„Mittlerweile sind die Speicher gut gefüllt“

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Bundeskanzler Olaf Scholz im Interview für die "Aller Zeitung".

Bundeskanzler Scholz beim Interview mit der Aller-Zeitung in Gifhorn. 

Foto: Bundesregierung/Bergmann

Frage: Wie war der Flug?

Bundeskanzler Olaf Scholz: Danke, gut. Ich komme gerade aus der Lausitz. Dort in Schwarzheide habe ich mir ein BASF-Werk angeguckt, das jetzt in die Batterieproduktion einsteigt – um die E-Mobilität in Deutschland voranzubringen. 

Und freuen Sie sich schon auf das Bürgergespräch?

Scholz: Ja, solche Gespräche mache ich ausgesprochen gerne. Sie geben mir die Möglichkeit zu erfahren, was die Bürgerinnen und Bürger beschäftigt. Oft sind es ganz andere Fragen als jene, die ich von Journalistinnen und Journalisten gestellt bekomme. Und es gibt mir die Gelegenheit, die Politik der Bundesregierung zu erklären. Das geht am besten, wenn man miteinander direkt spricht.

Das ist nachvollziehbar.

Scholz: Und es ist immer spannend, weil man vorher nie genau weiß, welche Fragen kommen. 

Es geht um Russland und um die Ukraine: Wie schätzen Sie denn aktuell die Lage ein? Müssen sich die Menschen denn Sorgen machen um Gas, beziehungsweise auf einen Atomschlag von Russland?

Scholz: Der russische Überfall auf die Ukraine ist eine ernsthafte Bedrohung für die europäische Friedensordnung. Wir waren uns in der KSZE und OSZE einig, dass Grenzen in Europa nicht mehr mit Gewalt verschoben werden, dass das Recht herrscht und nicht brutale Gewalt. Und dass sich kleinere Länder nicht vor ihren mächtigeren Nachbarn fürchten müssen. All das ist jetzt in Frage gestellt. Wir unterstützen die Ukraine von Anfang an sehr stark – finanziell, humanitär und auch mit Waffen. Gerade die Panzerhaubitzen, die Mehrfachraketenwerfer, der Flakpanzer Gepard und das Flugabwehrsystem Iris-T helfen der Ukraine jetzt ganz besonders. Gerade erst hat sich die ukrainische Regierung ausdrücklich für unsere Unterstützung bedankt – denn es setzt dem brutalen russischen Terror gegen Infrastruktur und Wohngebäude etwas Wirksames entgegen. 

Was bedeutet der Krieg in Europa für den Rest der Welt?

Scholz: Die Folgen dieses völkerrechtswidrigen Angriffskriegs sind nicht nur in der Ukraine zu spüren. Der Staat ist ein wichtiger Agrarexporteur und liefert viel Getreide in alle Welt. Diese Lieferungen waren aufgrund des Krieges ausgefallen. Wir haben versucht, das Getreide mit Zügen und Binnenschiffe über die Donau zu transportieren – doch das geht nur in deutlich geringerem Umfang als auf dem Seeweg über das Schwarze Meer. Deshalb ist es so wichtig, dass Putin den verhandelten Getreide-Deal nicht aufkündigt und die Lieferungen per Schiff unterbricht. Sonst drohen Hungersnöte in Afrika oder Asien, das darf nicht passieren. 

Was heißt das für unsere Energie-Versorgung?

Scholz: Die Energiepreise in der Welt steigen rasant. Und aus Russland erreicht uns kein Erdgas mehr. Glücklicherweise haben wir uns seit Jahresbeginn darauf vorbereitet und früh angefangen, neue LNG-Terminals zu planen, um Flüssiggas importieren zu können – hier in Niedersachsen, in Schleswig-Holstein und auch in Mecklenburg-Vorpommern. Die ersten Terminals werden zum Jahreswechsel in Betrieb gehen. Zusätzlich nutzen wir Häfen in den Niederlanden, Belgien und Frankreich, um Erdgas nach Deutschland einzuführen. Mittlerweile sind die Speicher gefüllt; so glauben wir, gut durch den Winter kommen zu können. 

Wie sparen Sie selbst Energie? 

Scholz: Als Bundeskanzler mit vielen Auslandsterminen wäre es vermessen zu behaupten, in Energiefragen besonders sparsam zu sein. Privat habe ich mir vorgenommen, die Heizung runter zu drehen, wie die meisten Bürgerinnen und Bürger ja auch.

