Pressekonferenz des Bundeskanzlers nach dem Europäischen Rat in Brüssel
„Nur wenn wir mit einer Stimme sprechen, werden wir uns in einem rauen geopolitischen Umfeld behaupten können”, betonte Bundeskanzler Merz zum Abschluss des Europäischen Rats. Was ihm im gemeinsamen Handeln wichtig ist, lesen Sie hier.
- Mitschrift Pressekonferenz
- Freitag, 27. Juni 2025

Der Bundeskanzler lobte die „äußerst konstruktive und auch sehr kollegiale Atmosphäre” des Europäischen Rates.
Foto: Bundesregierung/Marvin Ibo Güngör
„Erst G7, dann die NATO und heute der Europäische Rat. Wir haben gewaltige Aufgaben, denen wir uns stellen müssen und denen wir uns auch stellen werden“, resümierte Bundeskanzler Friedrich Merz nach Abschluss des Europäischen Rates in Brüssel. Es sei an der Zeit, dass die Europäische Union „mit einer Stimme spricht, um sich im rauen geopolitischen Umfeld behaupten zu können.“ Wichtige Themen des Gipfels waren die Stärkung der Verteidigungsfähigkeit, der Bürokratieabbau und die Unterstützung der Ukraine.
Lesen Sie hier die wichtigsten Punkte des Statements im Überblick und anschließend das gesamte Pressestatement.
Das Wichtigste in Kürze:
- Europäische Verteidigungsfähigkeit: Im Anschluss an den NATO-Gipfel haben sich die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union über das Fünf-Prozent-Ziel beraten. Zur Verteidigungsfinanzierung wurde das 150-Milliarden-Programm SAFE in Rekordzeit von den EU-Staaten verabschiedet. Drei Dinge sind Kanzler Merz bei der Umsetzung besonders wichtig: „Simplifizierung, Standardisierung und Stückzahlen. Ein echter Binnenmarkt der Verteidigungsindustrie würde sehr viel höhere Effizienz ermöglichen.“
- Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit: Die EU-Staaten stimmen überein, dass das Mercosur-Abkommen so schnell wie möglich verabschiedet werden muss. „Wir sprechen auch über weitere Abkommen, zum Beispiel im gesamten indopazifischen Raum. Da steht ein großes Freihandelsabkommen mit Indien im Raum“, erklärte der Kanzler. Ebenfalls sei über eine alternative Handelsorganisation zur WTO diskutiert worden.
- Bürokratieabbau: Einigkeit herrscht bei den EU-Staaten über den Rückbau der europäischen Bürokratie. Die Omnibus-Vorschläge der Kommission müssten schnell umgesetzt werden, damit gezeigt werden könne, wie ernst es allen Partnern mit diesem Ziel sei, unterstreicht der Bundeskanzler.
- Ukraine unterstützen: Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj war den europäischen Staats- und Regierungschefinnen und -chefs in einer Videokonferenz zugeschaltet. Es wurde über die finanziellen Mittel gesprochen, die 2025 und 2026 bereitgestellt werden sollen. Ebenfalls kam eine erneute Verlängerung der Sanktionen gegen Russland zustande.
- Humanitäre Lage im Gazastreifen: „Wir haben die Sorge um die humanitäre Lage im Gazastreifen miteinander geteilt und sehr intensiv über verschiedene Möglichkeiten gesprochen, wie wir auch mit den Amerikanern zusammen jetzt auf Israel einwirken können, um einen Waffenstillstand im Gazastreifen herbeizuführen“, erklärte der Bundeskanzler. Es gäbe zu Israel eine klare gemeinsame Position des Europäischen Rates.
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Bundeskanzler Friedrich Merz:
So, meine Damen und Herren, schönen guten Abend. Wir wollten an einem Tag fertig werden, wir werden an einem Tag fertig.
