„Respekt vor der Lebensleistung der Bürgerinnen und Bürger“

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Kanzler Scholz im Interview mit der WAZ „Respekt vor der Lebensleistung der Bürgerinnen und Bürger“

Bundeskanzler Olaf Scholz hat mit der WAZ über Themen gesprochen, die viele Bürgerinnen und Bürger bewegen – gerade diejenigen, die wenig Geld verdienen und hart arbeiten. Es geht um die Entlastungen bei den gestiegenen Preisen, aber auch ganz allgemein darum, wie Bürgerinnen und Bürger mit kleineren Einkommen besser zurechtkommen können.

Bundeskanzler Olaf Scholz im Gespräch mit der WAZ

Bundeskanzler Olaf Scholz im Gespräch mit der WAZ: „Wir haben Grund zur Zuversicht, auch wenn die Probleme erstmal groß scheinen.“

Foto: Bundesregierung/Imo

Herr Bundeskanzler, Sie sind jetzt ein knappes Dreivierteljahr im Amt. Sicher hatten Sie eine bestimmte Vorstellung, wie es wird, Bundeskanzler zu sein. Was ist der wichtigste Unterschied zwischen Ihren Erwartungen und der Realität?

Bundeskanzler Olaf Scholz: Einen echten Unterschied zu den Erwartungen vermag ich gar nicht zu erkennen. Vielleicht liegt das daran, dass ich mich gut auf dieses Amt habe vorbereiten können. Das erste Mal im Büro des Kanzlers saß ich als SPD-Generalsekretär …

... Sie waren von 2002 bis 2004 Generalsekretär, und der Kanzler hieß Gerhard Schröder …

Scholz: …richtig. Danach war ich Fraktions-Geschäftsführer, Bundesarbeitsminister, Erster Bürgermeister in Hamburg und Bundesfinanzminister. Und in allen Funktionen habe ich immer eng mit Kanzler oder Kanzlerin zusammengearbeitet. Ich wusste also, was auf mich zukommt.

Sie haben sich keine Illusionen gemacht.

Scholz: Nein, Bundeskanzler zu sein ist kein Wellness-Programm. Man lässt sich ja nicht wählen, um die Aussicht aus dem Kanzleramt zu genießen. Es geht darum, die anstehenden Probleme zu bearbeiten – seien es die Probleme unseres Landes, Europas oder darüber hinaus in der Welt. Es gilt, in vielen Gesprächen und Verhandlungen voranzukommen und die richtigen Entscheidungen zu treffen – mit innerer Ruhe und ganzer Kraft. 

Aber Sie konnten nicht ahnen, dass Putin die Ukraine überfallen und Europa den Krieg zurückbringen wird.

Scholz: Dieser Krieg ist eine furchtbare Katastrophe. Der russische Angriff bringt unendliches Leid über die Ukrainerinnen und Ukrainer. Und er wirkt sich auf uns alle aus, denn er hat die Friedensordnung in Europa zertrümmert. Mit den allseits bekannten Folgen für unsere Energieversorgung, für die Weltwirtschaft, für die Preise. Am schlimmsten aber sind Tod und Zerstörung, die Putin zu verantworten hat.

Wenn Sie auf die existenziellen Krisen blicken und auf die Welt, in der wir leben: Was sagen Sie eigentlich einem jungen Paar, das sich unsicher ist, ob es Kinder in diese Welt setzen soll?

Scholz: Aus meiner Sicht sollte sich der Staat zu einer solch privaten Frage nicht äußern.

Die Frage richtet sich an Olaf Scholz.

Scholz: Paare entscheiden sich aus ganz unterschiedlichen Gründen für Kinder. Ich möchte da aber gerne Mut machen. Die Probleme, vor denen wir alle gerade stehen, sind groß. Aber sie erscheinen mir lösbar. Deutschland ist ein starkes Land und hat viele Verbündete. Gegen die Bedrohung durch den russischen Imperialismus haben wir das transatlantische Bündnis, die Nato, und wir stärken und verteidigen das demokratische und freie Europa. Gegen den Klimawandel, der auch vielen Bürgerinnen und Bürgern große Sorgen bereitet, kämpfen wir mit Hochdruck. Wir wollen bis 2045 klimaneutral werden und gleichzeitig unseren Wohlstand als Industrieland steigern. Als große Wirtschaftsnation spielen wir mit unseren guten Ingenieurinnen und Ingenieuren eine wichtige Rolle, weil wir Lösungen entwickeln, die allen nutzen. Kurz: Wir haben Grund zur Zuversicht, auch wenn die Probleme erstmal groß scheinen. Wir haben die Zukunft selbst in der Hand.

