpflichtungen gehört, die wir einander schulden, und zwar natürlich ganz besonders im Hinblick auf den Beitrittsprozess. Das habe ich jetzt einfach nur noch einmal und erneut versichern wollen. Ich glaube, dass jeder weiß, dass es immer eine schwierige Phase ist, wenn eine solche Entscheidung stattfindet. Allerdings will ich hier gerne wiedergeben, was wir auch gerade noch einmal ganz neu vom russischen Präsidenten gehört haben, der das mehr oder weniger unbeeindruckt zur Kenntnis genommen hat. Insofern ist das, glaube ich, etwas, bei dem wir trotz der brenzligen Lage davon ausgehen können, dass es nicht zu einer Verschärfung der Spannung zwischen der Nato und Russland beiträgt. So sieht es aus. Alles ist immer mit Unsicherheiten verbunden, die mit der gegenwärtigen Lage zu tun haben.

Die Nato-Russland-Grundakte existiert. Sie ist nicht aufgekündigt. Das ist auch richtig so, weil man jedes Mal, wenn man sie aufschlägt, Russland vorlesen kann, wozu es sich verpflichtet hat, nämlich dazu, zu sagen, dass Grenzen unverletzbar sind, dass Grenzen nicht mit Gewalt verschoben werden, dass die Souveränität und Integrität von Staaten nicht infrage gestellt werden soll, und da gibt es noch ganz viele weitere Punkte. Aber selbstverständlich ist das, was Russland gemacht hat, eine flagrante Verletzung der Regeln, die in der Nato-Russland-Grundakte stehen. Umso wichtiger ist es, auf sie verweisen zu können. Die Reaktionen, die die Nato jetzt etabliert, sind kein Verstoß gegen diese Regeln. Sie befinden sich im Rahmen dessen, was dort angesichts der veränderten Lage festgelegt ist.

Frage: Herr Bundeskanzler, Sie haben die weitreichenden Beschlüsse von Madrid dargelegt. Haben Sie das Gefühl, dass das, was das für Deutschland und auch für die Bevölkerung in Deutschland bedeutet - diese totale Veränderung der sicherheitspolitischen Lage, der Aufwuchs der Bundeswehr -, in der Bevölkerung vollumfänglich angekommen ist, welche Veränderungen das ist? Sehen Sie für sich noch Herausforderungen, dies der Bevölkerung tatsächlich klarzumachen?

BK Scholz: Nach dem russischen Angriffskrieg habe ich von einer Zeitenwende gesprochen, die mit diesem Krieg verbunden ist und die Konsequenzen hat. Zu diesen Konsequenzen zählt aus meiner Sicht unbedingt, dass die Bundeswehr stark genug sein muss, ihren Beitrag zu Landesverteidigung und zur Bündnisverteidigung zu leisten. Deshalb habe ich gesagt: Wir werden jetzt entsprechend unsere Ausgaben steigern, die wir für die Landesverteidigung, für die Bundeswehr, ausgeben. Ich habe, damit das möglich ist, auch ein Sondervermögen für die Bundeswehr auf den Weg gebracht. Alle merken, dass es ernst ist, und deshalb habe ich den Eindruck, dass die Logik hinter diesen Entscheidungen auch den Bürgerinnen und Bürgern sehr einleuchtet. Jedenfalls ist das, was ich aus vielen Gesprächen mit Bürgerinnen und Bürgern mitnehme: Das wird breit mitgetragen und unterstützt.

Frage: Was ist Ihre Antwort auf die Aussage des russischen Präsidenten, der der Nato jetzt imperiale Ambitionen vorwirft?

BK Scholz: Das ist, ehrlich gesagt, ziemlich lächerlich; denn tatsächlich ist die Nato eine defensive Allianz, greift keine anderen Länder an und hat das auch nicht vor. Sie ist für niemanden in der eigenen Nachbarschaft eine Bedrohung. Tatsächlich ist es Putin, der Imperialismus zum Ziel und zum Gegenstand seiner Politik gemacht hat. Er ist derjenige, der sich in Aufsätzen dazu äußert, dass ein Teil seiner Nachbarländer eigentlich Teil von seinem Land sei, und in der Ukraine zur Tat geschritten ist, sich ein Stück Land zu erobern. Das ist etwas, das Imperialismus ist und auch nicht anders bezeichnet werden kann.

Frage: Herr Bundeskanzler, der Nato-Generalsekretär hat hier in Madrid gesagt, dass er es für falsch hält, wenn es unter Verbündeten Rüstungskontrollsperren für die Ausfuhr von Rüstungsgütern gibt. Finnland und Schweden haben sich gegenüber der Türkei verpflichtet, ihre nationalen Kontrollbeschränkungen zu überarbeiten, sodass sie die Solidarität mit den Bündnispartner widerspiegeln. Deutschland hat seit Ende 2019 eine Teilbeschränkung gegen die Türkei erlassen. Ist die Bundesregierung bereit, diese Beschränkung jetzt neu zu evaluieren und auch aufzuheben?