Ich freue mich, dass wir uns noch zu später Stunde sehen. Fast auf die Minute genau. 16 Stunden, nachdem wir heute Morgen mit den Beratungen, einigen Vorbesprechungen und dann mit dem Europäischen Rat begonnen haben. Ich will Ihnen aus meiner Sicht einige Ergebnisse zusammenfassend darstellen. Wir haben verschiedene Themen beraten. Sie kennen das Schlusskommuniqué. Das brauche ich im Einzelnen hier nicht zu referieren. Wir haben die ganzen Themen Freiheit, Sicherheit und Wohlstand wirklich in allen Facetten behandelt. Das sind die Grundpfeiler, die unsere Gemeinschaft seit ihrer Gründung stabil tragen. Um uns herum gibt es nun eine neue Wirklichkeit, die diese Grundpfeiler bedroht, unter anderem der verbrecherische Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine, der barbarische Angriff der Hamas auf Israel und das illegale Nuklearwaffenprogramm des Iran. Das sind alles die Themen, die natürlich auch diesen Europäischen Rat sehr stark beschäftigt haben. Es ist auch kein Zufall, dass wir binnen zwei Wochen nun schon zum dritten wegweisenden Gipfel zusammengekommen sind. Sie haben das alle verfolgt. Erst G7, dann die NATO und heute der Europäische Rat. Wir haben gewaltige Aufgaben, denen wir uns stellen müssen und denen wir uns auch stellen werden. Es sind vielleicht die größten Aufgaben seit Beginn des europäischen Projekts überhaupt. Kein Land in Europa, ganz gleich welcher Größe, ist diesen Herausforderungen allein gewachsen. Nur wenn wir mit einer Stimme sprechen, werden wir uns in einem rauen geopolitischen Umfeld behaupten können. Und auch nur, wenn wir Europäer zu neuer Stärke finden. Gleich beim ersten Thema heute Morgen ging es um die Stärkung Europas, nämlich um unsere Verteidigungsfähigkeit. Wir haben sehr ausführlich über die Konsequenzen aus der Einigung des gestrigen Tages auf das 5-Prozent-Ziel beim NATO-Gipfel gesprochen.
Mir sind persönlich dabei vor allem drei Dinge wichtig. Erstens die Verteidigungsfinanzierung. Wir sind in Deutschland vorangegangen mit der Grundgesetzänderung. Wir haben auch auf der europäischen Ebene inzwischen viel erreicht. Wir haben ein 150-Milliarden-Programm SAFE in Rekordzeit geeint und entsprechende Förderprogramme aufgelegt. Ich habe das auch in Deutschland mehrfach zur Verteidigungsindustrie gesagt: „Geld allein genügt nicht.“ Ein echter Binnenmarkt der Verteidigungsindustrie würde sehr viel höhere Effizienzen ermöglichen. Und dafür sind aus meiner Sicht – und ich habe das heute auch ausführlich vorgetragen –, drei Dinge ganz besonders wichtig. Ich sage immer die drei großen S, Simplifizierung, Standardisierung und Stückzahlen. Wir haben in Europa viel zu viele Systeme. Diese Systeme sind insgesamt viel zu kompliziert und wir haben zu geringe Stückzahlen. Wenn wir das ändern, haben wir die Chance, aus den Mitteln, die jetzt zur Verfügung stehen, auch wirklich mehr zu machen. Und Verteidigungspartnerschaften zu schließen, stärken uns als Europäer. Ich will daher ausdrücklich das Abkommen, das die Amerikaner auch mit dem Vereinigten Königreich und mit Kanada abgeschlossen haben, begrüßen. Wir müssen solche Partnerschaften jetzt weiter ausbauen.
