Rede des Bundeskanzlers zum 75. Arbeitsjubiläum von Prof. Reinhold Würth

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Der Bundeskanzler im Gespräch mit Reinhold Würth. Im Hintergrund andere Teilnehmer der Jubiläumsveranstaltung.

Bundeskanzler Olaf Scholz gratulierte dem Unternehmer Reinhold Würth zum 75. Arbeitsjubiläum und würdigte das Engagemtent des Unternehmers.

Foto: Bundesregierung / Steffen Kugler

Bei der Festveranstaltung zum 75. Arbeitsjubiläum des Unternehmers Reinhold Würth hat Bundeskanzler Olaf Scholz eine Festrede gehalten. Darin würdigte er die facettenreiche und menschennahe Persönlichkeit und das große Engagement – nicht nur für die deutsche Wirtschaft, sondern auch für soziale und kulturelle Belange.

Der Unternehmer ist besonders für sein kulturelles Engagement bekannt: Zum Würth-Universum gehören eine Kunstsammlung von Weltrang, ein Symphonieorchester der Spitzenklasse sowie Museen, Ausstellungen, Bildungseinrichtungen und Begegnungsorte weltweit. Auch politisch äußert sich Reinhold Würth immer wieder – zuletzt positionierte er sich klar gegen rechtsextremistische Positionen.

Reinhold Würth stieg mit 14 Jahren als Lehrling seines Vaters in das Unternehmen ein, übernahm es im Alter von 19 Jahren nach dessen Tod und baute es in wenigen Jahren zu einem Konzern aus. Die Firma wurde 1949 als Schraubenhandlung gegründet. Aktuell besteht die Würth-Gruppe nach Angaben des Unternehmens aus über 400 Gesellschaften in 80 Ländern. Das Familienunternehmen beschäftigt 88.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Lesen Sie hier die Mitschrift der Rede:

Sehr geehrter Herr Prof. Würth,
sehr geehrte Frau Würth,
sehr geehrte Mitglieder der Familie,
Herr Landeshauptmann,
sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, Minister, Landräte und Bürgermeister,
liebe Mitarbeiterinnen, Mitarbeiter und Weggefährten von Reinhold Würth,
meine Damen und Herren!

Alles an diesem Festtag ist außergewöhnlich: der Jubilar, die Gäste, die Musik und natürlich das Jubiläum selbst. Ein 75. Arbeitsjubiläum zu feiern, das dürfte für die allermeisten von uns ein einmaliges Erlebnis sein. Danke, sehr geehrter Herr Professor Würth, dass Sie uns ermöglichen, bei diesem schönen Jubiläum dabei zu sein; eine wirkliche Leistung!

Ich möchte natürlich gleich zu Beginn meiner Rede unterstreichen, dass ich gegen die Anhebung des gesetzlichen Rentenalters und dafür bin, dass tüchtige Leute auch weiterhin nach 45 Arbeitsjahren, zwei Jahren früher, in Rente gehen dürfen. Aber wer will, soll länger arbeiten können. Freiwilliges Weiterarbeiten ‑ so wie bei Ihnen – ermöglichen wir, und die Bundesregierung begrüßt das ganz, ganz ausdrücklich! Das ist erwünscht und, wie man am Beispiel Reinhold Würths sieht, ein Segen für unser ganzes Land.

Mit der Wachstumsinitiative sind wir gerade dabei, das auch gesetzlich zu untermauern. Wir machen es attraktiver, dass Beschäftigte, die Spaß an der Arbeit haben, länger arbeiten. In Zeiten von Fachkräftemangel ist deren Erfahrung ein Schatz, auf den wir nicht verzichten können und nicht verzichten wollen.

Niemand verkörpert das besser als Reinhold Würth. Wäre er nach 45 Arbeitsjahren in Ruhestand gegangen – vollkommen unvorstellbar bei ihm –, er hätte seine Berufstätigkeit knapp nach Eintritt seiner Mid-Career-Phase beendet. Dabei wissen wir nicht nur aus der Kunst: Gerade die späteren Schaffensphasen sind oft die bedeutendsten; wobei sich das bei Reinhold Würth erst dann sicher beurteilen ließe, wenn er mit der Arbeit aufhörte – oder zumindest darüber nachdächte. Doch das steht wohl noch lange nicht an.