BK Scholz: Wir haben keine generellen Entscheidungen im Hinblick auf Nato-Staaten getroffen, sondern Einzelfallentscheidungen, die seit vielen Jahren schon jedes Mal neu erwogen und evaluiert werden. Das wird auch weiterhin der Fall sein. Aber das bleiben Einzelfallentscheidungen für einzelne Themen und sind nicht Grundsatzentscheidungen. Solche gibt es nicht, und die werden wir auch weder in die eine noch die andere Richtung treffen.

Frage: Herr Bundeskanzler, nachdem die Frage, die ich eigentlich hatte, jetzt gerade gestellt wurde, würde ich dann gerne noch einmal zu den 300 000 Soldaten zurückkommen. Es gibt ja noch verschiedene Vorstellungen, bis wann die bereit sein sollen. Der Nato-Generalsekretär hatte hier von 2023 gesprochen. Von Ihrer Verteidigungsministerin war eher von 2025 zu hören. Was ist also jetzt die Einigung, was das Jahr und die Frage angeht, wie schnell die bereitgestellt werden könnten?

Wenn ich darf, stelle ich ganz kurz noch eine Frage. Es gab ja diese etwas unschöne Szene in Elmau, für die es ja auch viel Kritik an Ihrer Antwort gab. Ich glaube, Sie hatten dabei ja eigentlich auf etwas verwiesen, was Sie schon vorher beantwortet hatten. Ich wollte Ihnen trotzdem die Gelegenheit geben, sich öffentlich noch einmal dazu zu äußern, wenn Sie denn mögen.

BK Scholz: Ich möchte mich ausdrücklich zu allem äußern, was ich gefragt werde!

Was die Frage dieser schnell mobilisierbaren Kräfte betrifft, ist das ein ständiger Aufwuchs, der jetzt stattfindet. Das ist schon ein sehr weitgehendes Commitment aller Mitgliedstaaten der Nato, weil sie jetzt natürlich schnell etwas ändern müssen. Denn über die Jahre hinweg hat sich schon eine Vorstellung eingeschlichen, als ob man sich nach langer Ankündigung auf einen Angriff vorbereiten könne, und diese Vorstellung hat sich ja nun als falsch erwiesen. Auch wenn wir wissen, dass Russland seinen Angriff auf die Ukraine wohl lange vorbereitet hat, bleibt das für uns etwas, woraus wir den Schluss ziehen müssen: Wir müssen schnell reagieren können.

Deshalb werden wir unseren Beitrag dazu leisten, das so schnell wie möglich zu tun. Ich habe über die Dimensionen der Kräfte, die wir jetzt schnell bereitstellen können, schon gesprochen, und wir werden das entsprechend unseres Anteils auch so schnell wie möglich weiter vorantreiben. Dazu zählen jetzt ja auch all die Bestellungen, die wir aufgeben, was Gerät betrifft, Infrastruktur betrifft, was die Frage der Munition und der Ersatzteile betrifft. All das, was wir als Problem der Vergangenheit kennen, soll jetzt besser werden. Je schneller all das eintrifft, umso schneller wird es bei uns und anderen Ländern auch zu einem schnellen Aufbau kommen, sodass wir hoffentlich sehr bald vermelden können, dass wir diese große Zahl von sofort verfügbaren Kräften immer mobilisieren können, was ja auch eine Botschaft an alle ist, die Angriffe auf das Nato-Territorium wagen wollen.

Frage (auf Englisch)

BK Scholz: ... die, die ich vorhin versucht habe, wiederzugeben, dass es nämlich so ist, dass wir ganz offensichtlich davon ausgehen müssen, dass Russland sich mit dem Beitritt Finnlands und Schwedens zur Nato abgefunden hat. Das will ich hier auch als Botschaft stehen lassen. Es war eine richtige Entscheidung, die die beiden Regierungschefinnen dieser Länder und der Präsident von Finnland vorbereitet haben, die von der Stimmung der Bürgerinnen und Bürger der Länder getragen, aber auch von den Parlamenten der Länder unterstützt worden ist. Das ist aus meiner Sicht die Auswertung.