Wir haben schließlich sehr ausführlich über die Wettbewerbsfähigkeit der Europäischen Union gesprochen. Und das war das Thema, das uns auch bis heute Abend spät beschäftigt hat. Wir haben verschiedene Aspekte beleuchtet. Einige Aspekte waren die Handelsbeziehungen und auch die Handelsabkommen. Ich kann dankbar feststellen, dass wir uns im Grundsatz einig sind. Es hat jedenfalls von keinem der Staats- und Regierungschefs grundsätzliche Einwände gegeben, das heißt, dass wir uns im Grundsatz einig sind, dass das Mercosur-Abkommen jetzt so schnell wie möglich verabschiedet werden muss. Da gibt es noch an der einen oder anderen Stelle kleinere Themen, aber das sind wirklich nur kleinere Themen. Der Ratspräsident hat in seinen Schlussfolgerungen gerade eben noch einmal darauf hingewiesen, dass wir im Agrarbereich, im kleinen einstelligen Prozentbereich, Importe haben werden, die nun wirklich den Agrarmarkt in keinem einzigen Land der Europäischen Union ernsthaft gefährden. Wir wollen deswegen sehen, dass wir so schnell wie möglich zu einem Abschluss kommen. Denn der Abschluss des Mercosur-Abkommens wird natürlich auch in der Welt wahrgenommen, das heißt wie schnell die Europäer jetzt eigentlich angesichts der globalen Lage mit weiteren Abkommen sind. Wir sprechen auch über weitere Abkommen, zum Beispiel im gesamten indopazifischen Raum. Da steht ein großes Freihandelsabkommen mit Indien im Raum. Wie zuversichtlich, wie schnell kann man mit den Europäern verhandeln? Wenn Kanada zehn Jahre braucht und Mercosur 20 Jahre dauert, dann ist das kein Beweis dafür, dass wir verstanden haben, was jetzt notwendig ist und dass wir schnell zu solchen Entscheidungen kommen müssen. Wir haben ausführlich über das Thema Zölle und Amerika gesprochen. Wir haben die Kommissionspräsidentin ermutigt und ermuntert, jetzt in den noch weniger als zwei Wochen zur Verfügung stehenden Zeit, zu einem schnellen Abkommen, zu einer schnellen Übereinkunft mit den Amerikanern zu kommen. Wenn es allerdings mit Amerika kein Abkommen und keine Vereinbarung über die Zölle gibt, dann ist die Europäische Union bereit und in der Lage, auch entsprechende eigene Maßnahmen zu ergreifen. Auch darin haben wir die Kommissionspräsidentin bestärkt, das zu tun.
In diesem Zusammenhang ein weiterer Punkt, der mich persönlich überrascht hat. Die Kommissionspräsidentin hat das von sich aus – ich glaube, ich darf das sagen, weil es ja auch im entsprechenden Kommuniqué dann auch stehen wird – angesprochen, ob wir nicht als Europa eine neue Art von Handelsorganisation auf den Weg bringen sollten, die schrittweise das ersetzt, was wir mit der WTO heute nicht mehr haben. Sie alle wissen, dass die WTO nicht mehr funktioniert. In der WTO werden die Spruchkörper schon seit langer Zeit nicht mehr nachbesetzt. Das hat in der Regierung Trump I angefangen, die Regierung Biden hat das fortgesetzt, die Regierung Trump II hat es auch nicht gemacht. Ich habe genau diesen Sachverhalt mit Keir Starmer und Emmanuel Macron in den letzten Tagen besprochen. Können wir hier nicht sukzessive mit den Handelspartnern, die wir auf der Welt haben, etwas einrichten, was institutionell das ersetzt, was wir uns eigentlich mal mit der WTO vorgestellt haben? Dass wir nämlich hier Streitbeilegungsmechanismen entwickeln über eine solche Institution, die eigentlich die WTO einmal sein sollte?
In diesem Zusammenhang ein weiteres großes Thema: Der Rückbau der Bürokratie. Ich kann mit großer Genugtuung feststellen, dass die Kolleginnen und Kollegen im Rat übereinstimmend und ohne Ausnahme der Auffassung gewesen sind, dass wir jetzt schnell weitermachen müssen mit dem Rückbau der europäischen Bürokratie. Das heißt, dass die Bürokratie, also die Omnibus-Vorschläge der Kommission schnell umgesetzt werden müssen und dann auch wirklich gezeigt werden muss, dass wir es ernst meinen mit einem Rückbau der europäischen Bürokratie.