Nach der Bundestagswahl hat es für einige der Aufgaben, die diese Regierung zu bewältigen hat – Corona, Schwierigkeiten in der Wirtschaft und der Krieg in der Ukraine –, öffentlich ein relativ starkes Maß an Kritik gegeben. Opposition und einige Medien haben häufig schnelleres Handeln in der Ukraine-Politik gefordert. Wie gehen Sie mit solcher Kritik eigentlich um? Es geht um Fragen wie: Wann werden Waffen an die Ukraine geliefert oder wann gibt es den Gaspreisdeckel? Das war immer behaftet mit dem Vorwurf, es gehe nicht schnell genug. 

Scholz: Die Lage ist sehr ernst – und da muss man als Regierung entschlossen, aber überlegt handeln, ohne sich bange machen zu lassen. Das zahlt sich jetzt aus: Vor einem Jahr waren die Gasspeicher in Deutschland ziemlich leer - durch unser entschlossenes Handeln sind wir auf diesen Winter sehr gut vorbereitet. Um Gas zu sparen, haben wir, auch hier in Niedersachsen, Kohlekraftwerke wieder in Betrieb genommen, wir nutzen die Atomkraft bis ins kommende Frühjahr hinein und beschleunigen den Ausbau von Windkraft und Solarenergie. So sichern wir die Energie-Versorgung. Damit die Bürgerinnen und Bürger mit den deutlich höheren Energie-Preisen zurecht kommen können, haben wir allein in diesem Jahr drei Entlastungspakete geschnürt, die zusammen ein Volumen von 100 Milliarden Euro haben. Und zusätzlich haben wir einen 200-Milliarden-Euro-Abwehrschirm gespannt, mit denen wir bis April 2024 die hohen Gas- und Strompreise abfedern werden. Im Dezember werden die Abschlagszahlungen für Gas und Wärme vom Staat übernommen. Die Strompreisbremse greift zum Jahreswechsel, die Gaspreisbremse wirkt dann kurz danach. Und wir haben uns nicht auf die Krisenbewältigung beschränkt, sondern auch den Ausbau von erneuerbaren Energien vorangetrieben, damit unsere Volkswirtschaft wie geplant bis 2045 klimaneutral ist. Wir haben viele rechtliche und faktische Hürden aus dem Weg geräumt, die bislang den Bau von Windrädern und Solaranlagen verzögert haben. Wir brauchen in Zukunft viel mehr Strom in Deutschland, und dieser Strom soll aus erneuerbaren Quellen kommen. Alle wichtigen Entscheidungen dafür sollen noch dieses Jahr getroffen werden.

Um dieses Thema Krieg abzuschließen. Meine siebenjährige Tochter hat mich jetzt gefragt, ob wir hier auch bald Krieg haben. Wie kann man denn so eine Angst oder Sorge vielleicht nehmen? Oder kann man sie denn überhaupt nehmen, wenn man jetzt die Stichworte hört und liest wie „atomarer Erstschlag“ oder „schmutzige Bombe? 

Scholz: Die Lage ist bedrohlich. Sagen Sie Ihrer Tochter: Wir tun alles dafür, dass die Ukraine sich verteidigen kann. Gleichzeitig sorgen wir dafür, dass es nicht zu einer direkten Konfrontation zwischen der NATO und Russland kommt. Im Übrigen darf ich die Gelegenheit nutzen und klarstellen, dass das Gerede von einer „schmutzigen Bombe“, die die Ukraine angeblich vorbereite, völlig aus der Luft gegriffen ist. Das ist russische Propaganda. Ich bin froh, dass die Ukraine die Internationale Atomenergieorganisation eingeladen hat, sich vor Ort zu überzeugen, wie absurd diese Vorwürfe sind. Lassen Sie mich klar sagen: Nukleare Bomben dürfen nicht eingesetzt werden, auch nicht in diesem Krieg. Das muss Russlands Präsident verstehen.

Letzte Frage dazu, die muss ich jetzt fragen, weil meine Tochter das auch gefragt hat: Wann ist der Krieg zu Ende? 