Ansonsten kann ich Ihnen versichern, dass Deutschland im Umgang mit Unternehmen, die wegen externer Schocks in Krisen geraten, eine Praxis hat - das war zum Beispiel bei der COVID-19-Pandemie der Fall - und wir deshalb schon die Bereitschaft haben, das Notwendige zu tun. Was das im Einzelnen ist, lässt sich abstrakt nicht sagen. Aber dass wir Fähigkeiten haben, etwas zu unternehmen, und die Bereitschaft, das Notwendige zu machen, haben wir schon bei der COVID-19-Pandemie gezeigt. Das war sehr wirksam. Diese Praxis ist dann eine gut eingeführte.

Frage: Herr Bundeskanzler, Sie haben gesagt, dass Deutschland die Ukraine mit Waffenlieferungen unterstützen wird. Wir hören ganz häufig von Bundesministerin Lambrecht, dass Deutschland mit dem, was es liefert, an seine Grenzen kommt. Sie hat das zum Beispiel in dieser Woche in Bezug auf die Panzerhaubitzen gesagt. Es ist klar, dass Deutschland früher ganz viel gespart hat. Aber wir sehen jetzt, dass das, was die Ukraine bekommen hat, noch nicht ausreicht, um den Angriff Russlands zu stoppen. Daher ist die Frage: Was können Sie der Ukraine sagen? Können Sie der Ukraine versichern, dass Deutschland und auch andere Nato-Länder genügend Waffen haben werden, um sie der Ukraine zu liefern, damit diese sich verteidigen kann? - Vielen Dank.

BK Scholz: Wir haben uns dazu verpflichtet, Waffen zu liefern, und zwar auch diejenigen, die für das, was jetzt in der Ukraine stattfindet, notwendig ist, damit die Ukraine sich verteidigen kann. Ich habe über einige schon gesprochen. Sie haben die Panzerhaubitzen erwähnt. Ich habe ja schon gesagt, dass die Ministerin gerade dabei ist, über die Lieferungen hinaus, die wir bereits zusammen mit den Niederlanden auf den Weg gebracht haben und an denen wir so viele Soldatinnen und Soldaten der Ukraine ausgebildet haben, weitere Lieferungen vorzubereiten.

Frage: Herr Bundeskanzler, noch einmal eine Frage zum Thema Gas. Wie besorgt sind Sie eigentlich, wenn Sie an den kommenden Winter denken, was die Gasversorgung in Deutschland angeht? Fürchten Sie, dass möglicherweise Mitte Juli im Zuge dieser Wartungsarbeiten der Gashahn von Nord Stream 1 dann ganz zugedreht oder nicht mehr aufgedreht wird?

Noch einmal zu der Frage von eben in Sachen Uniper: Würden Sie Uniper unterstützen, falls der Konzern wirklich in Schieflage gerät? Der Wirtschaftsminister hat ja sogar schon von einem „Lehman-Brothers-Effekt im Energiemarkt“ gewarnt, falls größere Unternehmen ins Schwanken geraten.

BK Scholz: Ich habe eben schon versucht, die Frage zu beantworten und will das gerne noch einmal tun, um auf entsprechende Rückfragen einzugehen. Es ist so, dass wir in der COVID-19-Pandemie die Praxiserfahrung gemacht haben, was zu tun ist und wie man das tun kann. Daran knüpfen wir gerne dort an, wo es notwendig ist. Das wird aber im Einzelfall zu prüfen und zu erwägen sein. Da verbieten sich alle abstrakten Erwägungen.

Zur ersten Frage: Seit Dezember letzten Jahres, als ich Kanzler wurde, habe ich mit meiner Regierung die Frage erörtert: Was machen wir mit den Energielieferungen, wenn wir Schwierigkeiten haben? Weil das ja eine mögliche Eskalation aus dem Konflikt zwischen Russland und der Ukraine gewesen ist, der, wie wir wissen, schon da war, und der großen Bedrohung, die Russland für die Ukraine dargestellt hat, die sich dann Ende Februar mit dem Kriegsbeginn, dem Angriff Russlands auf die Ukraine, materialisiert hat.

Weil wir das gemacht haben, konnte ich bereits wenige Tage danach – an dem Sonntag – im Deutschen Bundestag sagen, dass wir zum Beispiel Flüssiggasterminals bauen, dass wir Pipelines errichten werden, dass wir Gesetze ändern werden, damit das schnell geht. Wir haben Entscheidungen getroffen, die dazu beitragen, dass die Speicher wieder gefüllt werden. Wir haben Entscheidungen getroffen, die es jetzt möglich machen, dass wir Kohlekraftwerke laufen lassen, um Gas zu sparen. Wir haben viele, viele andere gesetzliche Maßnahmen ergriffen, um uns auf eine schwierige Situation vorzubereiten und das Notwendige in der richtigen Geschwindigkeit zu tun. Ich glaube, das geschieht auch mit unglaublichem Nachdruck.

