„Wir wollen, dass sich die Dinge in Europa bewegen”

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Pressekonferenz von Bundeskanzler Merz und Bundeskanzler Stocker „Wir wollen, dass sich die Dinge in Europa bewegen”

Deutschland und Österreich sprechen „dieselbe Sprache“ – auch in der Sache. Bundeskanzler Friedrich Merz betonte beim Besuch des österreichischen Bundeskanzlers Christian Stocker in Berlin die enge Zusammenarbeit und gute Nachbarschaft beider Länder. 

  • Mitschrift Pressekonferenz
  • Freitag, 27. Juni 2025
Bundeskanzler Friedrich Merz und der österreichische Bundeskanzlers Christian Stocker.

Bundeskanzler Friedrich Merz empfing den österreichischen Bundeskanzlers Christian Stocker zum Gespräch im Kanzleramt.

Foto: photothek.de/Sebastian Rau

Deutschland und Österreich verbinde nicht nur eine geografische Nachbarschaft. So habe es in Deutschland viel Mitgefühl und Empathie für ganz Österreich nach dem schrecklichen Amoklauf in Graz gegeben. Darauf wies Bundeskanzler Friedrich Merz am Freitag in einer gemeinsamen Pressekonferenz beim Antritsbesuch seines österreichischen Amtskollegen Christian Stocker im Bundeskanzleramt in Berlin hin.

Kanzler Merz sprach in der Pressekonferenz unter anderem über:

  • Handlungsfähigkeit der EU ausbauen: Um die Wettbewerbsfähigkeit der EU auszubauen, identifiziert Merz weniger Bürokratie, bessere Regeln und einen vertieften Binnenmarkt als zentrale notwendige Maßnahmen. Darüber hinaus brauche es eine moderne Energie-Infrastruktur mit verlässlichen Preisen, so der deutsche Bundeskanzler. Zudem solle das MERCOSUR-Abkommen zügig verabschiedet werden. Mit Blick auf weitere ähnliche Abkommen mahnte Merz Tempo an: „Das muss schneller gehen.” Nur so lasse sich die Handlungsfähigkeit Europas sicherstellen.
  • Irreguläre Migration eindämmen: Deutschland und Österreich seien einig, alles zu tun, um die irreguläre Migration in Europa spürbar abzusenken. Hierfür seien entschlossene Maßnahmen in der EU nötig, worüber gestern beim Europäischen Rat gesprochen worden sei. Merz dankte Stocker und den beteiligten Grenzbehörden für die enge Zusammenarbeit insbesondere bei der Bekämpfung von Schleuserkriminalität.
  • Lage in Nahost stabilisieren, der Ukraine helfen: Mit Blick auf den Nahen Osten forderte Merz, der Iran dürfe den Konflikt um sein Nuklearprogramm nicht weiter anfachen, müsse vielmehr an den Verhandlungstisch kommen. „Wir werden das Unsere dazu beitragen, um die Lage in der Region zu stabilisieren”, so Merz. Deutschland werde außerdem der von Russland angegriffenen Ukraine weiterhin umfassend Unterstützung leisten. Man arbeite mit Hochdruck daran, die Sanktionen der EU gegen Russland zu verstärken.

Sehen Sie hier die Pressekonferenz im Video:

27:00

Video Kanzler Merz mit dem österreichischen Bundeskanzler Christian Stocker

Lesen Sie hier die Mitschrift der Pressekonferenz:

Bundeskanzler Friedrich Merz

Meine Damen und Herren, herzlich willkommen im Bundeskanzleramt! Ein ganz besonders herzliches Willkommen dem Bundeskanzler der Republik Österreich! Ich freue mich sehr. Es ist nicht häufig, dass ich im Bundeskanzleramt einen Bundeskanzler begrüßen kann. Das gibt es nur in dieser Konstellation. Lieber Christian Stocker, herzlich willkommen! Ich freue mich sehr, dass wir uns heute in Berlin treffen, unmittelbar nach dem NATO-Gipfel und nach dem Europäischen Rat gestern in Brüssel. Wir beide kommen gerade dorther.

