Zusammenarbeit auch international verstärken

Estlands Ministerpräsidentin in Berlin Zusammenarbeit auch international verstärken

Ein Antrittsbesuch in Pandemiezeiten ist immer noch etwas Besonderes. Das stellte auch Estlands Ministerpräsidentin Kallas fest, als sie von Kanzlerin Merkel im Kanzleramt begrüßt wurde – zwar mit großer Herzlichkeit, aber pandemiebedingt ohne militärische Ehren. Breiten Raum in der Begegnung nahm die Lage in Afghanistan ein.

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Kanzlerin Merkel begrüßt die estnische Ministerpräsidentin Kallas vor dem Kanzleramt.

Kanzlerin Merkel begrüßte die estnische Ministerpräsidentin Kallas vor dem Kanzleramt.

Foto: Bundesregierung/Kugler

Die Verkürzung des diplomatischen Protokolls tat den guten Beziehungen zu Estland keinen Abbruch. Diese seien “im Wesentlichen spannungsfrei“ seit der Unabhängigkeit Estlands vor 30 Jahren. Die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Estland und Deutschland jährt sich dieses Jahr zum 100. Mal, bemerkte Bundeskanzlerin Angela Merkel in der Pressebegegnung nach ihrem Gespräch mit Ministerpräsidentin Kaja Kallas. Der Austausch der beiden Regierungschefinnen war von Beratungen über vordringliche internationalen Fragen geprägt, allen voran der Situation in Afghanistan.

Afghanistan dominiert die Gespräche

Die Kanzlerin erläuterte gleich zu Anfang der Pressekonferenz im Anschluss an das gemeinsame Arbeitsessen die aktuelle Lage in Kabul. Dort ist die Bundeswehr weiter dabei, ihre Evakuierungsflüge für deutsche Staatsangehörige, Botschafts- und Hilfspersonal fortzusetzen. Man habe “schon sehr viele gerettet“, so Merkel. Aber die heikle Situation in Afghanistan und die von dort zu erwartenden Bürgerkriegsflüchtlinge stellten die Europäische Union vor neue Herausforderungen. Es sei “eine Schwachstelle“, dass es seit 2015 nicht gelungen sei, sich auf eine gemeinsame Flüchtlingspolitik zu einigen.

In diesem Zusammenhang verwies Merkel auch auf die Lage an den Grenzen zu Belarus, von wo aus zahlreiche Migranten Zugang zur EU suchten. Die Situation an der Grenze zu Litauen sei nach Ansicht beider Regierungschefinnen allerdings durch eine “hybride Agression“ seitens des belarussischen Machthabers Lukaschenko verursacht. Sie “verurteile“, so die Kanzlerin, dass Lukaschenko flüchtige “Menschen als Mittel“ benutze, um so die Sicherheit der EU in Frage zu stellen. “Das ist eine Attacke auf uns alle“.

Auch die angespannten Beziehungen zu Russland waren ein Thema der Beratungen. Immerhin lebt in Estland eine große russischsprachige Minderheit (ca. ein Viertel der rund 1,3 Millionen Einwohner). Es gebe weiter große Herausforderungen insbesondere wegen des Konflikts in der Ukraine. Hier habe man die Positionen miteinander abgestimmt, so die Kanzlerin. Sie arbeite weiter an einer diplomatischen Lösung.

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Video Pressekonferenz mit Bundeskanzlerin Merkel und der Ministerpräsidentin von Estland, Kaja Kallas

Estland führend bei der Digitalisierung

Ein weiteres Thema der Gespräche war der Kampf gegen die COVID-19-Pandemie, die trotz der Impffortschritte eine andauernde Herausforderung darstelle. Die Pandemie habe auch gezeigt, wie wichtig eine gut ausgebaute digitale Infrastruktur sei. “Da hat Deutschland noch viel zu tun“, stellte Merkel mit Blick auf den kleinsten und nördlichsten der drei baltischen Staaten fest.

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Immerhin kann man in Estland mittlerweile 99 Prozent der öffentlichen Anfragen und Serviceleistungen online erledigen – 24 Stunden am Tag, an sieben Tagen in der Woche. In diesem Zusammenhang erinnerte die estnische Ministerpräsidentin daran, dass auch das Cyber Defence Center der NATO in der estnischen Hauptstadt Tallinn angesiedelt ist. Fragen der IT-Sicherheit und der Bedrohung durch hybride Angreifer wolle man deshalb gemeinsam angehen.

Bei den letzten Parlamentswahlen in Estland 2019 wurden 43,8 Prozent der Stimmen per Mausklick am eigenen PC abgegeben (EP-Wahlen: 46,7 Prozent). Deshalb ist der Austausch über Stand und Umsetzung der Digitalisierung für Deutschland sehr wichtig. Dazu gehören insbesondere die Bereiche E-Government, E-Health und E-Education.

Ministerpräsidentin Kallas dankte der Bundeskanzlerin für die Zusammenarbeit in den Jahren ihrer Kanzlerschaft. Mit ihr sei Deutschland eine “Verkörperung der europäischen Verantwortung“, vor allem in den zahlreichen Krisen der letzten Jahre. Estland sei stolz, dass es 2020 an der Seite Deutschlands im Sicherheritsrat der Vereinten Nationen arbeiten konnte. Man sei sich einig, dass es in Afghanistan jetzt vor allem darauf ankomme, Menschenrechtsverletzungen an Frauen und Mädchen zu verhindern.

Kaja Kallas, geboren 1977 in Tallinn, studierte Jura an der Universität Tartu. Sie ist seit 2018 Vorsitzende der liberalen Estnischen Reformpartei (Eesti Reformierakond), die 1994 von ihrem Vater Siim Kallas gegründet wurde. Von 2014 bis 2018 war sie Mitglied des Europäischen Parlaments. Seit 26. Januar 2021 ist Kallas die erste weibliche Premierministerin von Estland.