Wir haben uns seit Beginn der Amtszeit dieser Regierung wirklich rechtzeitig auf den Weg gemacht. Dass wir uns in Deutschland vielleicht vor Jahren auf die Situation hätten vorbereiten müssen, dass es von einem Tag auf den anderen - aus was für Gründen auch immer - plötzlich mit den Energielieferungen schwierig wird, steht auf einem anderen Blatt. In diesem Fall ist es jedenfalls so, dass wir hier jetzt wirklich mit großem Tempo unterwegs sind. Natürlich hoffen wir, dass wir übervorsichtig sind, dass wir mehr gemacht haben, als sich am Ende als notwendig erweist. Das kann nur keiner vorhersagen. Wir müssen uns auch auf die schwierigen Fälle vorbereiten, und das tun wir.

Frage (auf Englisch)

BK Scholz: ... dafür, dass Sie darauf hingewiesen haben, was ich für eine dramatische Veränderung der deutschen Sicherheitsstrategie im Deutschen Bundestag angekündigt und mittlerweile auch im Parlament und in der Praxis durchgesetzt habe.

Zu der Frage, ob die Zuständigen in der Bundeswehr mit der schnellstmöglichen Geschwindigkeit diese Veränderung umsetzen und ob das auch für die Waffenlieferungen an die Ukraine gilt: Ja, wir machen das so schnell, wie es geht. Da wird niemand zögerlich handeln, sondern alle wollen das so schnell wie möglich möglich machen. Sie haben in Bezug auf die Panzerhaubitzen gesehen: Kaum war die Ausbildung beendet, waren sie in der Ukraine. Das ist vielleicht ein Zeichen dafür, dass man darauf vertrauen kann, dass das auch richtig läuft.

Frage: Herr Bundeskanzler, Sie haben eben auf die Reaktionen der Nato-Partner auf das 100-Milliarden-Sondervermögen hingewiesen. Mich würde interessieren, wie nachhaltig das ist. Können Sie heute garantieren, dass Sie in dem Fall, dass Sie wiedergewählt werden, in Ihrer zweiten Amtszeit das Zwei-Prozent-Ziel der Nato einhalten, auch wenn dann der 100-Milliarden-Topf leer ist?

BK Scholz: Dazu habe ich mich schon geäußert, als ich ihn angekündigt habe und habe gesagt, dass er gewissermaßen dem Pfadwechsel, der Neueinfädelung auf eine schnellere Spur dient, wenn man das Bild verwenden mag, weil wir das jetzt dauerhaft werden machen müssen. Niemand sollte glauben, dass es, wenn die 100 Milliarden aus dem Fonds ausgegeben sind, plötzlich nicht mehr die Anforderung geben wird, entsprechend weiter zu investieren. Aber wir brauchen für den Pfadwechsel gewissermaßen eine Weiche. Diese Weiche ist das 100-Milliarden-Sondervermögen für die Bundeswehr.

Frage: Herr Bundeskanzler, Sie sehen Wladimir Putins Weg. Was glauben Sie, welcher Punkt erreicht sein muss, dass er seinen Krieg stoppt? - Danke.

BK Scholz: Das vermag niemand wirklich zu sagen. Wer steckt schon in seinem Kopf? Wer sind seine Berater? Es rätseln ja auch viele darüber, ob es die überhaupt gibt und ob die unter den Zeitgenossen weilen. Das weiß kein Mensch.

Ich will für mich nur sagen, dass das, was wir tun, genau darauf gerichtet ist, ihn davon zu überzeugen, dass das mit dem Diktatfrieden gegenüber der Ukraine nicht klappen wird und er deshalb sein Vorhaben abblasen soll. Deshalb verweise ich darauf, dass wir die Unterstützung so lange gewähren werden, wie es nötig ist, aber dass die Sanktionen auch nicht beendet wären, wenn es einen solchen Diktatfrieden gäbe. Das, was gegenwärtig von ihm gegenwärtig weiter vorangetrieben wird, macht also keinen Sinn. Ich will schon sagen, dass es schlimme, gewaltige Zerstörungen sind, die ganz besonders im Osten der Ukraine angerichtet werden. Es sind furchtbare Verletzungen aller Regeln, die wir gemeinsam haben. Es werden Häuser, Infrastrukturen zerstört; es sterben Menschen: Zivilisten, Bürger, Kinder, Ältere, Kranke. Das ist ein furchtbarer Krieg. Er macht auch aus der Sicht Russlands keinen Sinn. Denn Russland zerstört ja gegenwärtig nicht nur die Ukraine, sondern auch die eigene Zukunft. Deshalb kann man nur weiter mit großem Nachdruck sagen: Lass es bleiben!