Wir haben dort nicht nur dieselbe Sprache, Deutsch, gesprochen, sondern auch in der Sache viele Dinge gemeinsam vertreten und vorgetragen. Wir beide wollen, dass sich die Dinge in Europa bewegen. Wir arbeiten dafür eng zusammen. Uns verbindet nicht nur eine geografische Nachbarschaft.

In Deutschland hat es viel Mitgefühl und viel Empathie für ganz Österreich gegeben. Ich will es an dieser Stelle noch einmal sagen: Der schreckliche Amoklauf in Graz vor einigen Tagen mit vielen Toten hat auch uns bewegt. Stellvertretend für unser Land habe ich dir unser Mitgefühl ausgesprochen. Ich will es auch von dieser Stelle aus noch einmal sagen. Wir fühlen auch in Deutschland mit den Opfern, mit den Angehörigen und dem ganzen Land. Das wurde von vielen Menschen in Deutschland so zum Ausdruck gebracht.

Uns verbindet nicht nur eine enge Nachbarschaft, sondern auch viele europapolitische Themen. Wir sind uns einig, dass wir alles dafür tun müssen, um die irreguläre Migration in Europa spürbar abzusenken. Wir brauchen entschlossene Maßnahmen in Brüssel, in der Europäischen Union. Darüber haben wir gestern im Rat ausführlich gesprochen. Ich bin auch sehr dankbar dafür, dass wir das, was Grenzkontrollen zwischen Deutschland und Österreich betrifft, eng abgestimmt haben. Das betrifft insbesondere die gemeinsame Bekämpfung der Schleuserkriminalität. Ich danke dir sehr herzlich für die enge Zusammenarbeit, und ich danke unseren Grenzbehörden für die sehr enge Zusammenarbeit an den deutsch-österreichischen Grenzübergängen. Ich danke dir aber auch für die sehr klaren Worte, die du in der deutschen Presse immer wieder zu unserer Zusammenarbeit in der Migrationspolitik gefunden hast.

Wir sind uns darüber einig, dass Europa wettbewerbsfähiger werden muss. Auch das war gestern ein Thema, und wir werden es heute bilateral vertiefen, wenn es auch um die Zusammenarbeit in wirtschaftlicher Hinsicht geht. Deutschland ist ein großer Handelspartner für Österreich. Aber auch für uns ist Österreich ein wichtiger Handelspartner. Der gemeinsame Sprachraum macht vieles einfacher.

Wir wollen gemeinsam weniger Bürokratie in Europa. Wir wollen bessere Regeln. Wir wollen einen vertieften Binnenmarkt. Wir sind uns auch einig, dass wir bezüglich der Kapitalmarktunion, jetzt häufig auch Spar- und Investitionsunion genannt, vorankommen müssen. Das Gleiche gilt für eine moderne Energieinfrastruktur. Auch diesbezüglich ist zwischen Deutschland und Österreich schon viel möglich geworden. Wir wollen dies weiter vertiefen, auch im Interesse verlässlicher Preise für Verbraucher und Industrie.

Schließlich ist, drittens, auch die Handelspolitik ein Thema, das wir gestern in Brüssel ausführlich behandelt haben. Sie wissen, dass ich mich für eine zügige Verabschiedung des MERCOSUR-Abkommens mit den südamerikanischen Staaten ausspreche, damit wir auch in der Handelspolitik weiterkommen. Es war gestern Thema, und ich will es hier wiederholen: Wir wollen weitere Handelsabkommen abschließen. Aber wenn Europa für ein Abkommen mit Kanada zehn Jahre braucht und für ein Abkommen mit MERCOSUR 20 Jahre, dann ist das keine Ermutigung für andere, mit uns in handelspolitische Gespräche einzutreten. Das muss in Europa schneller gehen, damit wir auch außenwirtschaftlich handlungsfähig sind.