Last but not least in diesem Zusammenhang das Thema Technologie – auch dazu gab es eine umfangreiche Diskussion. Ich kann die vielen Stunden, die wir jetzt darüber diskutiert haben, nicht im Einzelnen wiedergeben. Aber hier gibt es eine große Entschlossenheit, auch technologisch in der Europäischen Union eng zusammenzuarbeiten, um nach vorn zu kommen. Das sind die Themen, künstliche Intelligenz, Cloud Computing und Gigafactories. Also diese Themen sind alle ausführlich behandelt worden und ich muss sagen, auch nach meinem Gefühl, mit einem grundsätzlich sehr positiven, guten Zugang. Da wird es sicherlich auch von der Kommission weitere Vorschläge geben.
Abschließend noch zu den außenpolitischen Themen Israel und Ukraine.
Ich fange mit der Ukraine an. Wolodymyr Selenskyj ist uns in einer Videokonferenz kurz zugeschaltet gewesen. Wir haben mit ihm kurz nochmal über die finanziellen Mittel gesprochen, die wir für 2025 und 2026 zur Verfügung stellen wollen. Darüber gibt es eine Übereinstimmung. Und es hat ganz zum Schluss, eben nochmal vom Ratspräsidenten auch abgefragt, eine erneute Verlängerung des Sanktionspaketes gegeben. Das muss ja alle sechs Monate einmal revolviert werden. Das ist beschlossen worden, auch in Gegenwart derer, die das bisher etwas kritisch gesehen haben.
Schließlich Israel. Wir haben die Sorge um die humanitäre Lage im Gazastreifen miteinander geteilt und sehr intensiv über verschiedene Möglichkeiten gesprochen, wie wir auch mit den Amerikanern zusammen jetzt auf Israel einwirken können, um einen Waffenstillstand im Gazastreifen herbeizuführen. Darüber gibt es im Abschlussdokument eine sehr klare Position des Europäischen Rates, dass von niemandem in irgendeiner Weise bestritten wurde, dass wir jetzt in diese Richtung gehen wollen. Das haben wir auch einvernehmlich so beschlossen. Und es gibt also auch zu Israel hier eine klare Position des Europäischen Rates.
Alles in allem, weil es heute auch mein erster Europäischer Rat war, an dem ich teilgenommen habe, kann ich sagen, dass ich in dieser Runde der Staats- und Regierungschefs wirklich ausgesprochen freundlich und sehr kollegial aufgenommen worden bin. Es war eine gute und sehr offene Diskussion, an der ich mich auch mit etwas Zurückhaltung beteiligt habe. Ich habe mich meistens erst in der Schlussrunde der jeweiligen Diskussion zu Wort gemeldet. Aber es ist eine wirklich ausgesprochen gute Atmosphäre gewesen. Ich fahre heute Abend nach Hause mit einem sehr guten Gefühl, dass diese Europäische Union verstanden hat, um was es geht und die Kommissionspräsidentin viele Dinge aus dieser Diskussion mitnimmt. Und ich werde auch mit großer Zuversicht nicht nur nach Berlin zurückkehren und mich liebevoll der Innenpolitik ab morgen wieder zuwenden, sondern auch gerne zurückkehren nach Brüssel, um die Arbeit fortzusetzen, die wir heute hier auf den Weg gebracht haben.
Lesen Sie hier die Fragerunde im Anschluss:
Frage: Herr Bundeskanzler, ich hätte ganz gerne beim Thema Handel nachgefragt. Sie hatten ja im Vorfeld, nämlich Anfang der Woche, durchaus kritische Worte für die EU-Kommission gefunden und ein einfacheres Abkommen mit den USA gefordert. Wie war die Resonanz? Wurden Sie da unterstützt? Und weil Sie eben diesen doch wegweisenden Vorschlag von Frau von der Leyen genannt haben, können Sie da noch ein bisschen ins Detail gehen, was Ihnen da vorschwebt, ohne China und ohne die USA? Wie soll das aussehen?