Aktuell fürchten viele Menschen in Deutschland, massiv an Wohlstand einzubüßen. Sie haben bei anderer Gelegenheit erzählt, dass sie immer wieder auch einmal selbst einkaufen gehen. Verstehen Sie, dass Menschen in Panik geraten, wenn die Preise im Supermarkt davongaloppieren?

Scholz: Diese Sorgen verstehe ich nur allzu gut. Inflation ist etwas Bedrohliches, weil es Werte vernichtet. Jetzt brauchen wir neben vielem anderen eine entschiedene Politik der Zentralbanken …

... auf die Sie keinen Einfluss haben.

Scholz: Und die Inflation ist stark getrieben von den hohen Energiepreisen. Deswegen tun wir gerade alles, damit diese Preise wieder runtergehen. Wir setzen konsequent auf den Ausbau erneuerbarer Energien, und wir steigen in die Nutzung von Wasserstoff ein. Damit schützen wir nicht nur das Klima, sondern machen uns unabhängiger vom Import fossiler Energieträger wie Erdgas, Kohle oder Erdöl. In der akuten Situation importieren wir Flüssiggas aus anderen Regionen der Welt, um den Wegfall der russischen Importe auszugleichen. Dafür bauen wir in Rekordzeit gerade die nötige Infrastruktur an den deutschen Küsten – also Flüssiggas-Terminals. Die ersten Terminals an der norddeutschen Küste werden Anfang nächsten Jahres in Betrieb gehen können.

Wie groß ist noch die Gefahr einer Gasmangellage? Die Gasspeicher füllen sich ja schneller als gedacht.

Scholz: Selbst wenn es mit der Zulieferung durch Russland nochmal ganz eng wird, kommen wir wohl durch den Winter.

Deutschland hat mit Spannung auf die Ergebnisse Ihrer Kabinettsklausur auf Schloss Meseberg geblickt. So richtig schlau geworden sind wir noch nicht…

Scholz: Die Botschaft war klar: Die Lage ist schwierig, aber wir werden die Bürgerinnen und Bürger nicht alleine lassen mit ihren Problemen. Die Bundesregierung ist sich einig, etwas für diejenigen tun zu wollen, die wenig Geld verdienen. Wir werden das Wohngeld so reformieren, dass mehr Leute davon profitieren, und Hartz IV zu Beginn des kommenden Jahres durch das neue Bürgergeld ersetzen. Und wir werden etwas für Rentnerinnen, Rentner und Studierende tun und für viele bei den Steuern.

Wann erfahren wir endlich etwas Konkretes?

Scholz: Sehr bald.

Warum räumen Sie eigentlich die kommunikativ und inhaltlich total verunglückte Gasumlage nicht ab? Eine Stützung der Gasversorger mit Steuermitteln über den Staatshaushalt wäre doch ohnehin viel gerechter.

Scholz: Die Umlage ist nötig, damit nicht viele Verbraucherinnen und Verbraucher mit den immens gestiegenen Kosten für Erdgas allein bleiben. Gleichzeitig haben wir aber beschlossen, die Mehrwertsteuer auf Gas von 19 auf sieben Prozent abzusenken.

Moment! Die Mehrwertsteuer haben Sie erst im Nachgang beschlossen, als sie gemerkt haben, dass diese sonst noch auf die Umlage draufgeschlagen worden wäre.