Wir tauschen uns in dieser Woche und auch heute in intensiver Weise über die Außenpolitik aus. Bezüglich der Lage im Nahen Osten möchte ich noch einmal unterstreichen, worüber wir auch gestern im Europäischen Rat gesprochen und uns verständigt haben: Teherans Streben nach einer nuklearen Bewaffnung hat genug Unheil angerichtet. Der Iran darf den Konflikt um sein Nuklearprogramm nicht weiter anfachen. Das Land muss an den Verhandlungstisch kommen. Wir werden das Unsere dazu beitragen, um die Lage in der Region zu stabilisieren.

Last, but not least wird Deutschland mit Blick auf den russischen Krieg gegen die Ukraine auch weiterhin umfassend Unterstützung leisten. Das haben wir diese Woche auf dem Nato-Gipfel genauso unterstrichen wie auch gestern im Europäischen Rat. Ich freue mich, dass wir uns darüber einig sind. Dazu gehört, dass wir mit Hochdruck daran arbeiten, die Sanktionen der EU gegen Russland zu verstärken. Wir werden zudem weiterhin Überzeugungsarbeit in Washington leisten, damit auch von dort ein klares Signal an Moskau kommt. Hierauf kann sich die Ukraine verlassen.

Lieber Herr Bundeskanzler, auf gute Zusammenarbeit und auf gute Nachbarschaft zwischen Deutschland und Österreich! Noch einmal sehr herzlich willkommen im Bundeskanzleramt! Ich freue mich über den Besuch.

Bundeskanzler Christian Stocker

Vielen Dank. Sehr geehrter Herr Bundeskanzler, lieber Friedrich, geschätzte Damen und Herren, ich bedanke mich sehr für die Einladung und freue mich, hier in Berlin sein zu können.

Wir haben uns gestern auf dem Europäischen Rat in Brüssel über sehr viele wichtige Themen austauschen können. Ich bin froh, dass wir diese Gespräche jetzt bilateral fortsetzen können. Deutschland ist nicht nur ein Freund Österreichs, sondern unser größter Nachbar und unser wichtigster Wirtschaftspartner, vor allem aber ein enger Verbündeter in vielen Themen, die die Menschen in unserem Land und weit darüber hinaus beschäftigen. Herausforderungen wie die illegale Migration, die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit oder die Sicherheit Europas gehen weit über nationale Grenzen hinaus. Wir können sie dann am besten lösen, wenn wir dafür eng mit Partnern zusammenarbeiten.

Beim Thema der Migration kommen Deutschland und Österreich ihrer gemeinsamen Verantwortung nach. Österreich hat sehr lange und intensiv darauf hingewiesen, dass das europäische Asyl- und Migrationssystem den Anforderungen, die gestellt sind, nicht mehr entspricht. Es ist gut, dass unsere Warnungen ernst genommen wurden und inzwischen auch auf europäischer Ebene ein Umdenken stattgefunden hat. Ich freue mich sehr darüber, dass ich mit dir einen Partner gefunden habe, der die Dinge ähnlich sieht. Vor dem gestrigen Europäischen Rat hat es auch wieder ein informelles Treffen der gleichgesinnten Staaten im Kampf gegen illegale Migration gegeben, an dem du freundlicherweise teilgenommen hast. Das sehe ich als einen sehr wertvollen Beitrag an. Mittlerweile sind es 21 von 27 Staaten, also eine große Mehrheit. Auch daran sieht man die Bedeutung des Themas. Es wurden auch wichtige Schritte in die richtige Richtung gesetzt. Die vollständige Umsetzung in allen Mitgliedsstaaten ist natürlich das Ziel. Der gemeinsame Asyl- und Migrationspakt ist ein wichtiges Instrument. Wir brauchen eine stärkere Zusammenarbeit mit Herkunfts- und Transitländern sowie innovative Lösungen wie Drittstaatenkonzepte und Rückkehrzentren.

Wir sind dabei auf einem guten Weg. Deutschland und Österreich ziehen am selben Strang. Eine gemeinsame Grenze bedeutet auch gemeinsame Verantwortung. Insofern habe ich Verständnis dafür, dass zum Schutz der Bevölkerung Maßnahmen ergriffen werden, wenn der Migrationsdruck zunimmt. Wir haben es in Österreich seit 2015 so. Mittlerweile kontrollieren zehn Staaten im Schengen-Raum ihre Grenze.