Bundeskanzler Merz: Ich fange mal mit dem zweiten Thema an. Das wäre eine Initiative, die von der Europäischen Kommission ausgeht, jetzt in Zukunft Handelsabkommen auch so abzuschließen, dass sie in einem größeren Rahmen eingebettet werden, den wir dann mit einer entsprechenden Institution bestimmen, die sich mit diesen Themen beschäftigt, wie die Welthandelsorganisation das eigentlich mal tun sollte, nämlich mit Streitbeilegungsmechanismen, die wir praktisch vereinheitlichen. Das ist eine Idee ganz am Anfang. Ich will das auch nur deswegen hier referieren, weil ich das mit Macron und Starmer selber schon mal so ausgetauscht habe und heute ganz überrascht war, dass dies auch von der Kommission so kam. Also offensichtlich eine Idee, die auch schon in anderen Kreisen eine Rolle gespielt hat. Und das ist ein Thema, das ganz, ganz am Anfang steht. Aber wenn die WTO so funktionsunfähig ist, wie sie es schon seit Jahren ist und offensichtlich bleibt, dann müssen wir uns als diejenigen, die den freien Handel unverändert für richtig halten, etwas anderes einfallen lassen. Und das ist die Idee, die wir heute wirklich in ersten Rudimenten, mehr ist es nicht gewesen, miteinander besprochen haben. Aber mir ist es die Erwähnung deshalb wert, weil ich glaube, dass das institutionell etwas sein könnte, was von der Europäischen Union ausgeht, wo wir uns noch einmal klar und deutlich zum freien Handel, zu offenen Märkten und zum Wettbewerb bekennen und wo wir das auch institutionell so absichern wollen, dass man eben Streitbeilegungsmechanismen hat, die standardisiert sind, die vereinheitlicht sind und die dann auch vielleicht ein Beispiel für andere Handelsabkommen sein kann, die die Europäische Union in Zukunft noch abschließt.
Thema Amerika. Ich habe das Thema nicht kritisiert. Ich habe nur vorgeschlagen und habe darauf gedrungen, dass man es jetzt nicht zu kompliziert macht Wir haben bis zum 9. Juli noch weniger als zwei Wochen Zeit. Und da kann man kein ausgefeiltes Handelsabkommen verabreden. Jetzt muss ich mal in Klammern dazu sagen: Keiner von uns kennt den wörtlichen Inhalt des Abkommens, das das Vereinigte Königreich mit den USA abgeschlossen hat. Starmer und Trump haben zwar in der letzten Woche in Kanada während des G7-Gipfels ihre Verabredung öffentlich gemacht, aber was in diesem Abkommen steht, wissen wir nicht. Wir kennen wirklich nur einzelne, kleine Details. Ich habe deswegen auch mit den Kollegen zusammen gesagt: Lasst uns jetzt bitte schnell zu einer Lösung kommen. Ich habe unter anderem auch auf einzelne Industrien hingewiesen, die wir in Deutschland haben. Die chemische Industrie, die pharmazeutische Industrie, der Maschinenbau, Stahl, Aluminium und die Automobilindustrie werden zurzeit alle mit so hohen Zöllen belastet, dass das die Unternehmen wirklich gefährdet. Und deswegen lieber jetzt schnell und einfach, als langsam und hoch kompliziert. Wir müssen jetzt schnell zu einem Ergebnis kommen. Und darüber sind wir uns auch alle einig gewesen, da gibt es überhaupt keinen Dissens.
Frage: Ich freue mich, Sie hier wiederzusehen. Ich habe Sie bei den Wahlen begleitet.