Scholz: Uns war klar, wenn Mehrwertsteuer auf die Umlage erhoben werden muss, senken wir die Steuer insgesamt. Aber nochmal: Die Gasumlage ist wichtig, um zu verhindern, dass Gasversorger pleite gehen und die Versorgung für die Verbraucherinnen und Verbraucher dann noch viel teurer würde. Wir verteilen damit die Lasten auf viele Schultern. Mich ärgert es aber, wenn Unternehmen von der Umlage profitieren wollen, obwohl sie das gar nicht bräuchten. Deshalb ist der Wirtschaftsminister gerade dran, solche Trittbrettfahrerei auszuschließen. 

Zwischendurch hatte man den Eindruck, Robert Habeck sei für die verunglückte Gasumlage ganz allein verantwortlich, und der Kanzler und der Finanzminister hätten damit nichts zu tun. 

Scholz: Mir ist wichtig: Jeder kann sich darauf verlassen, dass die Bundesregierung in dieser Zeit mit all ihren Herausforderungen als Team eng und vertrauensvoll zusammenarbeitet, auch wenn wir aus drei sehr unterschiedlichen Parteien stammen. Das Teamplay in der Regierung ist viel besser als manchmal gemutmaßt wird.

Formate wie das Kanzlergespräch, zuletzt am Donnerstag in Essen, sollen sicher auch Ihr Image als schlechter Kommunikator aufpolieren. Fühlen Sie sich da eigentlich in Kommentaren und Leitartikeln ungerechtfertigt kritisiert?

Scholz: Ach, die Bewertung überlasse ich gerne Ihnen. Ich bin mit exakt diesem Kommunikationsstil Bundeskanzler geworden und habe auch schon davor einige Wahlen gewonnen. 

Gibt es etwas, was Sie von dem Kommunikationsstil eines Robert Habeck lernen können?

Scholz: Das Schlimmste, was Politiker machen können, ist: sich zu verstellen. Man muss authentisch bleiben. Die Zeiten sind ernst und es braucht einen klaren inneren Kompass, um die richtigen Entscheidungen zu treffen. Und dabei darf man sich nicht zu sehr von einer aufgeregten Berichterstattung beeinflussen lassen und sie zum Maßstab des eigenen politischen Handelns machen. Ich setze auf eine Politik der Tat. 

Aber Herr Scholz, prallen denn auch die schlechten Umfragewerte an Ihnen ab? Dass Sie in der Kanzlerfrage sogar CDU-Chef Friedrich Merz überholt hat, muss Sie doch schmerzen.

Scholz: Wer seine Politik an Umfragen orientiert, hat den Job verfehlt. Meinen Erfolg bei der Bundestagswahl haben die wenigsten Medien vorausgesagt und auch die Umfragen sahen lange nicht danach aus. Ich spreche über Themen, die vielen Bürgerinnen und Bürgern wichtig sind – gerade denen, die wenig Geld verdienen und hart arbeiten. Es geht darum, wie sie besser zurechtkommen können. Ich habe mich für 12-Euro-Mindestlohn eingesetzt, für ein stabiles Rentenniveau, für mehr Wohnungsbau und für eine Kindergrundsicherung. Es geht für mich um Respekt vor der Lebensleistung der Bürgerinnen und Bürger. Dafür bin ich gewählt worden, und diese Politik betreibe ich sehr konsequent als Kanzler.

NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst liegt Ihnen ja schon länger damit in den Ohren, dass Länder wie Nordrhein-Westfalen unter einer starken Verschuldung leiden. Die Situation verschärft sich nun akut wegen der dramatisch steigenden Sozialausgaben. Werden Sie da als Bund helfen?

Scholz: Als Bundesfinanzminister hatte ich einen Vorschlag gemacht, mit dem hoch verschuldete Städte und Gemeinden in NRW auf einen Schlag viele ihrer Sorgen losgeworden wären. Leider haben CDU/CSU im Bundestag das verhindert. Und es bräuchte auch ein „Ja“ seitens der Länder. Und da war Nordrhein-Westfalen nicht so laut beim „Ja-Sagen“, als es die Möglichkeit dazu gab. Aber: An der Bundesregierung und an der Regierungsmehrheit im Bundestag wird eine gute Lösung auch jetzt nicht scheitern. Es braucht aber die Unterstützung der 16 Länder.