Wir beide sind der Rechtsstaatlichkeit verpflichtet. Wir tragen ihr Rechnung. Aber am Ende des Tages ist die Zusammenarbeit, die zwischen Deutschland und Österreich auch an der Grenze stattfindet, der Garant dafür, dass es reibungslos funktioniert. Ich betone hier ausdrücklich, dass nicht nur zwischen uns eine partnerschaftliche Zusammenarbeit stattfindet, sondern auch auf Ebene der Innenminister und auch operativ auf Ebene unseres Polizeidirektors und des Präsidenten der Polizei in Deutschland, sodass wir an unserer Grenze keine Probleme haben und es in einem guten Einvernehmen abhandeln können.

Auch bei den geopolitischen Krisen unserer Zeit gibt es viele Gemeinsamkeiten. Die Waffenruhe zwischen Iran und Israel ist ein erster, wichtiger Schritt, ist das Fenster, damit wieder die Diplomatie das Wort ergreifen kann. Diese Chance soll nicht ungenützt verstreichen.

Meine sehr geschätzten Damen und Herren, das iranische Atomprogramm ist schon lange Anlass zur Sorge. Die Zusammenarbeit mit der IAEO sollte fortgesetzt und nicht beendet werden. Diese Kontrollinstanz sollte nicht ausgeschaltet werden, weil dies ein weiterer Schritt in die Unsicherheit wäre. Für mich ist klar – auch das verbindet uns –: Der Iran sollte keine Atomwaffen haben. Aber darüber hinaus ist stets eine diplomatische Lösung zu finden.

Uns hat gestern auch die Situation in Gaza beschäftigt. Es ist überfällig, dass die verbliebenen Geiseln freigelassen werden. Es ist auch klar, dass die Hamas keine Rolle in Gaza mehr spielen und keine Gefahr für Israel darstellen darf. Aber gleichzeitig ist auch die humanitäre Situation in Gaza nicht akzeptabel. Sie ist unerträglich. Die palästinensische Zivilbevölkerung darf nicht den Preis für den Terror der Hamas zahlen. Als Freund und Unterstützer Israels appelliere ich daher dringend, mehr humanitäre Hilfe zuzulassen, und zwar ohne Einschränkungen und entlang der Prinzipien von Menschlichkeit, Unparteilichkeit, Neutralität und Unabhängigkeit.

Während die Augen auf den Nahen Osten gerichtet sind, gehen die russischen Angriffe auf die Ukraine weiter. Präsident Selenskyj hat uns darüber gestern in einer Videokonferenz berichtet. Er war vor einer Woche bei mir in Wien zu Gast. Mein Zugang ist, dass wir als Europäische Union geschlossen bleiben müssen und uns nicht auseinanderdividieren lassen dürfen. Selbstverständlich gehört dazu auch, dass wir weitere Sanktionspakete beschließen werden. Wir alle wollen ein Ende des Krieges; am allermeisten wollen und verdienen dies die Menschen in der Ukraine. Daher ist es auch hier höchste Zeit für ernsthafte Friedensverhandlungen. Leider sehen wir die Bereitschaft Russlands dazu derzeit nicht.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich habe eingangs gesagt, Deutschland sei unser wichtigster Wirtschaftspartner. Daher begrüße ich ausdrücklich die Pläne des Herrn Bundeskanzlers Merz und seiner Regierung für die deutsche und damit auch für die europäische Wirtschaft. Nicht nur nationalstaatlich, sondern auch in Europa gibt es zweifellos viel zu tun. Hierbei ist wesentlich, dass wir den Bürokratieabbau nicht nur fortsetzen, sondern vor allem effizient umsetzen. Es ist gut, dass bei den überbordenden bürokratischen Hürden wie dem Lieferkettengesetz nun Anpassungen erfolgen werden. Aber wir müssen konsequenter sein und fitter werden, um im globalen Wettbewerb mithalten zu können. Nur so werden wir unseren Wohlstand sichern können.