Die USA und der Iran haben angekündigt, die Verhandlungen über das iranische Atomprogramm wieder aufzunehmen. Wo stehen Deutschland und die EU in dieser Frage? Das würden wir gerne wissen.
Bundeskanzler Merz: Also wenn das so ist, was Sie gerade sagen – was ich, weil wir jetzt mehrere Stunden ohne Handys getagt haben, nicht bestätigen kann – dann ist das eine gute Nachricht. Bis jetzt war es ja so, dass der Iran die Verhandlungen mit den USA direkt nicht führen wollte. Wir haben ja dieses JCPoA-Abkommen gehabt. Die Europäer sind dringeblieben, die Amerikaner sind ausgestiegen. Wir haben diesen sogenannten Snap-back-Mechanismus, den drei Mitgliedstaaten beziehungsweise Teilnehmerstaaten in Kraft setzen könnten. Wir sind sofort – und das ist auch die übereinstimmende Meinung heute im Rat gewesen –, aus europäischer Sicht bereit, wieder in dieses Abkommen einzutreten, es mit Leben zu erfüllen und in die Verhandlungen mit dem Iran einzutreten. Das setzt voraus, dass der Iran dazu bereit ist. Das setzt zudem voraus, dass es auch einen dauerhaften Waffenstillstand zwischen Israel und dem Iran gibt. Also wenn das die Entwicklung der letzten Stunden ist, dann würden wir das sicherlich alle gemeinsam begrüßen. Wir haben genau diese Erwartung gemeinsam zum Ausdruck gebracht.
Frage: Herr Bundeskanzler, ich hätte auch gerne nochmal zum Handel etwas gefragt.
Zunächst zu Mercosur. Sie sagten ja, wirklich wenig Widerstand bestünde da noch. Das überrascht insofern, als dass es ja im Vorlauf des Gipfels von Frankreich nochmal eine große Initiative gab, von bis zu zehn Ländern – Verbündete gegen den Gipfel zu finden. Haben Sie mit Macron nochmal drüber sprechen können? Die Texte sollen ja nächste Woche kommen. Glauben Sie, dass er sich enthalten wird? Also dass es, wenn es jetzt in den Rat geht, auch eine Chance gibt auf eine Ratifizierung mit qualifizierter Mehrheit?
Und dann hätte ich auch gern etwas zu den Gesprächen mit den USA gefragt.
Da gab es ja auch ein Gegenangebot, was ja wohl heute dann präsentiert wurde, auch mit sehr weitreichenden US-Forderungen, unter anderem, wie man hört, im Landwirtschaftsbereich. Hat Sie das trotzdem optimistisch gestimmt, dass man da etwas machen kann?
Bundeskanzler Merz: Ich würde gerne sehen, dass wir uns im Rat, sei es im Europäischen Rat oder in einem der Ministerräte, nicht mit Mehrheit, sondern einstimmig auf das Mercosur-Abkommen verständigen. Eine Abstimmung mit qualifizierter Mehrheit wäre wirklich nur eine Hilfslösung. Das steht im Raum, aber ich glaube, das wird auch den Druck erhöhen, dass sich alle Beteiligten jetzt nochmal die Frage stellen, ob wir nicht doch zu einer gemeinsamen Haltung kommen. Und mein Eindruck war auch aus den Gesprächen mit Emmanuel Macron – jetzt auch am Rande des Gipfels heute den ganzen Tag, wir haben zweimal darüber gesprochen –, dass da eine große Bereitschaft besteht, das jetzt auch auf den Weg zu bringen. Es gibt jedenfalls keine Initiative, die eine Sperrminorität gegen Mercosur organisiert. Also davon habe ich gar nichts gemerkt. Im Gegenteil, es gibt eine große Bereitschaft, jetzt zu einem Abschluss zu kommen und dann das Abkommen auch in Kraft zu setzen. Was im Einzelnen zwischen der amerikanischen Regierung und der Kommission verhandelt wird und wurde, auch heute im Laufe des Tages, ist nicht Gegenstand unserer Beratungen gewesen. Wir haben die allgemeinen Guidelines für die Kommission besprochen und unsere Wünsche mit der Kommissionspräsidentin ausgetauscht. Und die Kommissionspräsidentin ist darauf eingegangen und hat dem auch zugestimmt.