Scholz: Grüßen Sie Ihre Tochter von mir. Leider kann das aber niemand wirklich sagen, weil das auch von den Entscheidungen Russlands abhängt. Angesichts der militärischen Lage wäre es jetzt angebracht, dass der russische Präsident einen Weg aus dieser Situation sucht. Das Wichtigste wäre, die Kampfhandlungen sofort zu beenden und die russischen Truppen abzuziehen, damit in Friedensverhandlungen eine dauerhafte Lösung gefunden werden kann. 

Ist das denn realistisch?

Scholz: Russland muss einsehen, dass es nicht militärisch einen Diktatfrieden gegen die Ukraine durchsetzen kann. 

Im Zusammenhang mit dem Hamburger Hafen wird darüber diskutiert, ob wir uns von China jetzt zu abhängig machen. 

Scholz: Darf ich das kurz einordnen: Hamburg hat einen der größten Häfen Europas. Es geht nun um den Betreiber eines Container-Terminals, an dem sich eine chinesische Reederei zu 24,9 Prozent beteiligen darf – das lässt keinen Einfluss auf das Geschehen im Hafen zu. Und der Hafen ist und bleibt im vollen Besitz der Freien und Hansestadt Hamburg. Trotzdem ist es richtig, dass wir bei unseren Handels- und Wirtschaftsbeziehungen mit China darauf achten, dass keine Abhängigkeiten entstehen. Das gilt insbesondere mit Blick auf unsere Lieferketten. Ein Produkt, das in Deutschland hergestellt wird, besteht oft aus Rohstoffen und Bauteilen aus der ganzen Welt. Dabei dürfen wir uns nicht von einzelnen Zulieferern abhängig machen, sondern müssen diversifizieren, damit wir zurecht kommen können, wenn es mit einem Land irgendwelche Schwierigkeiten gibt.

Sie haben, bevor Sie Bundeskanzler geworden sind, eine Menge Ämter und Funktionen innegehabt, die allesamt relativ nahe am Zentrum der Regierungsmacht gewesen. Ist es, im Kanzleramt zu sitzen und Entscheidungen treffen zu müssen, dann doch anders, als man es sich vorstellt? Oder haben Sie sich gut vorbereitet gefühlt? 

Scholz: Ich bin sehr froh, dass ich schon viele politische Aufgaben übernommen hatte – als Bundesminister, als Regierungschef eines der 16 Länder und als Bundestagsabgeordneter, bevor ich ins Amt gekommen bin. All diese Erfahrungen helfen mir. Die Zeiten mögen schwierig sein, aber ich habe mich auch für schwierige Zeiten als Kanzler beworben.

Mitleidsbonus gibt es nicht. Beworben haben Sie sich, und Sie wollten es werden. Aber die Frage ist, ob tatsächlich das, was man von außen betrachtet und was man drinnen erlebt, deckungsgleich ist?

Scholz: Das ist ziemlich deckungsgleich.

Frau Faeser ist noch in Katar unterwegs? 

Scholz: Sie ist zurück. 

Es ging um Menschenrechte. Es gab ja auch Kritik an diesem Besuch dort, beziehungsweise an dem Unterfangen und dem Vortragen. Wie sehen Sie die Situation im Hinblick auf die Menschenrechte und die dortige WM? 

Scholz: Die Fußball-WM beginnt in wenigen Tagen in Katar. Viele Fans freuen sich auf das Turnier. Als Bundesregierung haben wir uns früh um Fragen von Menschenrechten und der Rechte der Arbeiterinnen und Arbeitern gekümmert, die die Stadien gebaut haben. Da haben wir sehr genau hingeschaut und auch Fortschritte gesehen. 

Ist denn die Situation so, wie man sich das wünscht, oder müsste es nicht doch ein bisschen anders sein?

Scholz: Es hat Fortschritte gegeben, gerade mit Blick auf die Arbeitsbedingungen. Der Weg ist richtig – aber noch nicht zuende. Wir ermutigen, auf diesem Weg weiter voranzukommen und werden da dran bleiben, auch nach der WM

Kommen wir zum Schluss. Ein knappes Jahr sind Sie im Amt. Was war denn der größte Fehler bislang, den Sie sich ankreiden? 

Scholz: Ach, die Suche nach Fehlern ist doch eher Ihre Aufgabe. Ich glaube, gerade in diesen herausfordernden Zeiten ist es wichtig, bei sich zu sein, sich nicht von der öffentlichen Hektik anstecken zu lassen und entschlossen zu entscheiden. Und das tue ich.

Interview: Christina Rudert, Michael Lieb, Christoph Oppermann