Wenn ich von Wohlstand spreche, will ich auch noch ein paar Worte zum mehrjährigen Finanzrahmen der Europäischen Union ab 2028 sagen. In ein paar Wochen wird es einen Vorschlag der Kommission geben. Dann werden Verhandlungen zu führen sein. Für uns ist die zentrale Frage, dass wir ein sehr schlankes europäisches Budget brauchen. Die aktuellen Herausforderungen müssen bewältigt werden. Aber – du hast es gestern angesprochen – wir wissen nicht, wann die nächste Finanzkrise kommt. Aber die Wahrscheinlichkeit dafür, dass sie kommt, ist sehr hoch. Daher müssen wir auch darauf vorbereitet sein.

Als Nachbarn verbindet uns – es trennt uns nicht, es verbindet uns – das Problem am Brenner. Ich denke, dass wir auch dafür gemeinschaftlich eine gute Lösung finden werden, mit der der Bevölkerung in Tirol genauso Rechnung getragen wird wie dem freien Warenverkehr.

Das heißt, wir haben viele Aufgaben, die uns gemeinsam bevorstehen. Ich bin zuversichtlich, dass wir sie gemeinschaftlich, partnerschaftlich und auch freundschaftlich lösen können.

Sehr geehrter Herr Bundeskanzler, lieber Friedrich, vielen Dank noch einmal für den freundlichen Empfang hier in Berlin! Ich freue mich auf die Fortsetzung unserer Gespräche und auf die ausgezeichnete Zusammenarbeit für Deutschland, für Österreich und für ein starkes Europa. Letztlich freue ich mich auch darauf, dich schon bald in Österreich begrüßen zu dürfen.

Bundeskanzler Merz:

Vielen Dank!

Lesen Sie hier die Fragerunde im Anschluss:

Frage:

Ich habe eine Frage an beide Kanzler. Deutschland hält an der Zurückweisung Asylsuchender an seinen Grenzen fest, auch an den österreichischen. Legt sich damit, zumal Rechtsstaatlichkeit so wichtig ist, ein dunkler Schatten über die bilateralen Beziehungen?

Bundeskanzler Stocker:

Nein. Das wäre die kurze Antwort. Die etwas ausführlichere Antwort ist, dass gerade Österreich aus den Erfahrungen von 2015 und 2022 weiß, was es heißt, mit Migrationsdruck konfrontiert zu sein. Wir schützen unsere Grenze seit 2015. Wir beide tun es aus dieser Situation heraus. Es ist nicht das Ziel, dass wir Binnengrenzen schützen müssen, aber in der Situation kann es notwendig sein.

Wir haben es so gelöst – ich habe es vorhin ausgeführt –, dass die Zusammenarbeit auf den verschiedenen Ebenen so gut funktioniert, dass Sie sich davon überzeugen können, dass Sie an der Grenze zwischen Deutschland und Österreich kein Problem haben werden, obwohl wir mit dem Migrationsdruck umgehen können und die Zahlen tatsächlich sehr überschaubar sind.

Bundeskanzler Merz:

Meine Antwort ist genau die.

Frage: 

Eine Frage an beide Bundeskanzler: Herr Stocker, Sie haben die finanzielle Vorausschau in der EU benannt. Beide, auch die Bundesregierung, wenn ich es richtig sehe, plädieren dagegen, dass die Abführungen der Nationalstaaten in der nächsten Finanzperiode erhöht werden sollen. Nun steht die EU aber vor sehr vielen neuen Aufgaben: Technologie soll gefördert werden. Verteidigung ist immer wichtiger. Die Rückzahlung der Schulden, die man in der Coronakrise gemacht hat, steht an. – Wäre es nicht das richtige Signal, dass die Nationalstaaten ihre Abführungen an Brüssel erhöhen, weil sich sonst das Gewicht zwischen den Nationalstaaten und dem, was der EU für Gemeinschaftsaufgaben zur Verfügung steht, immer weiter verschiebt?