Frage: Nochmal Thema Handel.
Wenn Sie sagen, Sie wollen es unkomplizierter machen, vielleicht können Sie noch einmal erklären, wie das dann ganz praktisch aussehen könnte. Sie haben ja mehrere Branchen genannt.
Und wenn ich darf, noch eine kurze Nachfrage, eine zweite Frage: Sie haben jetzt den direkten Vergleich zwischen den beiden Gipfeln. Ist für Sie schon erkennbar, wer schwieriger im Umgang sein wird, der US-Präsident oder die Vielfalt der 28?
Bundeskanzler Merz: Also, welche praktischen Konsequenzen das hat, das kann ich Ihnen jetzt zum heutigen Tag noch gar nicht sagen. Das werden die nächsten Tage zeigen. Wir sind ja hier sozusagen in der allgemeinen Aussprache gewesen, ohne zu sehr in die Details zu gehen. Aber wir haben an der einen oder anderen Stelle schon der Kommission ein paar Ideen mitgegeben. Und was mich gefreut hat, war, dass es darüber doch eine sehr – es gab Themen, bei denen wir unterschiedlicher Meinung waren, aber das war eine kleine Zahl. Die größere Zahl war eine große Übereinstimmung bei den Themen, die ich Ihnen gerade vorgetragen habe und die auch Gegenstand des Abschlussdokuments sind. Da gab es eine vollkommene Übereinstimmung. Es hat an einer Stelle – aber das will ich ja auch aus Gründen der Vertraulichkeit nicht berichten - eine abweichende Stimme bei der Abstimmung gegeben, die dann aber mit Mehrheit verabschiedet worden ist und alles andere ist einvernehmlich beschlossen worden.
Ja, der Vergleich der beiden Institutionen. Also ich würde mal so sagen: Dadurch, dass der Europäische Rat ja das oberste Entscheidungsgremium der EU ist, die mit viel mehr als mit nur mit „Verteidigungspolitik“ beschäftigt ist, ist das hier sicherlich das anspruchsvollere Gremium. Ganz sicher. Der NATO-Rat tagt einmal im Jahr, trifft Beschlüsse oder auch nicht. Es gibt viele NATO-Räte, wo praktisch kaum wesentliche Beschlüsse gefasst worden sind. Wenn der Europäische Rat zusammentritt, dann sind das immer intensivste Vorbereitungen über Wochen, die die jeweiligen Teams auch leisten müssen, um zu einem Abschlussdokument zu kommen, das dann ja hier nur noch besprochen und verabschiedet wird und in den seltensten Fällen nochmal korrigiert wird. Die anspruchsvolle Arbeit liegt im Vorfeld, aber die anspruchsvolle Diskussion findet dann an einem solchen Tag wie heute statt.
Wir werden das nächste oder übernächste Mal dann über die mehrjährige Finanzplanung zu sprechen haben. Da werde ich Sie um diese Uhrzeit allenfalls am dritten Tag der Beratungen sehen, aber nicht gleich schon am ersten. Denn das wird dann eine sehr komplizierte Verhandlung und da sind wir in einer Komplexität unterwegs, die ist weit entfernt von dem, was im NATO-Rat oder auf einem NATO-Gipfel besprochen wird.
Frage: Das ist ja jetzt quasi der dritte Gipfel für Sie in Folge. wenn Sie diese drei Gipfel zusammennehmen und auf die Ukraine-Thematik blicken. Wie zufrieden sind Sie mit den Ergebnissen? Hätten Sie sich da nicht mehr vorstellen können, gerade mit Blick auf das Sanktionsthema?