Als Laudator wiederum stellt mich bereits die bloße Zeitspanne dieses Arbeitslebens vor eine brutale Kuratierungsentscheidung: Wo anfangen? Was weglassen? Worauf den Scheinwerfer richten? Hinzu kommt, dass die Persönlichkeit von Reinhold Würth mit Worten wie „facettenreich“ und „vielseitig“ gänzlich unzureichend beschrieben ist. Anlässlich Ihres 80. Geburtstags schrieb Claus Detjen über Sie, dass Sie „Aufkleber nicht mögen, die Ihnen angeheftet werden“. Vermutlich würden solche Aufkleber an Ihnen aber auch einfach nicht haften bleiben, weil sie immer nur einen Bruchteil Ihrer Persönlichkeit beschreiben würden.

Wer sich Reinhold Würth über die zahlreichen Bücher, Interviews und Publikationen nähert, die über ihn existieren, der trifft auf einen innovativen Traditionalisten und traditionsbewussten Erneuerer, auf einen packenden Erzähler und interessierten Zuhörer, auf einen kaufmännischen Kunstsammler und kunstliebenden Kaufmann, auf einen klar kalkulierenden Unternehmer und herzlichen Familienmenschen. Reinhold Würth ist heimatverbundener Weltbürger, Anker und Visionär, Menschenfreund und Kritiker in einem. Er gilt als ernst und humorvoll, liberal und sozial, sparsam und lebensfroh, altmodisch und innovativ, störrisch und liebenswert, ungeduldig und langmütig, streng und warmherzig zugleich.

Wenn die Deutschlehrer unseres Landes ihren Schülerinnen und Schülern beibringen, was in der Rhetorik ein Oxymoron, ein innerer Widerspruch, ist – und ich hoffe, das tun sie noch –, dann greifen sie beispielsweise auf Paul Celans Formulierung von der „schwarzen Milch“ zurück. Sie könnten ihre Schüler alternativ auch die Eigenschaften studieren lassen, die Reinhold Würth in sich vereint. Dann würde zugleich auch der Beweis erbracht, dass vermeintlich gegensätzliche Charaktereigenschaften und Begabungen sich durchaus zu einem harmonischen Ganzen zusammenfügen können.

Dieses harmonische Ganze zu würdigen, bleibt gleichwohl eine Herausforderung. Ich will mich ihr über drei Begriffe nähern, die in Reinhold Würths Leben eine zentrale Rolle spielen, mehr noch, die bei ihm eine produktive Symbiose eingegangen sind. Es sind die Begriffe Arbeit, Kultur und Familie.

Mit dem Begriff der Arbeit möchte ich beginnen; schließlich ist der Anlass dieser Feier ein Arbeitsjubiläum, auch wenn sich diese Feier für uns Gäste so gar nicht nach Arbeit anfühlt. „Arbeit ist das halbe Leben“ sagt der Volksmund. Reinhold Würth widerlegt diesen Satz wie erläutert schon rein mathematisch. 78,2 Jahre beträgt die durchschnittliche Lebenserwartung eines Mannes in Deutschland. Daran gemessen sind 75 Arbeitsjahre plus X weit mehr als ein halbes Leben.

Mit 14 begann Reinhold Würth in der väterlichen Schraubenhandlung; das haben wir schon gehört. Bereits mit 15 führte seine erste Verkaufsreise ihn allein nach Düsseldorf. Welche Eltern würden das heute noch zulassen? Nach dem viel zu frühen Tod des Vaters übernahm er mit 19 ‑ damals nach dem damaligen Recht eben noch minderjährig – die Geschäftsleitung, an seiner Seite die Mutter Alma als engste Ratgeberin, Mutmacherin und Unterstützerin. Mit 24 hatte er den Umsatz bereits fast verzehnfacht, auf mehr als 1,1 Millionen Mark. Mit 27 gründete er in den Niederlanden die erste Auslandsgesellschaft. Dutzende weitere sollten folgen.

Viele von Ihnen kennen natürlich diese Rahmendaten, die mit wachsendem zeitlichem Abstand umso beeindruckender wirken. Sie dokumentieren eine Erfolgsgeschichte, die in den USA längst nationales Kulturgut wäre, Beleg für die Lebendigkeit des amerikanischen Traums. Aber Reinhold Würth als Aushängeschild des „German Dream“? Ich vermute, er würde das mit der Bescheidenheit eines „Bubs aus Hohenlohe“ und mit dem Misstrauen gegenüber solcherlei „Aufklebern“ von sich weisen.