Herr Bundeskanzler, aus aktuellem Anlass eine Frage zum Mindestlohn: Die Kommission hat den Betrag bis 2027 benannt: 14,60 Euro. Halten Sie den Streit in der Koalition damit für beendet, oder denken Sie, dass die SPD auf dem Betrag in Höhe von 15 Euro schon für das kommende Jahr beharren wird?

Bundeskanzler Stocker:

Wir haben in Österreich eine sehr herausfordernde budgetäre Situation. Aus dieser habe ich gelernt, dass man Herausforderungen der Zukunft nicht immer nur mit mehr Geld bewältigen kann. Das heißt, wenn wir – ich spreche für meinen Bereich – uns auf nationaler Ebene überlegen müssen, wie wir das vorhandene Geld möglichst effizient einsetzen – wir unterliegen natürlich auch dem Gebot der Sparsamkeit, Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit –, dann gilt das nicht nur für Nationalstaaten, sondern auch für die Europäische Union. Unter diesem Aspekt würde ich auch den mehrjährigen Finanzrahmen sehen wollen. Es muss nicht alles gleich sein. Denn mit mehr Geld muss nicht zwangsläufig alles besser werden. Manchmal ist im Ergebnis mehr gewonnen, wenn man das Geld effizienter einsetzt.

Bundeskanzler Merz:

Wir haben gestern in Brüssel eine erste Diskussion über den mehrjährigen Finanzrahmen geführt. Ich habe aus der Sicht der Bundesregierung noch einmal gesagt, dass wir nicht sehr viel Spielraum für einen deutlich ausgeweiteten europäischen Haushalt sehen. Ich will hinzufügen, dass ich schon immer ein Befürworter größerer Eigenmittel der Europäischen Union gewesen bin. Die Abführungen aus den Mitgliedstaaten an den EU-Haushalt sind immer nur die zweitbeste Lösung. Die Europäische Union hat bis auf die Zölle keine wirklichen Eigenmittel. Aber solange dies so ist und die Mitgliedstaaten sozusagen den Haushalt der Europäischen Union nach jeweiliger eigener Größe finanzieren müssen, gibt es Grenzen auch der Möglichkeiten der Mitgliedstaaten. Das gilt natürlich auch für die Bundesrepublik Deutschland. Wir sind in einer ähnlich schwierigen Haushaltslage. Wir werden in Europa nicht umhinkommen – ich wiederhole das, was ich gestern in Brüssel gesagt habe –, die Prioritäten im europäischen Haushalt neu zu ordnen. Zusätzliche Aufgaben können nicht immer nur mit zusätzlichen Ausgaben verbunden werden, sondern müssen auch mit neuen Prioritäten finanziert werden. Das ist die schwierige Aufgabe, vor der wir stehen, wenn der mittelfristige Finanzplan in Brüssel verabschiedet wird.

Was das Thema des Mindestlohns betrifft, so ist das genau das, was wir immer für richtig gehalten haben, dass nämlich die Mindestlohnkommission auf der Basis objektiver Daten und Zahlen ihren Vorschlag für die Entwicklung des Mindestlohns unterbreitet. Ich habe diesen Vorschlag nicht politisch zu bewerten. Das ist der Mechanismus, den wir alle gewollt und den wir im Koalitionsvertrag auch noch einmal unterstrichen haben, dass eben genau das passiert, was heute veröffentlich worden ist, dass nämlich die Mindestlohnkommission Vorschläge unterbreitet, wie sich der Mindestlohn entwickeln sollte. Das muss noch für allgemeinverbindlich erklärt werden, und dann ist es entschieden.

Ich habe das weder in der Sache noch in der Höhe zu bewerten, weder zu kritisieren noch besonders hervorzuheben. Ich gehe davon aus, dass das auch für die Koalition kein Thema sein wird, zu dem es weiteren Diskussionsbedarf gibt.