Und dann würde ich auch noch gerne mal nachfragen, weil das Ihr erster EU-Gipfel war, wie fühlen Sie sich im Kreis der Staats- und Regierungschefs aufgenommen?
Und gab es irgendetwas, was Sie überraschend fanden oder was Sie vielleicht auch gestört hat und wo Sie jetzt sagen, das müsste man vielleicht anders machen?
Bundeskanzler Merz: Ja, also ich fange mal mit der Ukraine an. Also ganz offen gesagt – ich habe das ja auch schon in Hintergrundgesprächen gesagt –, ich habe nicht mehr erwartet, ich habe weniger befürchtet. Es hätte zu einem größeren Dissens kommen können, auch zwischen Trump und Selenskyj, was nicht der Fall war, auch gestern in Den Haag nicht der Fall war. Es hat ja noch ein bilaterales Gespräch zwischen Trump und Selenskyj gegeben und unmittelbar nach diesem Gespräch hat es nochmal ein Gespräch von Selenskyj mit den fünf Staats- und Regierungschefs gegeben, Polen, Frankreich, Großbritannien, Italien und Deutschland. Also da gibt es Bewegung, hier eine Entscheidung zur Verlängerung der Sanktionen zu treffen, die bestehen und das 18. Paket auf den Weg zu bringen. Aber die Frage, wie die Amerikaner sich in dieser Frage verhalten, die konnte hier nicht beantwortet werden. Die muss in Washington beantwortet werden. Was ich glaube, dass ich sagen kann, ist: Wir haben alle Argumente, die für eine Verschärfung der amerikanischen Sanktionen sprechen, in der richtigen Form vorgetragen. Und zwar nicht als unterwürfige Bitte, sondern mit einer klaren Meinung und mit einer klaren Haltung, wie hier jetzt auch nochmal Einfluss auf Moskau ausgeübt werden kann.
Ja, wie aufgenommen? Ich habe dazu am Anfang ja schon etwas gesagt. Nun ist mir dieser Kreis bis auf zwei, drei Ausnahmen nicht fremd gewesen. Ich habe bereits in den letzten drei Jahren an den Vorbesprechungen der EVP teilgenommen, die jeweils morgens vor dem Gipfel in Brüssel stattgefunden haben. Das heißt also, die Vorbesprechung der EVP – und das war immer der größere Teil –, die kenne ich seit vielen Jahren. Ich habe die anderen Kollegen jetzt auch kennengelernt. Wie gesagt, es waren nicht viele, es waren wenige, die ich bis dahin nicht kannte. Aber ich muss sagen, es ist eine ausgesprochen gute, sehr interessante und auch tiefgehende Diskussion gewesen. Man könnte sagen, diese 16 Stunden sind jetzt ziemlich lang geworden, aber mir sind die nicht lang vorgekommen, weil wir wirklich intensive, gute und auch fachlich anspruchsvolle Diskussionen geführt haben. Und wenn dann 27 Staats- und Regierungschefs mehr oder weniger die ganze Zeit im Raum sitzen bleiben und sich auch gegenseitig zuhören, da muss ich sagen, ist das ein Format, das mir ausgesprochen gut gefällt. Diese Zeit lohnt sich! Und deswegen werde ich das auch im Wiederholungsfalle gerne wieder machen. Man nimmt andere Gedanken auf. Man lernt ja auch mal die Blickwinkel von anderen kennen. Und ich sage mal so: Ich habe, wie gesagt, die EVP natürlich gut gekannt, andere nicht. Aber dann kommen auch mal Aspekte auf, die man bis dahin nicht richtig gesehen hat. Mir ist es heute zu keinem Zeitpunkt langweilig geworden. Im Gegenteil, ich fand das eine ausgesprochen fruchtbare, äußerst konstruktive und auch sehr kollegiale Atmosphäre. Also ich habe mich hier ausgesprochen wohlgefühlt.
So, vielen Dank. Aber jetzt will ich trotzdem nach Hause. Vielen Dank.