Ohnehin vermögen Daten und Zahlen allein den Erfolg eines Reinhold Würth nicht zu erklären. Dafür muss man über die Person Reinhold Würth sprechen, über Reinhold Würth als Menschenkenner, Menschenfänger und Menschenfreund, der seine Arbeit liebt und darüber sagt, dass der Verkäuferberuf der schönste auf der ganzen Welt sei, und zwar, weil man dabei permanent mit allen Sorten von Menschen, die auf Gottes Erdboden leben, in Kontakt komme. Geschäftssinn kommt natürlich hinzu. Auch den zeigte Reinhold Würth schon früh. Schon in der Schule – so hat es mir eine vertrauenswürdige Quelle verraten – verlieh er Romanhefte an seine Mitschülerinnen und Mitschüler, wohlgemerkt gegen Leihgebühr.

Dass Reinhold Würth zugleich unglaublich großzügig ist, wissen alle, die für ihn arbeiten oder in den vergangenen 75 Jahren gearbeitet haben. Anstrengung belohnt er. Wer viel leistet, der soll sich auch richtig freuen und feiern. Auch das gehört zum Erfolgsprinzip Würth. Umso dankbarer sind wir, Ihre Gäste, dass wir heute gänzlich anstrengungslos in den Genuss dieser schönen Feier kommen.

Damit ist auch der Beweis erbracht, dass Arbeit für Sie, sehr geehrter Herr Würth, zwar rechnerisch weit mehr ist als das halbe Leben, aber dass Sie der Arbeit keineswegs alles andere unterordnen. Arbeit geht für Sie über ihre ökonomische Bedeutung hinaus. Das verbindet uns. Der von mir sehr geschätzte Philosoph Axel Honneth sieht in der Arbeit den zentralen Ort, an dem die Freiheit des Einzelnen verwirklicht wird, und zwar durch die Zusammenarbeit mit anderen, durch Austausch und durch wechselseitige Anerkennung.

Zusammenarbeit, Austausch, Anerkennung – das passt gut zum Unternehmer Würth, der die Arroganz einmal als den Tod jeder zwischenmenschlichen oder geschäftlichen Beziehung bezeichnet hat. Das passt auch gut zum Unternehmen Würth, in dem das wichtigste Wort dem Vernehmen nach Danke lautet – ich hoffe, es stimmt ‑ und in dem Erfolg immer damit verbunden wird, der Gesellschaft etwas zurückzugeben, sei es durch Ihr großes Engagement im Bereich der Bildung, für Inklusion und den Behindertensport oder für die Kultur.

Das ist dann auch der zweite Begriff, den wohl nicht nur ich eng mit Reinhold Würth verbinde, der Begriff der Kultur. Da ist zunächst diese von Wertschätzung und Hilfsbereitschaft geprägte Unternehmenskultur, die Reinhold Würth so wichtig ist. Zahllos sind die Geschichten der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, denen er in schwierigen Situationen unter die Arme gegriffen hat.

Dass zur Unternehmenskultur für Reinhold Würth auch Kultur im Unternehmen zählt, ist inzwischen weit über Künzelsau, Hohenlohe und Deutschland hinaus bekannt. Zum Würth-Universum zählen eine Kunstsammlung von Weltrang, ein Symphonieorchester der Spitzenklasse, dazu Museen, Ausstellungen, Bildungseinrichtungen und Begegnungsorte weltweit. Museen seien die demokratischsten Orte, haben Sie einmal gesagt, lieber Herr Würth, weil dort alle gleich seien. Das stimmt –zumindest dann, wenn Kultureinrichtungen zugänglich sind, erschwinglich für alle, und ich weiß, darauf legen Sie größten Wert.

Das ist gut, denn Demokratie braucht Kultur. Eine vielfältige Gesellschaft wie unsere braucht Orte, an denen wir uns begegnen, an denen wir uns vergewissern, wer wir sind und woher wir kommen, an denen wir bei dem gemeinsamen Betrachten eines Bildes oder beim Hören eines Musikstücks verstehen: Was auch immer uns unterscheiden mag – weltanschaulich, politisch, ökonomisch oder aufgrund unserer unterschiedlichen Lebenswege –, uns eint doch viel mehr, als uns trennt.

Das wieder stärker zu verinnerlichen, würde unserem Land guttun. Es würde auch denjenigen das Geschäft erschweren, die vor allem das Trennende betonen – zwischen arm und reich, West und Ost, Stadt und Land oder zwischen denjenigen, die schon immer hier leben, und denen, die neu hinzugekommen sind.