Frage:

Herr Bundeskanzler Merz, Sie haben, wenn ich mich recht erinnere, relativ kurz nach Ihrem Wahlsieg gesagt, Sie seien als deutscher Kanzler nicht dafür zuständig, den US-Präsidenten glücklich zu machen. Nun hatte man beim NATO-Gipfel aber dennoch den Eindruck, dass man vor allem den US-Präsidenten glücklich machen wollte. Stimmt dieser Eindruck?

Bundeskanzler Merz:

Wenn Sie meine Statements in den vergangenen drei Wochen zu diesem Thema gehört haben, dann wird Ihnen hoffentlich mindestens einmal aufgefallen sein, dass ich mehrfach gesagt habe: Wir treffen die Entscheidungen im Hinblick auf das NATO-Ziel von 3,5 Prozent plus 1,5 Prozent nicht deswegen, um irgendjemandem einen Gefallen zu tun. – Wenn Sie so fragen, kann ich hinzufügen: Auch nicht, um irgendjemanden glücklich zu machen. – Es geht schlicht und ergreifend darum, aus eigener Erkenntnis und eigener Anschauung der Notwendigkeiten die richtige Entscheidung zu treffen.

Wir holen jetzt etwas nach, was wir eigentlich schon in den letzten Jahren längst hätten tun sollen, nämlich unser Verteidigungsbudget deutlich zu erhöhen, um es der Bedrohungslage anzupassen. Das ist der Beschluss, den wir vorgestern in Den Haag gemeinsam getroffen haben. Ich habe es in Den Haag gesagt; ich habe es hier gesagt; ich habe es in Washington gesagt, und ich habe es gestern auch noch einmal in Brüssel gesagt: Wir tun das aus eigener Erkenntnis und eigener Erkenntnis der Notwendigkeit. Dabei bleibt es.

Frage: 

Herr Bundeskanzler, Ihr österreichischer Amtskollege hat es eben angesprochen, die Sorge vor einer neuen Finanzkrise. Das war offenbar gestern auch in Ihren Beratungen in Brüssel ein Thema. Treibt diese Sorge auch Sie um? Schließlich ist Deutschland, wenn ich es richtig sehe, das letzte große Industrieland in Europa, das noch ein AAA-Rating hat. Wie können sich Deutschland und die Union für eine mögliche Finanzkrise wappnen?

Aus aktuellem Anlass: Der deutsche Botschafter in Moskau wurde einbestellt. Können Sie das kurz bewerten?

Herr Bundeskanzler Stocker, es gibt wachsende Kritik am österreichischen Neutralitätsgebot, gerade auch mit Blick auf die Rüstungsausgaben, die sehr stark angestiegen sind. Haben Sie nicht die Sorge, dass Österreich zunehmend als Trittbrettfahrer wahrgenommen wird, der darauf hofft, dass andere sozusagen die Drecksarbeit für Sie erledigen, was die Verteidigung angeht?

Bundeskanzler Merz:

Willst du anfangen?

Bundeskanzler Stocker:

Ich beginne gern. – Ich darf darauf hinweisen, dass wir unsere Neutralität seit 70 Jahren als eine militärische verstehen. Die Schweiz versteht sie seit Jahrhunderten so und wird, denke ich, nicht als Trittbrettfahrer wahrgenommen. Wir haben uns auch dazu verstanden, trotz unserer schwierigen budgetären Situation unsere Ausgaben für die Landesverteidigung im Aufbauplan in den nächsten Jahren zu verdoppeln. Das heißt, wir unternehmen durchaus Anstrengungen, im Rahmen unserer Neutralität einen Beitrag zur europäischen Sicherheit zu leisten, indem wir unsere Landesverteidigung entsprechend ausbauen. Wichtig ist, dass die Kommandostruktur bei uns im Inland bleibt. Aber wir nehmen gern, soweit es unsere Neutralität erlaubt – das ist beispielsweise bei Sky Shield der Fall –, an gemeinsamen Beschaffungen teil und haben damit auch einen Beitrag für die gesamte europäische Sicherheit zu leisten.

Ich füge hinzu: Wir haben in der Europäischen Union Beistandsklauseln – das ist Artikel 42, Absatz 7 – mit einer sogenannten irischen Klausel, wonach es uns vorbehalten bleibt, den Beitrag nach unseren rechtlichen Gegebenheiten zu bestimmen. Aber darin steht nicht, dass es kein Beitrag ist. Daher sehe ich Österreich auch nicht als Trittbrettfahrer.

Bundeskanzler Merz:

Ich will das gern aus meiner Sicht bewerten, weil wir gestern in Brüssel auch darüber gesprochen haben. Ich habe allergrößten Respekt davor, wie Österreich mit diesem Thema umgeht, auf der einen Seite die Neutralität zu wahren, die Verfassungsrang in Österreich hat, und auf der anderen Seite viele Anstrengungen zu unternehmen, um im Rahmen des rechtlich Zulässigen und des politisch Möglichen an dem mitzuwirken, was wir europäische Verteidigung nennen. Österreich wird sein Verteidigungsbudget erheblich aufstocken, vor dem Hintergrund der Neutralität von einem viel niedrigeren Niveau kommend. Österreich wird erhebliche Anstrengungen unternehmen, um jetzt auch Beiträge zur europäischen Verteidigung zu leisten, und zwar, wie gesagt, im Rahmen des rechtlich Zulässigen und des politisch Möglichen. Also größten Respekt und Dank dafür an Österreich, dass dies in diesen Tagen geschieht!

Die Einbestellung des deutschen Botschafters in Moskau kann ich noch nicht beurteilen und bewerten, weil mir noch kein Bericht darüber vorliegt. Ich habe die Tatsache als solche zur Kenntnis genommen, kenne aber weder den Grund noch die näheren Umstände.

Was das Thema einer Finanzkrise betrifft sprechen wir das nicht deshalb an, weil es eine akute Gefahr gäbe. Wir reden sie auch nicht herbei. Aber die Geschichte zeigt, dass wir ungefähr alle zehn bis 15 Jahre größere Finanzkrisen haben. Gott sei Dank, sind sie meistens regional begrenzt. Aber sie haben doch auch immer wieder Auswirkungen auf andere Währungsräume.

Wir beide, Bundeskanzler Stocker und ich, haben gestern darauf hingewiesen, dass wir diese Gefahr immer im Blick behalten müssen, wenn es zum Beispiel um die Frage geht, wie hoch wir unsere Staaten verschulden. Ich bin auch dafür dankbar, dass nun von verschiedenen Seiten darauf hingewiesen wurde, dass Staatsverschuldung immer auch eine zweite Seite hat, nämlich diejenigen, die bereit sein müssen, den Staaten Mittel zur Verfügung zu stellen. Es muss ja immer Geldgeber geben. Es muss diejenigen geben, die bereit sind, die Staatsanleihen zu kaufen, zu zeichnen.

Wenn wir es uns heute global anschauen, dann stellen wir fest, dass wir einen Höchststand der Verschuldung der Staaten, einen Höchststand der Verschuldung der Unternehmen und einen Höchststand der Verschuldung der privaten Haushalte haben. Das alles ist keine gesunde Entwicklung. Deswegen lege ich nicht nur aus Gründen der eigenen Haushaltsdisziplin Wert darauf, dass wir diese Fragen der Verschuldung immer wieder miteinander besprechen, sondern auch, um die Gefahr einer erneuten Finanzkrise nicht zu befördern. Das sollten wir im Blick behalten. Ich freue mich darüber und bin dankbar dafür, dass andere dieses Anliegen teilen, dass wir über diese Fragen sprechen.

Noch einmal: Wir sehen keine akute Gefahr. Wir reden sie auch nicht herbei. Aber wir haben die abstrakte Gefahr als solche im Blick. Das trage ich vor, wenn wir zum Beispiel über den europäischen Haushalt sprechen, aber das trage ich auch dann vor, wenn wir über den deutschen Haushalt sprechen.

Vielen Dank! Frohes Schaffen und alles Gute!