Den Spaltern und Angstmachern klar und deutlich zu widersprechen – auch das gehört für Sie, lieber Herr Würth, zu einer demokratischen Kultur. Danke dafür! Sie haben in den vergangenen Monaten und Jahren immer wieder klar Stellung gegen Rechtsextremisten bezogen. Natürlich muss der Kampf gegen deren gefährliches Gedankengut in erster Linie politisch geführt werden. Aber in einer Republik wie unserer ist das Politische eben nicht allein den Politikern vorbehalten, sondern „res publica“, die Sache aller. Danke, Herr Professor Würth, dass Sie daran keinerlei Zweifel lassen!

Die Bundesregierung tut das ihre. Um den Extremisten den Nährboden zu entziehen, müssen die Bürgerinnen und Bürger das Gefühl haben, dass es trotz der vielen Krisen und Veränderungen gut ausgehen kann für sie und ihre Familien und dass Deutschland funktioniert. Dazu gehören so alltägliche Dinge wie dass die Bahn wieder pünktlich fährt, dass unsere Infrastruktur modernisiert und Genehmigungen zügiger erteilt werden, dass wir kontrollieren, wer zu uns kommt und wer nicht. Vieles davon wurde zu lange schleifen gelassen. Aber wir sind dabei, das zu ändern und aufzuräumen mit dem Schlendrian, damit es in Zukunft jedenfalls wieder besser wird.

Meine Damen und Herren, eine Feier dieses außergewöhnlichen Jubiläums wäre nicht vollständig ohne den dritten Begriff, den ich noch erwähnen möchte. Es geht um den Begriff Familie. Das Unternehmen habe immer mit am Tisch gesessen, heißt es aus den Reihen Ihrer Familie, sehr geehrter Herr Professor Würth – eben wurde uns das ja auch noch einmal ganz konkret bestätigt –, und zugleich wissen wir: Ohne diese Familie gäbe es das Unternehmen nicht. Tüchtigkeit und Demut hat Sie der Vater gelehrt. „Tue recht und scheue niemand!“ – diese Einstellung hat Ihnen Ihre Mutter mit auf den Weg gegeben. Sie füllen sie zweifellos mit Leben.

Ihre Kinder und Enkelkinder unterstützen und fördern Sie, manchmal fordern Sie sie auch. So haben Sie es gemeinsam geschafft, das Unternehmen gut für kommende Generationen aufzustellen.

Den größten Anteil am gemeinsamen Erfolg aber hat wohl Ihre Ehefrau Carmen, über die Sie selbst sagen: Die Hälfte des heutigen Erfolgs verdanke ich meiner Frau, weil sie so großzügig war, mir diese Zeit zur Verfügung zu stellen. – So gilt auch Ihnen, liebe Frau Würth, und allen anderen Mitgliedern der Familie – stellvertretend für die vielleicht nicht Anwesenden – Dank und Anerkennung dafür, dass aus einem Zwei-Mann-Betrieb in Künzelsau ein Weltkonzern mit heute mehr als 88 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern wurde, wobei man die letztere Zahl ruhig noch einmal mit drei multiplizieren darf, wenn man so denkt und handelt wie Reinhold Würth; denn für ihn erstreckt sich die Verantwortung eines Unternehmens eben nicht nur auf die eigene Familie und den Betrieb, sondern selbstverständlich auch auf die Angehörigen seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Auch das macht für ihn ein Familienunternehmen aus, und so liegt vielleicht in diesem letzten der drei Begriffe – Arbeit, Kultur und Familie – das größte Geheimnis für den Erfolg von Reinhold Würth.

Deshalb soll zum Schluss meiner Rede das Mitglied Ihrer Familie zu Wort kommen, das Sie am längsten und engsten auf Ihrem Weg begleitet hat. Beim Würth-Kongress in Südafrika hat Ihre Ehefrau Carmen Würth vor einigen Jahren gesagt: Allem, was wir ohne Liebe tun, dem fehlt etwas. – Gut, dass Reinhold Würth das, was er getan hat – für dieses Unternehmen, für die Kultur, für seine Familie und für unser Land –, mit Liebe tut, und das seit nunmehr 75 Jahren. Schönen Dank dafür!

Im Namen von uns allen: Herzlichen Glückwunsch zu diesem außergewöhnlichen Arbeitsjubiläum!